Heiliger Vater!
Diese Tage der Rückschau auf die 25 Jahre, in denen Sie Last und Gnade des Hirtendienstes in der Kirche als Nachfolger Petri getragen haben, sind vor allem gekennzeichnet durch die Gefühle der Dankbarkeit und der Freude. Ein Höhepunkt dieser Festwoche ist das Konzert, das Chor und Orchester des Mitteldeutschen Rundfunks uns in dieser Stunde schenken.
Sie bringen uns eines der großen Meisterwerke der Musik zu Gehör, die Neunte Symphonie von Beethoven, in der sich das Ringen dieses großen Meisters mit all den Dunkelheiten des menschlichen Lebens spiegelt, gleichsam die lichtlosen Nächte durchschritten werden, in denen kein Stern der Verheißung vom Himmel zu leuchten scheint; aber am Ende brechen die Wolken auf. Das große Drama der menschlichen Existenz, das sich in der Musik entfaltet hat, wird zum Hymnus der Freude, für den sich Beethoven die Worte bei Schiller leiht ÂÂÂ Worte, die erst durch seine Komposition ihre ganze Größe gefunden haben.
Als Deutscher freue ich mich besonders, daß das Konzert von einem deutschen Ensemble dargeboten wird, das nun schon zum dritten Mal vor Ihnen, Heiliger Vater, durch die Musik ein Fest der Freude aufgehen läßt. Chor und Orchester kommen aus jenem Teil Deutschlands, der nach dem Krieg bis zur Öffnung der Mauer unter der kommunistischen Diktatur zu leiden hatte, deren Verwundungen noch immer spürbar sind. Vielleicht ist es die tiefste Wunde, daß Gott fern geworden scheint und der Glaube in vielen Seelen erloschen ist. Aber dies ist auch der Teil Deutschlands, der uns den wohl größten Meister der Musik aller Zeiten geschenkt hat, Johann Sebastian Bach. Im selben Jahr und im selben Land wie er ist auch Georg Friedrich Händel geboren worden, dem wir einen anderen unvergleichlichen Hymnus der Freude verdanken: das große »Halleluja«, das der Höhepunkt seines »Messias« ist, in dem er Verheißung und Erfüllung, die prophetische Schau des kommenden Erlösers und die ihr antwortende Geschichte Jesu musikalisch gestaltet hat.
Das »Halleluja« ist der Lobgesang der Erlösten, die durch die Auferstehung Christi inmitten der Leiden der Welt zur Freude ermächtigt sind. Diese große musikalische Tradition ist ÂÂÂ wie wir in diesen Stunden erleben werden ÂÂÂ über alle geschichtlichen Wechselfälle hin lebendig geblieben und ist ein Lichtstrahl, in dem der Stern des Glaubens, die Gegenwart Jesu Christi weiter leuchtet und sich auf seine Weise den Menschen mitteilt.
Verglichen mit der unzerstörten Gegenwart des Glaubens, die aus Händels »Hymnus an die Freude« leuchtet und die ganz anders als ein stiller innerer Friede und eine Gnade der Versöhnung im Weihnachtsoratorium von Bach oder am Ende seiner Passionen aufscheint, ist die aufgeklärte Ode Schillers, die Beethoven so gewaltig in Musik gesetzt hat, gezeichnet vom Humanismus seiner Periode, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt und ÂÂÂ wo er sich auf Gott bezieht ÂÂÂ lieber die Sprache des Mythos wählt. Und doch ÂÂÂ wir dürfen nicht vergessen, daß Beethoven auch der Schöpfer der »Missa Solemnis« ist. Der gute Vater, von dem die Ode spricht, ist für ihn nicht nur ein Postulat, wie es Schillers Text nahelegen könnte, sondern doch eine letzte Gewißheit.
Und Beethoven wußte auch, daß wir dem Vater Jesu trauen dürfen, weil er uns im Sohn nahe geworden ist. Und so dürfen wir den Götterfunken Freude, von dem die Ode redet, ruhig als Gottesfunken verstehen, der sich uns durch die Musik mitteilt und die Gewißheit gibt: Ja, den guten Vater gibt es wirklich, und er ist nicht bloß fern über dem Sternenzelt, sondern durch den Sohn mitten unter uns.
Mit dankbarer Freude darf ich Sie, verehrter Herr Intendant, begrüßen, der Sie dieses Konzert ermöglicht haben, und mit Ihnen den Direktor des Ensembles Herrn Howart Arman, die Solistinnen und die Solisten sowie Chor und Orchester. Wir danken Ihnen, daß Sie uns den Gottesfunken der Freude schenken wollen und wünschen uns, daß er in Ihnen und in uns zünden möge.