PÄPSTLICHES WERK FÜR GEISTLICHE BERUFE
NEUE BERUFUNGEN FÜR EIN NEUES EUROPA
(In verbo
tuo...)
Schlußdokument des Europäischen Kongresses über die Berufungen
zum Priestertum und Ordensleben in Europa
Rom, 5.-10. Mai 1997
*
In Zusammenarbeit der Kongregation für das Katholische
Bildungswesen, für die Orientalischen Kirchen, für die
Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des
apostolischen Lebens
EINFÜHRUNG
Dank an Gott 1. Gepriesen sei der
allmächtige Gott, der Europa mit allem geistlichen Segen gesegnet hat in
Christus durch den heiligen Geist (vgl. Eph1,3). Wir
sagen ihm Dank dafür, daß er von Anfang der christlichen Zeit an diesen
Kontinent berufen hat, Zentrum der Verbreitung der Frohbotschaft des
Glaubens zu sein und in der Welt seine universale Vaterschaft
kundzumachen. Wir sagen ihm Dank, weil er diesen Boden mit dem Blut der
Märtyrer und mit der Gabe ungezählter Berufungen gesegnet hat:
Berufungen zum Priestertum, zum Diakonat und zu den verschiedenen Formen
des gottgeweihten Lebens, vom monastischen Leben bis zu den
Säkularinstituten. Wir sagen ihm Dank, weil sein Heiliger Geist auch
heute nicht aufhört, die Söhne und Töchter dieser Kirche dazu zu
berufen, in aller Welt Verkünder der Heilsbotschaft zu werden, und weil
er andere beruft, die heilsstiftende Wahrheit des Evangeliums in der Ehe
und im Berufsleben, in Kultur und Politik, in Kunst und Sport, in den
menschlichen Beziehungen und in der Arbeitswelt zu bezeugen, ein jeder
gemäß der ihm verliehenen Gabe und Sendung. Wir sagen ihm Dank, weil er
die Stimme ist, die ruft und Mut macht zur Antwort; weil er der Hirte
ist, der vorangeht und die Treue eines jeden Tages stützt; weil er Weg,
Wahrheit und Leben für alle ist, die gerufen sind, den Plan des Vaters
in sich zu verwirklichen. Der Europäische Kongreß über die
Berufungen 2. Wir sind vom 5.-10. Mai 1997 in Rom zum
Kongreß über die Berufungen zum Priestertum und Ordensleben in Europa(1)
zusammengekommen und haben die Arbeiten des Kongresses selbst, vor allem
aber die Sorge der Kirche Europas in dieser schwierigen und doch
großartigen Zeit in die Hände des Herrn der Ernte gelegt, zusammen mit
unserer Dankbarkeit gegenüber Gott, der die Quelle jeden Trostes und
Urheber jeder Berufung ist. In Rom versammelt, haben wir all
jene, die Gott heute noch rufen will, Maria anbefohlen, die das
geglückte Abbild des vom Schöpfer gerufenen Geschöpfes darstellt. Den
Heiligen Petrus und Paulus und allen heiligen Märtyrern dieser und jeder
anderen Stadt und europäischen Kirche in Vergangenheit und Gegenwart
vertrauen wir nun dieses Dokument an. Möge es ihm gelingen, jenen
Reichtum zum Ausdruck zu bringen und zu vermitteln, der uns während der
Tage unseres Beisammenseins in Rom geschenkt wurde, so wie einst die
Märtyrer und Heiligen Zeugnis gaben von der Liebe des ewigen Vaters.
Der Kongreß war wirklich ein gnadenreiches Ereignis: der
geschwisterliche Austausch, das Eindringen in die Lehre der Kirche, die
Begegnung mit so verschiedenen Charismen, der Austausch der
verschiedenen Erfahrungen und gegenwärtigen Mühen in den Kirchen des
Ostens und Westens haben alle und jeden einzelnen bereichert. Sie haben
in jedem Teilnehmer den Willen bestärkt, mit ganzem Einsatz und mit
Leidenschaft im Bereich der geistlichen Berufe weiterzuarbeiten, trotz
der spärlichen Ergebnisse in einigen Kirchen des alten Kontinents.
Die Kraft der Hoffnung 3. Vom Vorbereitungsdokument
(Instrumentum Laboris) des Kongresses bis zu den
Schlußfolgerungen (Propositiones), von der Ansprache des hl.
Vaters an die Teilnehmer bis zur Botschaft an die kirchlichen
Gemeinden, von den Beiträgen in der Kongreß-Aula bis zu den
Diskussionen in den Studiengruppen, von den zwanglosen Gesprächen bis zu
den Zeugnissen zog sich ein roter Faden, der das ganze Tun und jeden
Augenblick dieser Zusammenkunft verbunden hat: die Hoffnung. Eine
Hoffnung, die stärker ist als jede Furcht und aller Zweifel; jene
Hoffnung, die den Glauben unserer Brüder und Schwestern in der Ostkirche
getragen hat, besonders in Zeiten, in denen es hart und gefährlich war,
zu glauben und zu hoffen; eine Hoffnung, die nun mit einer neuen Blüte
von Berufungen belohnt wird, wie dies auf dem Kongreß bezeugt wurde.
Diesen Brüdern und Schwestern sind wir zutiefst dankbar, so wie auch all
jenen Gläubigen, die weiterhin bezeugen, daß die »Hoffnung das Geheimnis
des christlichen Lebens ist. Sie ist der absolut notwendige Atem in der
Sendung der Kirche, und ganz besonders in der Berufspastoral. (...) Man
muß diese Hoffnung also in den Priestern, den Erziehern, den
christlichen Familien, in den Ordensfamilien, in den Säkularinstituten,
kurz in all jenen, die gemeinsam mit den neuen Generationen dem Leben
dienen, neu entzünden«.(2) Wir wenden uns an euch,
Jugendliche und junge Erwachsene ... 4. In der Kraft
dieser Hoffnung wenden wir uns auch an euch, liebe Jugendliche und
junge Erwachsene, vor allem, damit ihr in der Wahl eurer Zukunft den
Plan, den Gott mit euch hat, annehmt: ihr werdet nur dann glücklich sein
und euch selbst voll verwirklichen, wenn ihr euch bereit macht, jenen
Traum zu realisieren, den der Schöpfer mit seinem Geschöpf verbindet.
Wir möchten so gerne, daß dieses Schreiben von euch wie ein persönlicher
Brief an jeden einzelnen aufgenommen werde, aus dem ihr mit Hilfe eurer
Erzieher herausspürt, wie die Mutter Kirche sich um jedes ihrer Kinder
sorgt mit jener besonderen Sorge, wie sie eine Mutter für ihre jüngsten
Kinder im Herzen trägt. Es möchte ein Brief sein, in dem ihr eure
eigenen Probleme erkennen könnt, die Fragen, die in euren jungen Herzen
brennen, und die Antworten darauf, die von jenem kommen, der der ewig
junge Freund eurer Seelen ist, der einzige, der euch die Wahrheit sagen
kann! Ihr, liebe Jugendliche, sollt wissen, daß die Kirche mit
fürsorgender Anteilnahme eure Schritte und eure Entscheidungen
begleitet. Und wie schön wäre es schließlich, wenn dieser Brief in euch
eine Antwort wecken würde auf ein Gespräch hin, das ihr mit jenen
weiterführen solltet, die euch begleiten... ... an euch,
Eltern und Erzieher ... 5. Von derselben Hoffnung
erfüllt, wenden wir uns an euch Eltern, die ihr von Gott berufen
seid, mit seinem Willen zusammenzuarbeiten und Leben zu schenken, und an
euch Erzieher, Lehrer, Katecheten und Animatoren, die ihr von
Gott berufen seid, auf unterschiedliche Weise an seinem Entwurf für die
Gestaltung des Lebens mitzuarbeiten. Wir möchten euch sagen, wie sehr
die Kirche eure Berufung hochschätzt und wie sehr sie sich ihr
anvertraut, um die Berufung eurer Kinder, sowie eine wahre und echte
Kultur der Berufung zu fördern. Ihr Eltern seid auch die ersten,
naturgegebenen Erzieher zur Berufung, während ihr Ausbilder nicht nur
Instrukteure seid, die auf existentielle Entscheidungen vorbereiten;
auch ihr seid gerufen, in diesen jungen Menschen, die ihr auf die
Zukunft hin öffnet, Leben hervorzurufen. Eure Treue zum Ruf Gottes ist
eine wertvolle und unverzichtbare, vermittelnde Hilfe, damit eure Kinder
und Schüler ihre ganz persönliche Berufung erkennen können, damit »sie
das Leben haben, und es in Fülle haben« (Joh 10,10).
... an euch, Hirten, Priester, Gottgeweihte ... 6. Mit
unerschütterlicher Hoffnung im Herzen wenden wir uns an euch, Priester,
und an euch, gottgeweihte Männer und Frauen im Ordensleben und in den
Säkularinstituten. Ihr habt einen besonderen Ruf in die Nachfolge des
Herrn vernommen, zu einem Leben, das ganz ihm geweiht ist, und ihr seid
auch besonders berufen, alle ohne Ausnahme für die Schönheit der
Nachfolge Zeugnis zu geben. Wir wissen wohl, wie schwer heute
diese Verkündigung ist, und wie groß auch die Versuchung ist, bei einem
scheinbar nutzlosen Bemühen den Mut zu verlieren. »Die Berufspastoral
stellt den schwierigsten und sensibelsten Dienst dar«.(3) Doch möchten
wir auch daran erinnern, daß es nichts Schöneres gibt, als ein Zeugnis
von der eigenen Berufung, das so glühend ist, daß es ansteckend wirkt.
Nichts ist logischer und überzeugender als eine Berufung, die neue
Berufungen weckt und euch mit vollem Recht zu »Vätern« und »Müttern«
macht. Nicht nur an jene, die bei der Förderung der Berufungen einen
offiziellen Auftrag innehaben, wollen wir uns mit diesem Schreiben
wenden, sondern auch an die unter euch, die nicht direkt mit ihr befaßt
sind oder die meinen, sich in diesem Bereich überhaupt nicht engagieren
zu müssen. Wir möchten sie darauf hinweisen, daß nur ein
gemeinsames Zeugnis die Weckung der Berufungen wirksam werden läßt, und
daß die sogenannte Krise der geistlichen Berufe vor allem in der
Zurückhaltung von Zeugen begründet ist, die die Botschaft fragwürdig
machen. In einer Kirche, die völlig berufungsorientiert ist, muß
jeder ein Förderer der Berufungen sein. Glücklich seid ihr also,
wenn ihr durch euer Leben auszudrücken versteht, daß der Dienst an Gott
schön und erfüllend ist, und wenn ihr zeigen könnt, daß in Ihm, dem
Lebendigen, jedes Lebewesen zu sich selbst findet (vgl. Kol 3,3).
... an das ganze Gottesvolk in Europa ... 7. Schließlich
möchten wir »Samariter der Hoffnung« sein für jene Brüder und
Schwestern, mit denen wir die Last des Lebensweges tragen. An das ganze
Gottesvolk, das in den Kirchen des Westens und des Ostens auf diesem
alten und gesegneten Erdteil pilgert, möchten wir dieselbe
Hoffnungsbotschaft richten. Von hier ausgehend verbreitete sich
einstmals die Verkündigung des Evangeliums dank des Mutes vieler
Glaubensboten, die ihr Zeugnis auch mit dem Leben bezahlt haben.
Auch heute noch, so wollen wir glauben, ruft der Geist des Vaters.
Er sendet die Kinder dieses hochherzigen, im Christentum verwurzelten
Kontinents, der selbst einer neuen Evangelisierung und neuer Verkünder
des Evangeliums bedarf, auf die Straßen der Welt. So stellen also auch
wir uns vor den Herrn, wie einst die Apostel, im Bewußtsein unserer
Armut und der Nöte dieser Kirche: »Meister, wir haben die ganze Nacht
gearbeitet und nichts gefangen« (Lk 5,5). Doch vor allem wollen
wir »auf sein Wort hin« glauben und hoffen, daß der Herr, wie einst,
auch heute noch die Boote seiner Apostel mit einem wunderbaren Fischfang
füllen und jeden Gläubigen in einen Menschenfischer verwandeln kann.
Vom Kongreß zum Leben 8. Absicht dieses Dokuments ist es
also, mit euch dieses gnadenhafte Ereignis, das der Kongreß war, zu
teilen. Ohne eine genaue Zusammenfassung oder eine systematische
Abhandlung über die Berufung vorlegen zu wollen, möchten wir einfach der
ganzen Kirche innerhalb und außerhalb Europas und in all ihren
christlichen Zweigen geschwisterlich die wichtigsten Ergebnisse des
Kongresses zur Verfügung stellen. Der Stil dieser Darlegung
bemüht sich, möglichst für alle verständlich zu sein, da ja alle
unterschiedslos gerufen sind, die eigene Berufung zu verwirklichen und
die Berufung ihres Nächsten zu fördern. Sie wird also besonders
darauf bedacht sein, theologisches Nachdenken und pastorales Tun,
theoretischen Vorschlag und erzieherische Anregung miteinander zu
verbinden, um jenen eine wirklichkeitsgerechte und nachvollziehbare
Hilfe anzubieten, die im Bereich der Berufsförderung arbeiten.
Wir erheben nicht den Anspruch, alles zu sagen, und dies nicht nur, weil
wir nicht wiederholen wollen, was andere Dokumente dazu bereits bestens
gesagt haben,(4) sondern um offen zu bleiben für das Geheimnis, jenes
Geheimnis, in das Leben und Berufung jedes Menschen gehüllt sind, jenes
Geheimnis, das auch der Weg zur Berufsklärung ist und das nur im
Augenblick des Todes sich erfüllen wird. Die Berufspastoral ist
entweder mystagogisch und geht immer vom Geheimnis (Gottes) aus und
führt zu ihm zurück, oder sie ist keine Berufspastoral.
Die Teile des Dokuments 9. Der vorliegende Text folgt im
einzelnen der Gedankenlinie, die die Arbeit des Kongresses geleitet hat:
von der Wirklichkeit zum Nachdenken, um wieder zur Wirklichkeit
zurückzukehren. Die Berufspastoral hat sich an der täglichen
Wirklichkeit zu messen, eben weil sie pastoral ist im Blick auf den
Dienst am Leben. Dann versuchen wir eine Situationsbeschreibung, um
anschließend das Thema der Berufung aus theologischer Sicht zu
deuten und um für die anschließenden Darlegungen ein Fundament, ein
notwendiges Gerüst zu schaffen. Hier beginnt dann der
praktischere Teil, vor allem pastoraler Art, oder nach Art
wichtiger Durchführungspläne, um dann zum pädagogischen Bereich
zu kommen. Dies wird nützlich sein, um wenigstens einige methodische
Hinweise für die Alltagspraxis zu geben. Und womöglich ist gerade dieser
Aspekt der am stärksten vernachlässigste und wird von den Arbeitern in
der Berufspastoral am meisten erwartet.
ERSTER TEIL DIE HEUTIGE LAGE DER GEISTLICHEN BERUFE IN
EUROPA
»Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig
Arbeiter« (Mt 9,37) Vor dem Hintergrund der
komplexen kulturellen Vielfalt wirft dieser erste Teil einen Blick auf
Europa, in dem das anthropologische Modell eines »Menschen ohne
Berufung« zu herrschen scheint. Die neue Evangelisierung muß wieder jene
starke Kraft betonen, die das Verständnis des Lebens als einer
»Berufung« hervorbringt, im Sinne eines grundlegenden Berufenseins zur
Heiligkeit; sie muß eine Kultur erneuern, die den verschiedenen
Berufungen dienlich ist und zu einem wirklich qualitativen Sprung in der
Pastoral der Berufe führt. »Neue Berufungen für ein
neues Europa« 10. Das Thema des Kongresses (»Neue
Berufungen für ein neues Europa«) führt unmittelbar zum Kern des
Problems: das heutige, im Vergleich zur Vergangenheit neue Europa
braucht ebenso »neue« Berufungen. Man muß diese Aussage begründen, um
den Sinn dieses Neuseins zu begreifen und dessen Zusammenhang mit der
»traditionellen« Pastoral der Berufe zum Priestertum und zum Ordensleben
zu erkennen. Wir wollen uns also nicht damit begnügen, den Zustand zu
photographieren und Daten aufzuzählen, sondern wir werden sehen, in
welcher Richtung Neuheit und Notwendigkeit der Berufungen liegen, die
aus diesem Zustand sich ergeben. Gleichzeitig werden wir die
heute bestehende Situation bewerten, ausgehend vom Wort Jesu angesichts
der Sendung, die ihn erwartete: »Die Ernte ist groß, aber es gibt nur
wenig Arbeiter« (Mt 9,37). Diese Worte sind weiterhin wahr und
sind ein wertvoller Schlüssel zum Verständnis der gegenwärtigen
Situation. In gewisser Weise erkennen wir in ihnen den rechten Maßstab
für unser Tun und das rechte Verhältnis (oder auch Mißverhältnis)
zwischen einer stets überreichen Ernte und unseren geringen Kräften. Wir
tun dies fern jeder pessimistischen Deutung der Gegenwart, aber auch
fern jeder Selbstzufriedenheit gegenüber dem Morgen. Neues
Europa 11. Schon das Arbeitsdokument hat ein Bild
von der europäischen Berufsproblematik gezeichnet, die stark von neuen
Elementen geprägt ist. Hier fassen wir sie kurz zusammen, so wie der
Kongreß selbst sie gesehen hat. Wir wollen dabei die besonders
bezeichnenden Elemente herausfinden, die auf lange Sicht das Denken und
Empfinden der Jugendlichen und somit auch die Pastoral und die Maßnahmen
zur Berufsförderung prägen werden. a) Ein verändertes und
vielschichtiges Europa Eines steht bereits fest: es ist
praktisch unmöglich, die Lage in Europa bezüglich der Jugend und der
unvermeidlichen Rückwirkungen auf die geistlichen Berufe in eindeutiger
und statischer Weise zu beschreiben. Wir stehen einem veränderten Europa
gegenüber, das durch die verschiedenen historisch-politischen Umstände
(vgl. Ost-West-Konflikt), aber auch durch die Vielfalt der Kulturen und
Traditionen (griechisch-lateinisch, angelsächsisch-slawisch) so geworden
ist. Diese Kulturen stellen jedoch auch seinen Reichtum dar und
geben, wenngleich in unterschiedlichen Zusammenhängen, den Erfahrungen
und Entscheidungen Bedeutung. So haben die Länder im Osten das Problem,
wie sie mit der neuerworbenen Freiheit fertigwerden sollen, während man
sich im Westen fragt, wie die echte Freiheit zu leben sei. Diese
Verschiedenheit wird auch von der Entwicklung der Berufe zum Priestertum
und zum Ordensleben bestätigt, und zwar nicht nur durch den deutlichen
Unterschied zwischen dem Aufblühen der geistlichen Berufe in Ost-Europa
und der allgemeinen Krise im Westen, sondern weil es innerhalb dieser
Krise auch Zeichen für eine Zunahme der geistlichen Berufe gibt,
besonders in jenen Kirchen, in denen eine ernsthafte und beständige
nachkonziliare Arbeit tiefe und wirkungsvolle Spuren hinterlassen
hat.(5) Wenn nun im Osten der Aufbau einer echten und organischen
Pastoral im Dienst der Berufsförderung, von der Weckung der Berufe bis
zu deren Ausbildung notwendig ist, so ist im Westen eine ganz andere
Aufmerksamkeit gefordert. Man muß nach dem tatsächlichen theologischen
Gehalt und nach der unmittelbaren Übertragbarkeit bestimmter Projekte
der Berufsförderung fragen, nach dem ihnen zugrunde liegenden
Berufsbegriff und nach der Art der Berufe, die sich aus ihm ergeben. Auf
dem Kongreß wurde beharrlich gefragt: »Warum erzeugen bestimmte
Theologien oder ein bestimmtes pastorales Handeln keine Berufe, während
dies bei anderen der Fall ist?«.(6) Ein weiteres Merkmal betrifft
die europäische sozio-kulturelle Situation: die Überfülle von
Möglichkeiten, Gelegenheiten und Anregungen, im Gegensatz zum Mangel an
Zielen, Vorhaben und Planungsmöglichkeiten. Dies ist wie ein weiterer
Gegensatz, der die Komplexität dieser geschichtlichen Zeit noch
verschärft, mit negativen Auswirkungen auf den Bereich der Berufe. Wie
das alte Rom, so scheint das moderne Europa einem Pantheon zu
gleichen, einem großen »Tempel«, in dem alle »Götter« präsent sind oder
in dem ein jeder »Wert« seinen Ort und seine Nische hat.
Unterschiedliche und sich widersprechende »Werte«, völlig gegensätzliche
Deutungs- und Bewertungsmuster, Orientierungs- und Verhaltensmuster
stehen ohne klare Werteskala nebeneinander. In einem solchen
Zusammenhang wird es schwer, ein einheitliches Weltbild oder
Weltverständnis zu haben, was auch die Fähigkeit zur planerischen
Gestaltung des Lebens schwächt. Denn wenn eine Kultur nicht mehr die
höchsten Möglichkeiten einer Deutung festlegt, oder wenn es ihr nicht
gelingt, in einigen Werten, die als besonders sinnstiftend für das Leben
betrachtet werden, Übereinstimmung herzustellen, sondern wenn sie alles
auf ein und dieselbe Stufe stellt, dann entfällt jede Möglichkeit einer
Zukunftsplanung, und alles wird unwesentlich und gestaltlos. b)
Die Jugend und Europa Die europäischen Jugendlichen leben in
dieser Kultur, die pluralistisch, ambivalent, »polytheistisch« und
neutral ist. Einerseits suchen sie leidenschaftlich nach Authentizität,
Zuneigung, persönlichen Beziehungen und weitem Horizont, andererseits
sind sie zutiefst allein, vom Wohlstand »verletzt«, von Ideologien
enttäuscht, von ethischer Orientierungslosigkeit verwirrt. Und
weiter: »Vielfach ist in der Welt der Jugend eine deutliche Sympathie
für ein Leben zu erkennen, das als absoluter Wert und als heilig
verstanden wird...«,(7) doch gleichzeitig, wird in vielen Teilen Europas
diese Öffnung auf die Existenz hin durch ein politisches Verhalten, das
sogar das Lebensrecht mißachtet, vor allem jenes der Schwächsten,
geleugnet; es ist eine Politik, die Gefahr läuft, den »alten Kontinent«
immer noch älter zu machen. Wenn nun auf der einen Seite diese Jugend
ein beachtliches Kapital für das heutige Europa darstellt, das erheblich
in ihre Zukunft investiert, so werden andererseits von der
Erwachsenenwelt und von den Verantwortlichen der bürgerlichen
Gesellschaft die Erwartungen der Jugend nicht immer angemessen gehört.
Zwei Aspekte scheinen von zentraler Bedeutung zu sein, um das Verhalten
der heutigen Jugend zu verstehen: der Anspruch auf Subjektivität
und das Verlangen nach Freiheit. Dies sind zwei typisch
anthropologische Gesichtspunkte, die Aufmerksamkeit verdienen. Dennoch
führen sie — wenn sie zusammentreffen — in einer schwachen Kultur wie
der unsrigen oft zu Erscheinungen, die ihren Sinn entstellen:
Subjektivität wird dann Subjektivismus, und Freiheit verkümmert
zur Beliebigkeit. In diesem Zusammenhang ist jene
Beziehung zu sehen, die die europäischen Jugendlichen mit der Kirche
unterhalten. In einem seiner Schlußanträge stellt der Kongreß mit
realistischem Mut fest: »Die Jugend erkennt oft in der Kirche nicht das,
was sie sucht, und betrachtet sie nicht als den Ort, von dem die
Antworten auf ihr Fragen und ihr Suchen kommen. Es zeigt sich, daß nicht
Gott ihr Problem ist, sondern die Kirche. Die Kirche ist sich ihrer
Schwierigkeiten im Gedankenaustausch mit der Jugend bewußt und auch
ihres Mangels an klaren pastoralen Vorstellungen..., ihrer
theologisch-anthropologischen Schwäche in bestimmten Katechesen. Von
seiten vieler Jugendlicher hält die Furcht an, ein Leben innerhalb der
Kirche schränke ihre Freiheit ein«,(8) während für viele andere die
Kirche weiterhin der maßgebendste Bezugspunkt bleibt oder wird.
c) »Mensch ohne Berufung« Dieses Spiel von Kontrasten
wiederholt sich unweigerlich auch auf der Ebene der Zukunftsplanung, die
von den Jugendlichen in einer folgerichtigen Perspektive als auf die
eigenen Ansichten beschränkt betrachtet und auf die rein persönlichen
Interessen (Selbstverwirklichung) ausgerichtet wird. Es ist dies
eine Logik, die die Zukunft auf Berufswahl, auf wirtschaftliches
Zurechtkommen oder auf affektiv-emotionale Befriedigung reduziert, und
dies innerhalb von Horizonten, die in Wirklichkeit das Verlangen nach
Freiheit und die Möglichkeiten des Menschen auf begrenzte Vorhaben
beschränken, verbunden mit der Illusion, frei zu sein. Es sind
dies Entscheidungen ohne jede Öffnung zum Geheimnis und zum
Transzendenten und womöglich auch mit nur geringem
Verantwortungsbewußtsein dem eigenen wie dem fremden Leben gegenüber,
dem Leben, das als Geschenk gegeben wurde und an andere weiterzugeben
ist. Es handelt sich mit anderen Worten um ein Empfinden und Denken, das
womöglich eine gewisse berufungsfeindliche Kultur kennzeichnet.
Das will sagen, daß in diesem kulturell so vielschichtigen und
orientierungslosen Europa, das einem Pantheon gleicht, der
»Mensch ohne Berufung« das herrschende anthropologische Modell zu
sein scheint. Hier eine mögliche Beschreibung: »Eine pluralistische und
komplexe Kultur neigt dazu, in den Jugendlichen eine unfertige und
schwache Identität zu erzeugen, was zu einer chronischen
Unentschlossenheit in der Berufswahl führt. Viele Jugendliche verfügen
nicht einmal über die »elementare Grammatik« der Existenz, sie sind
Nomaden: unaufhaltsam ziehen sie durch die Welt, durch die Gefühlswelt,
durch Kulturen, durch Religionen, sie »probieren«! Inmitten der
Überfülle unterschiedlichster Informationen und nur unzureichend
ausgebildet, erscheinen sie wie verloren, mit nur wenigen Empfehlungen
und mit nur wenigen Menschen, die für sie einstehen. Darum haben sie
Angst vor der Zukunft, schrecken vor endgültigen Verpflichtungen zurück
und hinterfragen ihr Sein. Wie sie einerseits Autonomie und
Unabhängigkeit um jeden Preis wollen, so neigen sie andererseits,
gleichsam als Zuflucht, zu starker Abhängigkeit vom
gesellschaftlich-kulturellen Umfeld und suchen die unmittelbare
Befriedigung der Sinne: durch das, »was mir paßt« und »was mir liegt« in
einer maßgeschneiderten Welt der Gefühle«.(9) Es macht unendlich
traurig, Jugendlichen zu begegnen, in denen, obgleich sie intelligent
und begabt sind, die Freude am Leben, an etwas zu glauben, nach hohen
Zielen zu streben, auf eine auch durch den eigenen Beitrag
besserungsfähige Welt zu hoffen, erloschen ist. Es sind Jugendliche, die
sich im Spiel oder im Drama des Lebens überflüssig fühlen, die
abgedankt haben, in Sackgassen verirrt, reduziert auf ein Minimum von
Lebensspannung; ohne Berufung, aber auch ohne Zukunft, oder mit einer
Zukunft, die im besten Falle eine Kopie der Gegenwart ist. d)
Die Berufung Europas Und dennoch zeigt dieses Europa der
vielen Seelen und der so schwachen Kultur (die sich trotzdem oft mit
Übermacht behauptet), daß es über ungeahnte Kräfte verfügt und daß es
wie noch nie lebt und gerufen ist, auf globaler Ebene eine wichtige
Rolle zu spielen. Obwohl der alte Kontinent noch die Wunden
vergangener Konflikte und auch gewaltsamer, innerer Gegensätze an sich
trägt, so hat er doch stärker als je zuvor den Ruf zur Einheit
vernommen: Eine Einheit, die erst noch gebaut werden will, obwohl
gewisse Mauern gefallen sind, und die sich auf das ganze Europa
erstrecken muß und auf alle, die von ihm Gastfreundschaft und Aufnahme
erbitten. Eine Einheit, die nicht nur politisch oder wirtschaftlich sein
darf, sondern vor allem auch geistlich und moralisch sein muß. Eine
Einheit, die alten Groll und überkommenes Mißtrauen überwinden muß und
die gerade in ihren zutiefst christlichen Wurzeln ein Motiv für
Übereinstimmung und eine Garantie für gegenseitiges Verständnis finden
könnte. Eine Einheit besonders, die von der heutigen Generation junger
Menschen sicher und umfassend, von Nord bis Süd, von Ost bis West,
verwirklicht werden muß, indem sie gegen jede entgegengesetzte
Versuchung zu Isolationismus und Beschränkung auf eigene Interessen
verteidigt und der ganzen Welt als ein Vorbild friedlichen
Zusammenlebens in bunter Vielfalt gezeigt wird. Werden diese
Jugendlichen fähig sein, eine solche Verantwortung zu übernehmen?
Wenn es zutrifft, daß der heutige Jugendliche leicht die Orientierung
verliert und keinen festen Bezugspunkt findet, dann könnte das »neue
Europa«, das im Werden ist, vielleicht ein Ziel werden und für die
Jugendlichen ein angemessener Anreiz sein. Diese Jugendlichen »sehnen
sich nach Freiheit und suchen Wahrheit, Spiritualität, Echtheit,
persönliche Originalität und Transparenz; es verbindet sie ein Verlangen
nach Freundschaft und Gegenseitigkeit«; sie suchen »Kameradschaft« und
wollen »eine neue Gesellschaft bauen, die auf Werten gründet wie:
Friede, Gerechtigkeit, Achtung der Umwelt, Beachtung der Unterschiede,
Solidarität, Freiwilligkeit und Anerkennung der gleichen Würde der
Frau«.(10) Kurz gefaßt beschreiben die jüngsten Untersuchungen
die europäischen Jugendlichen als desorientiert, aber nicht
hoffnungslos; von ethischem Relativismus angesteckt, jedoch auch mit dem
Willen, ein »gutes Leben« zu führen; ihres Bedürfnisses nach Heil
bewußt, wenngleich sie nicht wissen, wo sie es suchen sollen. Ihr
größtes Problem ist wohl die ethisch neutrale Gesellschaft, in der sie
nun einmal leben müssen; doch sind in ihnen die Kräfte noch nicht ganz
erloschen. Dies besonders in einer Zeit des Übergangs zu neuen Ufern,
wie es die unsrige ist. Zeugen dafür sind die vielen Jugendlichen, die
ehrlich nach Spiritualität suchen und sich mutig im sozialen Bereich
einsetzen, weil sie auf sich selbst und auf die anderen vertrauen und
Hoffnung und Optimismus ausstrahlen. Wir glauben, daß diese
Jugendlichen trotz der Widersprüche und trotz der »Last« eines
bestimmten kulturellen Umfeldes dieses neue Europa aufbauen können. In
der Berufung ihres Mutterkontinents zeichnet sich auch ihre persönliche
Berufung ab. Neue Evangelisierung 12. Dies
alles eröffnet neue Wege und verlangt einen neuen Anstoß für den Prozeß
der Evangelisierung des alten und neuen Europa. Seit langem verlangen
die Kirche und der derzeitige Papst eine tiefgehende Erneuerung der
Inhalte und Methoden in der Verkündigung des Evangeliums, »um die Kirche
des 20. Jahrhunderts immer geeigneter zu machen für die Verkündigung des
Evangeliums an die Menschheit des 20. Jahrhunderts«.(11) Auch gilt,
woran der Kongreß uns erinnert hat: »man darf keine Furcht haben, in
einer Zeit des Übergangs zu anderen Ufern zu leben«.(12) a)
Das »semper« und das »novum« Es geht darum, das »semper« und
das »novum« des Evangeliums zu verbinden, um es den neuen
Fragestellungen und Verhältnissen des Mannes und der Frau von heute
anzubieten. Es ist also dringend erforderlich, das Herz oder die Mitte
des Kerygmas als eine für einen in Europa lebenden Jugendlichen
lebensvolle und sinnvolle »ewig frohe Botschaft«, darzustellen; eine
Botschaft, die fähig ist, auf dessen Erwartungen zu antworten und seine
Suche zu erleuchten. Besonders um diese Punkte konzentrieren
sich Spannung und Herausforderung. Von hier hängen das Menschenbild, das
man verwirklichen möchte, und die großen Entscheidungen über Leben und
Zukunft der einzelnen Person und der Menschheit ab: vom Verständnis der
Freiheit, der Beziehung zwischen Subjektivität und Objektivität, des
Geheimnisses des Lebens und des Todes, des Liebens und Leidens, der
Arbeit und des Feierns. Das Verhältnis von Tun und Wahrheit, von
persönlichem geschichtlichem Augenblick und endgültiger universaler
Zukunft, oder von empfangenem und verschenktem Gut, vom Bewußtsein des
Lebens als Geschenk und der Lebensentscheidung muß geklärt werden. Wir
wissen, daß gerade um diese Bereiche auch eine gewisse Begriffskrise
herrscht, die dann zu einer berufungsfeindlichen Kultur und zu einem
Bild vom Menschen ohne Berufung führt. Der Weg der neuen
Evangelisierung muß also von hier ausgehen oder hierher vorstoßen, um
das Leben und den Lebenssinn, das Bedürfnis nach Freiheit und
Subjektivität, den Sinn des eigenen Seins in der Welt und der
Beziehungen zu anderen Menschen zu evangelisieren. Von hier
könnten eine Kultur der Berufung und das Modell eines für die Berufung
offenen Menschenbildes entstehen. Dies ist notwendig, damit einem
Europa, das sein Antlitz radikal neu gestaltet, nicht die Frohe
Botschaft von der Auferstehung des Herrn fehle, in dessen Blut die
zerstreuten Völker sich zusammenfinden und die fernstehenden zu Nachbarn
werden, indem sie »die trennende Wand der Feindschaft niederreißen« (Eph
2,14). Wir können sogar sagen, daß die Berufung das eigentliche Herz
der neuen Evangelisierung an der Schwelle zum Dritten Jahrtausend
darstellt, daß sie der Aufruf Gottes an den Menschen ist zu einer
neuen Ära der Wahrheit und Freiheit, und zu einer ethischen
Neubegründung der europäischen Kultur und Gesellschaft. b)
Neue Heiligkeit In diesem Inkulturationsprozeß der Frohen
Botschaft wird das Wort Gottes zum Begleiter des Menschen und ermutigt
ihn unterwegs, um ihm den Plan des Vaters als eine Bedingung für sein
Glück zu zeigen. Es ist genau das Wort des hl. Paulus aus dem
Epheserbrief, das auch uns, das Volk Gottes in Europa, heute anleitet,
etwas zu entdecken, das womöglich auf den ersten Blick nicht erkennbar
ist, das aber dennoch Ereignis ist, und Geschenk, und neues Leben: »So
seid ihr denn nicht mehr Fremde... (Eph 2,19). Dies ist
selbstverständlich nichts Neues, sondern eine Art, mit neuen Augen auf
die Wirklichkeit der Kirche im alten Kontinent zu blicken, die alles
andere ist, als eine »alte Kirche«. Sie ist Gemeinschaft von Glaubenden,
die zur »Jugend der Heiligkeit«, zur universalen Berufung zur
Heiligkeit, gerufen sind, was mit Nachdruck vom Konzil(13) betont
und im Anschluß daran bei zahlreichen Anlässen vom Magisterium
bekräftigt wurde. Der Augenblick ist gekommen, daß jener Aufruf
wieder Kraft gewinne und alle Gläubigen erreiche, damit jeder fähig sei,
»die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe« (Eph 3,18) des
Geheimnisses der Gnade zu ermessen, das dem eigenen Leben anvertraut
ist. Es ist wirklich Zeit, daß jener Aufruf neue Formen von
Heiligkeit aufzeige; denn Europa braucht vor allem jene besondere,
originelle und sozusagen beispiellose Heiligkeit, die der jetzige
Zeitpunkt erfordert. Menschen sind gefordert, die fähig sind, »Brücken
zu schlagen«, um die Kirchen und die Völker Europas immer mehr zu
einigen und die Geister zu versöhnen. Es muß »Väter« und »Mütter«
geben, die offen sind für das Geschenk des Lebens; Brautleute,
die die gottgesegnete Schönheit der menschlichen Liebe bezeugen und
feiern; Menschen, die zum Dialog fähig sind und sich durch
»Liebe zur Kultur« auszeichnen, um die christliche Botschaft in der
Sprache unserer Zeit zu vermitteln; Fachleute und einfache Menschen,
die fähig sind, dem Engagement im zivilen Leben, in den
Arbeitsverhältnissen und in den freundschaftlichen Beziehungen die
Transparenz der Wahrheit und die Intensität der christlichen Liebe
aufzuprägen; Frauen, die im christlichen Glauben die Möglichkeit
zur vollen Entfaltung ihres weiblichen Genius entdecken; Priester
mit einem großen Herzen, wie das des Guten Hirten; ständige Diakone,
die das Wort Gottes und die Freiheit zum Dienst an den Ärmsten
verkünden; geweihte Apostel, die fähig sind, mit kontemplativem
Herzen in die Welt und die Geschichte einzutauchen, und Mystiker,
die mit dem Geheimnis Gottes so vertraut sind, daß sie die Erfahrung des
Göttlichen zu feiern verstehen und die Gegenwart Gottes im realen Tun
aufzeigen können. Europa braucht neue Bekenner des
Glaubens und der Schönheit des Glauben-könnens; es braucht Zeugen,
die glaubwürdige Gläubige sind, mutig bis zum Blut; Jungfrauen,
die dies nicht nur für sich selbst sind, sondern die es verstehen, allen
jene Jungfräulichkeit zu zeigen, die im Herzen eines jeden liegt und die
unmittelbar auf den Ewigen verweist, auf die Quelle jeder Liebe.
Unser Kontinent dürstet nicht nur nach heiligen Menschen, sondern nach
heiligen Gemeinschaften, die so in die Kirche und die Welt
verliebt sind, daß sie der Welt eine freie, offene, dynamische Kirche
darstellen können, die im heutigen Europa präsent ist, dem Leid der
Menschen nahe, aufnahmebereit für alle, eine Fördererin der
Gerechtigkeit, aufmerksam den Armen gegenüber, nicht um ihre geringe
Zahl und nicht um die Abgrenzung ihrer eigenen Tätigkeit bekümmert,
weder vom Klima der sozialen Entchristlichung geschockt (die es
tatsächlich gibt, wenn vielleicht auch nicht auf so radikale und
generelle Weise), noch von der Kärglichkeit der Ergebnisse (die oft nur
scheinbar ist). Dies wird die neue Heiligkeit sein, die fähig
ist, Europa neu zu evangelisieren und das neue Europa zu bauen!
Neue Berufungen 13. Ein neues Gespräch über Berufung und
über Berufe, über Kultur und über Berufspastoral hat also zu beginnen.
Der Kongreß hat eine gewisse, inzwischen allgemein verbreitete
Sensibilität für dieses Thema festgestellt, selbst jedoch gleichzeitig
einen »kleinen Schritt« vorgeschlagen, der geeignet sein kann, in
unseren Kirchen neue Zeiten zu eröffnen.(14) a) Berufe und
Berufungen Wie die Heiligkeit Ziel aller in Christus
Getauften ist, so hat jedes Leben seine eigene, besondere Berufung; und
wie erstere in der Taufe gründet, so ist die zweite mit der bloßen
Tatsache seines Daseins verbunden. Die Berufung ist der vorhersehende
Gedanke des Schöpfers über das jeweilige Geschöpf, sie ist sein
Idealplan, ist wie ein Traum, der Gott am Herzen liegt, weil ihm das
Geschöpf am Herzen liegt. Gott, der Vater, will diesen Plan
unterschiedlich und spezifisch für jedes Leben. Der Mensch ist nämlich
ins Leben »gerufen«, und wenn er ins Leben eintritt, trägt und findet er
in sich das Abbild dessen, der ihn gerufen hat. Die Berufung ist
die Einladung Gottes, sich entsprechend diesem Bild zu verwirklichen,
und sie ist einzig, einmalig und unwiederholbar, weil dieses Bild
unerschöpflich ist. Jedes Geschöpf ist berufen, diese Botschaft und
einen besonderen Aspekt des Gedankens Gottes zum Ausdruck zu bringen. In
ihm findet es seinen Namen und seine Identität; es behauptet und sichert
seine Freiheit und Originalität. Wenn also jedem Menschen von
Geburt an seine eigene Berufung zukommt, dann gibt es in der Kirche und
in der Welt verschiedene Berufungen, die, während sie einerseits auf
theologischer Ebene die dem Menschen eingeprägte Ebenbildlichkeit mit
Gott zum Ausdruck bringen, andererseits auf der pastoralen Ebene auf die
verschiedenen Bedürfnisse der neuen Evangelisierung antworten und die
Dynamik und Gemeinschaft der Kirche bereichern: »Die Teilkirche ist wie
ein blühender Garten mit einer Vielfalt von Gaben und Charismen,
Bewegungen und Dienstämtern. Daher die Wichtigkeit des Zeugnisses ihrer
gegenseitigen Verbundenheit, unter Absage an alles
»Konkurrenzdenken«.(15) Mehr noch. Auf dem Kongreß wurde
ausdrücklich festgestellt: »Wir brauchen eine Öffnung auf neue Charismen
und Dienstämter hin, die sich wohl von den bisher gewohnten
unterscheiden mögen. Die Aufwertung der Stellung der Laien ist ein
Zeichen der Zeit, das erst noch voll zu entdecken ist. In zunehmendem
Maße erweist sich ihre Fruchtbarkeit«.(16) b) Kultur der
Berufung Diese Elemente dringen allmählich ins Bewußtsein
der Gläubigen ein, jedoch noch nicht in dem Maße, daß sie eine echte und
eigenständige Kultur der Berufung(17) schaffen würden, der es gelänge,
die Grenzen der gläubigen Gemeinde zu überspringen. Deshalb hat der Hl.
Vater in seiner Ansprache an die Teilnehmer den Wunsch
ausgesprochen, eine beharrliche und geduldige Sensibilität der
christlichen Gemeinschaft für das Geheimnis der göttlichen Berufung möge
»in den Jugendlichen und den Familien eine neue Kultur der Berufung«
hervorbringen.(18) Sie ist ein Bestandteil der neuen
Evangelisierung. Sie ist Kultur des Lebens, Kultur der Öffnung auf Leben
und Lebenssinn, aber auch Kultur des Sterbens. Besonders bezieht
sie sich auf Werte, die möglicherweise von einer neuen Mentalität (nach
Meinung einiger die »Kultur des Todes«) etwas vergessen worden sind, wie
Dankbarkeit, Annahme des Geheimnisses, Sinn für die Unvollkommenheit des
Menschen und gleichzeitig für dessen Öffnung auf die Transzendenz hin,
die Verfügungsbereitschaft, sich von einem anderen (oder von dem
Anderen) rufen und sich vom Leben herausfordern zu lassen, das Vertrauen
auf sich und die andern, die Freiheit zum Ergriffensein über die
empfangene Gabe, die Zuwendung, das Verständnis, die Vergebung. So wird
entdeckt, daß das, was man empfangen hat, immer unverdient ist und das
eigene Maß übersteigt, und daß es eine Verantwortung für das Leben
begründet. Zu dieser Kultur der Berufung gehört auch die
Fähigkeit, Großes zu träumen und zu verlangen, jenes Staunen, das eine
Hochschätzung der Schönheit und deren Wahl aufgrund ihres inneren Wertes
möglich macht, da sie das Leben schön und wahr macht; jene
Selbstlosigkeit, die nicht nur Solidarität in einer Notlage ist, sondern
die aus dem Erkennen der Würde jedes Bruders und jeder Schwester
entspringt. Der Kultur der Zerstreuung, die im Wirrwarr der Worte
die ernsthaften Fragen aus dem Blick zu verlieren droht und fallen läßt,
ist eine Kultur entgegenzustellen, die Mut und Geschmack für die großen
Fragen zu wecken versteht, für jene Fragen, die die eigene Zukunft
betreffen: es handelt sich tatsächlich um jene großen Fragen, die
auch kleinen Antworten Größe verleihen. Aber schließlich sind es die
kleinen und alltäglichen Antworten, die zu großen Entscheidungen führen,
wie jener des Glaubens; oder die Kultur schaffen, wie jene der Berufung.
Auf jeden Fall muß die Kultur der Berufung, insofern sie einen Komplex
von Werten darstellt, immer mehr vom kirchlichen Bewußtsein in das
zivile Bewußtsein übergehen, vom Bewußtsein des einzelnen oder der
glaubenden Gemeinschaft in die allgemeine Überzeugung, daß auf der
Grundlage des Modells eines "Menschen ohne Berufung" für das Europa des
Dritten Jahrtausends keinerlei Zukunft gebaut werden kann. Der Papst
sagt weiter: »Das Unbehagen, das durch die Welt der Jugend geht,
offenbart auch in den neuen Generationen bedrängende Fragen über den
Sinn des Seins, als eine Bestätigung dessen, daß nichts und niemand im
Menschen die Sinnfrage und das Verlangen nach Wahrheit ersticken
kann. Für viele ist dies der Boden, auf dem sich die Frage der Berufung
stellt«.(19) Gerade diese Frage und diese Suche lassen eine echte
Kultur der Berufung entstehen; und wenn Frage und Suche im Herzen jedes
Menschen vorhanden sind, auch im Herzen dessen, der sie verdrängt, dann
könnte diese Kultur eine Art gemeinsamer Boden werden, wo das gläubige
Gewissen dem laikalen Gewissen begegnet und sich an ihm mißt. Ihm wird
es in Großmut und Klarheit jene Weisheit vermitteln, die es selbst von
oben empfangen hat. Diese neue Kultur wird so zu einem echten
Nährboden für die neue Evangelisierung, wo ein neues Menschenbild
entstehen könnte und wo auch neue Heiligkeit und neue Berufe für das
Europa des Dritten Jahrtausends erblühen könnten. Der Mangel an
besonderen Berufungen beruht vor allem auf dem Fehlen eines Bewußtseins
vom Berufungscharakter des Lebens; mit anderen Worten: auf dem Fehlen
einer Kultur der Berufung. Diese Kultur wird heute womöglich das
erste Ziel der Berufungspastoral(20) werden, oder vielleicht der
Pastoral ganz allgemein. Was für eine Pastoral ist in der Tat jene, die
nicht die Freiheit pflegt, sich von Gott berufen zu fühlen, und die kein
neues Leben entstehen läßt? c) Pastoral der Berufung: der
»Qualitätssprung« Es gibt noch ein anderes Element, das die
dem Kongreß vorausgehenden Überlegungen mit den Analysen des Kongresses
verbindet. Es ist das Bewußtsein, daß die Pastoral der Berufung einer
radikalen Veränderung bedarf, eines geeigneten »Sprungs«, wie das
Arbeitsdokument(21) sagt, oder eines »Qualitätssprungs«, wie der Papst
in seiner Botschaft am Ende des Kongresses sagte.(22) Wieder
stehen wir in der vorliegenden Analyse vor einer offenkundigen
Übereinstimmung, die in ihrer wahren Bedeutung zu verstehen ist.
Es geht nicht nur um eine Einladung, auf Gefühle der Müdigkeit oder
Enttäuschung über die geringen Erfolge zu reagieren; auch wollen wir
nicht dazu auffordern, lediglich einige Methoden zu erneuern oder Kraft
und Begeisterung zu entfachen, sondern letztlich soll gezeigt werden,
daß die Berufspastoral in Europa an einem historischen Wendepunkt
angelangt ist, an einer entscheidenden Schwelle. Es gab eine Geschichte,
eine Vorgeschichte und langsam nachfolgende Phasen im Verlauf dieser
Jahre, wie natürliche Jahreszeiten, die nun zwangsläufig zum Alter des
»Erwachsenseins« und der Reife der Berufspastoral gelangen müssen.
Es geht also weder darum, die Bedeutung dieses Wendepunktes zu
unterschätzen, noch irgendjemanden des in der Vergangenheit
Unterlassenen wegen anzuklagen. Vielmehr gilt unsere und der ganzen
Kirche aufrichtige Anerkennung jenen Brüdern und Schwestern, die unter
erheblichen Schwierigkeiten hochherzig so vielen Jugendlichen bei der
Suche nach der eigenen Berufung geholfen haben. Es geht auf jeden Fall
darum, noch einmal die Richtung zu begreifen, die Gott, der Herr der
Geschichte, unserer heutigen Geschichte aufzeigt, auch der so reichen
Geschichte der Berufe in Europa, das heute vor einem entscheidenden
Wendepunkt steht. – Wenn die Pastoral der Berufung entstanden ist
als eine Notwendigkeit, die an eine Krisensituation und an einen Mangel
an Berufenen gebunden war, so kann man sie heute nicht mehr in gleicher
Weise als zeitbedingt und durch negative Umstände begründet vorstellen,
im Gegenteil, sie erscheint als ein beständiger und folgerichtiger
Ausdruck der Mutterschaft der Kirche, die offen ist für den
unaufhaltsamen Plan Gottes, der in ihr immer Leben zeugt.
– Wenn früher die Förderung der Berufung sich nur oder vor allem auf
einige Formen der Berufung erstreckte, muß man nun immer mehr zu einer
Förderung sämtlicher Berufungen gelangen, denn in der Kirche des
Herrn wachsen wir entweder gemeinsam, oder keiner wächst. – Wenn
anfangs die Berufungspastoral Vorsorge traf, ihren Aktionsbereich auf
einige Personengruppen zu beschränken (»die Unsrigen«, die dem
kirchlichen Bereich Nahestehenden, die sofort Interessierten, die
Besseren und Verdienstvolleren, jene die bereits eine
Glaubensentscheidung getroffen haben usw.), so zeigt sich nun immer
stärker die Notwendigkeit, wenigstens theoretisch die Verkündigung und
den Berufsimpuls mutig an alle auszudehnen, im Namen jenes
Gottes, der nicht auf die Person schaut; der Sünder in ein Volk von
Sündern wählt; der Amos, der kein Sohn eines Propheten war und nur
Maulbeerfeigen angebaut hat, zum Propheten macht; der Levi beruft und im
Haus des Zachäus einkehrt; und der schließlich fähig ist, selbst aus
Steinen Söhne Abrahams entstehen zu lassen (vgl. Mt 3,9).
– Wenn früher die Arbeit an den Berufungen zum guten Teil von der Furcht
motiviert war (vor dem Aussterben, oder vor dem Verlust von Anerkennung)
und von dem Vorwand, bestimmte Bereiche oder Werke zu besetzen, dann
macht heute die Angst, die immer eine schlechte Ratgeberin ist, der
christlichen Hoffnung Platz, die aus dem Glauben entspringt und auf
das Neue und auf die Zukunft Gottes ausgerichtet ist. – Wenn eine
bestimmte Anregung zu einer geistlichen Berufung stets unsicher und
ängstlich geschieht oder geschah, als ob sie minderwertig sei angesichts
einer berufungsfeindlichen Kultur, so betreibt heute wirkliche
Berufungsarbeit nur, wer von der Sicherheit beseelt ist, daß in
jeder Person, ausnahmslos, eine ursprüngliche Gabe Gottes ruht, die
darauf wartet, entdeckt zu werden. – Wenn früher etwa die
Rekrutierung das Ziel war, und Propaganda die Methode, oftmals unter
Beeinträchtigung der Freiheit des Einzelnen oder mit Szenen des
»Konkurrenzkampfes«, dann muß nun immer mehr klar sein, daß das Ziel
jeder Aktion der Dienst an der Person sein muß, damit sie lerne,
was Gott mit ihrem Leben für den Aufbau der Kirche vorhat, und daß sie
darin ihre eigene Wahrheit erkenne und verwirkliche.(23) – Wenn
vor noch nicht langer Zeit mancher sich einbildete, die Krise der Berufe
mit fragwürdigen Methoden lösen zu können (»Import« von Berufen, oftmals
verbunden mit Entwurzelung aus deren Umwelt), so darf heute niemand sich
einbilden, die Berufskrise zu lösen, indem er sie verlagert, denn der
Herr ruft weiterhin in jeder Kirche und an jedem Ort. –
Auf diese Weise sollte der oft auch improvisierende »Einzelkämpfer in
der Berufungspastoral« immer mehr von einer Animation, die aus
gelegentlichen Initiativen und Erfahrungen besteht, übergehen zu einer
berufungsorientierten Erziehung, die sich an der Weisheit bewährter
Begleitungsmethoden ausrichtet, um denen, die auf der Suche sind, eine
angemessene Hilfe bieten zu können. – Folglich sollte derselbe
Animator auch immer mehr Erzieher zum Glauben und Gestalter von
Berufungen werden; und die Anregung zu einem Beruf sollte immer mehr
eine koordinierte Zusammenarbeit(24) der ganzen Ordens- oder
Pfarrgemeinschaft, des ganzen Instituts oder der ganzen Diözese, jedes
Priesters und jeder Ordensperson werden, und dies für alle Berufe und in
jeder Lebensphase. – Schließlich ist auch die Zeit da,
entschlossen von den »krankhaften Ermüdungserscheinungen«(25) und der
Resignation, die als Rechtfertigung die einzige Ursache für die
Berufungskrise der heutigen Generation der Jugendlichen zuschreibt, zum
Mut zu einer richtigen Fragestellung überzugehen, um die eventuellen
Fehler und Versäumnisse zu verstehen und zu einem neuen, kreativen und
engagierten Zeugnis zu gelangen. d) Kleine Herde und große
Sendung(26) Ein konsequentes Vorgehen in dieser Richtung wird
immer dazu beitragen, die Würde der Berufungspastoral sowie deren
natürliche und zentrale Schlüsselfunktion im pastoralen Bereich neu zu
entdecken. Auch hier kommen wir von Erfahrungen und Begriffen
her, die in der Vergangenheit die Berufspastoral selbst fast wertlos zu
machen drohten, indem sie diese als weniger wichtig einstuften. Sie
zeigt manchmal kein überzeugendes Gesicht der heutigen Kirche, oder sie
wird im Vergleich mit anderen Bereichen als ein theologisch weniger
begründeter Teil der Pastoral angesehen, der erst durch eine kritische
und zufällige Situation entstanden ist. Die Berufungspastoral
befindet sich vielleicht noch in einer untergeordneten Position, die
einerseits ihrem Bild und indirekt auch ihrer Wirksamkeit schaden kann,
doch andererseits kann sie auch zu einem günstigen Umfeld werden, um mit
Kreativität und Freiheit — auch mit der Freiheit zum Irrtum — neue
pastorale Wege zu finden und zu beschreiten. Vor allem aber kann
diese Situation an jene andere »Hilflosigkeit« oder Armut erinnern, von
der Jesus beim Blick auf die ihm folgende Menge sagte: »Die Ernte ist
groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter« (Mt 9,37). Angesichts der
Ernte des Gottesreiches, angesichts der Ernte des neuen Europas und der
neuen Evangelisierung, sind und werden die »Arbeiter« wenige bleiben,
»kleine Herde und große Sendung«, damit besser in Erscheinung trete, daß
die Berufung eine Initiative Gottes ist, eine Gabe des Vaters, des
Sohnes und des Heiligen Geistes.
ZWEITER TEIL THEOLOGIE DER BERUFUNG
»Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den
einen Geist ...« (1 Kor 12,4) Wichtigstes Ziel
dieses theologischen Teiles ist es, den Sinn des menschlichen Lebens in
seinem Bezug zum Dreifaltigen Gott zu erfassen. Das Geheimnis des
Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes begründet die volle Existenz
des Menschen, als einen Ruf zur Liebe im Geschenk seiner selbst und in
der Heiligkeit; als ein Geschenk innerhalb der Kirche für die Welt. Jede
von Gott losgelöste Anthropologie ist eine Täuschung. Wir
wollen nun die Strukturelemente der christlichen Berufung aufzeigen und
deren wesentliche Architektur betrachten, die natürlich nicht anders
sein kann als theologisch. Diese Tatsache, die immer wieder auch vom
Magisterium behandelt worden ist, beinhaltet eine reiche geistliche,
biblisch-theologische Tradition, die nicht nur Generationen von
Berufenen, sondern auch eine Spiritualität der Berufung herangebildet
hat. Die Frage nach dem Sinn des Lebens 14.
In der Schule des Gotteswortes empfängt die christliche Gemeinde die
höchste Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, die mehr oder
weniger deutlich im Herzen des Menschen ruht. Es ist eine Antwort, die
nicht vom menschlichen Verstand kommt, obwohl dieser ununterbrochen auf
dramatische Weise vom Problem des Seins und seines Geschicks
herausgefordert ist. ER selbst ist es, der dem Menschen den Schlüssel
zum Verständnis gibt, um die großen Fragestellungen, derentwegen der
Mensch ein fragendes Wesen ist, zu klären und zu lösen: Wozu sind wir
auf der Welt? Was ist das Leben? Welches ist das Ziel jenseits des
Geheimnisses des Todes? Es darf nicht vergessen werden, daß in
der Kultur der Zerstreuung, in der sich vor allem die heutige Jugend
verstrickt sieht, die grundlegenden Fragen Gefahr laufen, erstickt oder
verdrängt zu werden. Der Sinn des Lebens wird heute eher diktiert als
gesucht: entweder vom unmittelbaren Erleben, oder von dem, was den
Bedürfnissen entgegenkommt; und wenn diese befriedigt sind, dann wird
das Gewissen noch mehr abgestumpft, und die tiefsten Fragen bleiben ohne
Antwort.(27) Es ist also Aufgabe der Pastoraltheologie und der
geistlichen Berufsbegleitung, den Jugendlichen dabei zu helfen, nach dem
Leben zu fragen, um im entscheidenden Dialog mit Gott zur gleichen Frage
durchzudringen, die Maria von Nazareth gestellt hat: »Wie soll das
geschehen?« (Lk 1,34). Das trinitarische Bild
15. Beim Hören auf das Wort Gottes entdecken wir nicht ohne Staunen, daß
der umfassendste biblisch-theologische Begriff, der dem Geheimnis des
Lebens im Lichte Christi am meisten entspricht, jener der »Berufung«
ist.(28) »Christus, der neue Adam, macht eben in der Offenbarung des
Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe zu den Menschen den Menschen
selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung«.(29)
Deshalb stellt uns die biblische Gestalt der Gemeinschaft von Korinth
die Gaben des Geistes innerhalb der Kirche als untergeordnet unter die
Anerkennung Jesu als des Herrn dar. Tatsächlich ist die Christologie das
Fundament jeder Ekklesiologie. Christus ist der Entwurf des Menschen.
Nur nachdem der Glaubende erkannt hat, daß Jesus der Herr ist, kann er
»aus dem Heiligen Geist« (1 Kor 12,3) das Gesetz der neuen
Glaubensgemeinschaft erkennen: »Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber
nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen
Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott:
Er bewirkt alles in allen« (1 Kor 12,4-6). Das paulinische
Bild zeigt überdeutlich drei grundlegende Aspekte der Gaben der Berufung
in der Kirche, die eng mit ihrem Ursprung in der dreifaltigen
Gemeinschaft und mit dem besonderen Bezug auf die einzelnen göttlichen
Personen verbunden sind. Im Lichte des Geistes sind diese Gaben
Ausdruck seiner unendlichen Geschenkhaftigkeit. Er selbst ist
Charisma (Apg 2,38), Quelle jeder Gabe und Ausdruck der
unfaßbaren göttlichen Kreativität. Im Lichte Christi sind die
Gaben der Berufung »Dienste« und bringen die Vielfalt der Formen
jenes Dienstes zum Ausdruck, den der Sohn gelebt hat bis zur Hingabe
seines Lebens. Denn »Er ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen,
sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele« (Mt
20,28). Jesus ist darum das Urbild jeden Geheimnisses. Im Lichte
des Vaters sind die Gaben Handlungen, denn von ihm, dem Quell des
Lebens, entspringt in jedem Lebewesen die eigene kreatürliche Dynamik.
Die Kirche spiegelt als Abbild das Geheimnis von Gott Vater, Gott Sohn
und Gott Heiligem Geist wider; und jede Berufung trägt in sich die
charakteristischen Züge der drei Personen der Dreifaltigkeit. Die
göttlichen Personen sind Quelle und Urbild jeder Berufung. Ja, die
Dreifaltigkeit ist in sich selbst ein geheimnisvolles Geflecht
von Ruf und Antwort. Nur hier, im Innersten dieses ununterbrochenen
Dialogs, findet jedes Lebewesen nicht nur seine Wurzeln wieder, sondern
auch seine Bestimmung und seine Zukunft, das, was es gerufen ist zu sein
und zu werden, in Wahrheit und Freiheit und in der konkreten Realität
seiner Geschichte. Die Gaben der im ersten Korintherbrief
erwähnten kirchlichen Struktur haben eine geschichtliche und konkrete
Bestimmung: »Jedem aber wird die Offenbarung des Geistes geschenkt,
damit sie anderen nützt« (1 Kor 12,7). Es gibt ein höheres Gut,
das stets das persönliche Gut übersteigt: in der Einheit den Leib
Christi zu erbauen; seine Präsenz in der Geschichte durchscheinen zu
lassen, »damit die Welt glaubt« (Joh 17,21). Deshalb ist
die kirchliche Gemeinschaft (Gemeinde) einerseits angebunden an das
Geheimnis Gottes und ist dessen sichtbares Abbild; andererseits ist sie
vollkommen mit der Geschichte des Menschen verbunden, in einem Zustand
des Exodus hin zu den »neuen Himmeln«. Die Kirche und jede
Berufung in ihr drücken ein und dieselbe Dynamik aus: berufen sein für
eine Sendung. Der Vater ruft ins Leben 16.
Das Sein eines jeden ist Frucht der schöpferischen Liebe des Vaters,
seines wirkmächtigen Verlangens, seines schaffenden Wortes. Der
Schöpfungsakt des Vaters hat die Dynamik eines Anrufs, eines Rufs ins
Leben. Der Mensch tritt ins Leben ein, weil er geliebt ist, weil er
gedacht und gewollt ist von einem guten Willen, der ihn dem Nicht-sein
vorzog, der ihn geliebt hat, noch bevor es ihn gab, der ihn kannte, noch
bevor er ihn im Mutterschoß geformt hat, der ihn gesegnet hat, noch
bevor er ins Licht der Welt trat (vgl. Jer 1,5; Is 49,1.5;
Gal 1,15). Die Berufung also ist das, was das Geheimnis des
Menschen von seinem Urgrund her erleuchtet, und sie ist selbst ein
Geheimnis, ein Geheimnis der Liebe und des absoluten Geschenk-seins.
a) »... nach seinem Ebenbild« Im »schöpferischen Anruf«
erscheint der Mensch sofort in seiner ganzen Bedeutung und Würde als ein
zu einer Beziehung mit Gott Gerufener, um vor Gott zu stehen, zusammen
mit den anderen, in der Welt, mit einem Antlitz, das denselben
göttlichen Funken widerspiegelt: »Laßt uns Menschen machen als unser
Abbild« ( Gen 1,26). Diese dreifache Beziehung gehört zum
ursprünglichen Plan, denn der Vater hat uns »in Ihm — in Christus —
erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig und untadelig
leben vor Gott« (Eph 1.4). Den Vater erkennen bedeutet,
daß wir auf seine Weise existieren, da er uns nach Seinem Ebenbild
erschaffen hat (Weish 2,23). Hierin liegt also die ursprüngliche
Berufung des Menschen: die Berufung ins Leben und zu einem Leben, das
sofort als Abbild des göttlichen Lebens begriffen wird. Wenn der Vater
der ewige Quellgrund ist, die völlige Gratuität, der ewige Quell des
Seins und der Liebe, dann ist der Mensch gerufen, auf die kleine und
begrenzte Weise seiner Existenz so zu sein wie Er, und deshalb auch sein
»Leben hinzugeben«, das Leben eines anderen auf sich zu nehmen.
Der Schöpfungsakt des Vaters ist dann das, was das Bewußtsein vom Leben
hervorruft als eine Übergabe an die Freiheit des Menschen, der gerufen
ist, eine ganz persönliche und originelle, verantwortliche und
dankerfüllte Antwort zu geben. b) Die Liebe, Erfüllung des
Lebenssinns In dieser Linie des Rufes ins Leben ist eines zu
vermeiden: daß nämlich der Mensch das Sein als selbstverständlich, als
notwendig oder als zufällig betrachte. Vielleicht ist es in der heutigen
Kultur nicht leicht, vor dem Geschenk des Lebens ins Staunen zu
geraten.(30) Während es leichter ist, den Sinn eines
hingegebenen Lebens zu verstehen, das zum Segen für andere wird, bedarf
es doch eines gereifteren Bewußtseins und einer gewissen geistigen
Bildung, um zu begreifen, daß das Leben eines jeden Menschen, in jedem
Fall und vor jeder Form von Entscheidung, geschenkte Liebe ist und daß
folglich in dieser Liebe bereits ein konsequenter, berufungsbezogener
Plan verborgen ist. Die schlichte Tatsache, daß wir sind, sollte
uns alle mit Staunen und grenzenloser Dankbarkeit Jenem gegenüber
erfüllen, der uns völlig unverdient aus dem Nichts herausgezogen hat,
indem er uns beim Namen rief. Dann dürfte das Gespür, daß das
Leben ein Geschenk ist, nicht nur Dankbarkeit wecken, sondern es müßte
langsam zur ersten, großen Antwort auf die fundamentale Frage nach dem
Sinn hinführen: das Leben ist das Meisterwerk der schöpferischen Liebe
Gottes und ist in sich selbst ein Aufruf zur Liebe. Es ist eine
empfangene Gabe, die von ihrer Natur her danach strebt, selbst wieder
geschenkte Gabe zu werden. c) Die Liebe, Berufung jedes
Menschen Die Liebe ist die Sinnerfüllung des Lebens. Gott
hat den Menschen dermaßen geliebt, daß er ihm sein eigenes Leben
schenkte und ihn fähig machte, auf göttliche Weise zu leben und gut sein
zu wollen. In diesem Übermaß an Liebe, der Liebe des Urbeginns, findet
der Mensch seine radikale Berufung, die eine »heilige Berufung« (2
Tim 1,9) ist, und er entdeckt seine eigene, unverwechselbare
Identität, die ihn sofort Gott ähnlich macht, »nach dem Bild des
Heiligen«, der ihn gerufen hat (1 Petr 1,15). Papst Johannes Paul
II. sagt: »Indem er es erschuf und beständig im Dasein erhält, schreibt
Gott dem Menschsein des Mannes und der Frau die Berufung ein und damit
auch die Fähigkeit und Verantwortung zu Liebe und Gemeinschaft. Die
Liebe ist deshalb die grundlegende und ursprünglichste Berufung jedes
menschlichen Wesens«.(31) d) Der Vater als Erzieher
Dank jener Liebe, die ihn geschaffen hat, kann niemand sich
»überflüssig« fühlen, da er zu einer Antwort nach dem Plan gerufen ist,
den Gott gerade für ihn erdacht hat. Dann wird der Mensch
glücklich sein und vollkommen verwirklicht, an seinem Platz stehen und
den göttlichen erzieherischen Vorschlag aufgreifen, mit aller Furcht und
allem Beben, die ein derartiges Vorhaben in einem Herzen aus Fleisch
erwecken kann. Gott, der Schöpfer, der das Leben schenkt, ist auch der
Vater, der »erzieht«, der das aus dem Nichts herauszieht, was noch nicht
ist, damit es sei; er zieht aus dem Menschenherzen, was er zuvor in es
hineingelegt hat, damit es vollkommen das sei, was zu sein er es berufen
hat, nach Seinem Ebenbild. Hier hat jenes unbegrenzte Sehnen, das
Gott ins Innerste des Herzens gelegt hat, seinen Ursprung. Es ist wie
ein göttliches Siegel. e) Die Berufung der Taufe
Dieser Ruf zum Leben und zum göttlichen Leben wird in der Taufe
gefeiert. In diesem Sakrament neigt sich der Vater mit fürsorglicher
Zärtlichkeit seiner Kreatur entgegen, dem Kind eines Mannes und einer
Frau, um die Frucht jener Liebe zu segnen und sie voll zu seinem Kind zu
machen. Von jenem Augenblick an ist das Geschöpf zur Heiligkeit der
Kinder Gottes berufen. Nichts und niemand vermag diese Berufung
auszulöschen. Mit der Taufgnade greift Gott Vater ein, um zu
offenbaren, daß er, und nur er der Urheber des Heilsplanes ist, in dem
jeder Mensch seinen persönlichen Ort hat. Gottes Handeln geht immer
voraus, ist vorher, wartet nicht auf die Initiative des Menschen, ist
nicht von dessen Verdiensten abhängig und läßt sich nicht von dessen
Fähigkeiten oder Zuständen beeinflussen. Er ist der Vater, der kennt,
anweist, einen Impuls einprägt, ein Siegel aufdrückt und ruft, noch »vor
der Erschaffung der Welt« (Eph 1,4). Und dann schenkt er Kraft,
geht nebenher, stützt das Bemühen, ist Vater und Mutter für immer...
Das christliche Leben gewinnt so die Bedeutung einer wechselseitigen
Erfahrung: es wird zur verantworteten Antwort im Wachsen seiner
Kindschaft gegenüber dem Vater, und der Beziehung als Bruder oder
Schwester in der großen Familie der Kinder Gottes. Der Christ ist
gerufen, durch die Liebe jenen Prozeß der Gleichwerdung mit dem Vater zu
fördern, den man "auf Gott ausgerichtetes Leben" (vita theologalis)
nennt. Darum drängt die Treue zur Taufe dazu, an das Leben und an
sich selbst immer genauere Fragen zu stellen; vor allem um sich zu
rüsten, die Existenz nicht nur auf der Grundlage des menschlichen
Verhaltens zu leben, obwohl auch dieses Gabe Gottes ist, sondern auf der
Grundlage des Willens Gottes; nicht nach weltlichen, oft sehr
beschränkten Perspektiven, sondern nach dem Wunsch und dem Plan Gottes.
Die Treue zur Taufe bedeutet also, nach oben zu schauen wie Kinder, um
Seinen Willen bezüglich des eigenen Lebens und der eigenen Zukunft zu
erkennen. Der Sohn ruft zur Nachfolge 17.
»Herr, zeig uns den Vater; das genügt uns« (Joh 14,8). Es
ist die Frage des Philippus an Jesus, am Vorabend der Passion. Es ist
die brennende Sehnsucht nach Gott in jedem Menschenherzen: die eigenen
Wurzeln zu kennen, Gott zu kennen. Der Mensch ist nicht unendlich, er
ist umgeben von Endlichkeit; doch sein Verlangen richtet sich auf das
Unendliche. Und die Antwort Jesu überrascht die Jünger: »So lange
bin ich bei euch, und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich
gesehen hat, hat den Vater gesehen« (Joh 14,9). a) Vom
Vater gesandt, den Menschen zu rufen Der Vater hat uns
erschaffen im Sohn, dem »Abglanz seiner Herrlichkeit und Abbild seines
Wesens« (Hebr 1,3), hat uns vorausbestimmt, seinem Bild
gleichzuwerden (vgl. Rom 8,29). Das Wort ist das vollkommene
Ebenbild des Vaters. Im Wort ist es, in dem der Vater sich sichtbar
gemacht hat; es ist der Logos, durch den »er zu uns gesprochen hat« (Hebr
1,2). Sein ganzes Wesen besteht darin, »gesandt zu sein«, um Gott den
Menschen als Vater nahe zu bringen, um sein Antlitz und seinen Namen den
Menschen zu offenbaren (Joh 17,6). Wenn der Mensch gerufen
ist, Kind Gottes zu sein, dann kann folglich niemand besser zum Menschen
von Gott »sprechen« und dessen geglücktes Abbild sein als der Sohn.
Deshalb hat der Sohn Gottes, indem er auf diese Welt kam, in seine
Nachfolge gerufen, zu sein, wie er ist, an seinem Leben Anteil zu haben,
sein Wort zu teilen, sein Ostern mit Tod und Auferstehung zu teilen, ja
sogar seine ganze Gesinnung. Der Sohn, der Gesandte des
Vaters, wurde Mensch, um den Menschen zu berufen; der Gesandte
des Vaters ist der »Rufer« der Menschen. Deshalb gibt es
keine Stelle im Evangelium, keine Begegnung und kein Gespräch, die
keinen Bezug zur Berufung hätten, die nicht direkt oder indirekt eine
Berufung durch Jesus bedeuteten. Es ist, als seien seine, durch
verschiedene Umstände bedingten menschlichen Begegnungen für ihn eine
Gelegenheit, die jeweilige Person vor die entscheidende Frage zu
stellen: »Was mache ich mit meinem Leben? Was ist mein Weg?« b)
Die größte Liebe: das Leben geben Wozu ruft Jesus? Er ruft,
ihm nachzufolgen, um zu handeln und zu sein, wie er. Genauer gesagt, um
dieselbe Beziehung zum Vater und zu den Menschen zu leben, wie er: das
Leben anzunehmen als ein Geschenk aus den Händen des Vaters, um dieses
Geschenk zu »verlieren« und es für jene hinzugeben, die der Vater ihm
anvertraut hat.(32) Es gibt einen verbindenden Zug in der
Identität Jesu, der die volle Bedeutung der Liebe darstellt: die
Sendung. Sie bringt die Hingabebereitschaft zum Ausdruck, die im Kreuz
ihren höchsten Ausdruck erreicht: »Niemand hat eine größere Liebe, als
wer sein Leben hingibt für seine Freunde« (Joh 15,13).
Deshalb ist jeder Jünger gerufen, die Gesinnung des Sohnes neu zu leben,
die in der Liebe gipfelt, der entscheidenden Motivation jeder Berufung.
Doch vor allem ist jeder Jünger gerufen, die Sendung Jesu sichtbar zu
machen; er ist gerufen für die Sendung: »Wie der Vater mich
gesandt hat, so sende ich euch« (Joh 20,21). Die Struktur jeder
Berufung, ihre Reife, liegt in der Vergegenwärtigung Jesu in der Welt,
um, wie Er es getan hat, aus dem Leben eine Gabe zu machen. Die Sendung
ist in Wirklichkeit das Vermächtnis des Osterabends (Joh 20,21)
und ist das letzte Wort vor der Heimkehr zum Vater (Mt 28,16-20).
c) Jesus, der Ausbilder Jeder Berufene ist ein Zeichen
für Jesus: gewissermaßen weiten sich durch ihn Herz und Hände Jesu, um
die Kleinen zu umarmen, die Kranken zu heilen, die Sünder zu versöhnen
und sich kreuzigen zu lassen aus Liebe zu allen. Das Für-andere-sein mit
dem Herzen Christi ist die Reife jeder Berufung. Deshalb ist Jesus, der
Herr, der Ausbilder derer, die er ruft, der einzige, der in ihnen seine
eigene Gesinnung herauszubilden vermag. In der Antwort auf den
Anruf des Herrn und in der Bereitschaft, sich von Ihm formen zu lassen,
bringt jeder Jünger das innerste Wesen der eigenen Entscheidung zum
Ausdruck. Deshalb »hat die Anerkennung Jesu als des Herrn des Lebens und
der Geschichte auch eine Selbsterkenntnis des Jüngers zur Folge (...)
Der Akt des Glaubens verbindet notwendigerweise die christologische
Anerkennung mit der anthropologischen Selbsterkenntnis.(33) Hier
hat die Pädagogik der christlichen Berufungserfahrung, wie sie vom Wort
Gottes angeregt wird, ihren Ansatz: »Jesus setzte Zwölf ein, die er bei
sich haben und die er dann aussenden wollte, damit sie predigten« (Mk
3,14). Das christliche Leben braucht starke Motivationen und besonders
eine tiefe Verbundenheit mit dem Herrn, damit es in Fülle als Geschenk
und als Sendung gelebt werden kann: im Hören, im Gespräch, im Gebet, in
der Verinnerlichung der Empfindungen, im täglichen Sich-gestalten-lassen
von Ihm und vor allem im starken Verlangen, der Welt das Leben des
Vaters zu vermitteln. d) Die Eucharistie: die Übertragung der
Sendung In allen Katechesen der christlichen Urgemeinde ist
die zentrale Stellung des Ostergeheimnisses deutlich: Christus zu
verkünden als den Gestorbenen und Auferstandenen. Im Geheimnis des
gebrochenen Brotes und des für das Leben der Welt vergossenen Blutes
sieht die christliche Gemeinschaft den höchsten Ausdruck der Liebe, das
hingegebene Leben des Gottessohnes. Darum ist die Feier der
Eucharistie »Gipfel und Quelle«(34) des christlichen Lebens, darum wird
in ihr die höchste Offenbarung der Sendung Jesu Christi in der Welt
gefeiert; gleichzeitig wird aber auch das Selbstverständnis der
kirchlichen Gemeinschaft gefeiert, die zusammengerufen ist, um
ausgesandt zu werden, und berufen wird, um die Sendung zu empfangen.
In der Gemeinschaft, die das österliche Geheimnis feiert, hat jeder
Christ Anteil und tritt ein in die Eigenart der Gabe Jesu, indem er
selbst, wie dieser, zum Brot wird, das als Opfer für den Vater und für
das Leben der Welt gebrochen wird. So wird die Eucharistie zur
Quelle jeder christlichen Berufung; in ihr ist jeder Gläubige gerufen,
sich dem geopferten und hingeschenkten Christus völlig gleich zu machen.
Sie wird zur Ikone jeder Antwort auf eine Berufung; wie bei Jesus, so
ist es auch in jedem Leben und in jeder Berufung schwer, die Treue bis
hin zum Maß des Kreuzes zu leben. Wer an der Eucharistie
teilnimmt, nimmt die Einladung und den Aufruf Jesu an, seine »Memoria«
zu feiern, im Sakrament und im Leben; die Einladung, in der Wahrheit und
in der Freiheit der alltäglichen Dinge die »Erinnerung« an das Kreuz zu
leben und die eigene Existenz mit Dankbarkeit und Selbstlosigkeit zu
erfüllen, den eigenen Leib zu brechen und das eigene Blut zu vergießen,
wie der Sohn. Die Eucharistie weckt schließlich das Zeugnis, sie
bereitet auf die Sendung vor: »Gehet hin in Frieden«. Von der Begegnung
mit Christus im Zeichen des Brotes führt sie zur Begegnung mit Christus
in der Gestalt eines jeden Menschen. Der Einsatz des Gläubigen erschöpft
sich nicht im Eintritt in den Tempel, sondern im Hinausgehen. Die
Antwort auf den Anruf fällt zusammen mit der Geschichte der Sendung. Die
Treue zur eigenen Berufung schöpft aus den Quellen der Eucharistie und
mißt sich an der Eucharistie des Lebens. Der Geist ruft zum Zeugnis
18. Jeder, dessen Geist vom Glauben erleuchtet ist, ist gerufen, Jesus
als den Herrn zu erkennen und anzuerkennen und in Ihm sich selbst zu
erkennen. Dies jedoch ist nicht allein Frucht eines menschlichen
Wunsches oder des guten Willens des Menschen. Auch nachdem sie über
längere Zeit die Erfahrung mit dem Herrn gelebt haben, brauchen die
Jünger immer noch Gott. Ja, am Vorabend der Passion spüren sie eine
gewisse Verwirrung ( Joh 14,1), sie fürchten die Einsamkeit; und
Jesus ermutigt sie mit einem unerhörten Versprechen: »Ich lasse euch
nicht als Waisen zurück« (Joh 14,18). Die Erstberufenen des
Evangeliums bleiben nicht allein: Jesus versichert sie des fürsorgenden
Geleits durch den Geist. a) Tröster und Freund, Führer und
Erinnerung »Er ist der "Tröster", der Geist der Güte, den
der Vater im Namen des Sohnes senden wird als ein Geschenk des
auferstandenen Herrn«,(35) »damit er immer bei euch bleibe« (Joh
14,16). Der Geist wird so zum Freund jeden Jüngers, der Führer
mit dem wachem Blick auf Jesus und auf die Berufenen, um aus ihnen
außergewöhnliche Zeugen des umwälzendsten Ereignisses der Welt zu
machen: Zeugen des gestorbenen und auferstandenen Christus. Der Geist
ist tatsächlich »Memoria« Jesu und dessen Wortes: »Er wird euch alles
lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe« (Joh
14,26); ja, »er wird euch in die ganze Wahrheit führen« (Joh
16,13). Die ständige Neuheit des Geistes liegt in der Hinführung
zu einem schrittweisen und tiefen Verstehen der Wahrheit, jener
Wahrheit, die kein abstrakter Begriff ist, sondern der Plan Gottes im
Leben jeden Jüngers. Diese Neuheit ist die Umwandlung des Wortes Gottes
in Leben und ist Umwandlung des Lebens gemäß dem Wort Gottes. b)
Animator und Begleiter der Berufung Auf solche Weise wird
der Geist zum großen Animator jeder Berufung, wird er Jener, der den Weg
begleitet, damit er zum Ziel führe, der Gestalter, der mit unendlicher
Phantasie jedes Antlitz von innen her nach Jesus gestaltet. Seine
Gegenwart gilt jedem Menschen, um alle zur Erkenntnis ihrer Identität
als Glaubende und als Gerufene zu führen, und um diese Identität in
Übereinstimmung zu bringen mit dem Vorbild der Liebe Gottes. Der Geist,
der ja ein geduldiger Gestalter unserer Seelen und ein »vollkommener
Tröster« ist, will diese »göttliche Prägung« in einem jeden nachbilden.
Doch vor allem befähigt er die Berufenen zum »Zeugnis«: »Er wird Zeugnis
für mich ablegen. Und auch ihr sollt Zeugnis ablegen, weil ihr von
Anfang an bei mir seid« (Joh 15,26-27). In diesem "Zeugen-sein"
jedes Berufenen liegt die Kraft des Wortes und der eigentliche Inhalt
der Sendung. Das Zeugnis besteht nicht nur in der Empfehlung der zu
verkündenden Worte, wie im Matthäusevangelium (Mt 10,20), sondern
vielmehr darin, Jesus im Herzen zu tragen und Ihn zu verkünden als das
Leben der Welt. c) Heiligkeit, die Berufung aller
So wird heute also die Frage nach dem Qualitätssprung in der
Berufspastoral zu einer Frage, die ohne Zweifel zum Hören auf den Geist
verpflichtet: denn er ist der Verkünder der »künftigen Dinge« (Joh
16,3), er schenkt die neue geistliche Einsicht zum Verstehen der
Geschichte und des Lebens, ausgehend vom Ostern des Herrn, in dessen
Sieg die Zukunft jedes Menschen eingeschlossen ist. So gibt es
Grund zur Frage: wo finden wir den Ruf des Heiligen Geistes in diesen
unseren Tagen? Wo haben wir die Wege der Berufspastoral zu verbessern?
Antwort auf diese Fragen werden wir nur erhalten, wenn wir den großen
Aufruf zur Umkehr, der an die ganze kirchliche Gemeinschaft und an jeden
einzelnen in ihr ergeht, als einen wahren Weg innerer Askese und
Neugeburt annehmen, damit jeder die Treue zu der ihm eigenen Berufung
erneuere. Es gibt einen Primat des Lebens im Heiligen Geist,
der jeder Berufspastoral zugrunde liegt und die Überwindung jenes
verbreiteten Pragmatismus und jener sterilen Äußerlichkeit verlangt, die
das auf Gott ausgerichtete Leben des Glaubens, der Hoffnung und der
Liebe in Vergessenheit geraten lassen. Das offene Hinhören auf den Geist
ist der neue Atem in allem berufspastoralen Tun der kirchlichen
Gemeinde. Der Primat des geistlichen Lebens ist die Voraussetzung
für die Antwort auf jene Sehnsucht nach Heiligkeit, die, wie wir
bereits gesagt haben, auch die Gegenwart der Kirche in Europa
durchzieht. Die Heiligkeit ist die universale Berufung jedes
Menschen,(36) sie ist der Hauptstrom, in den die vielen einzelnen
Berufungen einmünden. Deshalb ist die Heiligkeit der Berufenen der große
Treffpunkt mit dem Geist an dieser Wende der nachkonziliaren Geschichte.
d) Die Berufe im Dienste der Berufung der Kirche Dieses
Ziel erfolgreich anzustreben bedeutet, dem verborgenen Wirken des
Geistes in einige bestimmte Richtungen zu folgen, die das Geheimnis
einer lebendigen Kirche des Dritten Jahrtausends vorbereiten und
darstellen. Dem Heiligen Geist wird vor allem die ewige
Hauptrolle der communio zugeschrieben, die im Bild der christlichen
Gemeinschaft aufscheint und durch die Vielfalt der Gaben und Dienste(37)
sichtbar wird. Es geschieht tatsächlich im Geist, wenn jeder Christ
seine absolute Originalität erkennt, die Einmaligkeit seiner Berufung,
und damit auch sein naturgegebenes und unauslöschliches Streben nach
Einheit. Es geschieht im Geist, wenn die Berufungen in der Kirche so
vielgestaltig und gleichzeitig doch nur eine und dieselbe Berufung zur
Einheit in der Liebe und im Zeugnis sind. Es ist das Wirken des Geistes,
das die Buntheit der Berufungen im Bau der Kirche ermöglicht: die
Berufungen in der Kirche sind in ihrer Verschiedenheit notwendig, um die
Berufung der Kirche zu erfüllen; die Berufung der Kirche dagegen ist
jene, für die Kirche und in der Kirche wirksam Berufungen möglich zu
machen. All die vielen verschiedenen Berufungen führen also zum
Zeugnis der Agape hin, zur Verkündigung Christi als des einzigen
Heilands der Welt. Die Originalität der christlichen Berufung
besteht gerade darin: die Reife der Person an die Verwirklichung der
Gemeinschaft zu binden; das will besagen, die Logik der Liebe über die
der Privatinteressen und die Logik des Teilens über die der
narzistischen Anhäufung von Talenten siegen zu lassen (vgl. 1 Kor
1,12-14). Die Heiligkeit wird so zur wahren Offenbarung des
Geistes in der Geschichte. Wenn jede Person der Dreifaltigkeit ihr
eigenes Antlitz trägt, und wenn es zutrifft, daß das Antlitz des Vaters
und des Sohnes uns ziemlich vertraut ist, da Jesus, indem er Mensch
wurde wie wir, das Antlitz des Vaters enthüllt hat, dann werden
die Heiligen zum beredtesten Abbild des Geheimnisses des Geistes. Ebenso
verbirgt und offenbart jeder Glaubende, der dem Evangelium treu ist, in
der eigenen persönlichen Berufung und in der allgemeinen Berufung zur
Heiligkeit, das Antlitz des Heiligen Geistes. e) Das »Ja« zum
Geist in der Firmung Das Sakrament der Firmung ist der
Augenblick, der am deutlichsten die Gabe und die Begegnung mit dem
Heiligen Geist ausdrückt. Vor dem Angesicht Gottes und dessen
Liebestat (»Empfange den heiligen Geist...«),(38) aber auch vor dem
eigenen Gewissen und vor der christlichen Gemeinde antwortet der
Firmling: »Amen«. Es ist wichtig, auf erzieherischer und katechetischer
Ebene den herausfordernden Sinn dieses »Amen«(39) wiederzuentdecken.
Dieses »Amen« will vor allem ein »Ja« zum Heiligen Geist sein, und mit
ihm zu Jesus. Darum auch sieht die Spendung der Firmung die Erneuerung
des Taufversprechens vor und verlangt vom Firmling, der Sünde und den
Werken des immer zur Entstellung des christlichen Antlitzes bereiten
Bösen zu widersagen; und sie verlangt vor allem die Verpflichtung, das
Evangelium Jesu zu leben, besonders das große Gebot der Liebe. Es geht
darum, die Berufungstreue zur eigenen Identität als Kinder Gottes zu
leben. Das »Amen« ist ein »Ja« auch zur Kirche. In der Firmung
erklärt der Jugendliche, die Sendung Jesu zu übernehmen, die sich in der
Gemeinschaft fortsetzt. Er verpflichtet sich so in zwei Richtungen, um
seinem »Amen« konkrete Gestalt zu geben: zum Zeugnis und zur Sendung.
Der Gefirmte weiß, daß der Glaube ein Talent ist, mit dem es zu wuchern
gilt; daß er eine Botschaft ist, die durch das Leben und durch
das schlüssige Zeugnis seines ganzen Seins anderen zu übermitteln ist
und auch durch das Wort, durch einen missionarischen Mut zur
Ausbreitung der frohen Botschaft. Schließlich drückt dieses
»Amen« eine Fügsamkeit gegenüber dem Heiligen Geist im Planen und
Gestalten der Zukunft gemäß den Absichten Gottes aus, nicht nur
nach den eigenen Erwartungen und Einstellungen, nicht nur in den Räumen,
die die Welt bereitstellt, sondern vor allem in Übereinstimmung mit dem
stets neuen und unvorhersehbaren Plan, den Gott für jeden einzelnen hat.
Von der Dreifaltigkeit zur Kirche in der Welt 19. Jede
christliche Berufung ist eine »besondere« Berufung, denn sie appelliert
an die Freiheit jedes Menschen und erzeugt eine urpersönliche Antwort
innerhalb einer ursprünglichen und einmaligen Lebensgeschichte. Deshalb
findet jeder in seiner persönlichen Berufungserfahrung ein Ereignis, das
sich nicht auf allgemeine Schemata einschränken läßt; die Geschichte
jedes Menschen ist eine kleine Geschichte, doch unverwechselbar und
einzigartig nimmt sie stets von einer großen Geschichte ihren Ausgang.
In der gegenseitigen Beziehung dieser beiden Geschichten, zwischen
seiner eigenen kleinen und jener großen, die ihm zugehört und ihn
übersteigt, bringt der Mensch seine Freiheit ins Spiel. a) In
der Kirche und der Welt, für die Kirche und die Welt Jede
Berufung entsteht an einem bestimmten Ort, in einem konkreten Umfeld,
doch beschränkt sie sich nicht auf sich selbst, noch zielt sie auf die
private Vollkommenheit oder die psychologische oder geistige
Selbstverwirklichung des Berufenen ab, denn sie erblüht innerhalb der
Kirche, in jener Kirche, die durch die Welt unterwegs ist zum
vollendeten Reich, zur Verwirklichung einer Geschichte, die groß ist,
weil sie Heilsgeschichte ist. Die kirchliche Gemeinschaft selbst
hat eine zutiefst berufungsbezogene Struktur: sie ist gerufen für die
Sendung; sie ist Zeichen für Christus, den Gesandten des Vaters. Wie
Lumen Gentium sagt: sie ist »in Christus gleichsam das Sakrament, das
heißt Zeichen und Werkzeug sowohl für die innigste Vereinigung mit Gott,
als auch für die Einheit der ganzen Menschheit«.(40) Einerseits
ist die Kirche Zeichen, das das Geheimnis Gottes widerspiegelt; sie ist
Ikone, die auf die dreifaltige Gemeinschaft im Zeichen der sichtbaren
Gemeinschaft und auf das Geheimnis Christi in der Dynamik der
universalen Sendung verweist. Andererseits ist die Kirche eingebunden in
die Zeit der Menschen, sie lebt in der Geschichte in einer Situation des
Exodus, sie steht in der Sendung zum Dienst am Reich, um die Menschheit
zur Gemeinschaft der Kinder Gottes umzugestalten. So verlangt der
Blick auf die Geschichte von der kirchlichen Gemeinschaft, sich
hörbereit zu machen für die Erwartungen der Menschen; jene Zeichen der
Zeit zu lesen, die der Schlüssel und die Sprache des Heiligen Geistes
sind; in ein fruchtbares, kritisches Gespräch mit der Gegenwart
einzutreten und Traditionen und Kulturen mit Wohlwollen aufzunehmen, um
in ihnen das Bild des Reiches sichtbar zu machen und den Sauerteig des
Evangeliums einzubringen. So verflicht sich die kleine große
Geschichte einer jeden Berufung mit der Geschichte der Kirche in der
Welt. Wie jede Berufung in der Kirche und in der Welt entstand, so steht
sie auch im Dienst der Kirche und der Welt. b) Die Kirche,
Gemeinschaft und communio von Berufungen In der Kirche, die
Gemeinschaft von Gaben für eine einzige Sendung ist, vollzieht sich auch
jener Übergang vom Zustand, in dem sich der durch die Taufe in Christus
eingebundene Gläubige befindet, zu seiner »besonderen« Berufung als
einer Antwort auf die besondere Gabe des Geistes. In dieser Gemeinschaft
ist jede Berufung »eine besondere« und findet in einem Lebensplan zu
ihrer eigenen Gestalt; es gibt keine allgemeinen Berufungen. In
ihrer Besonderheit ist jede Berufung gleichzeitig »notwendig« und
»relativ«. »Notwendig«, weil Christus lebt und sichtbar wird in seinem
Leib, der die Kirche ist, und im Jünger, der ihr wesentlicher Teil ist;
»relativ«, weil keine Berufung das zeichenhafte Zeugnis des Geheimnisses
Christi voll ausschöpfen kann, sondern lediglich einen Teil davon zum
Ausdruck bringt. Nur die Gesamtheit der Gaben macht den ganzen Leib des
Herrn sichtbar. In einem Gebäude braucht jeder Stein den anderen (1 Petr
2,5); im Leib bedarf jedes Glied des anderen, um den gesamten Organismus
wachsen zu lassen, zum Nutzen des Ganzen (1 Kor 12,7).
Dies verlangt, daß das Leben eines jeden von Gott her geplant wird, der
sein einziger Ursprung ist und alles zum Wohl des Ganzen einrichtet;
dies verlangt, daß das Leben nur dann als sinntragend wiederentdeckt
wird, wenn es für die Nachfolge Jesu offen ist. Doch ist es
ebenfalls wichtig, daß es eine kirchliche Gemeinschaft gibt, die
tatsächlich jedem Berufenen hilft, die eigene Berufung zu erkennen. Ein
Klima des Glaubens, des Gebets, der Gemeinschaft in Liebe, der
geistlichen Reife, des Mutes zur Verkündigung, des intensiven
sakramentalen Lebens, macht aus der glaubenden Gemeinschaft einen
fruchtbaren Boden nicht nur für das Keimen neuer, besonderer Berufungen,
sondern für die Schaffung einer berufungsfreundlichen Kultur und einer
Bereitschaft in jedem einzelnen, seinen persönlichen Ruf anzunehmen.
Wenn ein Jugendlicher den Anruf spürt und in seinem Herzen sich
entscheidet, die heilige Reise zu dessen Verwirklichung anzutreten, so
ist dort gewöhnlich auch eine Gemeinschaft, die die Voraussetzungen für
diese hörende Verfügungsbereitschaft geschaffen hat.(41) Das
bedeutet: die auf die Berufung ausgerichtete Treue einer gläubigen
Gemeinschaft ist die erste und grundlegende Voraussetzung für das
Aufblühen der Berufung in den einzelnen Gläubigen, vor allem in den
Jugendlichen. c) Zeichen, Dienst, Sendung Als
dauerhafte und endgültige Lebensentscheidung öffnet sich also jede
Berufung in einer dreifachen Dimension: in Beziehung auf Christus ist
jede Berufung »Zeichen«; in Beziehung zur Kirche ist sie »Geheimnis«;
in Beziehung zur Welt ist sie »Sendung« und Zeugnis für das
Reich. Wenn die Kirche »wie ein Sakrament in Christus« ist, dann
offenbart jede Berufung die tiefe Dynamik der dreifaltigen Gemeinschaft,
das Wirken des Vaters, des Sohnes und des Geistes als ein Ereignis, das
zu neugestalteten Kreaturen in Christus macht. Jede
Berufung ist also Zeichen, ist eine besondere Art, das Antlitz
Christi zu zeigen. »Die Liebe Christi drängt uns« (2 Kor 5,14).
Jesus wird so zum Beweger und entscheidenden Vorbild jeder Antwort auf
die Anrufe Gottes. In Beziehung zur Kirche ist jede Berufung ein
Geheimnis, das in der Freiheit des Geschenks seine Wurzel hat. Ein
Ruf Gottes ist ein Geschenk für die Gemeinschaft, zum allgemeinen
Nutzen, in der Dynamik der vielen Dienste. Dies ist möglich in
Fügsamkeit gegenüber dem Geist, der die Kirche wie eine »Gemeinschaft
von Gaben«(42) sein läßt, und im Herzen des Christen die Agape
hervorbringt; dies nicht nur als eine Ethik der Liebe, sondern auch als
eine tiefgehende Struktur der Person, die gerufen und fähig gemacht ist,
in einer Haltung der Dienstbereitschaft und in der Freiheit des Geistes
in Beziehung mit anderen zu leben. Jede Berufung ist schließlich
in Beziehung zur Welt eine Sendung. Sie ist in Fülle gelebtes
Leben, da sie für andere gelebt wird wie das Leben Jesu und deshalb auch
Leben stiftet: »das Leben bringt Leben hervor«.(43) Hier gründet also
die innerste Teilhabe jeder Berufung am Apostolat und an der Sendung der
Kirche, die Keimzelle des Reiches ist. Berufung und Sendung sind zwei
Seiten derselben Medaille. Sie beschreiben die Gabe und den Beitrag
eines jeden zum Plan Gottes, nach dem Bild und Gleichnis Jesu. d)
Die Kirche, Mutter der Berufe Die Kirche ist die Mutter der
Berufe, denn sie bringt sie aus ihrem Inneren hervor, in der Kraft des
Geistes, sie schützt sie, nährt sie und unterhält sie. Sie ist besonders
deshalb Mutter, weil sie eine wertvolle Funktion als Mittlerin und
Erzieherin ausübt. »Von Gott gerufen und als eine Gemeinschaft
von Berufenen in der Welt erbaut, ist die Kirche ihrerseits Werkzeug des
Rufes Gottes. Die Kirche ist lebendiger Anruf aus dem Willen des Vaters,
durch die Verdienste des Herrn Jesus, durch die Kraft des Heiligen
Geistes (...). Die Gemeinschaft, die sich ihrer Berufung bewußt wird,
wird sich gleichzeitig dessen bewußt, daß auch sie selbst ununterbrochen
berufen mub«.(44) Über den Weg dieser Berufung und in ihren
verschiedenen Formen ergeht auch der Anruf Gottes. Diese
vermittelnde Aufgabe übt die Kirche aus, wenn sie jedem Gläubigen hilft
und ihn anregt, sich der empfangenen Gabe und der Verantwortung, die sie
beinhaltet, bewußt zu werden. Sie übt sie weiter aus, wenn sie
sich zur kompetenten Deuterin des ausdrücklichen Anufs zu einer Berufung
macht, und sie selbst beruft, indem sie die Erfordernisse, die mit ihrer
Sendung und mit den Bedürfnissen des Gottesvolkes verbunden sind,
darlegt und zu einer hochherzigen Antwort einlädt. Sie übt sie
außerdem aus, wenn sie vom Vater die Gabe des Geistes erbittet, der die
Zustimmung in den Herzen der Gerufenen bewirkt. Sie übt sie aus, wenn
sie einen Berufenen aufnimmt und in ihm den Ruf selbst vernimmt. Sie übt
sie aus, wenn sie einem Berufenen ausdrücklich mit fürsorglichem
Vertrauen eine konkrete und nie einfache Sendung unter den Menschen
überträgt. Wir könnten noch anfügen, daß die Kirche ihre Mütterlichkeit
auch dann zeigt, wenn sie, außer zu berufen und die Eignung der
Gerufenen zu prüfen, dafür Sorge trägt, daß diese eine angemessene
einführende und beständige Ausbildung erhalten und auf dem langen Weg
ihrer immer treueren und radikaleren Antwort tatsächlich begleitet
werden. Die Mütterlichkeit der Kirche kann sich selbstverständlich nicht
erschöpfen in der Zeit der ersten Berufung. Auch kann eine Gemeinde von
Gläubigen sich nicht mütterlich nennen, wenn sie nur »wartet« und die
Verantwortung für eine Berufung ausschließlich dem Wirken Gottes
überläßt, als ob sie sich davor fürchte, selbst zu rufen; oder eine
Gemeinschaft, die es als gegeben betrachtet, daß die Jugendlichen schon
von selbst ihre Berufung wahrnehmen werden; oder eine, die keine
Möglichkeiten anbietet, die auf Angebot oder Annahme einer Berufung
abzielen. Die Berufskrise der Berufenen ist heute auch eine
Krise der Rufenden, die sich manchmal bedeckt halten und keinen Mut
zeigen. Wenn keiner da ist, der ruft, wie kann man da eine Antwort
erwarten? Die ökumenische Dimension 20. Das
heutige Europa braucht neue Heilige und neue Berufe, Glaubende, die
fähig sind, »Brücken zu schlagen«, um die Kirchen immer mehr
untereinander zu verbinden. Dies ist eine typische Neuheit, dies ist ein
Zeichen der Zeit in der Berufspastoral des ausgehenden Jahrtausends. In
einem Kontinent, der von einem tiefgehenden Willen nach Einheit geprägt
ist, müssen die Kirchen als erste das Beispiel einer Geschwisterlichkeit
geben, die stärker ist als jede Trennung und die doch immer gebaut und
wiedererbaut werden muß. »Die Berufspastoral in Europa muß heute eine
ökumenische Dimension aufweisen. Alle Berufungen in jeder Kirche Europas
sind gehalten, an der Schwelle zum Dritten Jahrtausend die große
Herausforderung der Evangelisierung aufzugreifen und gemeinsam ein
Zeugnis von Gemeinschaft und Glaube in Christus, dem einzigen Heiland
der Welt, abzulegen«.(45) Ein solcher Geist kirchlicher Einheit
fördert das Teilen jener Gaben, die der Geist Gottes überall ausgesät
hat, und fördert die gegenseitige Hilfe unter den Kirchen.
Die Katholischen Kirchen des Ostens 21. Eine größere
Aufmerksamkeit seitens der Kirchen Westeuropas muß den geistlichen
Ausbildungbemühungen der Katholischen Kirchen des Ostens geschenkt
werden; dies kann nur einen positiven Einfluß auf die Berufspastoral
aller Kirchen ausüben. Besondere Bedeutung kommt der heiligen
Liturgie zu in ihrer Hinordnung auf die Ausbildung der Berufe für die
Kirchen des Ostens. Die Liturgie ist der Ort, wo das Geheimnis des Heils
verkündet und angebetet wird, wo Gemeinschaft wächst und unter den
Gläubigen Brüderlichkeit gebaut wird. Dies alles in solchem Maße, daß
sie zur wahren Gestalterin des christlichen Lebens wird, bis zur
vollkommenen Übereinstimmung von dessen verschiedenen Bereichen. In der
Liturgie fällt das frohe Bekenntnis der Zugehörigkeit zur Tradition der
Kirchen des Ostens zusammen mit der völligen Einheit mit der Kirche von
Rom. Man kann nicht Berufe zum Priestertum wecken und zum
monastischen Leben, wenn man nicht zu den Quellen der
Ursprungstraditionen zurückkehrt, in Übereinstimmung mit den heiligen
Vätern und mit deren tiefem Sinn für die Kirche. Dieser weitgespannte
Prozeß braucht seine Zeit, er verlangt Geduld und Respekt vor dem Gefühl
der Gläubigen und fordert außerdem auch Entschlossenheit. Darum
sind die Bischöfe, die Ordensobern und die Pastoralarbeiter der
Katholischen Kirchen Ost-Europas eingeladen zu erkennen, wie dringlich
es für alle ihre Kirchen ist, das ganze liturgische Erbe, das auf
einzigartige Weise zum Entstehen und zur Entfaltung der Theologie und
der Katechese beiträgt, wiederzugewinnen und unversehrt zu bewahren.
Nach dem Beispiel der mystagogischen Methode der Väter öffnet dies für
die Erfahrung der Berufung und des geistlichen Lebens und läßt eine
sichere und starke ökumenischen Gesinnung heranreifen.(46) In den
verschiedenen kirchlichen Erfahrungen, sowie durch Studien, die das
geschichtliche, theologische, juridische und geistliche Erbe der eigenen
Kirche behandeln, können die östlichen Jugendlichen leicht erzieherische
Umfelder finden, die sich dazu eignen, den universalen Sinn ihrer
Hingabe an Christus und an die Kirche reifen zu lassen. Es ist
Aufgabe der Bischöfe, durch Aufwertung des Charismas der
Mönchsgemeinschaften, denen es an Ausbildern und geistlichen Leitern
nicht mangelt, jene Jugendlichen, die einzeln oder in Gruppen bitten,
sich dem monastischen Leben weihen zu dürfen, zu fördern, wohlwollend
auf sie zuzugehen und sie mit väterlicher Sorge zu begleiten.
Das Weiheamt und die Berufungen in gegenseitiger communio
22. »In vielen Teilkirchen muß die Berufspastoral noch Klarheit schaffen
bezüglich der Beziehungen von Weiheamt, Berufung zu einer besonderen
Lebensweihe und allen übrigen Berufungen. Die ganzheitliche
Berufspastoral gründet auf dem Berufungscharakter der Kirche und jeden
menschlichen Lebens als Anruf und Antwort. Dies steht am Anfang der
gesamten Bemühungen der ganzen Kirche für alle Formen von Berufung, vor
allem für die Berufung zu einer besonderen Lebensweihe«.(47) a)
Der Dienst des Weiheamtes Innerhalb dieser allgemeinen
Sensibilität muß heute wohl eine besondere Aufmerksamkeit auf den Dienst
des Weiheamtes gerichtet werden, in welchem sich die erste besondere
Form der Verkündigung des Evangeliums darstellt. Es stellt die
»fortdauernde Gewähr der sakramentalen Gegenwart Christi, des Erlösers,
in den verschiedenen Zeiten und Orten dar«,(48) und es bringt gerade die
unmittelbare Abhängigkeit der Kirche von Christus zum Ausdruck, der
fortfährt, seinen Geist auszusenden, damit sie sich nicht in sich selbst
abkapsele, in ihrem Abendmahlsaal, sondern durch die Straßen der Welt
ziehe und die Frohbotschaft verkünde. Diese Ausprägung der
Berufung läßt sich nach den drei Graden beschreiben: bischöflich
(womit die Garantie der apostolischen Sukzession verbunden ist),
priesterlich (was die »sakramentale Darstellung Christi, des
Hirten«,(49) beinhaltet), und diakonal (sakramentales Zeichen des
dienenden Christus).(50) Den Bischöfen ist der Dienst der Berufung jenen
gegenüber anvertraut, die die heiligen Weihen anstreben, um ihre
Mitarbeiter im apostolischen Dienst zu werden. Das Weiheamt läßt
die Kirche vor allem durch die Feier der Eucharistie »culmen et
fons«(51) des christlichen Lebens und jener Gemeinschaft sein, die zur
Feier der Memoria des Auferstandenen berufen ist. Jede andere Berufung
entsteht innerhalb der Kirche und ist ein Teil ihres Lebens. Darum kommt
dem Weiheamt der Dienst der Einheit in der Gemeinschaft zu, und kraft
dieses Dienstes hat es die unverzichtbare Aufgabe, eine jede Berufung
zu fördern. Das bedeutet in der pastoralen Praxis: das
Weiheamt steht im Dienst an allen Berufungen, und alle Berufungen stehen
im Dienst des Weiheamtes, in der Gegenseitigkeit der communio. Der
Bischof also ist mit seinem Presbyterium gerufen, sämtliche Gaben des
Geistes zu unterscheiden und zu fördern. Die Sorge um das Seminar jedoch
muß ganz besonders ein Anliegen der ganzen diözesanen Kirche werden, um
die Ausbildung von künftigen Priestern und die Bildung eucharistischer
Gemeinden als vollen Ausdruck christlicher Erfahrung sicherzustellen.
b) Die Aufmerksamkeit für alle Berufungen Die Suche und
die Sorge der christlichen Gemeinschaft richtet sich auf alle Formen der
Berufung, sei es auf jene aus der Tradition der Kirche, sei es auf die
neuen Gaben des Geistes: die Ordensweihe im monastischen Leben und im
apostolischen Leben, die Berufung als Laie, das Charisma der
Säkularinstitute, die Gesellschaften apostolischen Lebens, die Berufung
zur Ehe, die verschiedenen laikalen Formen der Vereinigungen, die sich
Ordensinstituten angeschlossen haben, die missionarischen Berufe, die
neuen Formen des geweihten Lebens. Diese verschiedenen Gaben des
Geistes sind auf unterschiedliche Weise in den Kirchen Europas präsent;
doch alle diese Kirchen sind auf jeden Fall gerufen, Zeugnis für die
Aufnahme und Pflege einer jeden Berufung zu geben. Eine Kirche ist um so
lebendiger, je reicher und bunter in ihr die verschiedenen Berufungen
zum Ausdruck kommen. In einer Zeit wie der unsrigen, die der
Prophetie bedarf, ist es klug, jene Berufungen zu bevorzugen, die ein
besonderes Zeichen dessen sind, »was wir sein werden, und was uns noch
nicht offenbar gemacht ist« (1 Joh 3,2), wie die Berufung zu
einer besonderen Weihe; doch ist es ebenso klug und unverzichtbar,
den prophetischen Charakter, der für jede christliche Berufung
bezeichnend ist, zu fördern, eingeschlossen die Berufung als Laie,
damit die Kirche vor der Welt immer mehr ein Zeichen der künftigen Dinge
sei, jenes Reiches, das »jetzt schon ist, und doch noch nicht« ist.
Maria, Mutter und Vorbild jeder Berufung 23. Es gibt ein
Geschöpf, in dem sich der Dialog zwischen der Freiheit Gottes und der
Freiheit des Menschen auf so vollkommene Weise ereignet, daß die beiden
Freiheiten in eine Wechselbeziehung eintreten und dabei vollkommen das
Ziel der Berufung verwirklichen können; es gibt ein Geschöpf, das uns
geschenkt wurde, damit wir in ihm ein vollkommenes Ideal der Berufung
betrachten können, ein Ideal, das sich in jedem von uns erfüllen sollte.
Maria ist das gelungene Abbild dessen, wie Gott sich seine Kreatur
erträumt hat! Sie ist wirklich Kreatur, wie wir, ein Teilchen, in das
Gott die Fülle seiner göttliche Liebe eingießen konnte; sie ist
Hoffnung, die uns gegeben ist, damit auch wir im Blick auf sie das Wort
in uns aufnehmen, damit es sich in uns erfülle. Maria ist die
Frau, in der die heiligste Dreifaltigkeit vollkommen ihre Freiheit
der Wahl zeigen kann. Der hl. Bernhard sagt, wenn er die Botschaft
des Engels Gabriel während der Verkündigung kommentiert: »Dies ist keine
Jungfrau, die zufällig im letzten Moment gefunden wurde, sondern sie
wurde vor der Zeit erwählt; der Höchste hat sie vorherbestimmt und sie
für sich vorbereitet«.(52) Und der hl. Augustinus antwortet darauf:
»Schon bevor das Wort aus der Jungfrau geboren wurde, hatte Er sie sich
zur Mutter bestimmt«.(53) Maria ist das Bild der göttlichen
Erwählung jeder Kreatur; einer Erwählung, die von Ewigkeit her und
absolut frei, geheimnisvoll und voller Liebe ist; einer Erwählung, die
stets über das hinausgreift, was die Kreatur von sich denken kann; einer
Erwählung, die das Unmögliche verlangt und nur eines fordert: den Mut
zum Vertrauen. Doch ist die Jungfrau Maria auch das Vorbild der
menschlichen Freiheit in der Antwort auf diese Erwählung. Sie ist
das Zeichen für das, was Gott möglich ist, wenn er eine Kreatur findet,
die frei ist, sein Angebot anzunehmen; die frei ist, ihr »Ja« zu sagen,
frei ist, sich auf die Pilgerfahrt des Glaubens einzulassen, die auch
die Pilgerfahrt ihrer Berufung als Frau bedeutet, die zur Mutter des
Heilandes und zur Mutter der Kirche berufen ist. Diese lange Pilgerfahrt
vollendet sich am Fuß des Kreuzes, durch ein noch geheimnisvolleres und
schmerzlicheres »Ja«, das sie voll zur Mutter macht; und dann noch im
Abendmahlsaal, wo sie bis heute, zusammen mit dem Geist, die Kirche und
jede Berufung hervorbringt. Maria ist schließlich das vollkommen
verwirklichte Bild der Frau, vollkommene Synthese der
Weiblichkeit und der Phantasie des Geistes, der in ihr die Braut findet
und erwählt, die jungfräuliche Mutter Gottes und des Menschen, die
Tochter des Höchsten und Mutter aller Lebenden. In ihr findet jede Frau
ihre Berufung als Jungfrau, Braut und Mutter!
DRITTER TEIL PASTORAL DER GEISTLICHEN BERUFE
»... Jeder hörte sie in seiner Sprache reden«
(Apg 2,6) Die konkrete Ausrichtung der Berufspastoral
läßt sich nicht nur von einer korrekten Theologie der Berufung ableiten,
sondern beinhaltet auch einige praktische Grundsätze, in denen die
Ausrichtung auf die Berufung gleichsam die Seele und das einigende Motiv
der ganzen Pastoral darstellt. Es werden dann die
Glaubenswege und die konkreten Orte aufgezeigt, in denen die Einladung
zur Berufung tägliche Aufgabe jedes Hirten und Erziehers sein muß.
Die Analyse der bestehenden Verhältnisse steckte im ersten Teil den
Rahmen der aktuellen Wirklichkeit der Berufe in Europa ab; der zweite
Teil dagegen bot eine theologische Betrachtung über die Bedeutung und
über das Geheimnis der Berufung, ausgehend von der Wirklichkeit der
Dreifaltigkeit bis zum Verständnis von deren Bedeutung für das Leben der
Kirche. Genau diesen zweiten Aspekt möchten wir nun vertiefen,
besonders vom Blickpunkt seiner pastoralen Umsetzung aus. In der
Audienz für die Teilnehmer des Kongresses sagte Papst Johannes Paul II.:
»Die geänderten geschichtlichen und kulturellen Bedingungen fordern, daß
die Berufspastoral sich selbst als eines der vorrangigen Ziele der
gesamten christlichen Gemeinschaft versteht«.(54) Das
Leitbild der Urkirche 24. Die geschichtlichen
Verhältnisse mögen sich ändern, unverändert jedoch bleibt der
Bezugspunkt im Leben des Gläubigen und der glaubenden Gemeinschaft,
jener Bezugspunkt, den das Wort Gottes darstellt, besonders dort, wo die
Geschichte der Kirche ihren Ursprung hat. Diese Geschichte und die Art,
wie die Urkirche sie durchlebt hat, stellen für uns das exemplum
dar, den Modellfall des Kirche-seins. Dies gilt auch für den Bereich der
Berufspastoral. Wir sammeln hier nur einige wesentliche Elemente, die
besonders exemplarisch sind, so, wie sie uns in der Apostelgeschichte
begegnen, im Augenblick, da die Urkirche zahlenmäßig sehr gering und
schwach war. Die Berufspastoral ist so alt wie die Kirche; sie entstand
damals gemeinsam mit ihr, inmitten jener Armut, in welcher so unvermutet
der Geist Wohnung nahm. An den Anfängen dieser einzigartigen
Geschichte, die dann zu unserer eigenen Geschichte wurde, steht die
Verheißung des Heiligen Geistes, versprochen von Jesus, bevor er zum
Vater heimging. »Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren,
die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat. Aber ihr werdet die Kraft
des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch herabkommen wird, und ihr
werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und
bis an die Grenzen der Erde« (Apg 1,7-8). Die Apostel waren im
Abendmahlsaal beisammen, »sie verharrten dort einmütig im Gebet,
... mit Maria, der Mutter Jesu« (Apg 1,14), und sofort gingen sie
daran, den frei gewordenen Platz des Judas mit einem anderen zu
besetzen, den sie aus denen auswählten, die von Anfang an mit Jesus
waren: damit er »gemeinsam mit uns Zeuge seiner Auferstehung« (Apg
1,22) sei. Und die Verheißung erfüllt sich: der Geist kommt herab, unter
Getöse, er erfüllt das Haus und das Leben jener, die zuvor noch
verängstigt und eingeschüchtert waren, wie ein Donner, ein Wind, ein
Feuer... »Und sie begannen, in fremden Sprachen zu reden..., und
jeder hörte sie in seiner Sprache reden« (Apg 2,4-6). Und
Petrus hielt jene Rede, in der er die Geschichte des Heils erzählte, »er
trat auf ... und erhob seine Stimme« (Apg 2,14) zu einer Rede,
die »mitten ins Herz trifft« und die Hörer zur entscheidenden Frage
ihres Lebens führt: »Was sollen wir tun?« (Apg 2,37). An
dieser Stelle beschreibt die Apostelgeschichte das Leben der ersten
Gemeinde, die sich durch einige wesentliche Eigenschaften auszeichnet
wie: Beharrlichkeit im Hören auf die Lehre der Apostel, geschwisterliche
Gemeinschaft, Brotbrechen, Gebet, Teilen des Besitzes, gleichzeitig aber
auch die Empfindungen des Gemüts und die Gaben des Geistes (vgl. Apg
2,42-48). Inzwischen wirken Petrus und die Apostel weiter im
Namen Jesu Wunder und verkünden das Kerygma des Heils, wobei sie
regelmäßig ihr Leben aufs Spiel setzen, doch stets von der Gemeinschaft
gestützt werden, deren gläubige Mitglieder »ein Herz und eine Seele«
sind (Apg 4,32). In ihr wachsen zudem auch die
unterschiedlichsten Bedürfnisse, und so werden die Diakone eingesetzt,
um auch diesen materiellen Nöten der Gemeinschaft abzuhelfen, besonders
der Schwächsten in ihr (vgl. Apg 6,1-7). Ein starkes und
mutiges Zeugnis muß zwangsläufig den Widerspruch der Autoritäten
wachrufen, und so finden wir bald den ersten Märtyrer, Stephanus,
um zu unterstreichen, daß die Sache des Evangeliums den ganzen Menschen
erfaßt, auch dessen Leben (vgl. Apg 6,8-7; 7). Das Todesurteil
des Stephanus findet sogar die Zustimmung des Saulus, jenes
Christenverfolgers, der wenig später von Gott erwählt wird, das bisher
verborgene, nun aber geoffenbarte Geheimnis den Heiden zu verkünden.
Und die Geschichte geht ihren Lauf und wird immer mehr zu einer heiligen
Geschichte: Geschichte Gottes, der Menschen erwählt und auch auf ganz
überraschende Weise zum Heil beruft, und Geschichte der Menschen, die
sich von Gott rufen und erwählen lassen. Für uns mögen diese
Punkte genügen, um in der Urgemeinde die Grundzüge der Pastoral einer
Kirche zu erkennen, die ganz auf die Berufung ausgerichtet ist: im
Bereich der Methode und der Inhalte, im Bereich der Grundprinzipien, der
zu beschreitenden Wege und der besonderen Strategien zur Durchführung.
Theologische Aspekte der Berufungspastoral 25. Doch
welche Theologie begründet, inspiriert und motiviert die Berufspastoral
als solche? Die Antwort ist in unserem Zusammenhang wichtig, weil
sie Bindeglied zwischen der Theologie der Berufung und der mit dieser
übereinstimmenden pastoralen Praxis ist, die aus dieser Theologie
entspringt und zu ihr zurückkehrt. Was diese Frage anbetrifft, so wollte
der Kongreb weitere Überlegungen und Studien anregen mit dem Ziel, jene
Motive herauszufinden, die Personen und Gemeinschaften zutiefst an die
Arbeit für die Berufe binden, und um den Zusammenhang von Theologie der
Berufung, Theologie der Berufspastoral und pädagogisch-pastoralem Wirken
deutlicher aufzuzeigen. »Die Pastoral der Berufe entsteht im
Geheimnis der Kirche und stellt sich in deren Dienst«.(55) Das
theologische Fundament der Berufspastoral »kann nur aus der Sicht der
Kirche als mysterium vocationis entspringen«.(56) Johannes
Paul II. erinnert deutlich daran, daß die Dimension der Berufung der
Pastoral der Kirche wesensgemäß ist«, d.h. ihrem Leben und ihrer
Sendung entspricht.(57) Die Berufung beschreibt also gewissermaben das
tiefe Sein der Kirche noch mehr als deren Wirken. Im Namen »Ecclesia«
selbst ist ihr berufungsbezogener Charakter festgehalten, denn sie ist
tatsächlich Versammlung von Berufenen.(58) Mit Recht sagt also
das Instrumentum laboris des Kongresses, daß »die ganzheitliche
Berufspastoral im Berufungscharakter der Kirche gründet«.(59)
Folglich ist die Pastoral der geistlichen Berufe von Natur aus ein
Handeln, das auf die Verkündigung Christi ausgerichtet ist und auf die
Evangelisierung der Gläubigen in Christus. Hier haben wir also die
Antwort auf unsere Frage: eben in der Berufung der Kirche zur
Weitergabe des Glaubens ist die Theologie der Berufungspastoral
begründet. Dies betrifft die universale Kirche, gilt aber besonders
für jede christliche Gemeinschaft,(60) vor allem im gegenwärtigen
geschichtlichen Zeitpunkt des alten Kontinents. »Für diese hohe Sendung,
eine neue Zeit der Evangelisierung in Europa einzuleiten, bedarf es
heute besonders gut vorbereiteter Evangelisatoren«.(61)
Diesbezüglich darf an einige Fixpunkte erinnert werden, auf die vom
derzeitigen päpstlichen Magisterium hingewiesen wird, damit sie
Ausgangspunkte werden für die pastorale Praxis der Teilkirchen.
a) Nachdem einmal die berufungsorientierte Dimension der Kirche
erkannt ist, wird verständlich, daß die Berufungspastoral kein
zusätzliches, zweitrangiges Element ist, das nur die Rekrutierung von
Pastoralarbeitern beabsichtigt, und auch kein isolierter Teilbereich,
bedingt durch eine besondere kirchliche Notlage, sondern vielmehr ein
Tun, das mit dem Sein der Kirche verbunden und darum auch
zutiefst in die allgemeine Pastoral jeder Ortskirche einbezogen
ist.(62) b) Jede christliche Berufung kommt von Gott,
doch ergeht sie an die Kirche und wird durch diese weitervermittelt. Die
Kirche (»ecclesia«), die ihrem Wesen nach Berufung ist, ist
gleichzeitig auch Erzeugerin und Erzieherin von Berufungen.(63)
Folglich »ist das handelnde Subjekt, der Hauptakteur der
Berufungspastoral, die kirchliche Gemeinschaft als solche in ihren
verschiedenen Ausdrucksformen: von der Universalkirche bis zur
Teilkirche und, analog, von dieser bis zur Pfarrei und zu allen Gliedern
des Gottesvolkes«.(64) c) Ohne Ausnahme haben alle
Glieder der Kirche die Gnade und die Verantwortung für die Sorge um
geistliche Berufe. Dies ist eine Verpflichtung, die zur lebendigen
Dynamik im Entwicklungsprozeß der Kirche gehört. Nur aufgrund dieser
Überzeugung wird die Berufungspastoral ihren wirklich ekklesialen
Charakter zeigen und ein abgestimmtes Handeln entwickeln können. Sie
wird sich dabei auch besonderer Organismen und geeigneter Hilfen der
gemeinsamen Mitverantwortung bedienen.(65) d) Die
Teilkirche entdeckt ihre eigene, seinsmäßige und irdische Dimension in
der Berufung all ihrer Mitglieder zum Zeugnis, zur Sendung, zum Dienst
an Gott und den Brüdern... Deshalb wird sie die Verschiedenheit der
Gnadengaben und der Dienste, also die verschiedenen Berufungen, die
alle Offenbarungen des einen Geistes sind, achten und fördern.
e) Angelpunkt der gesamten Berufungspastoral ist das Gebet, das
der Heiland aufgetragen hat (Mt 9,38). Es verpflichtet nicht
nur den einzelnen, sondern alle kirchlichen Gemeinschaften.(66) »Wir
müssen inständig zum Herrn der Ernte beten, damit er Arbeiter in seine
Kirche sende, um sie für die dringenden Erfordernisse der
Neu-Evangelisierung bereit zu machen«.(67) Ein echtes Beten um
geistliche Berufe verdient diesen Namen jedoch nur und wird nur wirksam,
wenn es Übereinstimmung mit dem Leben des Betenden hervorbringt,
besonders wenn es sich bei der übrigen gläubigen Gemeinschaft mit der
ausdrücklichen Verkündigung und einer geeigneten Katechese verbindet, um
in den zum Priestertum und zum geweihten Leben Berufenen, wie auch in
jeder anderen christlichen Berufung jene freie, bereitwillige und
hochherzige Antwort zu fördern, die der Gnade der Berufung Wirksamkeit
verleiht.(68) Allgemeine Prinzipien der Berufungspastoral
26. Von mehreren Seiten wird die Notwendigkeit festgestellt, der
Pastoral eine eindeutig berufungsbezogene Prägung zu geben. Um dieses
programmatische Ziel zu erreichen, zeichnen sich einige
theoretisch-praktische Prinzipien ab, die wir der Pastoraltheologie
entnehmen, besonders deren »Fixpunkten«. Wir konzentrieren diese
Prinzipien auf einige thematische Aussagen. a) Die
Berufungspastoral ist die ursprüngliche Leitidee der allgemeinen
Pastoral Das Instrumentum laboris des Kongresses über
die Berufungen sagt ausdrücklich: »Die gesamte Pastoral und besonders
die Jugendpastoral ist von ihrem Ursprung her berufungsorientiert«;(69)
mit anderen Worten: wer Berufung sagt, der meint die konstitutive und
wesentliche Dimension der ordentlichen Pastoral selbst, denn die
Pastoral ist von Anfang an, von Natur aus, auf die Erkennung der
Berufung ausgerichtet. Es ist dies ein Dienst, der jeder Person
angeboten wird, damit sie ihren Weg zur Verwirklichung eines
Lebensplanes finde, wie Gott ihn will, je nach den Bedürfnissen der
Kirche und der heutigen Welt.(70) Dies wurde bereits im Jahre
1994 auf dem lateinamerikanischen Kongreß über die Berufungen
festgestellt. Doch die Sicht weitet sich: Berufung meint nicht
nur die Gestaltung eines Lebensentwurfs, sondern auch alle übrigen
Anrufe Gottes während des Lebens sind Berufung, freilich immer bezogen
auf einen grundlegenden Lebensplan. Die echte Berufungspastoral macht
den Gläubigen wachsam und aufmerksam für die vielen Anrufe Gottes und
macht ihn bereit, dessen Stimme zu vernehmen und Ihm zu antworten.
Es ist gerade die Treue zu dieser Art von täglichem Angerufensein,
welche den Jugendlichen von heute befähigt, »die Berufung« seines Lebens
zu erkennen und anzunehmen, und die den Erwachsenen von morgen befähigt,
ihr nicht nur treu zu sein, sondern ihre Frische und Schönheit immer
mehr zu entdecken. Eine jede Berufung ist tatsächlich eine Berufung »in
der Morgenstunde«, ist die Antwort eines jeden Morgens auf einen täglich
neuen Anruf. Darum wird die Pastoral durch und durch hellhörig
sein für die Berufung, um sie in jedem Gläubigen zu entdecken; sie wird
dabei vom ausdrücklichen Vorsatz ausgehen, den Gläubigen mit dem Plan
Gottes zu konfrontieren; sie wird im Betroffenen Übernahme von
Verantwortung gegenüber der empfangenen Gabe oder dem vernommenen Wort
Gottes wecken; sie wird letztlich sich bemühen, den Glaubenden dazu zu
führen, sich von diesem Gott in Pflicht nehmen zu lassen.(71) b)
Die Berufung der Pastoral heute ist die Berufungspastoral In
diesem Sinne kann man gut sagen, daß die gesamte Pastoral
»berufungsorientiert« werden muß, oder daß dafür zu sorgen ist, daß jede
Äußerung der Pastoral klar und eindeutig einen Plan oder eine Gabe
Gottes an einen Menschen zum Ausdruck bringt und in dieser Person den
Willen zur Antwort und zum persönlichen Engagement weckt. Entweder führt
die christliche Pastoral zu dieser Gegenüberstellung vor Gott mit allem,
was dies mit sich bringt an Spannungen, Kämpfen, an gelegentlicher
Flucht oder Verweigerung, aber auch an Friede und Freude, die mit der
Annahme der Gabe verbunden sind, — oder sie verdient diesen Namen nicht.
Heute zeigt sich dies ganz besonders, so daß man geradezu behaupten
kann, daß die Berufspastoral die Berufung der Pastoral ist: sie ist wohl
deren erstes Ziel und ist wie eine Herausforderung der Kirchen Europas.
Die Berufung ist der Ernstfall der heutigen Pastoral. Wenn
jedoch die Pastoral im allgemeinen »Ruf« ist und Erwartung, dann muß sie
heute angesichts dieser Herausforderung mutiger und freimütiger werden,
unmittelbarer in die Mitte und ins Herz der einladenden Botschaft
vorstoßen, direkter auf die Person bezogen sein und weniger auf die
Gruppe; sie muß verstärkt ein konkretes Betroffensein auslösen und darf
weniger allgemeine Hinweise auf einen abstrakten, lebensfremden Glauben
geben. Womöglich muß sie auch eher provozieren, als trösten; auf
jeden Fall sollte sie fähig sein, den dramatischen Sinn des
Menschenlebens zu vermitteln, das dazu bestimmt ist, etwas zu
vollbringen, was kein anderer statt seiner vollbringen kann. In
der Schriftstelle, die wir zitiert haben, wird diese Wachheit und
Spannung evident: in der Wahl des Matthias; in der mutigen Rede des
Petrus an die Menge (»er trat auf ... und erhob seine Stimme«); in der
Art und Weise, wie die christliche Botschaft verkündet und angenommen
wurde (»sie fühlten sich ins Herz getroffen«). Besonders deutlich
wird dies auch durch ihre Fähigkeit, das Leben jener zu verändern, denen
sie eigen ist, wie aus den Bekehrungen und aus dem Lebensstil der
Gemeinschaft der Apostelgeschichte ersichtlich ist. c) Die
Berufungspastoral geschieht stufenweise und ganzheitlich Wir
haben indirekt bereits gesehen, daß sich im Verlauf eines Menschenlebens
vielerlei Formen von Anrufen ereignen: vor allem zum Leben, dann zur
Liebe, zur Verantwortlichkeit für die Gaben, zum Glauben, zur Nachfolge
Jesu, zum besonderen Zeugnis des eigenen Glaubens, zur Vater- oder
Mutterschaft, zu einem besonderen Dienst für die Kirche oder für die
Gesellschaft. Wer sich in erster Linie jenen reichen,
vielfältigen Schatz menschlicher und christlicher Werte und Sinngehalte
vor Augen hält, in denen der Sinn für die Berufung des Lebens und der
Menschen gründet, der animiert bereits für eine Berufung. Diese Werte
machen es möglich, das Leben selbst für die vielfachen Möglichkeiten
einer Berufung zu öffnen, die dann in die eine, persönliche und
endgültige Berufung einmünden. Mit anderen Worten: für eine
korrekte Berufspastoral ist es unerläßlich, eine gewisse Stufung zu
beachten und ausgehend von den fundamentalen und universalen Werten (das
höchste Gut des Lebens) und von jenen Wahrheiten, die für alle gleich
sind (das Leben ist ein empfangenes Gut und will von Natur aus ein Gut
sein, das weitergeschenkt wird), zu einer zunehmend persönlicheren und
konkreteren, gläubigen und geoffenbarten Klärung der Berufung zu
gelangen. Auf der rein pädagogischen Ebene ist es zunächst
wichtig, zum Sinn des Lebens und zur Dankbarkeit dafür zu
erziehen, um dann jenes grundlegende Bewußtsein der Verantwortung
gegenüber der Existenz zu vermitteln. Dieses verlangt von sich heraus
nach einer konsequenten Antwort seitens des einzelnen im Sinne der
selbstlosen Hingabe. Von hier aus gelangt man zur Transzendenz
Gottes, des Schöpfers und Vaters. Nur an dieser Stelle ist eine
so starke und radikale Einladung (die christliche Berufung hat immer so
zu sein) möglich und überzeugend, wie die Hingabe an Gott in einem
priesterlichen oder geweihten Leben sie darstellt. d) Die
Berufungspastoral ist allgemein und spezifisch Die
Berufungspastoral geht notwendigerweise von einem weiten Begriff der
Berufung aus (und ist demzufolge auch Anruf an alle), um sich dann
einzugrenzen und zu verdeutlichen, je nach der Berufung des einzelnen.
In solchem Sinn ist die Berufspastoral zunächst allgemein, dann
spezifisch. Sie ist dies innerhalb einer Stufenordnung, die man
vernünftigerweise nicht umkehrt und die gewöhnlich von einer verfrühten
Einladung, die ohne jede schrittweise Katechese zu einer speziellen
Berufungsform hinführt, abrät. Andererseits und immer kraft
dieser Ordnung beschränkt sich die Berufspastoral nicht auf eine
allgemeine Betonung des Sinns der Existenz, sondern sie drängt auf ein
persönliches Betroffenseins innerhalb einer ganz bestimmten Lebenswahl.
Es besteht kein Zwiespalt und noch weniger ein Gegensatz zwischen einem
Anruf, der die gemeinsamen und die Existenz begründenden Werte
herausstellt, und einem Anruf in den Dienst des Herrn »nach dem Maß der
empfangenen Gnade«. Der Animator einer Berufung wie auch jeder
Erzieher im Glauben darf sich nicht scheuen, mutige und vorbehaltslose
Entscheidungen vorzuschlagen, selbst wenn sie schwierig und zeitfremd zu
sein scheinen. Darum gilt: wenn jeder Erzieher auch Berufsanimator
ist, dann ist jeder Berufsanimator auch Erzieher, und zwar Erzieher
zu jeder Berufung, unter Berücksichtigung des jeweiligen Charismas. Jede
Berufung ist an die andere gebunden, ja setzt diese voraus und regt sie
an, während alle zusammen auf die gleiche Quelle verweisen und auf
dasselbe Ziel: die Heilsgeschichte. Aber jede Berufung hat ihre eigene
Weise. Der echte Erzieher zur Berufung zeigt nicht nur die
Unterschiede zwischen der einen oder anderen Berufung auf unter
Berücksichtigung der verschiedenen Neigungen in den einzelnen Berufenen,
sondern er läßt jene »höchsten Möglichkeiten«, d.h. der Radikalität und
Selbsthingabe durchscheinen, die für jede Berufung offen stehen und ihr
innewohnen. In ganzer Tiefe auf die Werte des Lebens hin zu
erziehen bedeutet beispielsweise, einen Weg vorzuschlagen (und zu
lernen, ihn vorzuschlagen), der auf ganz natürliche Weise in die
Nachfolge Christi einmündet und zu jener Wahl der Nachfolge gelangen
kann, die typisch ist für den Apostel, den Priester oder die
Ordensperson, den Mönch, der die Welt verläßt, wie auch für den in der
Welt geweihten Laien. Andererseits verlangt der Vorschlag einer
solchen besonderen Nachfolge als Lebensziel von Natur aus eine
vorausgehende Aufmerksamkeit und Ausbildung für die elementaren Werte
des Lebens, des Glaubens, der Dankbarkeit für das Unverdiente und der
von jedem Christen geforderten Nachfolge Christi. Daraus folgt
eine Berufungsstrategie, die theologisch besser begründet und auch im
pädagogischen Bereich wirksamer ist. Mancher mag befürchten, eine
Ausweitung des Verständnisses der Berufung könne der spezifischen
Förderung der Berufe zum Priestertum und zum geweihten Leben abträglich
sein; in Wirklichkeit ist es jedoch gerade umgekehrt. Die
verschiedenen Schritte im Vorschlagen einer Berufung ermöglichen es
tatsächlich, sich vom Objektiven zum Subjektiven, vom Allgemeinen zum
Besonderen hin zu bewegen, ohne dabei die Vorschläge vorwegzunehmen oder
wegfallen zu lassen, sondern indem man sie untereinander und im Blick
auf den entscheidenden Vorschlag an eine Person abstimmt. Dieser
Vorschlag hat zum rechten Zeitpunkt zu geschehen und ist sorgsamst nach
einem Rhythmus abzuwägen, der dem jeweiligen Adressaten Rechnung trägt.
Ein umsichtiges Vorangehen macht den entscheidenden Berufsvorschlag an
eine Person viel provozierender und zugänglicher. Konkret heißt dies: je
früher ein Jugendlicher dazu erzogen ist, ganz natürlich von der
Dankbarkeit für das Geschenk des Lebens zum Bewußtsein des
Unverdientseins dieses geschenkten Gutes vorzudringen, um so eher wird
es möglich sein, ihm die vollkommene Hingabe seiner selbst an Gott als
eine natürliche Folgerung vorzuschlagen, die für einige dann
unvermeidlich wird. e) Die Berufungspastoral ist universal und
permanent Es geht um eine doppelte Universalität der
Berufspastoral: einmal hinsichtlich der Personen, auf die sie bezogen
ist, und einmal hinsichtlich des Lebensalters, in dem sie
geschieht. Vor allem kennt die Berufspastoral keine Grenzen. Wie
oben erwähnt wendet sie sich nicht nur an einige bevorzugte Personen
oder an solche, die bereits eine Glaubensentscheidung getroffen haben,
noch wendet sie sich nur an die, von denen man vernünftigerweise eine
positive Antwort erhoffen kann, sondern sie wendet sich an alle,
eben weil sie auf den elementaren Werten der Existenz aufbaut. Sie ist
keine Pastoral an einer Elite, sondern eine Volkspastoral; sie ist keine
Auszeichnung für Verdienste, sondern Gnade und Gabe Gottes an jede
Person, da jedes Lebewesen von Gott berufen ist. Auch ist sie nicht
etwas, das nur wenige verstehen könnten oder für ihr Leben interessant
finden könnten, denn jedes Lebewesen verlangt unweigerlich danach, sich
selbst, den Sinn des Lebens und den eigenen Platz in der Geschichte zu
kennen. Es geht zudem nicht um eine Einladung, die nur ein
einziges Mal im Leben ergeht (nach Art des »Alles oder Nichts«), oder
die nach einer ersten Abweisung durch den Adressaten zurückgezogen wird.
Sie muß vielmehr wie eine beständige Aufforderung sein, auf verschiedene
Weisen und mit taktvollem Wohlwollen, das angesichts einer anfänglichen
Interesselosigkeit, die oft nur vorgetäuscht oder defensiv ist, nicht
kapituliert. Auch ist die Vorstellung zu berichtigen, die
Berufspastoral sei ausschließlich Jugendpastoral, denn in jedem
Lebensalter ruft der Herr in seine Nachfolge, und erst im Augenblick des
Todes kann eine Berufung als vollendet bezeichnet werden. Ja, der Tod
ist der Anruf schlechthin, wie es auch einen Anruf im Alter, in den
Übergangsphasen des Lebens und in Krisensituationen gibt. Es gibt
eine Jugendlichkeit des Geistes, die in dem Maße durch die Zeit
andauert, in dem der einzelne Mensch sich beständig gerufen fühlt, in
jedem Alter einen besonderen Auftrag zu erfüllen, auf eine besondere Art
zu sein, zu dienen und zu lieben, ein neues Leben und eine neue Sendung
auszufüllen.(72) In diesem Sinne ist die Berufspastoral an die
beständige Weiterbildung der Person gebunden und ist selbst
beständig. »Das ganze Leben, und jedes Leben, ist eine Antwort«.(73)
In der Apostelgeschichte schauen Petrus und Paulus nicht auf die Person,
sie wenden sich an alle, Jung und Alt, Juden und Nichtjuden: alle die
Parther, Meder, Elamiter werden ja genannt, um ohne Unterschiede und
Vorurteile die grobe Masse zu zeigen, an die sich die Verkündigung und
die Pro-Vokation richtet. Und sie bringen es fertig, zu jedem »in seiner
Sprache zu reden«, entsprechend seinen Bedürfnissen, Schwierigkeiten,
Erwartungen, Verteidigungen, sowie seinem Alter oder seiner Lebensphase.
Es ist dies das Pfingstwunder und deshalb eine außerordentliche Gabe des
Geistes. Doch der Geist ist immer mit uns... f) Die
Berufungspastoral ist person- und gemeinschaftsbezogen Es
mag als Widerspruch erscheinen, doch in Wirklichkeit bezeichnet dieses
Prinzip die in gewissem Sinne doppelte Natur der Berufspastoral, die —
wenn sie echt ist — fähig ist, die Polarität von Individuum und
Gemeinschaft zu verbinden. Aus der Sicht des Berufungsanimators ist es
heute dringlich, von einer Berufspastoral, die von einem Einzelkämpfer
betrieben wird, überzugehen zu einer Pastoral, die sich immer mehr als
Gemeinschaftsaktion der gesamten Gemeinschaft in ihren verschiedenen
Formen versteht: Gruppen, Bewegungen, Pfarreien, Diözesen, Ordens- und
Säkularinstitute... Die Kirche ist heute zunehmend aufgerufen,
ganz berufungsorientiert zu sein: in ihr »muß jeder Evangelisierende
sich bewußt sein, 'Wegweiser' zu sein, muß fähig sein, berufsbezogene
Erfahrung zu vermitteln, die Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu einer
persönlichen Beziehung zu Christus hinführt und in der sich die
besonderen Berufungen offenbaren«.(74) Auf gleiche Weise ist auch
der Adressat der Berufspastoral die ganze Kirche. Wenn die
ganze kirchliche Gemeinschaft ruft, dann ist auch die ganze kirchliche
Gemeinschaft die Gerufene, ohne jede Ausnahme. Geber und Empfänger
fallen gleichsam zusammen, und dies innerhalb der verschiedenen
ministerialen Formen der Kirche. Doch das Prinzip ist von Wichtigkeit;
es spiegelt jene geheimnisvolle Einheit von Rufendem und Gerufenem, die
sich in der Dreifaltigkeit vollzieht. So verstanden ist die
Berufspastoral gemeinschaftsbezogen. In solchem Verständnis ist
es schön, daß am Pfingsttag alle Apostel es sind, die sich an die Menge
wenden, und daß dann Petrus das Wort ergreift im Namen der Zwölf. Auch
wenn es darum geht, Matthias und Stephanus zu wählen, und später auch
Barnabas und Saulus, nimmt die ganze Gemeinschaft Anteil an der Wahl
durch Gebet, Fasten und die Auflegung der Hände. Gleichzeitig
jedoch ist es der einzelne, der zum Deuter seiner Berufung wird;
es ist der Gläubige, der kraft seines Glaubens sich in gewisser Weise
der Berufung des anderen annehmen muß. Die Aufgabe des Einladens
zu einer Berufung ist also nicht nur Sache der Priester oder der
Gottgeweihten, sondern jedes Gläubigen, der Eltern, der Katecheten, der
Erzieher. Wenn es wahr ist, daß sich der Anruf an alle richtet,
so ist es ebenso wahr, daß derselbe Anruf personalisiert wird, indem er
sich an eine bestimmte Person wendet, an deren Gewissen, in einer
tiefen, persönlichen Beziehung. Es gibt in der Dynamik der
Berufung einen Augenblick, in dem der Anruf von Mensch zu Mensch ergeht
und wo er jenes ganz besonderen Klimas bedarf, das nur eine persönliche
Beziehung gewährleisten kann. Es ist also zutreffend, daß Petrus und
Stephanus zur Menge reden; Saul jedoch bedarf des Ananias, um erkennen
zu können, was Gott von ihm will (Apg 9,13-17), wie später
übrigens auch der Eunuche Philippus (Apg 8,26-39). g)
Die Berufungspastoral ist die ganzheitlich-synthetische Perspektive der
Pastoral Ausgangs- und Zielpunkt entsprechen sich. Die
Berufspastoral als solche versteht sich als die verbindende Perspektive
der Pastoral insgesamt, als das natürliche Ziel jeder Mühe, als
Zielpunkt der verschiedenen Bereiche, gleichsam als Testfall der echten
Pastoral. Wir wiederholen: wenn die Pastoral es nicht
fertigbringt, »das Herz zu durchdringen« und den Hörer mit der
entscheidenden Frage zu konfrontieren (»was muß ich tun?«), dann ist sie
keine christliche Pastoral, sondern eine harmlose Arbeitshypothese.
Folglich steht die Pastoral notwendigerweise in Beziehung zu allen
anderen Dimensionen, wie z.B. zur Pastoral der Familie, der Kultur, der
Liturgie und der Sakramente, der Katechese und des Glaubensweges im
Katechumenat, der verschiedenen Gruppen christlicher Animation und
Bildung (nicht nur mit Jugendlichen, sondern auch mit Eltern, Verlobten,
Kranken und Alten...) und der Bewegungen (von der Bewegung für das Leben
bis zu den unterschiedlichen Initiativen der sozialen Solidarität).(75)
Vor allem ist die Berufungspastoral die verbindende Perspektive der
Jugendpastoral. Es darf nicht vergessen werden, daß es im
Entwicklungsalter um den Lebensentwurf geht. Eine echte Jugendpastoral
kann die Frage der Berufung nicht ausklammern, vielmehr muß sie diese
aufgreifen, denn Jesus Christus anbieten bedeutet, ein bestimmtes
Lebensziel anzubieten. Hier beginnt ein fruchtbares pastorales
Zusammenwirken bei klarer Unterscheidung der beiden Bereiche: sei es
weil die Jugendpastoral neben der Berufsfrage noch andere Fragen
beinhaltet; sei es weil die Berufungspastoral sich nicht nur an die
Jugend wendet, sondern einen weiteren Horizont hat, mit ganz besonderen
Fragestellungen. Denken wir dann noch daran, wie wichtig eine
familienbezogene Berufspastoral sein könnte, die schrittweise die
Eltern dazu erzieht, die ersten Animatoren-Erzieher auf Berufung hin zu
sein; oder wie wertvoll eine Berufspastoral unter den Kranken
sein könnte, die diese nicht nur einlädt, ihre Leiden für die
Priesterberufe aufzuopfern, sondern die ihnen hilft, das Ereignis ihrer
Krankheit mit dem ganzen Gehalt an Geheimnis, das sie in sich birgt, als
eine persönliche Berufung zu leben, die in der Kirche zu leben ihre
Pflicht ist, wobei sie auch einen Anspruch darauf haben, daß ihnen dabei
von der Kirche geholfen wird. Diese Bindung erleichtert die
pastorale Dynamik, da sie tatsächlich ihrem Wesen entspricht: Die
Berufungen wie auch die Charismen suchen sich gegenseitig, erleuchten
sich gegenseitig, sie ergänzen einander. Sie werden dagegen
unverständlich, wenn sie isoliert werden; außerdem betreibt derjenige
keine kirchliche Pastoral, der sich nur auf seinen Fachbereich
beschränkt. Freilich gilt dies in einem doppelten Sinn: es ist
die allgemeine Pastoral, die in einen Berufungsimpuls einmünden muß, um
die Entscheidung für einen Beruf zu fördern; aber es ist die
Berufungspastoral, die ihrerseits offen sein muß für die anderen
Dimensionen, indem sie sich einordnet und Öffnungen in jene Richtung
sucht. Sie ist der Zielpunkt, der die verschiedenen pastoralen
Herausforderungen zusammenfaßt und es ermöglicht, in der existentiellen
Geschichte des einzelnen Glaubenden fruchtbar zu werden. Im ganzen
gesehen verlangt die Berufspastoral Aufmerksamkeit, doch dafür bietet
sie eine Möglichkeit, pastorale Initiativen in jedem Bereich echt und
überzeugend sein zu lassen. Die Berufung ist der Pulsschlag jeder
ganzheitlichen Pastoral!(76) Wege der Berufungspastoral
27. Das biblische Bild, an dem wir unsere Überlegungen festgemacht
haben, erlaubt uns einen Schritt nach vorne, der von den theoretischen
Prinzipien zur Ortung einiger Wege der Berufspastoral führt. Dies
sind gemeinschaftliche Glaubenswege, die bestimmten Vollzügen der Kirche
und klassischen Dimensionen des Glaubenslebens entsprechen. Auf diesen
Wegen reift der Glaube und wird immer offenkundiger, und auch die
Berufung des einzelnen bestätigt sich zunehmend, im Dienst an der
kirchlichen Gemeinschaft. Die Überlegungen und Traditionen der
Kirche zeigen, daß die Berufsentscheidung für gewöhnlich mit konkreten
gemeinschaftlichen Wegen verbunden ist: Die Liturgie und das Gebet, die
kirchliche Gemeinschaft, der Dienst der Caritas, die Erfahrung der Liebe
Gottes, die im Zeugnis geschenkt und angeboten wird. Dank ihrer wurde in
der von der Apostelgeschichte beschriebenen Gemeinschaft »die Zahl der
Jünger in Jerusalem immer größer« (Apg 6,7). Die Pastoral
müßte auch diese Richtung einschlagen, um den Berufsweg der Gläubigen zu
fördern und zu begleiten. Eine persönliche und gemeinschaftliche,
systematische und anspruchsvolle Erfahrung in dieser Richtung könnte und
müßte dem einzelnen Gläubigen helfen, seine Berufung zu finden.
Dies würde die Pastoral wirklich zur Berufspastoral machen. a)
Die Liturgie und das Gebet Die Liturgie ist gleichzeitig
Ausdruck, Ursprung und Nahrung jeder Berufung und jeden Dienstes in der
Kirche. In den liturgischen Feiern wird die Erinnerung an jenes Handeln
Gottes durch Christus im Geist gefeiert, auf das alle übrigen
Lebenskräfte des Christen ausgerichtet sind. In der Liturgie, die in der
Eucharistie gipfelt, findet die Berufung und Sendung der Kirche und
jedes Gläubigen ihren vollkommenen Ausdruck. Von der Liturgie
aus ergeht an die Teilnehmer immer eine Einladung zur Berufung.(77) Jede
Feier ist ein Ereignis der Berufung. Der Gläubige kann gar nicht anders,
als im gefeierten Geheimnis seine eigene und persönliche Berufung zu
erkennen; er kann die Stimme des Vaters nicht überhören, der ihn im Sohn
und in der Kraft des Geistes ruft, sich selbst für das Heil der Welt zu
verschenken. Auch das Gebet wird zu einem Weg der Berufsfindung,
nicht nur weil Jesus selbst eingeladen hat, den Herrn der Ernte zu
bitten, sondern weil der Gläubige nur im Hören auf Gott den Plan
entdecken kann, den Gott selbst erdacht hat: in der Betrachtung des
Geheimnisses findet der Gläubige sich selbst »mit Christus in Gott
verborgen« (Kol 3,3). Und weiter ist es nur das Gebet, das
jene Haltungen von Vertrauen und Übereignung zu wecken vermag, die für
die Entscheidung zum eigenen »Ja« und für die Überwindung von Ängsten
und Zweifeln unverzichtbar sind. Jede Berufung entsteht durch die
An-Rufung. Doch auch die persönliche Erfahrung des Gebets als
Gespräch mit Gott gehört dieser Dimension an: auch wenn sie in der
Intimität der eigenen »Kammer« »gefeiert« wird, ist sie eine Beziehung
mit jener Vaterschaft, aus der sich jede Berufung ableitet. Diese
Dimension ist am deutlichsten in der Erfahrung der Urkirche, deren
Mitglieder »im Brotbrechen und im Gebet« (Apg 2,42) verharrten.
In dieser Gemeinschaft ging jeder Entscheidung das Gebet voraus; jede
Entscheidung, besonders jene für eine Sendung, geschah in einem
liturgischen Rahmen (Apg 6,17; 13,1-5). Es ist die Logik
des Gebetes, die die Gemeinschaft von Jesus gelernt hat, als er
angesichts der müden und erschöpften Menschen, die wie hirtenlose Schafe
waren, gesagt hat: »Die Ernte ist groß, doch der Arbeiter sind wenige.
Bittet daher den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter in seine Ernte sende«
(Mt 9,38; Lk 10,2). Die christlichen Gemeinschaften
Europas haben in diesen Jahren vielerlei Gebetsinitiativen um Berufe
entwickelt, die auf dem Kongreß ein breites Echo fanden. Das Beten in
den Diözesen und Pfarreien, mancherorts auch »ohne Unterlaß«, Tag und
Nacht, ist einer der verbreitetsten Wege, um ein neues Bewußtsein und
eine neue Kultur der Berufung zu wecken, die dem Priestertum und
Ordensleben nützen. Das biblische Bild vom »Herrn der Ernte«
führt ins Herz der Berufspastoral: zum Gebet. Ein Gebet, das mit der
Weisheit des Evangeliums auf die Welt und auf jeden einzelnen in seinem
spürbaren Verlangen nach Leben und Heil blickt. Ein Gebet, das die Liebe
und das »Mitleid« (Mt 9.36) Christi mit der Welt ausdrückt, die
auch heute noch wie eine »Herde ohne Hirten« (Mt 9,36) dasteht.
Ein Gebet, das den Glauben an die mächtige Stimme des Vaters ausdrückt,
der allein in seinen Weinberg rufen und senden kann. Ein Gebet, das die
lebendige Hoffnung auf Gott ausspricht, der es seiner Kirche nie an
jenen »Arbeitern« mangeln läßt (Mt 9,38), die notwendig sind, um
ihre Sendung zu vollenden. Auf dem Kongreß haben die Zeugnisse
über die Erfahrungen der lectio divina im Lichte der Berufung
grobes Interesse gefunden. In einigen Diözesen sind die »Gebetsschulen«,
oder die »Schulen des Wortes« sehr verbreitet. Der Grundsatz, an dem sie
sich orientieren, ist jener inzwischen bereits klassisch gewordene, der
in Dei Verbum ausgesprochen ist: »Alle Gläubigen sollen sich das
alles übertreffende Wissen Jesu Christi aneignen, durch häufiges Lesen
der Heiligen Schrift, das vom Gebet begleitet wird«.(78) Wenn
dieses Wissen zur Weisheit wird, die sich durch regelmäßige
Schriftlesung nährt, öffnen sich Augen und Ohren des Gläubigen in der
Erkenntnis des Wortes Gottes, das unablässig ruft. Dann werden Herz und
Geist fähig, es aufzunehmen und es ohne Furcht zu leben. b)
Die kirchliche Gemeinschaft (Gemeinde) Die erste vitale
Aufgabe, die die Liturgie erfüllt, ist die Sichtbarmachung der
Gemeinschaft, die innerhalb der Kirche gelebt wird, als Volk Gottes, in
Christus versammelt durch sein Kreuz (Joh 13,32), als eine
Gemeinschaft, in der jede Trennung durch den Geist Gottes überwunden
wird, der ein Geist der Einheit ist (Eph 2,11-22; Gal
3,26-28; Joh 17,9-26). Die Kirche stellt sich dar als
jener menschliche Raum der Geschwisterlichkeit, in dem jeder Gläubige
die Erfahrung der Einheit von Gott und den Menschen machen kann und muß,
die ein Geschenk von oben ist. Für diese kirchliche Dimension ist die
Apostelgeschichte ein leuchtendes Beispiel, wo sie eine Gemeinschaft von
Glaubenden beschreibt, die zutiefst von geschwisterlicher Einheit, von
Teilung des materiellen und geistigen Besitzes, der Gefühle und
Empfindungen geprägt (Apg 2,42-48) und »ein Herz und eine Seele«
ist (Apg 4,32). Wenn jede Berufung in der Kirche ein
Geschenk ist, das in Freiheit als ein Dienst der Liebe für die
anderen gelebt werden muß, dann ist sie auch ein Geschenk, das
mit den anderen gelebt werden will. So kann man es also nur
entdecken, wenn es geschwisterlich gelebt wird. Die kirchliche
Geschwisterlichkeit ist nicht nur eine Tugend des Verhaltens, sondern
ein Weg der Berufung. Nur indem man sie lebt, kann man sie als
grundlegenden Bestandteil eines Berufungsplanes erwählen, oder nur wenn
man sie auskostet, kann man sich einer Berufung öffnen, die in jedem
Fall eine Berufung zur Geschwisterlichkeit bedeutet.(79) Dagegen kann
einer, der keinerlei Brüderlichkeit übt und sich jedem Bezug zum anderen
versperrt oder der die Berufung lediglich als Mittel zur persönlichen
und privaten Vollkommenheit versteht, mit seiner Berufung in keiner
Weise anziehend für andere sein. Die Berufung ist eine Beziehung;
sie ist eine Offenbarung des Menschen, den Gott als beziehungsoffen
geschaffen hat, und auch im Falle einer Berufung zur Intimität mit Gott
in monastischer Klausur beinhaltet sie eine Fähigkeit zur Öffnung und
zur Anteilnahme, die nur durch die Erfahrung einer wirklichen
Geschwisterlichkeit gewonnen werden kann. »Die Überwindung einer
individualistischen Sicht des Amtes, der Weihe und des Lebens in den
einzelnen christlichen Gemeinschaften ist ein historisch entscheidender
Schritt«.(80) Die Berufung ist Dialog; sie ist das Wissen, von
einem Anderen gerufen zu sein; sie ist der Mut, ihm zu antworten. Wie
kann diese Fähigkeit zum Dialog in jemand heranreifen, der im Alltag und
in den täglichen Beziehungen nicht gelernt hat, sich an-rufen zu lassen,
zu antworten, sich selbst im andern zu erkennen? Wie soll sich jemand
vom Vater rufen lassen, der sich nicht um eine Antwort an den Bruder
kümmert? Der Austausch mit dem Nächsten und mit der Gemeinschaft
der Gläubigen wird so zum Weg, auf dem man lernt, anderen an den eigenen
Plänen teilhaben zu lassen, um dann den von Gott erdachten Plan zu
übernehmen. Dieser wird in jedem Fall ein Plan der Geschwisterlichkeit
sein. Eine Form des Austauschs des Wortes Gottes wurde auch von
einigen europäischen Kirchen erwähnt. Sie beinhaltet Zentren des
Hörens, Gruppen von Gläubigen, die sich regelmäßig in ihren Häusern
treffen, um die christliche Botschaft neu zu entdecken und unter sich
die jeweiligen Erfahrungen und die Frucht ihrer Deutung des Gotteswortes
austauschen. Für die Jugendlichen erhalten diese Zentren eine
Beziehung zur Berufung: im Hinhören auf das rufende Wort, in der
Katechese und im Gebet, was alles mit tiefer persönlicher Betroffenheit,
frei und kreativ erlebt wird. Das 'Zentrum des Hörens' wird so ein
Anreiz zur Mitverantwortung in der Kirche, denn hier können die
verschiedenen Möglichkeiten gefunden werden, wie der Gemeinschaft
gedient werden kann, und oft können hier auch besondere Berufungen
heranreifen. Eine andere positive Erfahrung des Berufungsweges in
den Teilkirchen und in den verschiedenen Instituten des geweihten Lebens
ist die Gastgemeinschaft, die die Einladung Jesu verwirklicht:
»Kommt, und seht«. Vom Papst wurde sie die »Goldene Regel der
Berufungspastoral«(81) genannt. In diesen Gemeinschaften oder
Orientierungszentren für Berufe können die Jugendlichen dank einer sehr
spezifischen und unmittelbaren Erfahrung einen echten und schrittweisen
Weg zur Berufsentscheidung zurücklegen. Dabei werden sie begleitet,
damit sie zur rechten Zeit in der Lage seien, nicht nur den Plan Gottes
mit ihnen zu erkennen, sondern diesen auch anzunehmen und sich selbst in
ihm zu erkennen. c) Der Dienst der Liebe Dieser
Dienst ist eine der kennzeichnendsten Funktionen der kirchlichen
Gemeinschaft. Er besteht im Erleben der Erfahrung der Freiheit in
Christus, in jenem höchstem Gipfel, den das Dienen bedeutet. »Wer bei
euch groß sein will, der soll euer Diener sein« (Mt 20,26), »wer
der Erste sein will, der soll der Diener aller sein« (Mk 9,35).
In der Urkirche scheint diese Lehre rasch verstanden worden zu sein, da
der Dienst als eines ihrer strukturellen Elemente erscheint, bis zum
Punkt, daß Diakone bestellt werden, speziell für »den Dienst an den
Tischen«. Gerade weil der Gläubige durch die Gnade die Erfahrung
der Freiheit in Christus erlebt, ist er gerufen, für die Menschen Zeuge
der Freiheit und Akteur der Befreiung zu sein, von jener Befreiung, die
sich nicht durch Gewalt und Herrschaft erreichen läßt, sondern durch
Vergebung und Liebe, durch die Hingabe seiner selbst und seines
Dienstes, ganz nach dem Beispiel des dienenden Christus. Es ist der
Dienst der Liebe, deren Ausdrucksmöglichkeiten keine Grenzen kennen.
Er ist im Werdegang einer Berufung vielleicht der Königsweg, um die
eigene Berufung zu erkennen, da die Erfahrung des Dienstes, besonders wo
er gut vorbereitet, begleitet und in seinem tiefsten Sinn erfaßt ist,
Ausdruck großer Menschlichkeit ist, die zum besseren Verständnis seiner
selbst, der Würde des anderen und der Schönheit des Dienstes für andere
beiträgt. Ein echter Diener der Kirche ist jener, der gelernt
hat, es als eine Auszeichnung zu verstehen, den ärmsten Brüdern die Füße
zu waschen, und jener, der die Freiheit errungen hat, seine Zeit den
Bedürfnissen der anderen zu opfern. Die Erfahrung des Dienstes ist eine
Erfahrung großer Freiheit in Christus. Wer dem Bruder dient, der
begegnet auf unsichtbare Weise Gott und tritt in eine besondere
Übereinstimmung mit ihm ein. Es wird ihm nicht schwer fallen, Gottes
Pläne mit ihm zu erkennen, und er wird sich besonders angezogen fühlen,
diesen zu entsprechen. Dies wird auf alle Fälle eine Berufung zum Dienst
für die Kirche und für die Welt sein. So war es in den
vergangenen Jahrzehnten mit vielen Berufen. Die Animation der Berufe
seit dem Konzil ist schrittweise von einer »Pastoral der Werbung« zur
»Pastoral des Dienstes« übergegangen, vor allem des Dienstes an den
Ärmsten und Schwächsten. Zahlreiche Jugendliche haben wirklich
Gott und sich selbst, ihre Lebensaufgabe und die wahre Freude gefunden,
indem sie ihren Brüdern Zeit und Aufmerksamkeit widmeten und schlieblich
sich auch entschieden, diesen nicht nur einen Teil ihres Lebens, sondern
ihre ganze Existenz zu opfern. Die christliche Berufung ist tatsächlich
eine Berufung für die anderen. d) Das Zeugnis -
Verkündigung des Evangeliums Das Zeugnis ist die
Verkündigung, daß Gott dem Menschen durch die ganze Heilsgeschichte
besonders in Christus nahe ist; es ist deshalb auch Verkündigung der
Barmherzigkeit des Vaters mit dem Menschen, damit er Leben in Fülle
habe. Diese Verkündigung steht am Anfang des Glaubensweges jedes
Gläubigen. Der Glaube ist wirklich eine Gabe Gottes, und er wird durch
das Beispiel der glaubenden Gemeinschaft, ihrer vielen Brüder und
Schwestern, wie auch durch die katechetische Unterweisung über die
Wahrheit des Evangeliums bezeugt. Doch der Glaube wird
vermittelt, und es kommt der Punkt, wo jedes Zeugnis zu einem aktiven
Geschenk wird: die empfangene Gabe wird geschenkte Gabe durch das
persönliche Zeugnis und die persönliche Verkündigung. Das
Glaubenszeugnis beansprucht den ganzen Menschen und kann nur mit dem
ganzen Sein und mit der eigenen Menschlichkeit erfolgen, mit ganzem
Herzen, mit ganzem Geist, mit allen Kräften, bis hin zum blutigen Opfer
des Lebens. Dieses "crescendo" in den Bedeutungen des Begriffs
ist interessant; es ist eine Steigerung, der wir im Grunde im biblischen
Text, der uns begleitet, begegnen: so im Zeugnis und in der Katechese
des Petrus und der Apostel am Pfingsttag und anschließend in der mutigen
Katechese des Stephanus, die in seinem Martertod gipfelt (Apg
6,8; 7,60), und in dem der Apostel, die »sich freuten, daß sie gewürdigt
worden waren, für seinen Namen Schmach zu erleiden« (Apg 5,41).
Doch noch interessanter ist die Entdeckung, auf welche Weise dieses
Zeugnis und diese Verkündigung zu einem besonderen Weg der Berufung
werden können. Das dankbare Bewußtsein vom Geschenk des Glaubens
müßte sich regelmäßig umsetzen in den Wunsch und den Willen, anderen
weiterzugeben, was man selbst empfangen hat, sei es durch das Vorbild
des eigenen Lebens, sei es durch den Dienst der Katechese. Diese ist
dann »dazu bestimmt, die vielen Lebenssituationen zu beleuchten und
jeden zu unterweisen, die eigene Berufung als Christ in der Welt zu
leben«.(82) Und wenn der Katechet vor allem anderen selbst auch ein
Zeuge ist, dann wird die Dimension einer solchen Berufung noch
deutlicher.(83) Der Kongreß hat die Wichtigkeit der Katechese für
die Berufungen bekräftigt und in der Spendung des Sakraments der
Firmung einen außerordentlichen Berufsweg für die jungen Menschen
aufgezeigt. Das Firmalter könnte gerade das »Alter der Berufung« werden,
eine Zeit der theologisch und pädagogisch qualifizierten Ausrichtung auf
die Entdeckung und Verwirklichung der empfangenen Gabe und auf deren
Bezeugung. Das katechetische Tun sollte die Fähigkeit wecken, die
Gabe des Geistes zu erkennen und zu bekennen.(84) Die
unmittelbare Begegnung mit Gläubigen, die ihre Berufung treu und mutig
leben, und mit glaubwürdigen Zeugen, die konkrete Erfahrungen geglückter
Berufungen vermitteln, kann ausschlaggebend werden, um den Firmlingen
bei der Entdeckung und Annahme des Rufes Gottes zu helfen. Die
Berufung wurzelt jedenfalls immer im Bewußtsein eines Geschenks und in
einem Bewußtsein, das derart dankbar ist, daß es ihm geradezu
selbstverständlich erscheint, die eigene Erfahrung in den Dienst der
anderen zu stellen, um so die Sorge um deren Wachstum im Glauben auf
sich zu nehmen. Wer aufmerksam und hochherzig das Zeugnis seines
Glaubens lebt, der wird nicht zögern, den Plan Gottes mit sich
anzunehmen, um mit all seinen Kräften an dessen Verwirklichung
mitzuarbeiten. Von den pastoralen Wegen zur persönlichen
Berufung 28. Wir könnten zusammenfassend sagen, daß sich
das Leben jedes Christen in den vier Dimensionen der Liturgie, der
kirchlichen Gemeinschaft, des Dienstes der Liebe und des Zeugnisses für
das Evangelium verdichtet. Dies ist seine Würde und seine Grundberufung,
es ist aber auch die Voraussetzung dafür, daß ein jeder seine
persönliche Identität finden kann. Jede Gläubige muß also den
gemeinsamen Vollzug der Liturgie, der geschwisterlichen Verbundenheit,
des Dienstes der Liebe und der Verkündigung des Evangeliums leben, denn
nur durch eine solche umfassende Erfahrung kann er seine
besondere Weise erkennen, wie diese Dimensionen des Christseins zu leben
sind. Folglich sind diese kirchlichen Wege zu bevorzugen; sie sind
gewissermaßen die 'Hohe Schule' der Berufungspastoral, dank welcher sich
das Geheimnis der einzelnen Berufung zeigen kann. Dies sind
außerdem klassische Wege, die zum Leben jeder Gemeinschaft gehören, die
sich christlich nennen möchte. Sie zeigen gleichzeitig auch deren
Festigkeit und Schwäche. Eben darum stellen sie nicht nur einen
vorgeschriebenen Weg dar, sondern bieten Gewähr für die Echtheit der
Suche und der Klärung. Diese vier Dimensionen und Vollzüge
bewirken einerseits eine ganzheitliche Einbeziehung des Subjekts,
andererseits führen sie es zum Beginn einer sehr persönlichen Erfahrung,
zu einer drängenden Konfrontation, zu einem unüberhörbaren Appell, zur
Dringlichkeit einer Entscheidung, die man nicht ewig vertagen kann.
Darum muß die Berufspastoral durch eine tiefe und ganzheitliche
ekklesiale Erfahrung ausdrücklich zu einer Bestandsaufnahme verhelfen,
die jeden Gläubigen »zur Entdeckung und Übernahme seiner eigenen
Verantwortlichkeit innerhalb der Kirche«(85) hinführt. Berufe, die nicht
von dieser Erfahrung und von dieser Einbindung in das gemeinschaftliche
kirchliche Tun ausgehen, laufen Gefahr, an den Wurzeln zu kranken und
von zweifelhafter Echtheit zu sein. Für eine Erfahrung, die
nur dann entscheidend sein kann, wenn sie umfassend ist, werden alle
diese Dimensionen selbstverständlich gegeben und harmonisch aufeinander
zugeordnet sein. Tatsächlich gibt es oft Jugendliche, die spontan
den einen oder anderen dieser Vollzüge vorziehen (einzig dem
Freiwilligendienst verpflichtet; oder zu sehr von der liturgischen
Dimension angezogen; große Theoretiker oder Idealisten). Es wird also
notwendig sein, daß der Erzieher zu einer Verpflichtung herausfordere,
die nicht auf den Geschmack des Jugendlichen zugeschnitten ist, sondern
auf die objektive Glaubenserfahrung, die ihrem Wesen nach nicht auf
Bestellung zu erhalten ist. Nur die Respektierung dieses objektiven
Maßes kann das eigene subjektive Maß erkennen lassen. In
diesem Sinne geht die Objektivität der Subjektivität voraus, und der
Jugendliche muß lernen, ihr den Vorrang zu lassen, wenn er tatsächlich
sich selbst erkennen will und das, was zu sein er berufen ist. Oder
anders: er muß zuerst das umsetzen, was von allen verlangt ist, wenn er
wirklich er selbst sein will. Nicht nur dies, sondern alles, was
aufgrund einer Norm und einer Tradition objektiv geregelt und auf ein
bestimmtes Ziel, das die Subjektivität übersteigt, ausgerichtet ist, übt
eine beachtliche Anziehungskraft aus und weckt den Beruf. Freilich muß
die objektive Erfahrung auch subjektiv werden oder vom einzelnen als die
seinige anerkannt werden. Auszugehen ist jedoch immer von einer Quelle
oder einer Wahrheit, die nicht vom Subjekt bestimmt wird und die sich
der reichen Tradition des christlichen Glaubens bedient. Letztendlich
»folgt die Berufspastoral den einzelnen, grundlegenden Schritten eines
Glaubensweges«.(86) Auch dies spricht für ein gestuftes Vorgehen und
dann für die Konvergenz der Berufungspastoral. Von den
Berufungswegen zu den christlichen Gemeinschaften a)
Die Pfarrgemeinde 29. Der Europäische Kongreß hat sich unter
anderem zum Ziel gesetzt, die Berufungspastoral in das Leben der
christlichen Pfarrgemeinden hineinzutragen, dorthin, wo die Menschen
leben und wo besonders die Jugend mehr oder weniger stark in eine
Glaubenserfahrung einbezogen ist. Es geht darum, die Berufungspastoral
ausgehend vom Kreis der Mitarbeiter bis zu den Randbereichen der
Ortskirche vordringen zu lassen. Zugleich ist es bereits Zeit,
die in vielen Kirchen Europas noch andauernde Experimentierphase zu
überwinden, um zu wirklich pastoralen Wegen zu finden, die ins Geflecht
der christlichen Gemeinde eingebunden sind, und all das aufzuwerten, was
im Blick auf die geistlichen Berufe bereits überdeutlich ist.
Besondere Aufmerksamkeit verdient das Kirchenjahr, das eine ständige
Glaubensschule ist, in der jeder Gläubige mit Hilfe des Heiligen Geistes
gerufen ist, nach dem Bilde Jesu zu wachsen. Vom Advent, der Zeit der
Hoffnung, bis Pfingsten und bis zur gewöhnlichen Zeit im Kirchenjahr
feiert und entwirft der zyklisch wiederkehrende Weg des Kirchenjahres
ein Bild vom Menschen, das sich am Geheimnis Jesu mißt, dem
»Erstgeborenen von vielen Brüdern« (Röm 8,29). Die
Anthropologie, die das Kirchenjahr erkennen läßt, ist ein echter
Berufungsentwurf, der jeden Christen anregt, immer mehr auf den Anruf zu
antworten, um eine klare und persönliche Sendung in der Geschichte
wahrzunehmen. Hier beginnt die Aufmerksamkeit für die alltäglichen Wege,
auf die jede christliche Gemeinschaft verwiesen ist. Die pastorale
Weisheit verlangt außerdem besonders von den Hirten, den Leitern der
christlichen Gemeinden, eine gewissenhafte Sorge und ein aufmerksames
Urteil, um den liturgischen Zeichen und dem Glaubenserlebnis Sprache zu
verleihen; denn von der Gegenwart Christi im Alltag des Menschen aus
ergehen die Appelle des Geistes zur Berufung. Nicht vergessen
sei, daß der Hirte, besonders der Priester als Verantwortlicher für eine
christliche Gemeinde, auch der »unmittelbare Gärtner« aller Berufungen
ist. Tatsächlich ist nicht überall in den Pfarrgemeinden ein
volles Bewußtsein hinsichtlich der Verantwortung für die Pflege der
Berufe zu finden; während doch gerade die »Pastoralräte auf pfarrlicher
und diözesaner Ebene, in Verbindung mit den nationalen Zentren für
geistliche Berufe, ... in allen Gemeinschaften und in allen Bereichen
der ordentlichen Pastoral die kompetenten Organe dafür sind«.(87)
Deshalb ist die Initiative jener Pfarreien zu ermutigen, die in ihrer
Mitte Gruppen zur Förderung der Berufe und der verschiedenen Aktivitäten
errichtet haben, »um ein Problem zu lösen, das seinen Ort im Herzen der
Kirche hat«(88) (Gebetsgruppen, Tage und Wochen der geistlichen Berufe,
Katechesen, Zeugnisse und alles, was dazu beitragen kann, die
Sensibilität für die Berufungen zu verstärken).(89) b)
Zeichenhafte Orte für das Leben als Berufung In diesem
sensiblen und notwendigen Übergang von einer Berufungspastoral
punktueller Begegnungen zu einer Berufungspastoral der 'Wege' dürfen
nicht nur jene Impulse zu einer Berufung zu Wort kommen, die von den
Wegen ausgehen, die den Alltag der christlichen Gemeinde ausmachen,
sondern es ist klug, die zeichenhaften Orte des Lebens als Berufung und
die pädagogischen Orte des Glaubens ins Licht zu rücken. Eine
Kirche ist lebendig, wenn sie mit den Gaben des Geistes solche Orte
wahrzunehmen und zu nützen weiß. Die zeichenhaften Orte
für den Berufungscharakter der Existenz in einer Ortskirche sind die
monastischen Gemeinschaften als Zeugen des betenden Antlitzes der
kirchlichen Gemeinschaft, die apostolischen Ordensgemeinschaften und die
Säkularinstitute. In einem kulturellen Umfeld, das sehr auf die
vorletzten und unmittelbaren Dinge ausgerichtet ist und wo der kalte
Wind des Individualismus weht, öffnen die betenden und apostolischen
Gemeinschaften besonders für die jüngeren Generationen, die eindeutig
für Zeichen empfänglicher sind als für Worte, wahre Dimensionen echt
christlichen Lebens. Ein besonderes Zeichen des
Berufungscharakters des Lebens ist die Gemeinschaft des
Diözesanseminars. Dieses spielt innerhalb unserer Kirchen eine
einzigartige Rolle. Einerseits ist es ein starkes Zeichen, da es
Zukunft verheißt. Die jungen Männer, die dorthin gelangen, Kinder dieser
Generation, werden die Priester von morgen sein. Nicht nur dies: das
Seminar ruft ganz konkret die Berufungsbezogenheit des Lebens und die
Notwendigkeit des Weiheamtes für die Existenz der christlichen Gemeinde
in Erinnerung. Andererseits ist das Seminar auch ein schwaches
Zeichen: denn es erfordert die unablässige Aufmerksamkeit der
Ortskirche; es erfordert eine ernsthafte Berufspastoral, um jährlich mit
neuen Kandidaten beginnen zu können. Dabei kann auch die materielle
Unterstützung ein pädagogischer Anreiz sein, das Gottesvolk zum Gebet
für alle Berufungen zu erziehen. c) Die pädagogischen Orte des
Glaubens Neben den zeichenhaften Orten sind noch die
pädagogischen Orte der Berufspastoral wertvoll, die aus Gruppen,
Bewegungen, Verbänden und von der Schule selbst gebildet werden.
Jenseits der verschiedenen soziologischen Konstellationen solcher Formen
von Verbänden ist deren pädagogische Effizienz vor allem auf der Ebene
der Jugend hochzuschätzen, als Orte, an denen den Menschen gezielt
geholfen werden kann, eine wahre Reife des Glaubens zu erreichen.
Dies kann wirksam verfolgt werden, wenn folgende drei Dimensionen der
christlichen Erfahrung nicht vernachlässigt werden: die Berufung eines
jeden, die Gemeinschaft der Kirche und die Sendung mit der Kirche.
d) Erziehergestalten Im gegenwärtigen Augenblick ist mit
besonderer Eindringlichkeit eine weitere pastoralpädagogische
Aufmerksamkeit gefordert: die Heranbildung von wirklichen
Erziehergestalten. Die Schwäche und Problematik der
pädagogischen Orte des Glaubens, die von der Kultur des Individualismus,
der spontanen Gruppenzusammenschlüsse und der Krise der Institutionen
auf eine harte Probe gestellt werden, hat sich überall ein wenig
herumgesprochen. Andererseits wird besonders bei den
Jugendlichen das Bedürfnis nach Dialog und nach Bezugspunkten spürbar.
Dafür gibt es viele Anzeichen. Es besteht Bedarf an Meistern des
geistlichen Lebens, an zeichenhaften Gestalten, die fähig sind, das
Geheimnis Gottes spürbar zu machen und die zum Zuhören bereit sind, um
den Betroffenen zu einem ehrlichen Dialog mit dem Herrn zu verhelfen.
Starke geistliche Persönlichkeiten sind nicht nur einige besonders
charismatisch begabte Personen, sondern sie sind das Ergebnis einer
Erziehung, die auf den absoluten Primat des Heiligen Geistes besonders
aufmerksam war. In der Sorge um die Erziehergestalten unserer
Gemeinschaften ist ein Doppeltes festzuhalten: einerseits geht es darum,
das berufsbezogene, erzieherische Bewußtsein in all jenen Personen ans
Licht zu bringen und wachzuhalten, die in der Gemeinde bereits zur
Arbeit mit der Jugend berufen sind (Priester, Ordensleute, Laien).
Andererseits ist der erzieherische Dienst der Frau zu ermutigen und
zu bilden, damit sie besonders an der Seite der Jugend eine Bezugsperson
und eine weise Führerin sein kann. Tatsächlich ist die Frau in der
christlichen Gemeinde stark präsent, und die intuitiven Fähigkeiten des
»weiblichen Genius« sowie die breitgefächerte Erfahrung der Frau auf
erzieherischem Gebiet (Familie, Schule, Gruppe, Gemeinschaft) sind
allgemein anerkannt. Der Beitrag der Frau ist hoch einzustufen,
wenn nicht gar entscheidend, besonders im Bereich der Welt der
weiblichen Jugend, die nicht der Welt der männlichen Jugend einfach
gleichzusetzen ist. Dieser Gesichtspunkt bedarf aufmerksamer und
spezifischer Überlegungen, vor allem im Bereich der Berufung.
Vielleicht ist auch dies Teil jener Wende, die die Berufungspastoral
kennzeichnet. Während in der Vergangenheit auch die weiblichen Berufe
von großen Gestalten geistlicher Väter ausgingen, die echte Führer von
Einzelnen und Gemeinschaften waren, so bedürfen heute die weiblichen
Berufe einer Beziehung zu weiblichen, persönlichen oder
gemeinschaftlichen Gestalten, die fähig sind, dem Angebot von Formen und
Werten Gesicht zu verleihen. e) Die Organismen der
Berufungspastoral Damit die Berufspastoral sich als
einheitliche und synthetische Perspektive der allgemeinen Pastoral
darstellen kann, muß sie zunächst in ihrem eigenen Bereich die
Gesamtheit und Verbindung der Charismen und der Dienste zum Ausdruck
bringen. Schon lange spürt man in der Kirche die
Notwendigkeit dieser Zuordnung,(90) die, Gott sei Dank, bereits
beachtliche Früchte gebracht hat: Organismen auf Pfarrei-Ebene sowie
Diözesane und Nationale Informationszentren für geistliche Berufe
arbeiten bereits seit Jahren mit großem Erfolg. Doch nicht
überall ist es so. Der gegenwärtige Kongreß bedauert in einigen Fällen
das Fehlen oder die geringe Effizienz dieser Strukturen in einigen
europäischen Nationen(91) und wünscht, daß solche ordentlich errichtet
und angemessen ausgestattet werden. Mehrfach ist noch
festzustellen, daß die Diözesanzentren nicht überall von demselben
Willen beseelt sind, für die Berufungen aller zu arbeiten und
zusammenzuarbeiten, obwohl die nationalen Zentren einen beachtlichen
Beitrag konstruktiver Anreize für eine ganzheitliche Berufspastoral
bieten. Es besteht ein gewisses allgemeines Projekt ganzheitlicher
Pastoral, das sich noch schwer tut, Praxis der Ortskirche zu werden, und
es scheint sich gewissermaßen zu verfangen, wenn man von den allgemeinen
Vorschlägen zur detaillierten Umsetzung in die Wirklichkeit der Diözese
oder Pfarrei übergehen will. Hier sind tatsächlich partikularistische
und weniger kirchliche Ansichten und Haltungen noch nicht ganz
überwunden.(92) Was die Diözesan- und National-Zentren betrifft,
wollen wir nicht wiederholen, was schon früher in verschiedenen
Dokumenten sehr gut über deren Funktion gesagt wurde. Dennoch sei daran
erinnert, daß es nicht nur um eine einfache Frage der praktischen
Organisation geht, sondern um eine Übereinstimmung mit einem neuen
Geist, der die Berufungspastoral in der Kirche und besonders in den
Kirchen Europas durchdringen muß. Die Krise der Berufe ist auch eine
Krise der Gemeinschaft in der Förderung und im Hervorbringen von
Berufen. Dort können keine Berufe entstehen, wo nicht auch eine echt
kirchliche Gesinnung vorgelebt wird. Neben der Empfehlung zu
einer Wiederaufnahme der Bemühungen in diesem Bereich und zu einer
engeren Verbindung von National- und Diözesanzentren und den Organismen
in den Pfarreien wünschen der Kongreß und das vorliegende Dokument, daß
solche Organismen sich zwei Anliegen mehr zu Herzen nehmen: die
Förderung einer echten Kultur der Berufung in der bürgerlichen
Gesellschaft, wie sie oben erwähnt wurde, und die Ausbildung von
Erziehern im Bereich der Berufe, was ein echtes, ursprüngliches,
zentrales und entscheidendes Element der derzeitigen Berufungspastoral
darstellt.(93) Der Kongreß bittet zudem, man möge für Europa
die Schaffung eines gemeinsamen, übernationalen Zentrums der
Berufungspastoral ernsthaft in Erwägung ziehen, als ein konkretes
Zeichen der Gemeinschaft, der Anteilnahme, der Koordinierung und des
Austauschs von Erfahrungen und Personen unter den einzelnen nationalen
Kirchen,(94) unter Wahrung ihrer jeweiligen Besonderheiten.
VIERTER TEIL PÄDAGOGIK DER BERUFUNG
»Brannte uns nicht das Herz in der Brust?...«
(Lk 24,32) Dieser pädagogische Teil ist dem Evangelium
entnommen und folgt dem Beispiel jenes außergewöhnlichen Animators und
Erziehers zur Berufung, der Jesus war. Er zielt auf eine Berufswerbung
ab, die von ganz bestimmten evangelischen Verhaltensmustern ausgeht:
säen, begleiten, erziehen, ausbilden, entscheiden. Wir
sind am letzten Teil angelangt, an jenem, der im Aufbau des Dokuments
der methodisch-praktische Teil sein soll. Wir haben mit einer Analyse
der konkreten Lage begonnen, um dann die tragenden theologischen
Elemente im Thema der Berufung zu beschreiben. Dann versuchten wir, zum
konkreten Leben unserer Gemeinschaften vorzudringen, um die Bedeutung
und die Richtung der Berufspastoral zu beschreiben. So
bleibt noch die pädagogische Dimension der Berufspastoral zu behandeln.
Berufungskrise und Erziehungskrise 30. Oftmals sind in
unseren Kirchen die Ziele und die grundlegenden Maßnahmen klar, doch die
konkreten Schritte, um in unseren Jugendlichen die Bereitschaft für eine
Berufung wachsen zu lassen, bleiben unklar. Dies kommt daher, daß
innerhalb und außerhalb der Kirche gewisse pädagogische Einrichtungen
recht schwach erscheinen; diese sollten ja neben der Festlegung des
angestrebten Zieles auch die pädagogischen Wege dorthin bereitstellen.
Mit dem ihm eigenen Realismus sagt das instrumentum laboris: »Wir
müssen tatsächlich die Schwäche so vieler pädagogischer Orte feststellen
(Gruppe, Gemeinschaft, Oratorium, Schule und besonders die
Familie)«.(95) Die Krise der Berufe ist sicherlich auch eine Krise des
pädagogischen Angebots und des erzieherischen Weges. Ausgehend
vom Wort Gottes wollen wir also diesen Einklang von Ziel und Methode
aufzeigen, in der Überzeugung, daß eine gute Theologie sich gewöhnlich
auch in die Praxis umsetzen läßt, so daß sie Pädagogik wird, Wege
erkennen läßt, verbunden mit dem ernsten Willen, den verschiedenen
Arbeitern in der Pastoral eine Hilfe anzubieten und ein Instrument, das
allen nützen kann. Das Evangelium der Berufung
31. Jede Begegnung oder jedes Gespräch im Evangelium hat eine
berufungsbezogene Bedeutung: wenn Jesus auf den Wegen Galiläas geht, ist
er immer der Gesandte des Vaters, der den Menschen zum Heil ruft und ihm
den Plan des Vaters enthüllt. Die frohe Botschaft, das Evangelium, tut
genau dasselbe: der Vater hat den Menschen durch den Sohn im Geist
berufen; er hat ihn nicht nur zum Leben berufen, sondern zur Erlösung,
und zwar nicht nur zu einer Erlösung, die andere für ihn verdient haben,
sondern zu einer Erlösung, die ihn selbst in erster Person mit
einbezieht und ihn verantwortlich macht für die Erlösung der anderen.
In dieser aktiven und passiven Erlösung, die empfangen und mit anderen
geteilt wird, liegt der Sinn jeder Berufung; darin liegt der Sinn der
Kirche selbst als einer Gemeinschaft von Glaubenden, Heiligen und
Sündern, die alle »berufen« sind, am gleichen Geschenk und an derselben
Verantwortung teilzuhaben. Es ist das Evangelium der Berufung.
Die Pädagogik der Berufung 32. In diesem Evangelium
suchen wir eine entsprechende Pädagogik, die im Grunde die von Jesus
sein wird, die echte Pädagogik der Berufung. Es ist die
Pädagogik, die jeder Berufsanimator oder jeder Evangelisator anwenden
müßte, um den Jugendlichen zur Erkenntnis des Herrn der ihn ruft, und zu
einer Antwort darauf zu führen. Wenn das Geheimnis Christi, des
menschgewordenen Gottessohnes, der Bezugspunkt der Berufungspädagogik
ist, dann finden sich in seinem »berufungsorientierten« Tun viele
wichtige Gesichtspunkte und Dimensionen. Vor allem wird uns in
den Evangelien Jesus eher als Ausbilder dargestellt, denn als
Animator, eben weil er immer in engster Verbundenheit mit dem Vater, der
den Samen des Wortes Gottes ausstreut und »e-ducat«(= aus
dem Nichts herausführt), und mit dem Geist wirkt, der auf dem Weg der
Heiligung begleitet. Solche Gesichtspunkte öffnen wichtige
Perspektiven für den, der in der Pastoral der Berufe arbeitet und darum
selbst gerufen ist, nicht nur Animator eines Berufes zu sein, sondern
zuerst noch Sämann des guten Samens der Berufung, und dann erst
Begleiter zu sein auf dem Weg, der das Herz »brennen« macht,
Erzieher zum Glauben und zum Hören auf den rufenden Gott,
Ausbilder eines menschlichen und christlichen Verhaltens, das
Antwort ist auf den Anruf Gottes;(96) und er ist schließlich gerufen,
das Vorhandensein jener Gabe, die von oben kommt, zu beurteilen.
Es sind die fünf zentralen Merkmale der Arbeit für die Berufe
oder die fünf Dimensionen im Geheimnis des Rufes, der von Gott
ausgeht und den Menschen durch die Vermittlung eines Bruders oder einer
Schwester oder einer Gemeinschaft erreicht. Säen
33. »Ein Sämann ging aufs Feld um zu säen. Als er säte, fiel ein Teil
der Körner auf den Weg, und die Vögel kamen und fraßen sie. Ein anderer
Teil fiel auf felsigen Boden, wo es nur wenig Erde gab, und ging sofort
auf, weil das Erdreich nicht tief war; als aber die Sonne hochstieg,
wurde die Saat versengt und verdorrte, weil sie keine Wurzeln hatte.
Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen, und die Dornen wuchsen und
erstickten die Saat. Ein anderer Teil schließlich fiel auf guten Boden
und brachte Frucht, teils hundertfach, teils sechzigfach, teils
dreißigfach« (Mt 13,3-8). Dieser Abschnitt zeigt uns
gewissermaßen den ersten Schritt eines pädagogischen Weges, das erste
Verhalten dessen, der sich als Vermittler zwischen Gott, der ruft, und
den Menschen, der gerufen ist, stellt und der sich notwendigerweise nach
dem Tun Gottes ausrichtet. Gott Vater ist der Sämann; Kirche und Welt
sind der Ort, wohin er unablässig den Samen ausstreut, in völliger
Freiheit und ohne irgendwelche Ausnahme, in einer Freiheit, die die
Freiheit des Geländes respektiert, auf das der Same fällt. a)
Zwei Freiheiten im Dialog Das Gleichnis vom Sämann zeigt,
daß die christliche Berufung ein Dialog zwischen Gott und der
menschlichen Person ist. Der wichtigste Sprecher ist Gott, der ruft, wen
er will, wann er will und auf welche Weise er will, »aus eigenem
Entschluß und aus Gnade« (2 Tim 1,9); der alle zum Heil beruft,
ohne sich von der Bereitschaft des Empfangenden abhängig zu machen. Aber
die Freiheit Gottes begegnet der Freiheit des Menschen in einem
geheimnisvollen und faszinierenden Dialog aus Worten und Schweigen, aus
Mitteilung und Tun, aus Blicken und Gesten; eine Freiheit, die
vollkommen ist, die Freiheit Gottes, und die andere Freiheit, die
unvollkommen ist, die menschliche Freiheit. Die Berufung ist also völlig
ein Handeln Gottes, aber sie ist auch ein wirkliches Tun des Menschen:
Arbeit und Eindringen Gottes ins Herz der menschlichen Freiheit, aber
auch Mühsal und Kampf des Menschen, um frei zu sein, dieses Geschenk
anzunehmen. Wer einen Bruder auf dem Weg der Berufsklärung
begleitet, tritt in das Geheimnis der Freiheit ein und weiß, daß er nur
dann helfen kann, wenn er dieses Geheimnis achtet; auch wenn dies,
wenigstens dem Schein nach, ein geringeres Ergebnis beinhalten sollte,
genau wie beim Sämann im Evangelium. b) Der Mut, überall zu
säen Gerade die Achtung dieser beiden Freiheiten bedeutet
vor allem den Mut, den guten Samen des Evangeliums von der Auferstehung
des Herrn, vom Glauben und von der Nachfolge zu säen. Dies ist die
Voraussetzung; man kann überhaupt keine Berufspastoral betreiben, wenn
dieser Mut nicht gegeben ist. Nicht nur dies; man muß überall säen, im
Herzen eines jeden, ohne Bevorzugung oder Ausnahme. Wenn jeder
Mensch Geschöpf Gottes ist, ist er auch Träger einer Gabe, einer
besonderen Berufung, die anerkannt werden will. Oft klagt man in
der Kirche über die spärlichen Antworten betreffs der Berufung. Man
übersieht dabei, daß das Angebot sich oft nur an einen beschränkten
Personenkreis richtet und womöglich nach einer ersten Ablehnung sofort
zurückgezogen wird. Es sei also daran erinnert, was Paul VI. sagte: »Daß
doch keiner durch unsere Schuld das nicht kenne, was er wissen muß, um
dem eigenen Leben eine andere und bessere Ausrichtung zu geben«.(97) Und
dennoch, wie viele Jugendliche haben nie eine christliche Einladung
vernommen betreffs ihres Lebens und ihrer Zukunft! Es ist
einzigartig, den Sämann des Gleichnisses zu beobachten, wie er mit
großzügiger Hand den Samen »überallhin« ausstreut; und es ist bewegend,
in diesem Bild das Herz Gottes, des Vaters, zu erkennen. Es ist das Bild
Gottes, der ins Herz eines jeden einen Heilsplan hineinsät; oder
wenn wir wollen, es ist das Bild der »verschwenderischen« göttlichen
Großzügigkeit, die sich allen mitteilt, weil sie alle retten und zu sich
rufen will. Es ist das Bild des Vaters selbst, das im Handeln
Jesu offenkundig wird, der die Sünder zu sich ruft, der seine Kirche
aufbauen will mit Leuten, die für diese Sendung offensichtlich
ungeeignet sind, der keine Schranken kennt und nicht auf die Person
schaut. In diesem Bild sich wiederfindend sät der Arbeiter in der
Berufspastoral seinerseits aus, verkündet, schlägt vor, macht betroffen,
immer mit derselben Großzügigkeit; und es ist gerade die sichere
Überzeugung vom Samen, den der Vater in das Herz jeder Kreatur
hineingelegt hat, die ihm die Kraft gibt, überallhin zu gehen und den
guten Samen der Berufung auszusäen, nicht in den üblichen Räumen zu
verharren und neue Bereiche anzugehen, um ungewohnte Versuche zu wagen
und sich an jeden Menschen zu wenden. c) Die Aussaat zur
rechten Zeit Es gehört zur Weisheit des Sämanns, den guten
Samen der Berufung zum günstigsten Zeitpunkt auszustreuen. Das bedeutet
nun wirklich nicht, die Zeiten der Berufsentscheidung zu beschleunigen
oder zu erwarten, daß ein Jugendlicher schon die Entscheidungsreife
eines jungen Erwachsenen besitze, sondern es bedeutet, den
Berufungscharakter des menschlichen Lebens zu verstehen und zu achten.
Jede Lebenszeit trägt Berufungscharakter, angefangen vom Augenblick,
wo der junge Mensch sich auf das Leben hin öffnet und dessen Sinn
verstehen will, und wo er sich die Frage nach seinem Ort im Leben
stellt. Diese Frage im rechten Moment nicht zu stellen, könnte das
Keimen des Samens beeinträchtigen: »Die pastorale Erfahrung zeigt, daß
in den meisten Fällen das erste Anzeichen für einen Beruf in die Zeit
der Kindheit oder Jugend fällt. Darum scheint es wichtig zu sein, Worte
zu finden oder anzubieten, die diese ersten Anzeichen für eine Berufung
anregen, stützen und begleiten«,(98) freilich ohne sich allein darauf zu
beschränken. Jede Person hat ihre Rhythmen und ihre Zeiten des Reifens.
Wichtig ist, daß sie einen guten Sämann zur Seite hat. d) Das
kleinste aller Samenkörner Es ist sicher nicht einfach,
heutzutage »Sämann« von Berufen zu sein, und zwar aus Gründen, die wir
kennen: es gibt keine eigentliche Kultur der Berufungen; das herrschende
anthropologische Bild scheint jenes des »Menschen ohne Berufung« zu
sein; das soziale Umfeld ist ethisch neutral, und es fehlen ihm
zukunftsweisende Handlungsmodelle. Alle diese Elemente scheinen dazu
beizutragen, die Einladung zu einer Berufung zu schwächen, und sie
lassen uns womöglich die Worte Jesu vom Reich Gottes (vgl. Mt
13,31 ff) auf sie anwenden: der Same der Berufung ist wie ein kleines
Senfkorn, das, wenn es gesät, d.h. vorgeschlagen oder als gegeben
aufgezeigt wird, das kleinste unter den Samenkörnern ist. Auch Berufung
findet anfangs häufig keine sofortige Annahme, ja wird abgelehnt und
geleugnet, ist wie erstickt von anderen Erwartungen und Plänen, wird
nicht ernst genommen; oder wird mit Argwohn und Mißtrauen angesehen, als
ob sie ein Same des Unglücks wäre. Folglich weigert sich der
Jugendliche, erklärt sich uninteressiert und hat seine Zukunft bereits
belastet (oder andere taten es für ihn); oder es könnte ihm womöglich
gefallen und ihn interessieren, aber er ist sich nicht so sicher, und
zudem ist es zu schwer und macht ihm Angst... In dieser
ängstlichen und ablehnenden Reaktion ist nichts Befremdendes oder
Absurdes; im Grunde hat es der Herr schon so gesagt. Der Same der
Berufung ist der kleinste von allen, er ist schwach und unaufdringlich,
eben weil er Ausdruck der Freiheit Gottes ist, der die Freiheit des
Menschen mit letzter Konsequenz achten will. Dann bedarf es auch der
Freiheit dessen, der den Menschen auf diesem Weg führt: einer Freiheit
des Herzens, die es auch ermöglicht, angesichts der anfänglichen
Verweigerung und Interesselosigkeit sich nicht zurückzuziehen.
Jesus sagt uns in der Kürze des Gleichnisses vom Senfkorn: »Sobald es
aber hochgewachsen ist, ist es größer als die anderen Gewächse« (Mt
13,32); es ist also ein Samen, der seine eigene Kraft in sich trägt,
auch wenn diese nicht sofort erkennbar und überwältigend ist, ja er
bedarf sogar großer Pflege, um reifen zu können. Es gibt so etwas wie
ein Grundgeheimnis, das zur Weisheit der Bauern gehört: um überhaupt
etwas zur rechten Zeit ernten zu können, muß man auf alles achten,
wirklich auf alles, von der Aussaat bis zur Ernte; man muß seine
Aufmerksamkeit auf alles richten, von dem, was das Wachstum fördert, bis
zu dem, was es verhindert. Auch gegen Wind und Wetter der Jahreszeiten
muß man es schützen. Mit der Berufung geschieht es ähnlich. Die Aussaat
ist nur der erste Schritt, dem jedoch mit Aufmerksamkeit weitere folgen
müssen, damit die beiden Freiheiten in das Geheimnis eines
Berufungsdialogs einmünden. Begleiten 34.
»Am gleichen Tag waren zwei von den Jüngern auf dem Weg in ein Dorf
namens Emmaus, das sechzig Stadien von Jerusalem entfernt ist. Sie
sprachen miteinander über all das, was sich ereignet hatte. Während sie
redeten und ihre Gedanken austauschten, kam Jesus hinzu und ging mit
ihnen. Doch sie waren wie mit Blindheit geschlagen, so daß sie ihn nicht
erkannten« (Lk 24,13-16). Um den pädagogischen Gehalt des
Begleitens, Erziehens und Ausbildens zu beschreiben, wählen wir die
Geschichte der beiden Jünger von Emmaus. Es ist ein bedeutungsvoller
Text; denn außer der Weisheit seines Inhaltes und der von Jesus
angewandten pädagogischen Methode glauben wir, in den beiden Jüngern
auch das Abbild so vieler heutiger Jugendlicher wiederzuerkennen, die
traurig und mutlos zu sein, und die die Freude an der Suche ihrer
Berufung verloren zu haben scheinen. Der erste Schritt oder die
erste Aufmerksamkeit auf diesem Weg besteht darin, sich jemandem an die
Seite zu stellen: der Sämann oder derjenige, der im Jugendlichen das
Bewußtsein vom Samen, der in den Grund seines Herzens gelegt ist,
wachgerufen hat, wird nun zum Begleiter. Im theologischen
Teil der vorliegenden Überlegungen wurde der Dienst des Begleitens als
charakteristisch für den Heiligen Geist bezeichnet; tatsächlich ist es
der Geist des Vaters und des Sohnes, der neben dem Menschen einhergeht,
um ihn an das Wort des Meisters zu erinnern; es ist auch der Geist, der
im Menschen wohnt und in ihm das Bewußtsein weckt, Sohn des Vaters zu
sein. Es ist also der Geist das Modell, an dem sich jener ältere Bruder
oder jene ältere Schwester orientieren muß, der bzw. die einen jüngeren
Bruder oder eine jüngere Schwester in deren Suche begleitet. a)
Werdegang der Berufung Nachdem wir den berufspastoralen
Werdegang der Berufung beschrieben haben, fragen wir uns nun: Wie sieht
der Werdegang eines Berufes auf pädagogischer Ebene aus? Der
pädagogische Werdegang einer Berufung ist eine Reise, die die
Glaubensreife zum Ziel hat, ist wie eine Pilgerfahrt zum
Erwachsenenalter des Gläubigen, der gerufen ist, über sich und über
sein Leben in Freiheit und Verantwortung zu befinden,
entsprechend dem geheimnisvollen Plan, den Gott für ihn erdacht hat.
Eine solche Reise geschieht in Etappen und in Begleitung eines
älteren Bruders oder einer Schwester im Glauben und in der
Jüngerschaft, die den Weg, die Stimme und die Schritte Gottes
kennen, die dabei helfen, den rufenden Herrn zu erkennen und den rechten
Weg zu finden, auf dem ihm entgegenzugehen und zu antworten ist.
Der Werdegang eines Berufes ist demnach vor allem ein Weg mit Ihm, dem
Herrn des Lebens, mit jenem »Jesus in Person«, wie Lukas sagt, der sich
dem Weg des Menschen anschließt, ihn mit ihm geht und in dessen
Geschichte eintritt. Doch die Augen des Fleisches können ihn oft nicht
erkennen. Dann wird das Gehen des Menschen einsam, der Dialog
überflüssig, das Suchen droht ewig zu dauern, zu einem endlosen und oft
narzistischen »Erfahrungen-machen« zu werden, auch berufungsbezogene,
ohne jeden abschließenden Erfolg. Es ist womöglich erste Aufgabe des
Berufsbegleiters, die Anwesenheit eines Anderen aufzuzeigen oder
die Relativität der eigenen Nähe und Begleitung einzugestehen, um
Vermittler dieser Gegenwart oder dieses Weges zur Entdeckung des
rufenden Gottes zu sein, der jedem Menschen nahesteht. Wie die
beiden Jünger von Emmaus oder wie Samuel in der Nacht haben unsere
Jugendlichen oft keinen Blick, um zu sehen, keine Ohren, um den zu
hören, der neben jedem einhergeht und so inständig wie taktvoll ihre
Namen nennt. Der begleitende Bruder ist ein Zeichen für dieses taktvolle
Drängen; seine Aufgabe ist es, den Ursprung dieser geheimnisvollen
Stimme erkennen zu helfen; er redet nicht von sich, sondern verkündet
einen Anderen, obschon dieser bereits da ist, wie Johannes der Täufer
dies tat. Der Dienst der Berufsbegleitung ist ein demütiger
Dienst von jener heiteren und gelassenen Demut, die der Freiheit im
Geist entspringt und sich »mit dem Mut des Hinhörens, der Liebe und des
Dialogs« ausdrückt. Dank dieser Freiheit gewinnt die Stimme des Rufers
an Klarheit und Entscheidungskraft. Und der Jugendliche sieht sich Gott
gegenüber, entdeckt mit Staunen, daß es der Ewige ist, der durch die
Zeit an seiner Seite geht und ihn zu einer endgültigen Entscheidung
ruft! b) Die Brunnen lebendigen Wassers »Jesus war
müde von der Reise und setzte sich an den Brunnen« (Joh 4,6); es
ist der Anfang dessen, was wir als ein nichtöffentliches
Berufungsgespräch bezeichnen könnten: die Begegnung Jesu mit der
Samariterin. Die Frau macht während dieser Begegnung tatsächlich einen
Weg zur Erkenntnis ihrer selbst und des Messias und wird gewissermaßen
sogar dessen Verkünderin. Auch in diesem Text zeigt sich die
absolute Freiheit Jesu, überall und in allen seine Boten zu
suchen. Einzigartig ist die Aufmerksamkeit dessen, der der Weg des
Menschen zum Vater ist, wenn es darum geht, dem Geschöpf auf dessen
Wegen zu begegnen oder dort auf es zu warten, wo dessen Erwartung am
offenkundigsten und stärksten ist. Dies kann man im symbolischen Bild
des »Brunnens« sehen. In der alten jüdischen Gesellschaft waren die
Brunnen Lebensquellen, Grundvoraussetzung für das Überleben eines
Volkes, das immer gegen Wassermangel anzukämpfen hatte; und gerade um
dieses Symbol des Wassers des Lebens und für das Leben
baut Jesus mit feinfühliger Pädagogik sein Gespräch mit der Frau auf.
Einen Jugendlichen begleiten bedeutet, »die Brunnen« von heute orten zu
können, alle jene Orte und Momente, Herausforderungen und Erwartungen,
an denen früher oder später alle Jugendlichen mit ihren leeren Krügen
vorbeikommen müssen, mit ihren unausgesprochenen Fragen, mit ihrer
behaupteten und oft nur zur Schau gestellten Selbstgenügsamkeit, mit
ihrem tiefen und unauslöschbaren Verlangen nach Echtheit und nach
Zukunft. Die Berufspastoral kann nicht in »Wartestellung«
verharren, sondern muß Aktivität dessen sein, der sucht und sich nicht
geschlagen gibt, bis er gefunden hat, und der sich selbst finden läßt am
rechten Ort oder am rechten Brunnen, dort, wo der Jugendliche Leben und
Zukunft für sich erwartet. Der Berufsbegleiter muß unter diesem
Gesichtspunkt »intelligent« sein, einer, der nicht notwendigerweise
seine Fragen aufdrängt, sondern von jenen des Jugendlichen selbst
ausgeht, und zwar von jeder Art von Frage; und er muß einer sein, der
fähig ist, wenn nötig »die Berufsfrage zu wecken und zu entdecken, die
im Herzen jedes Jugendlichen wohnt, aber darauf wartet, von echten
Berufsbildnern geborgen zu werden«.(99) c) Mit-teilen und
Mit-Berufensein Eine Berufung zu begleiten bedeutet vor
allem, etwas gemeinsam haben: das Brot des Glaubens, der Erfahrung
Gottes, der Mühe des Suchens, bis hin zum Mit-teilen der Berufung,
selbstverständlich nicht um sie aufzudrängen, sondern um die Schönheit
eines Lebens zu bekunden, das sich nach dem Plan Gottes gestaltet.
Der richtige Ton in der Berufsbegleitung ist nicht der belehrende oder
ermahnende und auch nicht der einseitig freundschaftliche, auch nicht
von seiten des geistlichen Leiters (verstanden als einer, der das Leben
eines andern sofort in eine bestimmte Richtung drängt), sondern es ist
der Ton der confessio fidei. Wer eine Berufung begleitet,
bezeugt die eigene Berufswahl, oder besser, das eigene Erwähltsein
von Gott. Er erzählt — nicht notwendigerweise in Worten — seinen eigenen
Berufsweg und die andauernde Entdeckung seiner selbst im Charisma seiner
Berufung; er stellt auch die Mühe, die Neuheit, das Risiko, die
Überraschung und die Schönheit dar und macht sie verständlich. So
entsteht eine Berufungskatechese von Mensch zu Mensch, von Herz zu Herz,
reich an Menschlichkeit und Originalität, an Leidenschaftlichkeit und
Überzeugungskraft, eine wissens- und erfahrungsmäbige Animation. Es ist
ein wenig wie die Erfahrung der ersten Jünger Christi, »Sie gingen mit
ihm und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm« (Joh
1,39); es war eine tief betroffen machende Erfahrung, wenn Johannes nach
vielen Jahren sich noch daran erinnert, daß es »gegen vier Uhr
nachmittags war«. Man kann Berufsanimation nur durch
Ansteckung bewirken, durch direkten Kontakt, weil das Herz voll ist
und die Erfahrung der Schönheit weiterhin siegt. »Die Jugendlichen sind
am Lebenszeugnis von Menschen, die bereits auf einem geistliche Weg
sind, sehr interessiert. Priester und Ordensleute müssen den Mut
aufbringen, konkrete Zeichen ihres geistlichen Weges zu geben. Darum ist
es wichtig, Zeit für die Jugendlichen aufzuwenden, auf ihrer Ebene sich
zu bewegen, dort, wo sie sich befinden, sie anzuhören und auf die Fragen
einzugehen, die sich aus der Begegnung ergeben«. (100) Genau aus
diesem Grunde ist der Berufsbegleiter auch ein Begeisterter seiner
eigenen Berufung und seiner Möglichkeit, diese anderen zu vermitteln: er
ist nicht nur überzeugter Zeuge, sondern zufriedener Zeuge, und deshalb
auch überzeugend und glaubwürdig. Nur so erreicht die Botschaft
die spirituelle Ganzheitlichkeit der Person, d.h. Herz, Geist und
Willen, indem sie etwas anbietet, das wahr, schön und gut ist.
Dies ist der Sinn von Mit-Berufung: niemand kann an der Seite
eines Verkünders einer derart »Frohen Botschaft« gehen und sich nicht
betroffen fühlen, »vollkommen berufen«, in allen Bereichen seiner
Persönlichkeit, und ständig gerufen: zunächst von Gott, dann aber auch
von vielen Personen, Idealen, unvorhersehbaren Situationen,
unterschiedlichen Provokationen und menschlichen Vermittlungen des
göttlichen Rufes. Dann kann das Anzeichen für die Berufung besser
wahrgenommen werden. Erziehen (e-ducare) 35.
Und er sagte: »Was sind das für Dinge, über die ihr auf eurem Weg
miteinander redet? Da blieben sie traurig stehen, und einer von ihnen —
er hieß Kleopas — antwortete ihm: Bist du so fremd in Jerusalem, daß du
als einziger nicht weißt, was in diesen Tagen dort geschehen ist? Er
fragte sie: Was denn? Sie antworteten ihm: Das mit Jesus von Nazareth.
Er war ein Prophet, mächtig in Wort und Tat vor Gott und dem ganzen
Volk... Da sagte er zu ihnen: Begreift Ihr denn nicht? Wie schwer fällt
es euch, alles zu glauben, was die Propheten gesagt haben. Mußte nicht
der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?
Und er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in
der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht. So erreichten sie das
Dorf, zu dem sie unterwegs waren. Jesus tat, als wolle er weitergehen,
aber sie drängten ihn und sagten: Bleib doch bei uns, denn es wird bald
Abend, der Tag hat sich schon geneigt. Da ging er mit hinein, um bei
ihnen zu bleiben«..... (Lk 24,17-29). In der
Berufsbegleitung geht es nach der Aussaat entlang des begleiteten Weges
darum, den Jugendlichen zu erziehen. Erziehen im etymologischen
Sinn des Wortes, gleichsam einem Heraus-ziehen (e-ducere) der Wahrheit
in ihm; herausziehen dessen, was er im Herzen trägt, auch was er von
sich noch nicht weiß und kennt, wie Schwächen und Erwartungen, um eine
freie Antwort auf seine Berufung zu fördern. a) Erziehen zur
Selbsterkenntnis Jesus naht sich den beiden und fragt sie,
worüber sie reden. Er weiß es bereits, doch möchte er, daß beide vor
sich selbst offen seien, indem sie ihre Trauer und ihre enttäuschten
Hoffnungen in Worte fassen, und er ihnen dann helfe, sich ihrer
Schwierigkeiten und der wahren Ursachen ihrer Verwirrung bewußt zu
werden. So sind die beiden praktisch gezwungen, das jüngste Geschehen
erneut zu überdenken und den wahren Grund ihrer Trauer kundzutun.
»Wir hatten gehofft...«; doch die Geschichte schien sich entgegen ihren
Erwartungen entwickelt zu haben. Ja, in Wirklichkeit hatten sie all ihre
bedeutenden Erfahrungen im unmittelbaren Kontakt mit Jesus gemacht,
»mächtig in Wort und Tat«; nun ist es aber, als wäre dieser Glaubensweg
plötzlich unterbrochen angesichts eines so unverständlichen Ereignisses,
wie Leiden und Tod dessen es waren, der Israel eigentlich hätte befreien
sollen. »Wir hatten gehofft...«; wie soll man in dieser
unvollendeten Geschichte nicht das Geschick so vieler Jugendlicher
wiedererkennen, die an der Berufsfrage interessiert sind, sich
herausfordern lassen und gute Bereitschaft zeigen, aber dann plötzlich
angesichts der zu treffenden Entscheidung stehen bleiben? Jesus zwingt
die beiden Jünger gewissermaßen dazu, die Diskrepanz zwischen ihren
Hoffnungen und den Plänen Gottes, wie sie in Jesus sich erfüllten,
zuzulassen, zwischen ihrem Verständnis des Messias und dessen Tod am
Kreuz, zwischen ihren so menschlichen und vielversprechenden Erwartungen
und dem Sinn eines Heils, das von oben kommt. Auf gleiche Weise
ist es wichtig und entscheidend, den Jugendlichen dabei zu helfen, daß
ihnen das Grund-Mißverständnis bewußt wird: jene zu irdische und zu
ichbezogene Sicht des Lebens, die eine Berufsentscheidung schwer oder
gar unmöglich macht oder die die Anforderungen der Berufung als
überzogen erscheinen läßt, als ob Gott ein Feind des menschlichen
Glückes wäre. Viele Jugendliche haben ihre Berufung
abgewiesen, nicht weil sie etwa eng und gleichgültig gewesen wären,
sondern einfach weil man ihnen nicht geholfen hat, sich zu erkennen
und die zweifelhafte und heidnische Wurzel gewisser geistiger und
emotionaler Schablonen zu entdecken und weil ihnen nicht geholfen wurde,
sich zu befreien von ihren bewußten oder unbewußten Ängsten und
Verweigerungen gegenüber der Berufung selbst. Wie viele erstorbene
Berufungen sind auf dieses erzieherische Schweigen zurückzuführen!
Erziehen bedeutet vor allem, die Wirklichkeit des Ich, wie es ist, zu
entdecken, wenn man es dann dazu bringen will, zu sein, wie es sein
soll: die Ehrlichkeit ist ein wesentlicher Schritt auf die Wahrheit hin,
doch bedarf es in jedem Fall der Hilfe von außen, um das Innere gut zu
erkennen. Der Erzieher zur Berufung muß darum die Verließe des
menschlichen Herzens kennen, um den Jugendlichen beim Aufbau seines
wahren Ichs zu begleiten. b) Zum Geheimnis erziehen
(Mystagogik) Hier entsteht ein Widerspruch. Wenn der
Jugendliche zu seinen Quellen geführt ist und auch seinen Schwächen und
Ängsten ins Auge schauen kann, dann hat er das Gefühl, die Motive für
bestimmte Haltungen und Reaktionen besser zu verstehen, und er versteht
gleichzeitig die Wirklichkeit des Geheimnisses immer besser als einen
Schlüssel zum Verständnis des Lebens und seiner Person. Es
ist unverzichtbar, daß der Jugendliche sein Nichtwissen annimmt,
sich nicht bis ins letzte zu kennen. Das Leben liegt nicht völlig
in seinen Händen, denn das Leben ist Geheimnis; andererseits aber
ist das Geheimnis Leben. Anders gesagt: das Geheimnis ist die
unentdeckte Seite des Ich, die noch nicht gelebt wird und die darauf
wartet, entschlüsselt und verwirklicht zu werden; das Geheimnis ist jene
Wirklichkeit der Person, die erst noch wachsen muß, reich an Leben und
an noch unberührten existentiellen Möglichkeiten; es ist jener Teil, der
das Ich hervorbringt. Also ist die Annahme des Geheimnisses ein
Zeichen von Einsicht, von innerer Freiheit, von Willen nach Zukunft und
nach Neuem, ein Zeichen von Ablehnung eines sich immer wiederholenden
und passiven, langweiligen und bedeutungslosen Lebensbildes. Hier
versteht man, weshalb wir anfangs gesagt haben, daß die Berufspastoral
mystagogisch sein muß und daß sie deshalb vom Geheimnis Gottes ausgehen
muß, um zum Geheimnis des Menschen zurückzuführen. Der Verlust des
Gespürs für das Geheimnis ist eine der Hauptursachen der Krise der
Berufe. Gleichzeitig wird die Kategorie des Geheimnisses zu einer
propädeutischen Kategorie des Glaubens. Es ist möglich und gewissermaßen
auch natürlich, daß der Jugendliche an diesem Punkt in seinem Inneren
etwas neu entstehen spürt, wie ein Bedürfnis nach Offenbarung,
d.h. eine Sehnsucht, daß doch der Urheber des Lebens selbst ihm den Sinn
des Lebens und den Ort, den er in ihm einzunehmen hat, offenbaren möge.
Wer anders als der Vater könnte diese Offenbarung geschehen lassen?
Andererseits ist es nicht so wichtig, daß der Jugendliche (oder der
Begleiter) sofort den Weg erkenne, den er zu gehen hat: worauf es
ankommt ist, daß er in jedem Fall entdeckt und sich dafür entscheidet,
daß die Suche nach dem Fundament seiner Existenz außerhalb seiner
selbst in Gott Vater anzusiedeln ist. Eine echter Weg zur Berufung
führt immer und überall zur Entdeckung der Vaterschaft und Mutterschaft
Gottes! c) Erziehung zur Deutung des Lebens Im
Evangelium lädt Jesus die beiden von Emmaus gewissermaßen ein, zum Leben
zurückzukehren, zu jenen Ereignissen, die Ursache ihrer Traurigkeit
waren, und zwar durch eine behutsame Methode der Deutung, die nicht nur
fähig ist, die Ereignisse in Bezug auf einen zentralen Sinngehalt
miteinander zu verbinden, sondern im geheimnisvollen Gewebe der
menschlichen Existenz den roten Faden eines göttlichen Planes zu
entdecken. Es ist dies die Methode, die genetisch-historisch genannt
werden könnte und die in der eigenen Biographie die Schritte und Spuren
des Vorübergangs Gottes und somit auch seine rufende Stimme suchen und
finden lassen könnte. Diese Methode – ist gleichzeitig
deduktiv und induktiv, oder geschichtlich-biblisch: sie geht
gleichzeitig von der geoffenbarten Wahrheit und der geschichtlichen
Wirklichkeit aus und fördert so einen dauernden Dialog zwischen dem
subjektiv Erlebten (die von den beiden Jüngern genannten Ereignisse) und
dessen Beziehung zum Wort Gottes (»Und er legte ihnen dar, ausgehend von
Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn
geschrieben steht« - Lk 24,27); – verweist durch den
Verbindlichkeitscharakter des Wortes Gottes und durch die Zentralität
des Ostergeheimnisses des toten und wieder auferstandenen Christus
auf einen präzisen Interpretationsschlüssel für die existentiellen
Ereignisse, ohne irgendein Vorkommnis zu übergehen, sei es noch so
schwer und schmerzhaft (»Mußte nicht der Messias all das
erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?« - Lk 24,26);
Die Deutung der Lebensgeschichte wird so zu einem höchst geistlichen und
nicht nur psychologischen Tun, da sie dazu führt, im Leben die helle und
geheimnisvolle Gegenwart Gottes und seines Wortes zu erkennen.(101) Sie
ermöglicht auch, innerhalb dieses Geheimnisses allmählich den Keim der
Berufung wahrzunehmen, den der Vater selbst in die Furchen des Lebens
eingesenkt hat. Dieser Same, so klein er sein mag, beginnt nun sichtbar
zu werden und zu wachsen. d) Erziehen zur An-Rufung
(in-vocare) Wenn die Deutung des Lebens ein geistliches Tun
ist, dann führt dies die Person zwangsläufig nicht nur zur Erkenntnis
ihres Hungers nach Offenbarung, sondern zu dessen Feier im Gebet der
An-Rufung. Erziehen heißt: die Wahrheit über das Ich heraus-rufen.
Dieses Herausrufen hat seinen Ursprung im Raum des anrufenden Betens, in
einem Gebet, das eher Vertrauen besagt als Bitte, eines Gebets, das
Staunen und Dankbarkeit ist, aber auch Kampf und Spannung, schmerzliches
»Schürfen« der eigenen Ambitionen und Erwartungshaltungen, der Fragen,
der Suche des Andern: des Vaters, der im Sohn jedem Suchenden den
rechten Weg zeigt. Dann jedoch wird das Gebet zum Ort der
Erkenntnis der Berufung, der Erziehung zum Hören auf den rufenden
Gott, denn eine jede Berufung hat ihren Ursprung in den Räumen des
anrufenden, geduldigen und vertrauensvollen Gebets; dies wird nicht von
der Erwartung einer raschen Antwort getragen, sondern von der Gewißheit
oder der Hoffnung, daß die Bitte nicht unerhört bleiben kann und daß sie
zur rechten Zeit dem Bittenden seine Berufung zeigen wird. In der
Emmausgeschichte enthüllt sich dies alles in einem wesentlichen Wort,
vielleicht dem schönsten Gebet, das je von einem Menschenherzen
gesprochen wurde: »Bleib doch bei uns, denn es wird bald Abend, der Tag
hat sich schon geneigt« (Lk 24,29). Es ist die Bitte dessen, der
weiß, daß ohne den Herrn sofort die Nacht des Lebens hereinbricht, daß
ohne sein Wort die Dunkelheit des Unverständnisses oder der Verwirrung
des Ichs herrscht; das Leben erscheint sinnlos und ohne Berufung. Es ist
die Anrufung dessen, der womöglich seinen Weg noch nicht gefunden hat,
der aber spürt, daß er in Seiner Nähe sich selbst findet, da nur Er
»Worte des ewigen Lebens« hat (Joh 6,67-68). Diese Art von
anrufendem Gebet lernt man nicht spontan, sondern es verlangt eine lange
Schulung; und man lernt es nicht von sich, sondern mit der Hilfe dessen,
der gelernt hat, in das Schweigen Gottes hineinzuhorchen. Auch kann
nicht jeder solches Beten lehren, sondern nur, wer seiner Berufung treu
ist. Wenn aber — heute wie gestern oder noch mehr als gestern —
das Gebet der natürliche Weg der Suche nach der Berufung ist, dann
brauchen wir Erzieher zur Berufung, die selber beten, die beten lehren
und die zur An-rufung erziehen. Ausbilden (formare)
36. »Und als er mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den
Lobpreis, brach das Brot und gab es ihnen. Da gingen ihnen die Augen
auf, und sie erkannten ihn; dann sahen sie ihn nicht mehr. Und sie
sagten zueinander: Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er
unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloß?« (Lk
24,30-32). Die Bildung ist in gewisser Weise der Höhepunkt des
pädagogischen Prozesses, denn sie ist der Augenblick, in welchem dem
Jugendlichen ein Bild, eine Seinsweise vorgestellt wird, worin er
seine eigene Identität, seine Berufung und seinen Maßstab
wiedererkennt. Der Sohn, das Abbild des Vaters, ist der
Bildner der Menschen, denn er ist das Bild, nach dem der Vater die
Menschen erschaffen hat. Darum lädt der Sohn jene, die er beruft, dazu
ein, dieselbe Gesinnung zu haben wie er, und sein Leben zu teilen, seine
»Gestalt« anzunehmen. Er ist gleichzeitig Bildner und Bild. Ein
Berufungsausbildner ist dieser insoweit, als er Vermittler dieses
göttlichen Wirkens ist und sich neben den Jugendlichen stellt, um ihm zu
helfen, in diesem Wirken seine Berufung »wiederzuerkennen« und sich
davon gestalten zu lassen. a) Jesus erkennen Der
entscheidende Augenblick der Emmausgeschichte ist sicher jener, in
welchem Jesus das Brot nimmt, es bricht und jedem von ihnen davon
reicht: »Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten ihn«. Es
findet sich hier eine Reihe von »Erkenntnissen«, die miteinander
zusammenhängen. Vor allem erkennen die beiden Jesus, sie
entdecken die wahre Identität des Wegbegleiters, der sich ihnen
angeschlossen hatte, und zwar genau durch jene Geste, die nur Er tun
konnte, wie beide sehr wohl wußten. In Bezug auf die Berufung
zeigt uns dies, wie wichtig es ist, starke Zeichen zu setzen und
unverkennbare Signale, hohe Ziele abzustecken und Projekte einer
vorbehaltlosen Nachfolge vorzulegen.(102) Der Jugendliche muß
durch hohe Ideale zu einem Ziel angeregt werden, das ihn und seine
Fähigkeiten übersteigt, für das sich die Mühe lohnt, sein Leben
einzusetzen. Daran erinnert auch die psychologische Analyse: von einem
Jugendlichen etwas zu verlangen, das unter seinen Kräften ist, bedeutet,
seine Würde zu verletzen und seine volle Verwirklichung zu behindern;
positiv ausgedrückt besagt dies: einem Jugendlichen ist das Höchste
dessen anzubieten, was er geben kann, damit er er selbst sein und werden
kann. Und wenn Christus beim »Brotbrechen« erkannt wird, dann
müßte die eucharistische Dimension jedem Berufsweg zu Grunde liegen als
typischer »Ort« der Berufsweckung, als Geheimnis, das den allgemeinen
Sinn des Lebens ausdrückt, als letztes Ziel jeder christlichen
Berufspastoral. b) Die Wahrheit des Lebens erkennen
In einem echten Bildungsprozeß auf eine Berufsentscheidung hin beginnt
an dieser Stelle jedoch eine zweite »Erkenntnis«, nämlich: im
eucharistischen Zeichen die Deutung des Lebens zu erkennen und zu
entdecken. Wenn die Eucharistie das Opfer Christi ist, das die
Menschheit rettet, und wenn dieses Opfer der gebrochene Leib und das für
das Heil der Menschheit vergossene Blut ist, dann ist auch das Leben des
Gläubigen aufgerufen, sich im gleichen Sinne zu gestalten: auch das
Leben ist empfangenes Gut, das von sich aus danach strebt, hingegebenes
Gut zu werden, wie das Leben des Ewigen Wortes: Dies ist die
Wahrheit des Lebens, die Wahrheit eines jeden Lebens. Die
Folgerungen für den Bereich der Berufung liegen auf der Hand. Wenn es am
Beginn der menschlichen Existenz ein Geschenk gibt, das diese in ihrem
Sein begründet, dann ist der Weg des Lebens vorgezeichnet: wenn es Gabe
ist, wird es sich selbst nur voll verwirklichen, indem es sich in
der Linie des Sich-Schenkens entwickelt; es wird glücklich sein, wenn es
diese seine Natur respektiert. Es mag sich entscheiden wofür es will,
doch immer im Sinne des Geschenks; sonst wird es zu einem Sein im
Widerspruch mit sich selbst, zu einem »Monstrum«; es wird frei sein,
sich für einen besonderen Lebensweg zu entscheiden, doch ist es
nicht frei, sich selbst als außerhalb der Logik des Geschenks stehend
zu denken. Die gesamte Berufspastoral baut auf dieser
grundlegenden Katechese über den Sinn des Lebens auf. Wenn diese
anthropologische Wahrheit angenommen ist, dann kann man jedwedes
Berufungsangebot machen. Dann wird auch die Berufung zum geweihten
Dienstamt oder zur Weihe als Ordensperson oder als Laie mit all ihrem
Gehalt an Geheimnis und Entsagung zur vollkommenen Verwirklichung des
Menschen und der Gabe werden, die jeder in seinem Innersten besitzt
und selber ist. c) Die Berufung als dankbares Erkennen
Wenn jedoch die beiden Emmausjünger in der eucharistischen Geste den
Herrn, und alle Gläubigen in ihr den Sinn des Lebens »erkennen«, dann
entspringt die Berufung aus der »Erkenntnis«. Sie wächst auf dem
fruchtbaren Boden der Dankbarkeit, denn die Berufung ist Antwort, nicht
Initiative des einzelnen: sie ist Erwählung, nicht Wahl.
Gerade zu einer solchen inneren Haltung der Dankbarkeit müßte der
Gesamtzusammenhang des bisherigen Lebens hinführen. Die Entdeckung, auf
unverdiente und überreiche Weise empfangen zu haben, sollte den
Jugendlichen innerlich »drängen«, seine Selbsthingabe in der
Berufungsannahme als eine unvermeidliche Folge zu verstehen, als einen
Akt, der frei ist, weil er von der Liebe bestimmt wurde; doch in
gewissem Sinne auch ein schuldiger Akt, denn angesichts der von
Gott empfangenen Liebe spürt der Jugendliche, daß er gar nicht anders
kann, als sich hinzugeben. Es ist schön und völlig konsequent, daß das
so ist; eigentlich ist es nichts Außergewöhnliches. Die
Berufspastoral ist darauf ausgerichtet, zu dieser Logik der
Anerkennung und Dankbarkeit hinzuführen; sie ist auf menschlicher
Ebene wesentlich gesünder und überzeugender und theologisch besser
begründet als die sogenannte »Logik des Helden«, also dessen, dem das
Bewußtsein, Beschenkter zu sein, fehlt und der sich selbst als Urheber
der Gabe und der Entscheidung betrachtet. Diese Logik nimmt wenig
Rücksicht auf die Sensibilität der heutigen Jugend, denn sie verkehrt
die Wahrheit des Lebens als eines empfangenen Gutes, das von Natur
aus hingegebenes Gut werden will. Es ist die biblische
Weisheit des »umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben« (Mt
10,8), (103) die Jesus seinen Jüngern und den Verkündern seines Wortes
anvertraute. Sie spricht die Wahrheit eines jeden Menschenlebens
aus; keiner kann umhin, sich selbst darin zu erkennen. Von dieser
Wahrheit aus leitet das Leben die Form ab, die es dann anzunehmen
gerufen ist, oder anders: aus dieser einzigartigen Form des Glaubens
entstehen dann die verschiedenen Berufungsmodelle des Glaubens
selbst. Also wird es auch möglich, ebenso starke und radikale
Entscheidungen zu fordern, wie eine Berufung in eine besondere Weihe,
zum Priestertum und zum Ordensleben sie darstellt. Darum wird der Anruf
Gottes, so schwer und einmalig er auch scheinen mag (und es tatsächlich
auch ist), auch zu einer ungeahnten Förderung der echten menschlichen
Bestrebungen und gewährleistet ein Maximum an Glück, ein Glück, das von
Dankbarkeit überströmt und von dem Maria im »Magnificat« singt.
d) Erkenntnis Jesu und Selbsterkenntnis des Jüngers Die
Augen der Emmausjünger gehen auf für die eucharistische Geste Jesu.
Angesichts dieser Geste verstehen Kleopas und sein Begleiter auch den
Sinn ihres Weges. Es ist ein Weg nicht nur zur Erkenntnis Jesu, sondern
auch zur Selbsterkenntnis. »Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als
er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloß?« (Lk
24,30-32). Es ist nicht nur eine gewisse Ergriffenheit in den beiden
Pilgern, die der Erklärung des Meisters lauschen, sondern das Gefühl,
daß dessen Leben, dessen Eucharistie, dessen Ostern und dessen Geheimnis
immer mehr ihr eigenes Leben, ihre Eucharistie, ihr Ostern, ihr
Geheimnis sein werden. Im brennenden Herzen ereignet sich die
Entdeckung der Berufung und die Geschichte jeder Berufung. Diese sind
immer an eine Gotteserfahrung gebunden, in der die Person auch sich
selbst und ihre eigene Identität erkennt. Auf die
Berufsentscheidung hin zu erziehen will heißen, immer mehr das Band zu
zeigen, das zwischen der Gotteserfahrung und der Selbstfindung, zwischen
Theophanie und eigener Identität besteht. Was das Instrumentum
laboris sagt, ist sehr zutreffend: »Ihn als den Herrn des Lebens und
der Geschichte zu erkennen, bedeutet auch Selbsterkenntnis des
Jüngers«.(104) Und wenn es dem Glaubensakt gelingt, die
»Erkenntnis Christi« mit der »anthropologischen Selbsterkenntnis« zu
verbinden, dann ist der Same der Berufung gereift, ja er ist aufgegangen
und blüht. Entscheiden (discernere) 37.
»Noch in derselben Stunde brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem
zurück, und fanden die Elf und die anderen Jünger versammelt. Diese
sagten: Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem Simon erschienen.
Da erzählten auch sie, was sie unterwegs erlebt und wie sie ihn erkannt
hatten, als er das Brot brach« (Lk 24,32-35). Damit der
Weg nach Emmaus zu einem Weg der Berufung werde, bedarf es nach der
Reihe der »Erkenntnisse« und »Selbsterkenntnisse« noch eines
abschließenden Schrittes: der tatsächlichen Entscheidung seitens
des Jugendlichen. Dieser Entscheidung entspricht auf der Seite dessen,
der den Berufsweg begleitet, der Prozeß der Unterscheidung. Diese
Unterscheidung wird sicher nicht während der Zeit der Ausrichtung auf
eine Berufung hin enden, sondern sie wird fortdauern bis zur endgültigen
Entscheidung, »für das ganze Leben«.(105) a) Die tatsächliche
Entscheidung des Berufenen Entscheidungsfähigkeit In
der Geschichte des Evangeliums, die unsere Überlegung begleitet hat,
kommt die Entscheidung in Vers 33 zum Ausdruck: »Noch in derselben
Stunde brachen sie auf...« Die Zeitangabe («in derselben
Stunde«) bringt überzeugend die Entschlossenheit der beiden zum
Ausdruck. Sie wird vom Wort und von der Person Jesu und von der
Begegnung mit ihm angeregt und mutig in die Tat umgesetzt durch eine
Entscheidung, die nach einem Bruch aussieht mit dem, was sie zuvor waren
oder taten, und die ein neues Leben anzeigt. Gerade eine solche
Entscheidung fehlt häufig im Leben der heutigen Jugendlichen.
Daher scheint es notwendig zu sein, »den Jugendlichen zu helfen, die
Unentschlossenheit gegenüber endgültigen Verpflichtungen zu überwinden,
sie schrittweise darauf vorzubereiten, persönliche Verantwortung zu
übernehmen, (...) ihnen ihren Fähigkeiten und ihrem Alter entsprechende
Aufgaben zu übertragen, (...) eine schrittweise Erziehung zu kleinen
Alltagsentscheidungen gegenüber Werten (Unentgeltlichkeit,
Beständigkeit, Nüchternheit, Ehrenhaftigkeit...) zu fördern«. (106)
Andererseits sei daran erinnert, daß diese und andere Ängste und
Unentschlossenheiten nicht nur die Schwäche der psychologischen Anlagen
der Person aufzeigen, sondern auch der geistlichen Erfahrung und
besonders der Erfahrung der Berufung als eines Angebots, das von Gott
kommt. Wenn diese Gewißheit schwach ist, dann verläßt sich der
betreffende Mensch unweigerlich auf sich selbst und auf die eigenen
Kräfte; und wenn er deren Hinfälligkeit feststellen muß, dann ist es
nicht ungewöhnlich, daß er sich von der Furcht vor einer endgültigen
Entscheidung besiegen läßt. Die Entschlußunfähigkeit ist nicht
unbedingt ein Merkmal der gegenwärtigen Jugend: nicht selten ist sie
Folge einer Berufsbegleitung, die den Primat Gottes in der Entscheidung
nicht genügend betont oder die nicht dazu hingeführt hat, sich von Ihm
erwählen zu lassen. (107) »Heimkehr« Die
Berufsentscheidung ist ein Zeichen für die Neuheit des Lebens; sie ist
jedoch tatsächlich auch Zeichen für die Wiedergewinnung der eigenen
Identität, ist wie eine »Heimkehr« zu den Wurzeln des Ich. Im Bericht
von Emmaus ist sie mit folgenden Worten symbolisch angesprochen: »...
sie kehrten nach Jerusalem zurück«. Es ist in der Ausbildung auf
die Berufsentscheidung hin sehr wichtig, die Überzeugung zu stärken, daß
diese Entscheidung die Bedingung ist für Identität und
Selbstverwirklichung gemäß jenem einzigen Plan, der das Glück schenken
kann. Zu viele Jugendliche denken noch das Gegenteil von der
christlichen Berufung; sie betrachten sie mißtrauisch und fürchten, sie
könne sie nicht glücklich machen, doch bleiben sie schließlich
unglücklich, wie der traurige junge Mann im Evangelium (vgl. Mk
10,22). Wie oft aber hat auch das Verhalten der Erwachsenen,
einschließlich der Eltern, dazu beigetragen, ein negatives Bild von der
Berufung zu zeichnen, besonders vom Priestertum und vom Ordensstand, und
hat dadurch Hindernisse geschaffen für deren Verwirklichung und hat jene
entmutigt, die sich berufen fühlten! (108) Andererseits ist
dieses Problem nicht durch eine banale, entgegengesetzte Werbung zu
lösen, die die positiven und schönen Seiten der Berufung selbst
hervorhebt, sondern nur durch die Betonung der Überzeugung, daß die
Berufung der Gedanke Gottes über sein Geschöpf ist und daß sie der Name
ist, den er der Person gegeben hat. Die Berufung gläubig zu
entdecken und auf sie zu antworten bedeutet, jenen Stein zu finden, auf
den der eigene Name eingeschrieben ist (vgl. Offb 2,17-18), oder
zu den Quellen des Ich zurückzukehren. Persönliches Zeugnis
Die beiden Jünger »fanden in Jerusalem die Elf und die anderen Jünger
versammelt. Diese sagten: Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem
Simon erschienen. Da erzählten auch sie, was sie unterwegs erlebt, und
wie sie ihn erkannt hatten, als er das Brot brach« (Lk 24,32-35).
Das wichtigste Element in diesem Abschnitt ist — auf die
Berufsentscheidung bezogen — das Zeugnis der beiden; ein besonderes
Zeugnis, denn es geschieht in einem gemeinschaftsbezogenen Umfeld und
hat einen streng berufungsbezogenen Sinn. Als nämlich die beiden
ankommen, befindet sich die Gemeinschaft beim Bekenntnis ihres Glaubens
mit in einer Aussage («Der Herr ist wahrhaft auferstanden, und dem Simon
erschienen«), die zu den ältesten, objektiven Glaubenszeugnissen gehört.
Kleopas und sein Begleiter fügen gleichermaßen ihre subjektive Erfahrung
hinzu, die gleichzeitig sowohl das Zeugnis der Gemeinschaft, als auch
ihren persönlichen Glaubens- und Berufungsweg bestätigt. Es ist,
als wäre dieses Zeugnis die erste Frucht der entdeckten und
wiedergefundenen Berufung, die sofort, wie es der Natur der christlichen
Berufung entspricht, in den Dienst der kirchlichen Gemeinschaft gestellt
wird. Wir begegnen also erneut dem, was wir bereits über die
Beziehung von kirchlichen objektiven Berufungswegen und persönlichen
subjektiven Wegen gesagt haben, in einer Harmonie und gegenseitigen
Ergänzung: das Zeugnis des einzelnen hilft dem Glauben der Kirche und
läßt diesen wachsen; der Glaube und das Zeugnis der Kirche weckt und
ermutigt die Berufungsannahme durch den einzelnen. b) Die
Entscheidung seitens des Begleiters Im Nachsynodalen
Apostolischen Schreiben Pastores dabo vobis sagt Johannes Paul II.:
»Die Kenntnis der Natur des Glaubens und der Sendung des priesterlichen
Dienstamtes ist unverzichtbare Voraussetzung und gleichzeitig sicherste
Führerin und stärkste Anregung, um in der Kirche eine Pastoral der
Förderung und Erkennung von Priesterberufen zu entfalten und die zum
Weiheamt Berufenen auszubilden«. (109) Dasselbe könnte man analog
sagen, wenn es sich um die Erkennung jeder Berufung zum geweihten Leben
handelt. Unverzichtbare Voraussetzung für die Erkennung einer solchen
Berufung ist vor allem, die Natur und die Sendung jedes Lebensstandes in
der Kirche vor Augen zu haben. (110) Eine solche Voraussetzung
leitet sich direkt von der Gewißheit ab, daß Gott der Rufer ist, also
von der Suche nach jenen Anzeichen, die auf einen göttlichen Anruf
hinweisen. Im folgenden werden einige Kriterien zur Erkennung
einer Berufung angeführt. Sie umfassen vier Gruppen. Das
Offensein für das Geheimnis Wenn die Verschlossenheit
gegenüber dem Geheimnis, ein Merkmal der modernen Mentalität, jede
Bereitschaft für eine Berufung verhindert, so ist deren Gegenteil, die
Offenheit für das Geheimnis, nicht nur eine positive Voraussetzung für
die Entdeckung der eigenen Berufung, sondern auch ein Anzeichen für eine
gesunde Berufswahl. a) Eine echte, subjektive Sicherheit
für einen Beruf ist jene, die dem Geheimnis Raum gibt und die
fühlt, daß die eigene, wenngleich feste Entscheidung offen bleiben muß
für ein beständiges Erforschen des Geheimnisses. Eine unechte
Berufung ist nicht nur jene, die schwach und unfähig zu einer
Entscheidung ist, sondern auch deren Gegenteil, d.h. die Behauptung,
bereits alles verstanden zu haben, die Tiefe des persönlichen
Geheimnisses ausgeschöpft zu haben, eine Behauptung, die nur Starrheit
hervorrufen kann und eine Sicherheit, die oft vom späteren Leben
widerlegt wird. b) Ein für eine Berufung typisches
Verhalten zeigt sich eher in einer Haltung der Weisheit als in den zur
Schau gestellten persönlichen Fähigkeiten. Gerade darum ist die
Sicherheit bezüglich des Verständnisses der eigenen Zukunft jene der
Hoffnung und des Sich-Anvertrauens. Diese entstehen aus einem
Vertrauen, das in einen Anderen gelegt wird, dem man trauen kann; sie
leitet sich nicht von einer Garantie der eigenen Fähigkeiten ab, die als
den Erfordernissen der gewählten Rolle entsprechend eingestuft werden.
c) Ein gutes Zeichen für eine Berufung ist auch die Fähigkeit, jene
widersprüchliche Polarität anzunehmen und zu integrieren, die die
natürliche Dialektik des Ich und des menschlichen Lebens bildet. So
besitzt beispielsweise ein Jugendlicher dann diese Fähigkeit, wenn er
seine positiven wie auch negativen Seiten kennt, wenn er sich seiner
Ideale und Widersprüche sowie der gesunden und weniger gesunden Bereiche
seines Berufsplanes bewußt ist und wenn er angesichts des Negativen
weder anmaßend noch verzweifelt ist. d) Jener
Jugendliche, der die Zeichen seiner Berufung durch Gott nicht nur in
außergewöhnlichen Ereignissen erkennt, sondern in seiner Geschichte,
hat eine gute Vertrautheit mit dem Geheimnis des Lebens als jenem Ort,
an welchem eine Präsenz und ein Anruf wahrzunehmen ist in jenen
Vorkommnissen, in den Fragen, Ängsten und Hoffnungen, die er im Lichte
des Glaubens zu begreifen gelernt hat. e) Zu diesem
Bereich der Öffnung für das Geheimnis gehört auch eine grundsätzliche
Eigenschaft des wirklich Berufenen: die Dankbarkeit. Die Berufung
entsteht auf dem fruchtbaren Boden der Dankbarkeit, und sie wird mit
Hochherzigkeit und Radikalität betrachtet, eben weil sie dem Bewußtsein
einer empfangenen Liebe entspringt. Die Identität in der
Berufung Der zweite Bereich der Kriterien bewegt sich um
den Begriff der »Identität«. Die Berufsentscheidung zeigt und beinhaltet
gerade die Definition der eigenen Identität; sie ist Wahl und
Verwirklichung mehr des idealen Ich als des aktuellen Ich, und sollte
die Person zu einer grundsätzlichen, positiven und stabilen Einstellung
dem eigenen Ich gegenüber hinführen. a) Erste Bedingung
dazu ist, daß die Person zeigt, daß sie imstande ist, sich von der Logik
der Identifikation auf der körperlichen Ebene (= der Körper als
Quelle der positiven Identität) und der psychischen Ebene (= die
eigenen Gaben als einzige und hauptsächliche Gewähr für Selbstachtung)
zu lösen und dafür die eigene, fundamentale Positivität mit dem von Gott
als Gabe empfangenen Sein (es ist dies die ontologische Ebene) verbindet
und nicht mit der Hinfälligkeit des Habens oder Scheinens. Die
christliche Berufung ist das, was zur Vollendung dieser Positivität
führt und in höchstem Maße die Möglichkeiten des Menschen verwirklicht;
dies jedoch nach einem Plan, der ihn gewöhnlich überragt, da er von Gott
gedacht ist. b) »Berufung« bedeutet grundsätzlich »Ruf«:
es gibt also ein äußeres Objekt, einen objektiven Anruf und eine
innere Bereitschaft, sich rufen zu lassen und sich wiederzuerkennen
in einem Modell, das nicht vom Gerufenen geschaffen wurde. c)
Was die Motivation oder die Art und Weise der Berufswahl betrifft, so
ist das wesentliche Kriterium jenes der Totalität (oder: das
Gesetz der Totalität); das heißt, daß der Entschluß Ausdruck einer
totalen Einbeziehung der psychischen Funktionen (Herz-Geist-Wille) ist
und gleichzeitig einer geistigen-ethischen-emotionalen Funktion.
d) Genauer gesagt haben wir es mit einer reifen Berufung zu tun,
wenn die Berufung als ein Geschenk gelebt und verstanden wird,
aber auch als ein anspruchsvoller Appell: für die anderen zu leben,
nicht nur für die eigene Vollkommenheit, und mit den anderen, in einer
besonderen »Nachfolge Christi«, innerhalb der Kirche, die die Mutter
aller Berufungen ist. Lebensentwurf aus dem Glauben
Der dritte Bereich, auf den sich die Aufmerksamkeit dessen, der über
eine Berufung entscheidet, zu konzentrieren hat, betrifft die Art des
Verhältnisses von Vergangenheit und Gegenwart, von Erinnerung und
Planung. a) Vor allem ist wichtig, daß der Jugendliche im
wesentlichen mit seiner Vergangenheit versöhnt ist; mit allem
unvermeidlich Negativen, das ihm angehört, und auch mit dem Positiven,
das er dankbar anerkennen müßte; versöhnt auch mit den bedeutenden
Gestalten seines Lebens, mit deren Reichtum und mit deren Schwächen.
b) Aufmerksam ist auch die Art der Erinnerung zu beobachten,
die der Jugendliche mit seiner Lebensgeschichte verbindet, welche
Deutung er seinem Leben gibt: ist es für ihn Gnade oder Grund zur Klage?
Fühlt er sich bewußt oder unbewußt als Benachteiligter, der viele
Ansprüche hat, oder ist er offen, zu geben? c) Besonders
bezeichnend ist das Verhalten der Jugendlichen gegenüber den größeren
oder kleineren Träumen der Vergangenheit. Der Plan einer Lebensweihe an
Gott bedeutet in jeden Fall, sein Leben, das man einsetzen möchte, in
allen seinen Aspekten anzunehmen, danach zu streben, diese weniger
positiven Bestandteile zu integrieren, sie realistisch anzuerkennen
und ein verantwortliches Verhalten anzunehmen, und nicht einfach
ihretwegen sich selbst zu bedauern. Ein »verantwortlicher« junger Mensch
ist der, der bemüht ist, sich eine aktive und kreative Einstellung
gegenüber negativen Vorkommnissen anzueignen, oder der sich bemüht, die
negative persönliche Erfahrung auf intelligente Weise auszunützen.
Große Aufmerksamkeit ist auf jene Berufungen zu verwenden, die aus Leid,
Enttäuschung oder verschiedenen, noch nicht ganz integrierten
Ereignissen entspringen. In einem solchen Fall ist eine aufmerksamere
Prüfung geboten, auch unter Zuhilfenahme von Fachleuten, damit nicht
untragbare Lasten auf schwache Schultern gelegt werden. Die
»Lernbereitschaft« der Berufung (docibilitas) Die letzte
Phase im Werdegang einer Berufung ist die des Entschlusses. Bezüglich
dieser Phase müssen die folgenden Entscheidungskriterien gegeben sein:
a) Hauptanforderung ist ein gutes Maß an Lernbereitschaft der
Person und an innerer Freiheit, sich von einem älteren Bruder oder einer
Schwester führen zu lassen; dies besonders in den entscheidenden Phasen
der Verarbeitung und Aneignung der eigenen Vergangenheit, vor allem der
problembeladenen, und die anschließende Freiheit, zu lernen und sich zu
ändern. b) Die Voraussetzung für die Lernbereitschaft ist
identisch mit Jugendlichkeit, nicht so sehr dem Geburtsdatum nach,
sondern als umfassende existentielle Einstellung. Es ist wichtig, daß
jemand, der ins Seminar oder in einen Orden eintreten möchte, wirklich
»jung« sei, mit den Tugenden und den Verletzlichkeiten, die für diese
Lebensphase charakteristisch sind: mit Tatendrang und mit dem Verlangen,
sein Bestes zu geben, mit Kontaktfähigkeit, mit Freude an der Schönheit
des Lebens, der eigenen Schwächen und Stärken bewußt und überzeugt von
dem Geschenk, erwählt worden zu sein. c) Ein weiterer
Bereich, der heute mehr denn je besondere Aufmerksamkeit verdient, ist
der affektiv-sexuelle Bereich.(111) Es ist wichtig, daß ein
Jugendlicher zeigen kann, daß er jene beiden Gewißheiten erwerben kann,
die die Person affektiv frei machen, d.h. die Gewißheit, die sich aus
der Erfahrung herleitet, schon geliebt zu sein, und der ebenso
erfahrenen Gewißheit, lieben zu können. Konkret müßte der
Jugendliche jenes menschliche Gleichgewicht besitzen, das es ihm
erlaubt, allein auf eigenen Füßen zu stehen; er müßte jene Sicherheit
und Autonomie besitzen, die ihm sozialen Kontakt und herzliche
Freundschaft ermöglichen, und er müßte jenes Verantwortungsgespür
besitzen, das es ihm erlaubt, als Erwachsener soziale Beziehungen zu
leben, in der Freiheit des Gebens und Nehmens. d) Was die
Mängel im affektiv-sexuellen Bereich anbelangt, so muß eine
abgewogene Prüfung der Zentralität dieses Bereiches in der allgemeinen
Entwicklung des jungen Menschen und in der gegenwärtigen Kultur (oder
Subkultur) Rechnung tragen. Es ist nicht so außergewöhnlich oder selten,
daß ein Jugendlicher hierin besondere Schwächen zeigt. Unter
welchen Bedingungen kann man klugerweise die Berufsbitte eines
Jugendlichen annehmen, der derlei Probleme mit sich bringt?
Voraussetzung dafür ist, dab folgende drei Bedingungen gemeinsam
gegeben sind:
- Daß der Jugendliche sich der Wurzel seines Problems bewußt
ist, das ursprünglich oft kein sexuelles Problem ist.
- Die zweite Bedingung ist, daß der Jugendliche seine Schwäche als
Fremdkörper empfinde, der nicht zu seiner Persönlichkeit gehört, als
etwas, was er nicht möchte und das sich an seinem Ideal reibt und
gegen das er mit seinem ganzen Selbst angeht.
- Schließlich ist es wichtig sich zu vergewissern, ob der
Jugendliche imstande ist, diese Schwäche zu kontrollieren im
Blick auf deren Überwindung, sei es, daß er seltener fällt, sei es
daß diese Neigungen immer weniger sein Leben stören (auch das
psychische) und ihm die Erfüllung seiner Aufgaben ermöglichen, ohne
übermäßige Spannungen zu erzeugen oder seine Aufmerksamkeit
unangemessen zu beanspruchen.(112) Diese drei Kriterien müssen
vollständig gegeben sein, um eine positive Entscheidung zu
rechtfertigen.
e) Die Reife der Berufung hängt schließlich von einem
Element ab, das tatsächlich allem seinen Sinn gibt: dem Akt des
Glaubens. Die echte Berufsentscheidung ist in jeder Hinsicht
Ausdruck der gläubigen Annahme; sie ist um so echter, je mehr sie Teil
und Abschluß eines Bildungsprozesses zur Glaubensreife hin ist.
Innerhalb einer Logik, die dem Geheimnis Raum läßt, ist der Glaubensakt
gerade jener zentrale Punkt, der es erlaubt, die oft entgegengesetzten
Polaritäten eines Lebens zusammenzuhalten, das sich in ständiger
Spannung zwischen den Zeichen der Sicherheit des Anrufs und dem
Bewußtsein der eigenen Ungeeignetheit befindet, zwischen dem Gefühl des
Sich-Verlierens und des Sich-Findens, zwischen Gott, der ruft, und dem
Menschen, der antwortet. Der wirklich berufene Jugendliche muß die
Festigkeit dieses Glaubensaktes aufweisen, gerade in der Spannung dieser
Polaritäten. ZUM SCHLUSS Dem Jubiläum
entgegen 38. Dieses Dokument wendet sich an die Kirchen
Europas in jenem Augenblick, da das Volk Gottes sich darauf vorbereitet,
im Jubiläum des Jahres 2000 eine Zeit der Gnade und des Erbarmens, der
Umkehr und der Erneuerung zu feiern. Auch der Kongreß über die
Berufungen ist ein Teil dieser Vorbereitung und trägt gewissermaßen zu
deren Orientierung bei. Dies in zweierlei Hinsicht. Zuerst ist es
eine Einladung zur Umkehr. Die Berufskrise, die wir erlebt haben
und noch erleben, muß uns auch über unsere Verantwortlichkeit nachdenken
lassen, insofern wir als Gläubige gerufen sind, das Geschenk des
Glaubens zu verbreiten und in jedem Bruder und in jeder Schwester die
Bereitschaft für eine Berufung zu fördern. Auf unterschiedliche
Weise müssen wir alle eingestehen, nicht vollkommen auf diesen Ruf
geantwortet zu haben und daß wir die Kirche, die Kirchen unserer
Familien und unserer Arbeitswelt, unserer Pfarreien und Diözesen,
unserer religiösen Kongregationen und Säkularinstitute in der treuen
Erfüllung ihrer Aufgabe geschwächt haben, die Stimme des Vaters
weiterzuvermitteln, der in die Nachfolge des Sohnes im Geist ruft. Wir
werden aus dieser Krise nur herauskommen, wenn dieser Prozeß der Umkehr
ehrlich ist und unser Leben erneuern wird. Das zweite, was dieses
Dokument zur Orientierung dieses Pilgerwegs der Kirche auf das Jubiläum
hin beitragen möchte, ist eine Aufforderung zur Hoffnung. Diese
Einladung zog sich durch den ganze Kongreß hindurch, und wir wollen sie
heute erneut bekräftigen mit der ganzen Kraft unseres Glaubens.
Vielleicht gibt es keinen Bereich in der Kirche, der so sehr der Öffnung
auf die Hoffnung hin bedarf, wie die Berufspastoral, besonders dort, wo
die Krise am schmerzlichsten ist. Deshalb bestätigen wir am Ende
dieser Überlegungen erneut unsere Gewißheit, daß der Herr der Ernte es
der Kirche nicht an Arbeitern für seine Ernte fehlen lassen wird. Ja,
wenn die Hoffnung nicht auf unsere Prognosen und unsere Berechnungen
baut, die in der Vergangenheit oft widerlegt worden sind, sondern auf
das »Auf Dein Wort hin«, dann können und wollen wir an eine neue
Blütezeit der Berufe für die Kirche Europas glauben. Dieses
Dokument möchte wie ein Hymnus an den Optimismus des Glaubens sein, der
voller Hoffnung ist, um ihn in der Jugend, in den Eltern und Erziehern,
in den Hirten und Priestern, den Gottgeweihten, in all denen, die mit
den neuen Generationen zusammen dem Leben dienen, im ganzen Volk Gottes,
das in Europa ist, neu zu erwecken. Wir bitten den Herrn
der Ernte 39. Unser Dokument, das mit dem Dank an den
Gott den Herrn begann, darf nicht schließen ohne ein Gebet an die
heiligste Dreifaltigkeit, die Quelle und Bestimmung jeder Berufung.
»Gott Vater, Du Quell der Liebe, von Ewigkeit rufst Du zum Leben
und schenkst es in Fülle. Wende Deinen Blick auf die Länder Europas.
Rufe Europa wieder, wie Du es einst gerufen hast. Gib vor allem, daß es
sich Deines Rufes, seiner christlichen Wurzeln und seiner Verantwortung,
die daraus folgt, bewußt sei. Laß es sich bewußt sein, daß es dazu
berufen ist, eine Kultur des Lebens und die Achtung der Existenz eines
jeden Menschen in all seinen Formen und in jedem Zustand zu fördern;
berufen zur Einheit unter den Völkern, zur Aufnahme des Fremden, zur
Förderung bürgerlicher und demokratischer Formen des gesellschaftlichen
Lebens, damit es immer mehr ein Europa sei, das in Frieden und
Geschwisterlichkeit geeint ist. Ewiges Wort, von Ewigkeit
her nimmst Du die Liebe des Vaters an und antwortest auf dessen Ruf.
Öffne das Herz und den Geist der jungen Menschen Europas, damit sie
lernen, sich lieben zu lassen von dem, der sie nach Deinem Ebenbild
erdacht hat, und daß sie, indem sie sich lieben lassen, auch den Mut
aufbringen, dieses Bild, welches das Deine ist, zu verwirklichen. Mache
sie stark und hochherzig, fähig, auf Dein Wort zu setzen, frei zu hohem
Flug, begeistert von der Schönheit Deiner Nachfolge. Wecke unter ihnen
Verkünder Deines Evangeliums: Priester, Diakone, Gottgeweihte,
Ordensleute und Laien, Missionare und Missionarinnen, Mönche und
Klausurschwestern, die ihrerseits durch ihr Leben in die Nachfolge
Christi, des Heilandes, zu rufen und einzuladen verstehen.
Heiliger Geist, immerjunge Liebe Gottes, Stimme des Ewigen, die
unablässig tönt und ruft. Befreie den alten Kontinent von jeder
Gesinnung der Selbstgenügsamkeit, der Kultur des »Menschen ohne
Berufung«, von jener Furcht, die jeden Einsatz verhindert und das Leben
schal und geschmacklos macht, von jenem Minimalismus, der an
Mittelmäßigkeit gewöhnen läßt und in der Kirche jeden inneren Antrieb
und jeden echt jugendlichen Geist tötet. Laß unsere Jugend den vollen
Inhalt der Nachfolge erkennen als einen Ruf, sich voll zu verwirklichen,
restlos und für immer jung zu sein, ein jeder nach einem Plan, der
eigens für ihn erdacht wurde: einzig, einmalig, unwiederholbar. Einem
Europa, das zu vergreisen droht, schenke neue Berufungen, die Zeugnis
geben können von der »Jugend« Gottes und der Kirche, der Welt- wie der
Ortskirche, vom Osten bis zum Westen, und daß sie es versteht, Projekte
einer neuen Heiligkeit zu fördern für die Geburt eines neuen Europa.-
Heilige Jungfrau Maria, junge Tochter Israels, die der Vater als
Braut des Geistes erwählt hat, um dem Sohn irdisches Leben zu schenken.
Bringe in den Jugendlichen Europas denselben brennenden Mut hervor, den
Du selbst hattest; jenen Mut, der Dich eines Tages frei gemacht hat, an
einen Plan zu glauben, der größer war als Du selbst, frei zu hoffen, daß
Gott ihn erfüllen würde. Dir, der Mutter des ewigen Hohepriesters,
vertrauen wir die Jugendlichen an, die zum Priestertum berufen
sind; Dir, der Erstgeweihten des Vaters, vertrauen wir jene Jugendlichen
an, die im geweihten Leben für sich die vorbehaltslose
Zugehörigkeit zum Herrn erwählen, als dem einzigen und höchstgeliebten
Gut; Dir, die Du wie kein anderes Geschöpf die Einsamkeit der völligen
Vertrautheit mit dem Herrn Jesus gelebt hast, vertrauen wir jene an, die
die Welt verlassen, um sich im monastischen Leben ganz dem Gebet
zu weihen. Dir, die Du in mütterlicher Liebe die werdende Kirche
hervorgebracht und ihr beigestanden hast, vertrauen wir alle
Berufungen dieser Kirche an, damit sie, heute wie einst, allen
Völkern verkünden, daß Jesus der Herr ist, im Heiligen Geist, zur Ehre
Gottes, des Vaters! AMEN.« Rom, am 6. Januar 1998, dem Fest
der Erscheinung des Herrn.
Pio Card. LaghiPräsident José Saraiva Martins
Titular-Erzbischof von Tuburnica Vize-Präsident
_______________________________
(1)Am Kongreß haben 253 Delegierte aus 37 europäischen
Ländern, sowie Vertreter der verschiedenen Berufskategorien (Laien,
Ordensleute, Priester, Bischöfe) teilgenommen. Auch einige Vertreter der
Schwesterkirchen (Protestanten, Orthodoxe und Anglikaner) waren
anwesend. (2) Päpstliches Werk für Geistliche Berufe, Die
Pastoral der Berufe in den Teilkirchen Europas. Arbeitsdokument des
Kongresses über die Berufungen zum Priestertum und zum Ordensleben in
Europa, Rom 1996, Nr. 88. Im folgenden zitiert als IL (Instrumentum
Laboris). (3) Ebd., 15. (4) Vgl. unter anderem:
Sviluppi della cura pastorale delle vocazioni nelle chiese particolari,
esperienze del passato e programmi per l'avvenire, Documento conclusivo
del II. Congresso internazionale di Vescovi e altri responsabili delle
vocazioni ecclesiastiche (Hrsg.: Die Kongregationen für die
Orientalischen Kirchen, für die Ordensleute und Säkularinstitute, für
die Evangelisierung der Völker, für das Katholische Bildungswesen), Rom,
10. - 16. Mai 1981; Päpstliches Werk für Geistliche Berufe, Sviluppi
della pastorale delle vocazioni nelle chiese particolari (gemeinsam
mit: Kongregation für das Katholische Bildungswesen und Kongregation für
die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des
Apostolischen Lebens), Rom 1992; Dichiarazione finale del I.
Congresso Continentale latino-americano sulle Vocazioni, Itaici 1994
(in »Seminarium«, 3, 1994, 643-655). (5) Vgl. IL, 18.
(6) Vgl. Proposizioni conclusive del Congresso Europeo sulle
vocazioni al sacerdozio e alla vita consacrata, 8. Im folgenden
zitiert als Propositiones. (7) Vgl. IL, 32. (8)
Propositiones, 7. (9) Propositiones, 3. (10)
Propositiones, 4. (11) Paul VI., Evangelii Nuntiandi,
2. Vgl. dazu auch Johannes Paul II., Christifideles Laici, 33-34
und Redemptoris Missio, 33-34. (12) Propositiones,
19. (13) 3 Lumen Gentium, 32; 39-42 (Kap. V.). (14)
IL, 6. (15) Propositiones, 16. (16) Propositiones,
19. (17) 3 Die »Kultur der Berufung« war Thema der Botschaft
des Papstes zum 30. Weltgebetstag für geistliche Berufe, der am
2.5.1993 begangen wurde (vgl. L'Osservatore Romano, 18.12.1992;
vgl. auch Kongregation für das Katholische Bildungswesen, P.O.V.E.,
Messaggi Pontifici per la giornata mondiale di preghiera per le
vocazioni, Rom 1994, pp. 241-245). (18) Johannes Paul II.,
Ansprache an die Teilnehmer des Kongresses über die Berufungen in
Europa, in L'Osservatore Romano, 11.05.1997, 4. (19)
Ebd. (20) Vgl. Propositiones, 12. (21)IL,
6. (22) Ansprache des Hl. Vaters, in L'Osservatore
Romano, 11. Mai 1997, Nr. 104. (23) Vgl. Propositiones,
20. (24) Vgl. Johannes Paul II., Vita consecrata, 64.
(25) IL, 85. (26) Eine ähnliche Formulierung wurde schon
im Schlußdokument des II. Internationalen Kongresses der Bischöfe
und anderer Verantwortlicher für die geistlichen Berufe verwendet, vgl.
Sviluppi, 3. Von nun an zitiert als DC (Documento
conclusivo). (27) Propositiones, 3. (28) Paul VI.,
Populorum progressio, 15. (29) Gaudium et spes, 22.
(30) Dazu lautet eine Schlußaussage des Kongresses: »Im europäischen
Zusammenhang ist es wichtig, den ersten Augenblick der Berufung bewußt
zu machen, jenen der Geburt. Die Annahme des Lebens zeigt, daß man an
jenen Gott glaubt, der "sieht" und "ruft", und die vom Mutterschoß an«
(Propositiones, 34). (31) Johannes Paul II., Familiaris
consortio, 11. (32) Eine Aussage des Kongresses lautet:
»Darum können die Jugendlichen nur in einem lebendigen Verhältnis zu
Jesus Christus, dem Heiland, die Fähigkeit zur Gemeinschaft entfalten,
die eigene Persönlichkeit reifen lassen und sich für Ihn entscheiden«
(Propositiones, 13). (33) IL, 55. (34) Sacrosanctum
Concilium, 10. (35) Vgl. Veritatis splendor, 23-24. (36)
Vgl. Lumen Gentium, Kap. V. (37) Vgl. Propositiones,
16. (38) Ritus der Firmung. (39) Vgl. Propositiones, 35.
(40) Lumen Gentium, 1. (41) Vgl. Propositiones, 21.
(42) Vgl. II. Hochgebet. (43) DC, 18. (44) DC,
13. (45) Propositiones, 28. (46) Dies ist Teil
der inständigen und oft wiederholten Lehre Johannes Pauls II. in den
Enzykliken »Slavorum Apostoli« (1985) und »Ut unum sint«
(1995), wie auch im Apostolischen Schreiben »Orientale Lumen«
(1995). (47) IL, 58. (48) Johannes Paul II.,
Christifideles laici, 55. (49) Johannes Paul II., Pastores
dabo vobis, 15. (50) »In der besonderen Pastoral der Berufe
soll der Berufung zum Ständigen Diakonat Raum gegeben werden. Die
Ständigen Diakone sind bereits eine wertvolle Präsenz in vielen
Pfarreien, und es wäre ein Rückschritt, sie nicht unter die neuen Berufe
des neuen Europas aufzunehmen« (Propositiones, 18). (51)
Sacrosanctum Concilium, 10. (52) »In laudibus Virginis
Matris«, Homilia II, 4; Sancti Bernardi opera, IV, Romae,
Editiones Cistercenses, 1966, s. 23. (53) »In Johannis Evangelium
Tractatus«, VIII, 9; CCL, 36, s. 87. (54) Johannes Paul II.,
Ansprache an die Teilnehmer des Kongresses über das Thema: »Neue
Berufungen für ein neues Europa«, in L'Osservatore Romano,
11. Mai 1997, Nr. 107. (55) DC, 5. (56) Dieser
Ausdruck findet sich im Apostolischen Schreiben von Johannes Paul II.,
Pastores dabo vobis, Nr. 34. Im gleichen Dokument sind auch die
Motive gut beschrieben, weshalb die Berufspastoral zutiefst an die
Kirche gebunden ist. (57) Ebd. (58) Ebd.
(59) IL, 58. (60) Der Ausdruck »christliche
Gemeinschaft« ist eigentlich ein allgemeiner Begriff, der eine
Teilkirche bzw. Ortskirche bezeichnet, oder auch eine Pfarrei. Er
bezeichnet eine Gruppe von Christen an einem bestimmten Ort und meint
die Kirche in ihrem konkreten Augenblick, wenn sie zum Gebet, zum
Dienst, zum Zeugnis der Liebe und der Gegenwart Christi in ihr
versammelt ist. Der Ausdruck »kirchliche Gemeinschaft« ist jedoch
ein genauerer Begriff, denn er bezeichnet die Anwesenheit jener
Elemente, die für die Kirche konstitutiv sind, ausgehend von der
Zentralität des eucharistischen Geheimnisses; in seinem eigentlichen
Sinn wird dieser Begriff auf die Diözesen und auf die Pfarrgemeinden
angewandt, die eucharistische kirchliche Gemeinschaften sind aufgrund
der Anwesenheit eines geweihten Dieners; nur in weiterem Sinn wird der
Begriff angewandt auf die anderen Gemeinschaften. Vgl. dazu DC,
13-16. (61) Johannes Paul II., Ansprache an das VI. Symposium
der Europäischen Bischofskonferenzen, 11.10.1985. (62)
Pastores dabo vobis, 34. (63) Ebd., 35. (64)
Ebd., 41. (65) Vgl. ebd., 41. (66) Ebd.,
38. (67) Vita consecrata, 64. (68) Ebd.
(69) IL, 59. (70) Vgl. Dichiarazione finale..., 26;
siehe Anm. 4. (71) Vgl. Propositiones, 25. (72)
Vgl. Vita consecrata, 70. (73) Propositiones, 4.
(74) Propositiones, 13. (75) Vgl. Propositiones,
10. (76) 3 Vgl. Propositiones, 10. (77) »Die
Liturgie ist in sich selbst ein Appell. Sie ist der bevorzugte Ort, an
dem das ganze Volk Gottes sich sichtbar erkennt und sich im Geheimnis
des Glaubens verwirklicht« (Propositiones, 13). (78) Dei
Verbum, 25. (79) »Der erste Ort des Zeugnisses ist das Leben
einer Kirche, die sich als »communio« erlebt und in der die Pfarreien
und die Verbände als Einheit in Gemeinschaft gelebt werden« (Propositiones,
14). (80) Propositiones, 21. (81) Vita
consecrata, 64. (82) Vgl. Lumen Gentium 12; 35; 40-42.
(83) Vgl. Catechesi tradendae, 186. (84) Propositiones,
35, wo die Bischöfe noch einmal an die große Gelegenheit erinnert
werden, bei der Spendung der Firmung die Jugendlichen, die dieses
Sakrament empfangen, »zu rufen«. (85) Propositiones, 10.
(86) Propositiones, 11. (87) Propositiones, 10.
(88) Pastores dabo vobis, 41. (89) Vgl. die guten Hinweise
im Documento Conclusivo des II. Internationalen Kongresses von
1981; DC, 40. (90) Vgl. Optatam totius, 2; DC,
57-59; vgl. auch Sviluppi della pastorale, 89-91. (91)
Vgl. Propositiones, 10. (92) »Manchmal — so wurde auf dem
Kongreß festgestellt — zeigt sich eine gewisse Schwerfälligkeit im
Verhältnis von Ortskirche zu Ordensleben. Es ist wichtig, von einem
funktionalen Verständnis des Ordenslebens wegzukommen, auch wenn im
Anschluß an die Synode über das geweihte Leben bereits Zeichen einer
Neuorientierung festzustellen sind. Dasselbe gilt für die
Säkularinstitute« (Propositiones, 16). (93) »In einer
religiösen und kulturellen Situation, die sich rasch verändert, wird es
unumgänglich, die Grunderzieher auszubilden: Katecheten, Pfarrer,
Diakone, Ordensleute, Bischöfe ... und für deren beständige
Weiterbildung zu sorgen« (Propositiones, 17). (94) Vgl.
Propositiones, 29, wo bezüglich dieses europäischen Kongresses über
die Berufungen der Wunsch ausgesprochen wird, man möge als Geste der
Liebe und des Teilens der Gaben, »auch eine "Bank" qualifizierter
Personen vorsehen, die in der Ausbildung der Ausbilder mitarbeiten«.
Bezüglich der Errichtung dieses Organismus findet sich eine Anregung
auch im Instrumentum laboris, 83 und 90 h. Eine positive
Erfahrung macht man seit Jahren in Lateinamerika. In Bogotà (Kolumbien),
am Sitz der lateinamerikanischen Bischofskonferenz (CELAM), arbeitet
regulär das »Departimento de Vocaciones y Ministerios« (DEVYM).
Dieser Organismus war auch Anlaufstelle für die Vorbereitung und
Durchführung des Ersten Kontinentalkongresses, der für Lateinamerika in
Itaicí (São Paulo do Brasil) vom 23.-27. Mai 1994 stattfand. (95)
IL, 86. (96) Vgl. Propositiones, 9. (97) Paul
VI., Blickt auf Christus und die Kirche, Botschaft zum XV.
Weltgebetstag für geistliche Berufe (16.04.1978), in Insegnamenti di
Paolo VI., XVI, 1978, s. 256-260 (vgl. auch: Kongregation für das
Katholische Bildungswesen, P.O.V.E., Messaggi Pontifici, 127).
(98) Propositiones, 15. (99) Propositiones, 9.
(100) Propositiones, 22. Weiter: »Das erwachende Interesse für
das Evangelium und für ein Leben, das ihm radikal geweiht ist, hängt zum
großen Teil von den Priestern und Ordensleuten ab, die in ihrem Stand
glücklich sind. Die Mehrheit der Kandidaten zum Priestertum und
Ordensleben schreibt die eigene Berufung der Begegnung mit einem
Priester oder einer Ordensperson zu« (ebd.). (101)
Propositiones, 12. (102) So in Propositiones, 23: »Es
ist wichtig zu unterstreichen, daß die Jugendlichen offen sind für
Herausforderungen und starke Angebote (die "über dem Durchschnitt"
stehen, d.h. die "etwas mehr" beinhalten!)«. (103) Diese Aussage
richtet Paulus in Form einer sehr provokativen Frage an die Korinther:
»Was hast du, das du nicht empfangen hättest?« (1 Kor 4,7).
(104) IL, 55. (105) Propositiones, 27. (106)
Propositiones, 25. (107) Vgl. Propositiones, 25.
(108) Vgl. Propositiones, 14. (109) Pastores dabo
vobis, 11. (110) Vgl. Jurado, Il discernimento, 262.
Vgl. auch L.R. Moran, »Orientaciones doctrinales para una pastoral
eclesial de las vocaciones«, in Seminarium, 4 (1991), 697-725.
(111) Wir sprechen hier von einer affektiv-sexuellen Grundreife als
einer Vorbedingung für die Zulassung zu den Ordensgelübden und zum
geweihten Dienstamt, entsprechend den beiden Wegen der katholischen
Kirchen in Europa: zum zölibatären Weiheamt (Lateinische Kirche) und zum
verheirateten Weiheamt (Orientalische Kirchen). Es ist wichtig, daß von
der Berufspastoral bis zur eigentlichen und wirklichen Ausbildung die
pädagogischen Programme kohärent und zielorientiert sind, damit die
Vorbereitung zum Weihedienst in beiden Fällen angemessen sei, besonders
auf der Ebene der affektiven Stabilität; dann kann der Dienst selbst
auch das Ziel der Verkündigung, nämlich die Liebe Gottes als Anfang und
Erfüllung der menschlichen Liebe, erreichen. (112) Siehe dazu die
Empfehlung bezüglich der Homosexualität in den Richtlinien der
Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die
Gesellschaften des apostolischen Lebens (Potissimum institutioni)
vom 2. Februar 1990 in: AAS 82 (1990) 470-532. Dort werden nicht jene
ausgeschlossen, die solche Tendenzen haben, sondern jene, »die es nicht
fertigbringen, solche Tendenzen zu beherrschen« (39), wobei dieses
»Beherrschen« nach unserem Verständnis nicht nur die Willensanstrengung
meint, sondern ein wachsendes Freisein von diesen Neigungen, im Herzen
und im Geist, im Willen und im Begehren.
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