ARTIKEL 10
DIE BETEILIGUNG AM GESELLSCHAFTLICHEN LEBEN
I Die Autorität
1897 „Die,
menschliche Gesellschaft kann weder gut geordnet noch fruchtbar sein, wenn es
in ihr niemanden gibt, der mit rechtmäßiger Autorität die Ordnung aufrecht
erhält und mit der notwendigen Sorgfalt auf das allgemeine Wohl bedacht
ist" (PT 46).
Als „Autorität" bezeichnet
man die Eigenschaft von Personen oder Institutionen, aufgrund derer sie den
Menschen Gesetze und Befehle geben und von ihnen Gehorsam erwarten können.
1898 Jede
menschliche Gemeinschaft bedarf einer Autorität, von der sie geleitet wird
[Vgl. Leo XIII., Enz. „Immortale Dei"; Enz. „Diuturnum illud"]. Diese hat ihre Grundlage
in der menschlichen Natur. Sie ist für die Einheit des Gemeinwesens notwendig.
Ihre Aufgabe ist es, soweit wie möglich das Gemeinwohl der Gesellschaft zu
gewährleisten.
1899 Die von
der sittlichen Ordnung geforderte Autorität geht von Gott aus: „Jeder leiste
den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine
staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt. Wer
sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung
Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen" (Röm
13, 1-2).
1900 Die
Gehorsamspflicht verlangt von allen, der Autorität die ihr gebührende Ehre zu
erweisen und die Personen, die ein Amt ausüben, zu achten und ihnen - je nach
Verdienst - Dankbarkeit und Wohlwollen entgegenzubringen.
Dem hl. Papst Clemens von Rom
verdanken wir das älteste Gebet der Kirche für die Träger der staatlichen
Autorität [Vgl. schon 1 Tim 2,1-2]: „Gib ihnen, Herr, Gesundheit, Frieden,
Eintracht, Beständigkeit, damit sie die von dir ihnen gegebene Herrschaft
untadelig ausüben! Denn du, himmlischer Herr, König der Aonen, gibst den
Menschenkindern Herrlichkeit und Ehre und Gewalt über das, was auf Erden ist;
du, Herr, lenke ihren Willen nach dem, was gut und wohlgefällig ist vor dir,
damit sie in Frieden und Milde frommen Sinnes die von dir ihnen gegebene Gewalt
ausüben und so deiner Huld teilhaftig werden!" (Cor. 61,1-2).
1901 Während
die Autorität als solche auf eine von Gott vorgebildete Ordnung verweist, muß
„die Bestimmung der Regierungsform und die Auswahl der Regierenden dem freien
Willen der Staatsbürger überlassen" bleiben (GS 74,3).
Unterschiedliche Regierungsformen
sind sittlich zulässig, sofern sie zum rechtmäßigen Wohl der Gemeinschaft, die
sie annimmt, beitragen. Regierungen, deren Wesen dem natürlichen Sittengesetz,
der öffentlichen Ordnung und den Grundrechten der Personen widerspricht, können
das Gemeinwohl der Nationen, denen sie aufgezwungen wurden, nicht
verwirklichen.
1902 Die
Autorität hat ihre moralische Rechtmäßigkeit nicht aus sich selbst. Sie darf sich
nicht willkürlich verhalten, sondern muß für das Gemeinwohl wirken „als
moralische Macht, die sich stützt auf die Freiheit und auf das Bewußtsein einer
übernommenen Verantwortung" (GS 74,2).
„Insofern das menschliche Gesetz
der rechten Vernunft entspricht, hat es das Wesen eines Gesetzes;
dementsprechend leitet es sich offenbar vom ewigen Gesetz her. Aber insofern es
von der Vernunft abweicht, heißt es ungerechtes Gesetz; und so hat es nicht das
Wesen eines Gesetzes, sondern vielmehr das einer Gewaittat" (Thomas v. A.,
s. th. 1-2, 93,3, ad 2).
1903 Die
Autorität wird nur dann rechtmäßig ausgeübt, wenn sie das Gemeinwohl der
betreffenden Gemeinschaft anstrebt und sittlich erlaubte Mittel anwendet, um es
zu erreichen. Falls Behörden ungerechte Gesetze erlassen oder der sittlichen
Ordnung widersprechende Maßnahmen ergreifen, können solche Anordnungen das
Gewissen nicht verpflichten; „in diesem Falle hört die Autorität ganz auf; an
ihre Stelle tritt gräßliches Unrecht" (PT 51).
1904 Es ist
besser, „wenn jede Macht von anderen Mächten und anderen Kompetenzbereichen
ausgeglichen wird, die sie in ihren rechten Grenzen halten. Das ist das Prinzip
des ‚Rechtsstaates‘, in dem das Gesetz und nicht die Willkür der Menschen herrscht"
(CA 44).
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