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TRAUERGOTTESDIENST FÜR MSGR. LUIGI GIUSSANI

PREDIGT VON KARD. JOSEPH RATZINGER

Mailänder Dom
Donnerstag, 24. Februar 2005
 

 

Liebe Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt!

»Da freuten sich die Jünger, daß sie den Herrn sahen« (Joh 20,20). Diese Worte des Evangeliums, das soeben gelesen wurde, weisen uns auf die Mitte der Persönlichkeit und des Lebens unseres lieben Don Giussani hin.

Don Giussani war in einem Haus aufgewachsen, das – wie er selbst sagte – arm an Brot, aber reich an Musik war; und so war er von Anfang an berührt, ja getroffen von der Sehnsucht nach Schönheit. Er gab sich nicht mit irgendeiner Schönheit, mit einer banalen Schönheit zufrieden; er suchte die Schönheit an sich, die unendliche Schönheit. So hat er Christus und in Christus die wahre Schönheit, den Weg des Lebens, die wahre Freude gefunden.

Schon als Junge hat er zusammen mit anderen Jugendlichen eine Gemeinschaft gegründet, die sich »Studium Christi« nannte. Ihr Programm lautete: Von nichts anderem als von Christus reden, weil ihm alles andere wie vergeudete Zeit vorkam. Natürlich hat er es später verstanden, die Einseitigkeit zu überwinden, aber die Substanz ist bei ihm immer erhalten geblieben. Allein Christus gibt allem in unserem Leben Sinn; Don Giussani hat den Blick seines Lebens und seines Herzens immer auf Christus gerichtet. Er ist auf diese Weise zu der Erkenntnis gekommen, daß das Christentum kein intellektuelles System, kein Bündel von Dogmen, kein Moralismus ist, sondern eine Begegnung, eine »Liebesgeschichte«, ein Ereignis.

Dieses »Sich-Verlieben« in Christus, diese Liebesgeschichte, die sein ganzes Leben ausmachte, war jedoch weit entfernt von jedem leichtfertigen Enthusiasmus, von jeder vagen Romantik. Da er Christus wirklich sah, wußte er, daß Christus begegnen heißt: Christus nachfolgen. Diese Begegnung ist eine Straße, ein Weg; ein Weg, der – wie wir im Psalm (Ps 23,4) gehört haben – auch durch die »finstere Schlucht« führt. Im Evangelium haben wir gerade vom letzten Dunkel des Leidens Christi gehört, von der scheinbaren Abwesenheit Gottes, von der Sonnenfinsternis der Welt. Don Giussani wußte, daß Nachfolge bedeutet, in »finsterer Schlucht zu wandern«; auf dem Weg des Kreuzes zu gehen und dennoch in echter Freude zu leben.

Warum ist das so? Der Herr selbst hat dieses Geheimnis des Kreuzes, das in Wirklichkeit das Geheimnis der Liebe ist, mit einer Formulierung verdeutlicht, in der die ganze Wirklichkeit unseres Lebens zum Ausdruck kommt. Der Herr sagt: »Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen« (Mt 10,39).

Don Giussani wollte tatsächlich das Leben nicht für sich haben, sondern er gab das Leben hin und gewann gerade auf diese Weise das Leben nicht nur für sich, sondern für viele andere. Er hat das, was wir im Evangelium gehört haben, verwirklicht: Er wollte kein Herr sein, er wollte dienen, er wollte ein treuer »Diener des Evangeliums« sein; er hat den ganzen Reichtum seines Herzens verteilt, er hat den göttlichen Reichtum des Evangeliums, von dem er durchdrungen war, verteilt; und durch dieses Dienen, durch die Hingabe des Lebens hat sein Leben reiche Frucht getragen, und er ist – wie wir in dieser Stunde sehen – wirklich zum Vater vieler geworden und hat gerade dadurch, daß er die Menschen nicht zu sich, sondern zu Christus führte, die Herzen gewonnen, hat geholfen, die Welt besser werden zu lassen, die Türen der Welt für den Himmel zu öffnen.

Diese zentrale Stellung Christi in seinem Leben hat ihm auch die Gabe der Unterscheidung geschenkt, nämlich in einer schwierigen Zeit, die, wie wir wissen, voller Versuchungen und Irrtümer war, die Zeichen der Zeit richtig zu entschlüsseln.

Wir denken an das Jahr ’68 und die nachfolgenden Jahre: Eine erste Gruppe seiner Freunde war nach Brasilien gegangen und fand dort extreme Armut, pures Elend vor. Was tun? Wie soll man darauf reagieren? Die Versuchung war groß zu sagen: Jetzt müssen wir – fürs erste – von Christus absehen, von Gott absehen, denn es gibt Dringenderes zu tun; wir müssen zunächst beginnen, die Strukturen, die äußeren Bedingungen zu ändern, wir müssen zuerst die Erde verbessern, dann können wir uns auch wieder dem Himmel zuwenden. Es war die große Versuchung jener Stunde, das Christentum zu einem Moralismus, den Moralismus zu einer Politik umzuformen, Glauben durch das Tun zu ersetzen. Denn: Was bewirkt der Glaube eigentlich? Sicher, man kann sagen: In diesem Augenblick müssen wir etwas tun. Und dennoch: Dadurch, daß man mit diesem Schritt den Glauben durch Moralismus, das Glauben durch das Tun ersetzt, verfällt man in partikularistische Parteilichkeiten, verliert vor allem die Kriterien und Orientierungen, und am Ende wird nicht aufgebaut, sondern gespalten.

Msgr. Giussani hat in seinem unerschütterlichen und unverbrüchlichen Glauben gewußt, daß auch in dieser Situation Christus und die Begegnung mit ihm das zentrale Ereignis bleibt, denn wer nicht Gott gibt, gibt viel zu wenig, und wer nicht Gott gibt, wer die Menschen nicht Gott im Antlitz Christi finden läßt, baut nicht auf, sondern zerstört, weil er das menschliche Tun sich in ideologischen und falschen Dogmatismen verlieren läßt. Don Giussani hat die zentrale Stellung Christi bewahrt und gerade so durch die sozialen Werke, durch den notwendigen Dienst in dieser schwierigen Welt, in der die Verantwortung der Christen für die Armen sehr groß und dringlich ist, der Menschheit geholfen.

Wer glaubt, muß auch durch die »finstere Schlucht« gehen, durch die finsteren Schluchten der Unterscheidung und damit auch der Widrigkeiten, der Widerstände, der ideologischen Gegensätze, die bis hin zu Drohungen reichten, seine Anhänger eliminieren zu wollen, um sich von dieser anderen Stimme zu befreien, die sich nicht mit dem Tun zufrieden gibt, sondern eine größere Botschaft und damit ein größeres Licht mitbringt.

Msgr. Giussani ist in der Kraft des Glaubens unbeirrt durch diese finsteren Schluchten gegangen, und er hatte mit der neuen Botschaft, die er mitbrachte, auch Schwierigkeiten mit der Einstellung innerhalb der Kirche. Immer wenn der Heilige Geist den Bedürfnissen der Zeit entsprechend das Neue hervorbringt, das in Wirklichkeit die Rückkehr zu den Ursprüngen ist, erweist es sich als schwierig, die richtige Orientierung und das friedliche Miteinander der großen Gemeinschaft der Weltkirche zu finden. Die Liebe Don Giussanis zu Christus war auch Liebe zur Kirche, und so ist er immer ein treuer Diener geblieben, treu gegenüber dem Heiligen Vater und treu gegenüber seinen Bischöfen.

Mit seinen Gründungen hat er auch dem Geheimnis der Kirche erneut Ausdruck verliehen.

»Comunione e Liberazione« läßt uns sogleich an die Freiheit, diese Entdeckung gerade der modernen Zeit, denken und auch an das Wort des hl. Ambrosius »Ubi fides est libertas« [Wo Glaube ist, ist Freiheit]. Kardinal Biffi hat uns auf die Übereinstimmung dieses Wortes des hl. Ambrosius mit der Gründung von Comunione e Liberazione aufmerksam gemacht. Indem er die Freiheit als eigentliches Glaubensgeschenk hervorhob, hat er uns auch gesagt, daß die Freiheit, um echte menschliche Freiheit, eine Freiheit in der Wahrheit zu sein, der Gemeinschaft bedarf. Eine isolierte Freiheit, eine Freiheit nur für das Ich, wäre eine Lüge und würde die menschliche Gemeinschaft zerstören. Um wahr und damit auch wirksam zu sein, braucht die Freiheit die Gemeinschaft, und zwar nicht irgendeine Gemeinschaft, sondern letztlich die Gemeinschaft mit der Wahrheit selbst, mit der Liebe selbst, mit Christus, mit dem dreieinigen Gott. So baut sich Gemeinschaft auf, die Freiheit schafft und Freude schenkt.

Die andere von Don Giussani gegründete Vereinigung »Memores Domini« läßt uns wieder an das zweite Evangelium von heute denken: Das Gedächtnis, das uns der Herr in der Heiligen Eucharistie geschenkt hat, Gedächtnis, das nicht bloße Erinnerung an die Vergangenheit ist, sondern Gedächtnis, das eine Gegenwart hervorbringt, Gedächtnis, in dem Er selbst sich in unsere Hände und in unsere Herzen gibt und uns dadurch leben läßt.

In finsteren Schluchten wandern. In seinem letzten Lebensabschnitt mußte Don Giussani durch die finstere Schlucht der Krankheit, der Schwäche, des Schmerzes, des Leidens gehen, aber auch hier war sein Blick fest auf Jesus gerichtet, und so blieb er in seinem ganzen Leiden wahrhaftig; wenn er Jesus sah, konnte er sich freuen, war die Freude über den Auferstandenen gegenwärtig, der auch im Leiden der Auferstandene ist und uns das wahre Licht und die Freude schenkt; und er wußte – wie es im Psalm heißt –: Auch wenn ich wandern muß in finsterer Schlucht, »fürchte ich kein Unheil; denn du bist bei mir […] und ich darf wohnen im Haus des Herrn«. Das war seine große Kraft: zu wissen, »Du bist bei mir«.

Meine lieben Gläubigen, vor allem liebe Jugendliche, nehmen wir uns diese Botschaft zu Herzen, verlieren wir Christus nicht aus den Augen und vergessen wir nicht, daß ohne Gott nichts Gutes aufgebaut wird und daß Gott rätselhaft bleibt, wenn er nicht im Antlitz Christi erkannt wird.

Euer lieber Freund Don Giussani hat nun das Ziel des Lebens erreicht, und wir sind überzeugt, daß sich ihm das Tor zum Haus des Vaters geöffnet hat. Wir sind überzeugt, daß sich nun dieses Wort: Da freuten sie sich, daß sie den Herrn sahen, voll an ihm erfüllt, daß er sich freut mit einer Freude, die ihm keiner nimmt. In dieser Stunde wollen wir dem Herrn danken für das große Geschenk dieses Priesters, dieses treuen Dieners des Evangeliums, dieses Vaters. Wir vertrauen seine Seele der Güte seines und unseres Herrn an.

Wir wollen in dieser Stunde auch besonders für die Gesundheit unseres Heiligen Vaters beten, der neuerlich im Krankenhaus liegt. Der Herr begleite ihn, verleihe ihm Kraft und Gesundheit. Und wir beten darum, daß der Herr uns erleuchte, uns den Glauben schenke, der die Welt aufbaut, den Glauben, der uns den Weg des Lebens, die wahre Freude finden läßt.

Amen!

    

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