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Die Normen des Motu Proprio
SACRAMENTORUM SANCTITATIS TUTELA(2001)

GESCHICHTLICHE EINFÜHRUNG
(zusammengestellt von der Kongregation für die Glaubenslehre)

  

Der Codex des kanonischen Rechts, der von Papst Benedikt XV. im Jahr 1917 promulgiert wurde, kannte eine bestimmte Anzahl von kanonischen Straftaten oder „Delikten“, die der ausschließlichen Kompetenz der Hl. Kongregation des Heiligen Offiziums vorbehalten waren, welches als Gericht über ein Eigenrecht verfügte (vgl. can. 1555 CIC 1917).

Wenige Jahre nach Promulgation des Codex von 1917 erließ das Hl. Offizium eine Instruktion, „Crimen sollicitationis“ (1922), die den einzelnen Diözesen und Gerichten detaillierte Anweisungen bezüglich der Verfahrensschritte gab, die bei der Behandlung des kanonischen Delikts der Sollicitatio anzuwenden waren. Diese äußerst schwerwiegende Straftat besteht im Missbrauch der Heiligkeit und Würde des Bußsakramentes durch einen katholischen Priester, der einen Pönitenten zu einer Sünde gegen das sechste Gebot, mit dem Beichtvater oder mit einer dritten Person, anstiftet. Die Bestimmungen von 1922 hatten eine Anpassung der Weisungen der Apostolischen Konstitution „Sacramentorum Poenitentiae“, die 1741 von Papst Benedikt XIV. promulgiert worden war, im Lichte des neuen Codex des kanonischen Rechts zum Ziel. Dabei waren verschieden Aspekte zu thematisieren, insbesondere musste die Besonderheit des Straftatbestandes (mit seinen aus Sicht des staatlichen Strafrechts weniger bedeutsamen Konnotationen) aufgezeigt werden. Der Respekt vor der Würde des Sakramentes, die Unverletzlichkeit des Beichtgeheimnisses, die Würde des Pönitenten und die Tatsache, dass in vielen Fällen der beschuldigte Priester zu all dem, was mutmaßlich geschehen war, nicht befragt werden konnte, ohne das Beichtgeheimnis zu gefährden, waren zu behandeln. Dieses besondere Verfahren gründete in einer indirekten Methode, um zu jener moralischen Gewissheit zu gelangen, die für eine endgültige Entscheidung des Falles notwendig ist. Diese indirekte Methode schloss Erkundigungen über die Glaubwürdigkeit der Person, die den Priester beschuldigt hatte, sowie zu Leben und Verhalten des beschuldigten Priesters ein. Die Beschuldigung selbst wurde als eine der schwersten Anschuldigungen gewertet, die man gegen einen katholischen Priester erheben konnte. Daher sorgte die Verfahrensordnung dafür, dass ein Priester, der möglicherweise Opfer einer falschen oder verleumderischen Anzeige geworden sein konnte, vor einer Rufschädigung geschützt wurde, solange seine Schuld nicht eindeutig bewiesen worden war. Das wurde durch eine strikte Geheimhaltung des Verfahrens gewährleistet, die alle beteiligten Personen bis zum Endurteil des kirchlichen Gerichtes vor ungebührender öffentlicher Aufmerksamkeit schützte.

Die Instruktion von 1922 enthielt einen kurzen Abschnitt, der einer anderen kanonischen Straftat gewidmet war: dem „crimen pessimum“, worunter man homosexuelle Handlungen eines Klerikers verstand. Dieser letzte Abschnitt legte fest, dass die besondere Verfahrensordnung für Fälle von sollicitatio auch bei diesem Straftatbestand angewandt werden sollte, freilich mit den notwendigen Anpassungen aufgrund der Natur des Falles. Die Normen bezüglich des „crimen pessimum“ wurden auch auf das widerliche Verbrechen des sexuellen Missbrauchs an vorpubertärern Kindern sowie auf sexuelle Handlungen mit Tieren (Sodomie) ausgedehnt.

Durch die Instruktion „Crimen sollicitationis“ war folglich niemals beabsichtigt, die gesamte Strategie der Katholischen Kirche im Bezug auf sexuelles Fehlverhalten des Klerus darzulegen, vielmehr sollte dadurch lediglich ein Verfahren festgelegt werden, das es ermöglichte, die gänzlich singuläre und besonders heikle Beichtsituation zu berücksichtigen, bei der gemäß göttlichen Rechts der vollständigen Öffnung der Seele auf Seiten des Pönitenten die Pflicht des Beichtvaters zur absoluten Verschwiegenheit entspricht. Erst nach und nach wurde dieses Verfahren durch analoge Anwendung auch auf bestimmte Fälle unmoralischen Verhaltens von Klerikern ausgedehnt. Die Überzeugung, dass eine umfassende gesetzliche Regelung bezüglich des sexuellen Verhaltens von Personen mit Erziehungsverantwortung notwendig ist, ist sehr jung. Es stellt daher einen schweren Fall von Anachronismus dar, kanonische Normen vom Anfang des vergangenen Jahrhunderts unter dieser Perspektive bewerten zu wollen.

Die Instruktion von 1922 wurde jeweils an jene Bischöfe gesandt, die konkrete Fälle von sollicitatio, von homosexuellen Handlungen eines Klerikers, von sexuellem Kindesmissbrauch oder von Sodomie zu behandeln hatten. 1962 ordnete der selige Papst Johannes XXIII. einen Nachdruck der Instruktion von 1922 an und ergänzte sie hinsichtlich der Verwaltungsstrafverfahren in Fällen von Ordensklerikern. Ursprünglich war beabsichtigt, Exemplare dieser Neuauflage von 1962 an die Bischöfe, die zum II. Vatikanischen Konzil (1962-1965) versammelt waren, zu verteilen. Einige Exemplare des Nachdrucks wurden an Bischöfe ausgehändigt, die sich zwischenzeitlich mit Fällen, die dem Hl. Offizium vorbehalten waren, beschäftigen mussten. Der Großteil der Exemplare wurde jedoch niemals verteilt. Die vom II. Vatikanischen Konzil angestoßenen Erneuerungen erforderten auch eine Reform des Codex des kanonischen Rechts von 1917 sowie der Römischen Kurie. Der Zeitraum von 1965 bis 1983 (dem Jahr, in dem der neue Codex des kanonischen Rechts für die Lateinische Kirche veröffentlicht wurde) war gekennzeichnet durch verschiedenste Strömungen innerhalb der Kanonistik bezüglich den Zielsetzungen des kirchlichen Strafrechts und der Notwendigkeit einer dezentralen Behandlung der Fälle, mit Betonung der Autorität und des Urteilvermögens der Bischöfe vor Ort. Gegenüber unangebrachten Verhaltensweisen wurde eine „pastorale Herangehensweise“ bevorzugt; von manchen wurden kanonische Prozesse als anachronistisch angesehen. Häufig herrschte beim Umgang mit unangebrachten Verhaltensweisen von Klerikern ein „therapeutisches Modell“ vor. Man erwartete, dass der Bischof eher „heilen“ als „bestrafen“ sollte. Eine allzu optimistische Vorstellung in Bezug auf Erfolge psychologischer Therapien bestimmte viele Personalentscheidungen in den Diözesen und Ordensgemeinschaften, bisweilen wurde dabei die Möglichkeit eines Rückfalls nicht in entsprechender Weise bedacht.

In diesem Zeitraum wurde die Verantwortlichkeit für Fälle homosexuellen Fehlverhaltens von Klerikern von der Kongregation für die Glaubenslehre (dem ehemaligen Heiligen Offizium; der Namenswechsel erfolgte 1965) zur Kleruskongregation verlagert. Nach dem Codex des kanonischen Rechts von 1983 wird ein solches Fehlverhalten nicht mehr als kanonische Straftat bewertet, sofern es einvernehmlich zwischen Erwachsenen geschah und dadurch kein öffentlicher Skandal hervorgerufen wurde. An der Bewertung solcher Handlungen als unmoralisch hat sich hingegen nichts geändert. Fälle, die die Würde des Bußsakramentes betrafen, verblieben auch nach dem Konzil im Verantwortungsbereich der Glaubenskongregation. Für solche Fälle wurde auch weiterhin die Instruktion „Crimen sollicitationis“ angewandt, bis 2001 durch das Motuproprio „Sacramentorum sanctitatis tutela“ neue Normen in Kraft gesetzt wurden.

Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurden der Kongregation für die Glaubenslehre zunächst nur wenige Fälle sexuellen Fehlverhaltens von Klerikern mit Minderjährigen angezeigt: Einige dieser Fälle waren verknüpft mit einem Missbrauch des Bußsakramentes; andere wurden im Rahmen eines Antrags für die Dispens von den Verpflichtungen der Priesterweihe einschließlich des Zölibates (im allgemeinen Sprachgebrauch wird diese Dispens zuweilen als „Laisierung“ bezeichnet) gemeldet. Diese Anträge wurden bis 1989 von der Glaubenskongregation bearbeitet (von 1989 bis 2005 lag die Kompetenz für diese Dispensen bei der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung, seit 2005 ist nunmehr die Kleruskongregation für die Bearbeitung dieser Fälle zuständig.)

Der Codex des kanonischen Rechts, der 1983 von Papst Johannes Paul II. promulgiert wurde, erneuerte durch can. 1395 § 2 die gesetzliche Regelung dieser Materie: „Ein Kleriker, der sich auf andere Weise gegen das sechste Gebot des Dekalogs verfehlt hat, soll, wenn nämlich er die Straftat mit Gewalt, durch Drohungen, öffentlich oder an einem Minderjährigen unter sechzehn Jahren begangen hat, mit gerechten Strafen belegt werden, gegebenenfalls die Entlassung aus dem Klerikerstand nicht ausgenommen.“ Gemäß dem CIC von 1983 werden die Prozesse in den Diözesen durchgeführt. Berufungen gegen Gerichtsurteile konnten bei der Rota Romana eingelegt werden, Verwaltungsbeschwerden gegen Strafdekrete waren hingegen an die Kleruskongregation zu richten.

1994 gewährte der Heilige Stuhl den US-amerikanischen Bischöfen ein Indult, mit dem das Alter für die kirchenrechtliche Straftat des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger auf 18 Jahre angehoben wurde. Des Weiteren wurde die Verjährungsfrist auf 10 Jahre, gerechnet ab dem 18. Geburtstag des Opfers, ausgedehnt. Die Bischöfe wurden ausdrücklich angewiesen, kirchliche Strafprozesse in den Diözesen durchzuführen. Über Berufungen zu entscheiden, blieb der Rota Romana vorbehalten. Verwaltungsbeschwerden waren an die Kleruskongregation zu richten. Auf die traditionelle Zuständigkeit des Heiligen Offiziums für diese Fälle wurde in diesen Jahren (1994-2001) in keiner Weise Bezug genommen.

Das Indult von 1994 für die USA wurde 1996 auf Irland ausgeweitet. Inzwischen wurde in der Römischen Kurie über die Frage eines speziellen Verfahrens für die Missbrauchsfälle beraten. Papst Johannes Paul II. entschied schließlich, dass der von einem Kleriker begangene sexuelle Missbrauch eines Minderjährigen unter 18 Jahren in die neue Liste der der Glaubenskongregation zur Behandlung vorbehaltenen Straftaten aufgenommen werden sollte. Die Verjährungsfrist für diese Fälle wurde auf 10 Jahre, beginnend mit dem 18. Geburtstag des Opfers, festgesetzt. Das neue Gesetz, ein Motuproprio mit dem Titel „Sacramentorum sanctitatis tutela“, wurde am 30. April 2001 promulgiert. Ein Brief, der von Kardinal Joseph Ratzinger und Erzbischof Tarcisio Bertone, dem Präfekten bzw. dem Sekretär der Glaubenskongregation, unterzeichnet war, wurde am 18. Mai 2001 an alle Bischöfe der Katholischen Kirche gesandt. Durch diesen Brief wurden die Bischöfe über das neue Gesetz und die neue Verfahrensordnung informiert, die an die Stelle der Instruktion „Crimen sollicitationis“ traten.

In diesem Schreiben wurde zuerst aufgezeigt, welche die schwerwiegenderen Straftaten sowohl gegen die Sitten als auch bei der Feier der Sakramente sind, die der Kongregation zur Behandlung vorbehalten sind; des Weiteren wurde auf die besonderen Verfahrensnormen hingewiesen, die bei Fällen, die diese schweren Straftaten betreffen, zu beachten sind, einschließlich der diesbezüglichen Normen zur Festsetzung und Verhängung der kanonischen Strafmaßnahmen.

Die der Glaubenskongregation reservierten delicta graviora wurden folgendermaßen aufgelistet:

1.      Straftaten gegen die Heiligkeit des erhabensten Eucharistischen Opfers und Sakramentes:

a.       Das Entwenden oder Zurückbehalten der konsekrierten Gestalten in sakrilegischer Absicht oder deren Wegwerfen (can. 1367 CIC; can. 1442 CCEO).

b.      Der Versuch, das eucharistische Opfer zu feiern, oder die Vortäuschung dieser Feier (can. 1378 § 2,1° und can. 1379 CIC; can. 1443 CCEO).

c.       Die verbotene Konzelebration mit Amtsträgern von kirchlichen Gemeinschaften, welche die apostolische Sukzession nicht besitzen und die sakramentale Würde der Priesterweihe nicht kennen (cann. 908 u. 1365 CIC; cann. 702 u. 1440 CCEO).

d.      Die in sakrilegischer Absicht erfolgte Konsekration einer oder beider eucharistischer Gestalten innerhalb oder außerhalb der Eucharistiefeier (vgl. can. 927 CIC)

2.      Straftaten gegen die Heiligkeit des Bußsakramentes:

a.       Die Lossprechung des Mitschuldigen an einer Sünde gegen das sechste Gebot des Dekalogs (can. 1378 § 1 CIC; can. 1457 CCEO).

b.      Die Verführung zu einer Sünde gegen das sechste Gebot des Dekalogs bei der Spendung oder bei Gelegenheit oder unter dem Vorwand der Beichte, sofern sie auf das Begehen der Sünde mit dem Beichtvater selbst abzielt (can. 1387 CIC; 1458 CCEO).

c.       Die direkte Verletzung des Beichtgeheimnisses (can. 1388 § 1 CIC; can. 1456 CCEO).

3.      Schließlich im Bereich der Straftaten gegen die Sitten:

Die von einem Kleriker begangene Straftat gegen das sechste Gebot des Dekalogs mit einem minderjährigen unter 18 Jahren (vgl. can. 1395 § 2 CIC).

Auf die verfahrensrechtlichen Normen, die bei diesen Fällen zu befolgen sind, wurde in folgender Weise aufmerksam gemacht:

–        Wann immer der Ordinarius oder Hierarch eine mindestens wahrscheinliche Nachricht über eine schwerwiegendere Straftat erhält, muss er nach Durchführung einer Voruntersuchung die Kongregation für die Glaubenslehre darüber informieren. Wenn die Kongregation den Fall nicht aufgrund besonderer Umstände an sich zieht, teilt sie dem Ordinarius oder dem Hierarchen mit, wie weiter vorzugehen ist, unbeschadet des Rechts, gegebenenfalls gegen ein Urteil erster Instanz an das Oberste Gericht der Kongregation zu appellieren.

–        Für die strafrechtliche Verfolgung der Straftaten, die der Glaubenskongregation vorbehalten sind, wurde eine Verjährungsfrist von 10 Jahren festgesetzt. Zugleich wurde festgelegt, dass die Verjährung gemäß den Bestimmungen von can. 1362 § 2 CIC bzw. von can. 1152 § 3 CCEO läuft, mit der einzigen Ausnahme, dass bei der Straftat gegen das sechste Gebot mit Minderjährigen die Verjährung erst mit dem Tag zu laufen beginnt, an dem der Minderjährige das 18. Lebensjahr vollendet hat.

–        Bei den Gerichten der Ordinarien bzw. Hierarchen können in diesen Fällen nur Priester die Ämter des Richters, des Kirchenanwalts, des Notars und des Parteibeistandes (Anwalts) gültig ausüben. Sobald die Sache bei einem Gericht wie auch immer entschieden worden ist, müssen von Amts wegen die gesamten Akten des Verfahrens umgehend an die Kongregation für die Glaubenslehre übersandt werden.

Außerdem wurde festgelegt, dass alle Gerichte sowohl der Lateinischen Kirche als auch der Katholischen Ostkirchen die strafrechtlichen und strafprozessrechtlichen Bestimmungen des für sie jeweils maßgeblichen Codex sowie die ihnen von der Glaubenskongregation übermittelten Sondernormen zu beachten haben.

Neun Jahre nach Promulgation des Motuproprio „Sacramentorum sanctitatis tutela“ hielt die Kongregation für die Glaubenslehre, um die Anwendung des Gesetzes zu verbessern, die Einführung einiger Änderungen an diesen Normen für notwendig, ohne dass freilich der Text in seiner Gesamtheit, sondern lediglich in einigen Teilen abgeändert werden sollte.

Nach eingehender Prüfung und intensiver Beratung der vorgeschlagenen Änderungen haben die Mitglieder der Kongregation für die Glaubenslehre das Ergebnis ihrer Beratungen dem Papst unterbreitet, der es guthieß und mit Entscheidung vom 21. Mai 2010 die Promulgation anordnete.

Die derzeit geltende Fassung der Normen bezüglich der der Glaubenskongregation zur Beurteilung vorbehaltenen Straftaten ist also jene, die von Papst Benedikt XVI. am 21. Mai 2010 approbiert wurde.

 

 

  

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