KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE NOTIFIKATION zu den Werken von P. Jon SOBRINO S.J.:
Einleitung
1. Nach einer ersten Prüfung der Bücher Jesucristo liberador. Lectura histórico-teologica de Jesús de Nazaret (Madrid 1991) und La fe en Jesucristo. Ensayo desde las víctimas (San Salvador 1999) von P. Jon Sobrino SJ hat die Kongregation für die Glaubenslehre wegen der in ihnen aufgedeckten Ungenauigkeiten und Irrtümer im Oktober 2001 die Entscheidung getroffen, eine weitere gründliche Untersuchung dieser Schriften aufzunehmen. In Anbetracht der weiten Verbreitung dieser Schriften, vor allem in Lateinamerika, und ihres Gebrauchs in Priesterseminaren und anderen Studieneinrichtungen, wurde beschlossen, das »dringliche Verfahren« anzuwenden, das durch die Artikel 23–27 der »Ordnung für die Lehrüberprüfung« derselben Kongregation geregelt wird. Auf besagte Prüfung hin wurde dem Autor im Juli 2004 durch P. Peter Hans Kolvenbach SJ, den Generaloberen der Gesellschaft Jesu, eine Zusammenstellung der irrigen und gefährlichen Auffassungen zugesandt, die in den obenerwähnten Büchern aufgedeckt worden waren. Im März 2005 sandte P. Sobrino eine »Antwort auf das Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre«. Diese wurde in der Ordentlichen Versammlung vom 23. November 2005 geprüft. Es wurde festgestellt, daß, obgleich der Autor seine Meinung in einigen Punkten teilweise revidiert hatte, seine Antwort sich nicht als zufriedenstellend erwies, da die Irrtümer, die der Grund für die Zustellung der oben erwähnten »Zusammenstellung der Auffassungen« gewesen waren, im Wesentlichen bestehen blieben. Trotz der anerkennenswerten Sorge um die Lage der Armen, die der Autor in seinen Schriften zeigt, sieht sich die Kongregation für die Glaubenslehre deshalb gezwungen, zu erklären, daß die oben genannten Werke P. Sobrinos an einigen Stellen erheblich vom Glauben der Kirche abweichen. Es wurde daher entschieden, die vorliegende Notifikation zu veröffentlichen, um den Gläubigen bezüglich einiger in den Schriften des Autors enthaltener Aussagen ein sicheres Kriterium zur Beurteilung zu bieten, die auf der wahren kirchlichen Lehre gründet. Anzumerken ist, daß die irrigen Ansichten manchmal in Zusammenhängen stehen, in denen sich andere Äußerungen finden, die ihnen zu widersprechen scheinen[1]; das genügt jedoch nicht, um sie zu rechtfertigen. Die Kongregation erhebt nicht den Anspruch, über die subjektiven Intentionen des Autors zu urteilen; dennoch hält sie es für ihre Pflicht, auf einige in seinen Schriften enthaltene Auffassungen aufmerksam zu machen, die nicht mit der Lehre der Kirche übereinstimmen. Besagte Auffassungen betreffen folgende Punkte: I) die vom Autor dargelegten methodologischen Voraussetzungen, auf denen seine theologische Reflexion gründet; II) die Göttlichkeit Jesu Christi; III) die Menschwerdung des Sohnes Gottes; IV) die Beziehung zwischen Jesus Christus und dem Reich Gottes; V) das Selbstbewußtsein Jesu Christi; VI) den Heilswert seines Todes. I. Methodologische Voraussetzungen 2. In seinem Buch Jesucristo liberador sagt P. Sobrino: »Die lateinamerikanische … Christologie sagt, daß ihr Ort, als substantielle Wirklichkeit, die Armen dieser Welt sind. Ihre Wirklichkeit muß gegenwärtig sein und jeden kategorialen Ort durchdringen, an welchem sie erarbeitet wird« (S. 47, dt. S. 50). Und er fügt hinzu: »Die Armen … fragen … den christologischen Glauben innerhalb der Gemeinde an und weisen ihm damit die grundlegende Richtung« (S. 50; dt. S. 54). »Die Kirche der Armen ist also der ekklesiale Ort für die Christologie, weil sie eine Realität ist, die durch die Armen gestaltet wird« (S. 51, dt. S. 54). »Der soziale Ort ist deshalb entscheidend für den Glauben und die Art des christologischen Denkens. Und er ist es, der den epistemologischen Bruch verlangt und erleichtert« (S. 52, dt. S. 55). Obgleich der Sorge um die Armen und die Unterdrückten Anerkennung gebührt, zeigt sich in den oben zitierten Sätzen diese »Kirche der Armen« als der grundlegende theologische Ort des Autors. Doch der grundlegende theologische Ort kann nur der Glaube der Kirche sein; in ihm findet jeder andere theologische Ort die richtige epistemologische Einordnung. Der ekklesiale Ort für die Christologie kann nicht die »Kirche der Armen« sein, sondern der apostolische Glaube, der durch die Kirche an alle Generationen weitergegeben wird. Der Theologe muß sich – seiner besonderen kirchlichen Berufung entsprechend – stets vor Augen halten, daß die Theologie Glaubenswissenschaft ist. Andere Ausgangspunkte der theologischen Arbeit laufen Gefahr, willkürlich zu werden und letztlich ihre Inhalte zu entstellen.[2]. 3. Das Fehlen der gebotenen Aufmerksamkeit gegenüber den Quellen – abgesehen von der Tatsache, daß der Autor sagt, daß er sie als »normgebend« betrachte – ist die Ursache der in seiner Theologie vorhandenen Probleme, auf die im Folgenden Bezug genommen werden wird. Insbesondere trägt er den Aussagen des Neuen Testaments über die Göttlichkeit Christi, über das Bewußtsein seiner Sohnschaft und den Heilswert seines Todes – Fragen, die in den folgenden Abschnitten behandelt werden – tatsächlich nicht immer auf gebührende Weise Rechnung. Gleichermaßen bedeutsam ist die Art, wie der Autor die großen Konzile der Alten Kirche betrachtet, die sich seiner Meinung nach zunehmend von den Inhalten des Neuen Testaments entfernt hätten. Er sagt zum Beispiel: »Diese Texte sind theologisch nützlich und zugleich normgebend; sie haben jedoch auch ihre Grenzen und sind sogar gefährlich, was heute unschwer zu erkennen ist« (La fe, S. 405–406). Wenn man auch anerkennen muß, daß die dogmatischen Formulierungen ihre Grenzen haben und nicht den ganzen Inhalt der Glaubensgeheimnisse zum Ausdruck bringen und dies auch nicht können und sie im Licht der Heiligen Schrift und der Tradition ausgelegt werden müssen, so darf man besagte Formulierungen in der Tat dennoch nicht für »gefährlich« halten, denn sie sind wahre Auslegungen des Offenbarten. Die dogmatische Entwicklung der ersten Jahrhunderte, einschließlich der großen Konzile, wird von P. Sobrino als zweideutig und negativ betrachtet. Er leugnet nicht den normgebenden Charakter der dogmatischen Formulierungen, aber insgesamt gesehen erkennt er ihnen keinen Wert zu, der über das kulturelle Umfeld, in dem sie entstanden sind, hinausgeht. Der Autor trägt nicht der Tatsache Rechnung, daß das überzeitliche Subjekt des Glaubens die glaubende Kirche ist und daß die Verlautbarungen der ersten Konzile von der ganzen kirchlichen Gemeinschaft angenommen und gelebt wurden. Die Kirche bekennt nämlich auch heute noch das Glaubensbekenntnis, das von den Konzilen von Nizäa (325) und von Konstantinopel (381) verkündet wurde. Die ersten vier ökumenischen Konzile werden von den meisten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften des Ostens und des Westens anerkannt. Wenn sie Ausdrücke und Begriffe der Kultur ihrer Zeit gebrauchten, so geschah dies gewiß nicht, um sich dieser anzugleichen: Die Konzile bedeuteten in der Tat nicht eine Hellenisierung des Christentums, sondern vielmehr das Gegenteil. Durch die Inkulturation der christlichen Botschaft wurde nämlich die griechische Kultur selbst von innen heraus verwandelt und konnte zu einem Mittel werden, das der biblischen Wahrheit Ausdruck verlieh und sie verteidigte. II. Die Göttlichkeit Jesu Christi
4. Verschiedene Aussagen des Autors neigen dazu, die Tragweite der Abschnitte des Neuen Testaments zu mindern, in denen ausgesagt wird, daß Jesus Gott ist: »Jesus ist zuinnerst mit Gott verbunden, und daher mußte seine Wirklichkeit in gewisser Weise als eine Wirklichkeit ausgedrückt werden, die von Gott ist« (vgl. Joh 20,28) (La fe, S. 216). Bezüglich Johannes 1,1 sagt der Autor: »Im engeren Sinne sagt der Text des Johannes von diesem Logos noch nicht aus, daß er Gott sei (wesensgleich mit dem Vater), von ihm wird jedoch etwas ausgesagt, das sehr wichtig sein wird, um zu dieser Schlußfolgerung zu gelangen: seine Präexistenz, welche nicht etwas rein Zeitliches bezeichnet, sondern von der Beziehung zur Schöpfung spricht und den Logos zum besonderen Wirken der Gottheit in Beziehung setzt« (La fe, S. 469). Für P. Sobrino ist im Neuen Testament nicht ausdrücklich von der Göttlichkeit Jesu die Rede, sondern es werden hier nur die Voraussetzungen dafür geschaffen: »Das Neue Testament enthält im Ansatz Ausdrücke, die zum Bekenntnis des Glaubens an die Göttlichkeit Jesu führen werden« (La fe, S. 468–469). »Anfänglich wurde weder von Jesus als Gott noch von der Göttlichkeit Jesu gesprochen. Dies geschah erst nach einer langen Zeit der Auslegung im Glauben, beinahe mit aller Wahrscheinlichkeit nach dem Fall Jerusalems« (La fe, S. 214). Zu behaupten, daß in Johannes 20,28 gesagt werde, Jesus sei »von Gott«, ist ein offensichtlicher Irrtum, denn an jener Stelle des Evangeliums wird Jesus »Herr« und »Gott« genannt. Ebenso heißt es in Johannes 1,1, daß der Logos Gott ist. An vielen anderen Stellen des Neuen Testaments wird von Jesus als »Sohn« und »Herr« gesprochen.[3] Die Göttlichkeit Jesu war von Anfang an Gegenstand des Glaubens der Kirche, lange bevor im Konzil von Nizäa seine Wesensgleichheit mit dem Vater verkündet wurde. Die Tatsache, daß dieser Begriff nicht gebraucht wird, bedeutet nicht, daß von der Göttlichkeit Jesu im engeren Sinne nicht die Rede ist – im Gegensatz zu dem, was der Autor scheinbar unterstellen will. Wenn der Autor behauptet, daß von der Göttlichkeit Jesu erst nach langer Zeit der Reflexion im Glauben gesprochen wurde und sie im Neuen Testament nur »im Keim« enthalten sei, verleugnet er sie offensichtlich nicht, bejaht sie aber gleichzeitig nicht mit der gebotenen Deutlichkeit und verleitet gleichzeitig zu dem Glauben, daß die dogmatische Entwicklung – die seiner Meinung nach zweideutige Merkmale besitzt – ohne eine deutliche Kontinuität mit dem Neuen Testament zu dieser Formulierung gekommen sei. Die Göttlichkeit Jesu ist jedoch in den oben genannten Abschnitten des Neuen Testaments deutlich belegt. Die zahlreichen konziliaren Erklärungen zu diesem Thema4 stehen in Kontinuität zu dem, was das Neue Testament ausdrücklich und nicht nur »im Keim« sagt. Das Bekenntnis der Göttlichkeit Jesu Christi war von Anfang an ein absolut wesentlicher Punkt des Glaubens der Kirche und ist bereits im Neuen Testament belegt. III. Die Menschwerdung des Sohnes Gottes 5. P. Sobrino schreibt: »Aus dogmatischer Sicht muß man in aller Deutlichkeit feststellen, daß der Sohn (die zweite Person der Trinität) die ganze Wirklichkeit Jesu annimmt. Selbst wenn die dogmatische Formel nie erklärt, wie er von der Menschlichkeit betroffen wird, so ist die Aussage doch eindeutig. Der Sohn erfährt Menschlichkeit, Geschichte, Leben, Schicksal und Tod Jesu« (Jesucristo liberador, S. 308, dt. S. 331). An dieser Stelle unterscheidet der Autor zwischen dem Sohn und Jesus, was dem Leser nahelegt, daß es zwei Subjekte in Christus gäbe: Der Sohn nimmt die Wirklichkeit Jesu an; der Sohn erfährt Menschlichkeit, Geschichte, Schicksal und Tod Jesu. Es wird nicht deutlich, daß der Sohn Jesus ist und daß Jesus der Sohn ist. Durch den Wortlaut dieser Sätze scheint die bekannte Theologie des »homo assumptus« durch, die unvereinbar ist mit dem katholischen Glauben, der dagegen die Einheit der Person Jesu Christi in zwei Naturen – der göttlichen und der menschlichen – bekräftigt, gemäß den Formulierungen des Konzils von Ephesus [5] und vor allem des Konzils von Chalkedon, wo es heißt: Wir lehren »unseren Herrn Jesus Christus als ein und denselben Sohn zu bekennen; derselbe ist vollkommen in der Gottheit, und derselbe ist vollkommen in der Menschheit; derselbe ist wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch aus vernunftbegabter Seele und Leib; derselbe ist der Gottheit nach dem Vater wesensgleich und der Menschheit nach uns wesensgleich, in allem uns gleich außer der Sünde (vgl. Eph 4,15). Derselbe wurde einerseits der Gottheit nach vor den Zeiten aus dem Vater gezeugt, andererseits der Menschheit nach in den letzten Tagen unsertwegen und um unseres Heiles willen aus Maria, der Jungfrau und Gottesgebärerin, geboren; ein und derselbe ist Christus, der einziggeborene Sohn und Herr, der in zwei Naturen unvermischt, unveränderlich, ungetrennt und unteilbar erkannt wird«.[6] Ebenso drückte sich Papst Pius XII. in der Enzyklika Sempiternus Rex aus: »Das Konzil von Chalkedon sagt in völliger Übereinstimmung mit dem von Ephesus klar, daß beide Naturen unseres Erlösers ›in einer Person und Subsistenz‹ vereint sind, und es verbietet, zwei Einzelwesen in Christus anzunehmen, so daß irgendein ›angenommener Mensch‹, im Besitz der uneingeschränkten Selbständigkeit, dem Wort zur Seite gestellt würde.«[7] 6. Eine weitere Schwierigkeit, die in P. Sobrinos christologischer Sichtweise aufgedeckt wurde, entwächst seinem ungenügenden Verständnis der »communicatio idiomatum«. Dem Autor zufolge ist »das angemessene Verständnis der ›communicatio idiomatum‹« folgendes: »das Menschlich-Begrenzte wird von Gott ausgesagt, aber das Unbegrenzt-Göttliche wird nicht von Jesus ausgesagt« (La fe, S. 408; vgl. S. 500). In Wirklichkeit jedoch folgt aus der durch das Konzil von Chalkedon verkündeten Einheit der Person Christi »in zwei Naturen« die sogenannte »communicatio idiomatum«, also die Fähigkeit, die Eigenschaften der Gottheit auf die Menschheit zu beziehen und umgekehrt. Kraft dieser Fähigkeit definierte bereits das Konzil von Ephesus Maria als »Theotókos«: »Wer nicht bekennt, daß der Emmanuel wahrhaftig Gott und deshalb die heilige Jungfrau Gottesgebärerin ist (denn sie hat das Wort, das aus Gott ist und Fleisch wurde, dem Fleisch nach geboren), der sei mit dem Anathema belegt.«[8] »Wer die Worte, die in den Evangelien und apostolischen Schriften enthalten sind oder von den Heiligen über Christus oder von ihm selbst über sich ausgesagt wurden, auf zwei Personen oder auch Hypostasen verteilt und die einen gewissermaßen einem neben dem Wort, das aus Gott ist, getrennt gedachten Menschen zuschreibt, die anderen aber als Gott angemessen allein dem Wort, das aus Gott, dem Vater, ist, der sei mit dem Anathema belegt.«[9] Wie aus diesen Konzilstexten leicht abzuleiten ist, findet die »Kommunikation der Eigenschaften« in beide Richtungen statt: Das Menschliche wird von Gott ausgesagt und das Göttliche vom Menschen. Bereits das Neue Testament sagt, daß Jesus »der Herr ist«[10] und daß alles durch ihn geschaffen wurde.[11] So kann man dem christlichen Sprachgebrauch nach beispielsweise sagen, und man sagt es auch, daß Jesus Gott ist und daß er Schöpfer und allmächtig ist. Das Konzil von Ephesus bestätigte den Brauch, Maria »Gottesgebärerin« zu nennen. Es ist daher nicht korrekt zu sagen, daß von Jesus nicht »das Göttlich-Unbegrenzte« ausgesagt werden kann. Diese Aussage des Autors könnte nur im Kontext einer Christologie des »homo assumptus« verstanden werden, in der die Einheit der Person Jesu nicht deutlich wird: Es ist offensichtlich, daß einer menschlichen Person nicht die göttlichen Eigenschaften zugeschrieben werden können. Diese Christologie ist jedoch absolut unvereinbar mit der Lehre der Konzile von Ephesus und von Chalkedon über die Einheit der Person Jesu Christi in zwei Naturen. Das Verständnis der »communicatio idiomatum«, das der Autor zeigt, offenbart daher eine irrige Auffassung vom Geheimnis der Menschwerdung und von der Einheit der Person Jesu Christi.
IV. Jesus Christus und das Reich Gottes
7. P. Sobrino entwickelt eine besondere Sichtweise von der Beziehung zwischen Jesus und dem Reich Gottes. Dieser Punkt ist in seinen Werken von besonderem Interesse. Dem Autor zufolge kann die Person Jesu als Mittler nicht absolut gesetzt werden, sondern muß in Beziehung zum Reich Gottes betrachtet werden, wobei dieses sich von Jesus selbst unterscheide: »Wir werden diesen historischen Bezug später detailliert untersuchen. Hier soll es genügen, auf die Tatsache als solche hinzuweisen … wenn der Mittler Christus verabsolutiert und seine wesensmäßige Beziehung zur Vermittlung, die das Reich Gottes ist, ignoriert wird« (Jesucristo liberador, S. 32, dt. S. 35). »Vor allen Dingen muß man zwischen dem Mittler und dem Vermittelten in bezug auf Gott unterscheiden. Das Reich Gottes ist formal betrachtet nichts anderes als die Verwirklichung des Gotteswillens für diese Welt. Deshalb nennen wir es die ›Vermittlung‹. Diese Vermittlung ist … an eine Person (oder Gruppe) gebunden, die es verkündet oder gestaltet. Sie nennen wir ›Mittler‹. In diesem Sinne kann und muß man sagen, daß nach unserem Glauben der endgültige, verbindliche und eschatologische Mittler des Gottesreiches ›schon‹ erschienen ist: Jesus … Aus diesem Blickwinkel können auch die schönen Worte des Origenes recht verstanden werden, der von Christus als der ›autobasileía Gottes‹, dem Reich Gottes in Person, gesprochen hat. Es sind wichtige Worte, denn sie beschreiben die Letztgültigkeit der Person des Mittlers des Reiches sehr gut. Aber sie sind auch gefährlich, wenn durch sie Christus mit der Realität des Reiches selbst gleichgesetzt wird« (Ebd., S. 147, dt. S. 156). »Vermittlung und Mittler gehören wesensmäßig zusammen, sind aber nicht dasselbe. Es gibt immer einen Moses und ein verheißenes Land, einen Bischof Romero und die ersehnte Gerechtigkeit. Beides zusammen entspricht dem Willen Gottes, aber sie sind nicht dasselbe« (Ebd.). Andererseits sei die Mittlerposition Jesu nur auf die Tatsache zurückzuführen, daß er Mensch ist: »Die Fähigkeit, Mittler zu sein, erhält Jesus also nicht aus einer Wirklichkeit, die dem Menschlichen hinzugefügt wurde, sondern er erhält sie durch seine Ausübung des Menschlichen« (La fe, S. 253). Der Autor sagt gewiß, daß eine besondere Beziehung besteht zwischen Jesus Christus (dem »Mittler«) und dem Reich Gottes (der »Vermittlung«), insofern Jesus der endgültige, letzte und eschatologische Mittler des Reiches ist. Dennoch werden in den zitierten Abschnitten Jesus und das Reich so sehr voneinander unterschieden, daß der Verbindung zwischen ihnen ihr besonderer Inhalt und ihre Einzigartigkeit genommen wird. P. Sobrino erklärt die grundlegende Verbindung, die – um mit seinen Worten zu sprechen – zwischen dem »Mittler« und der »Vermittlung« besteht, nicht in korrekter Weise. Wenn man darüber hinaus sagt, daß Christus die Fähigkeit, Mittler zu sein, »durch seine Ausübung des Menschlichen erhält«, dann schließt man damit aus, daß sein Seinszustand als Sohn Gottes für seine Sendung als Mittler von Bedeutung ist. Es genügt nicht, von einer innigen Verbindung oder von einer grundlegenden Beziehung zwischen Jesus und dem Reich oder von einer »Letztgültigkeit des Mittlers« zu sprechen, wenn man damit auf etwas verweist, das sich von ihm selbst unterscheidet. Jesus Christus und das Reich sind nämlich in gewissem Sinne identisch: In der Person Jesu ist das Reich gegenwärtig geworden. Dieses Identischsein wird bereits seit der Zeit der Kirchenväter hervorgehoben.[12] Papst Johannes Paul II. sagt in der Enzyklika Redemptoris missio: »In der Verkündigung über Jesus Christus, mit dem das Reich identisch ist, findet die Verkündigung der frühen Kirche ihre Mitte.«[13] Christus hat »das Reich nicht nur verkündet, in seiner Person ist es anwesend und kommt in ihr zur Vollendung«.[14] »Das Reich Gottes ist nicht eine Anschauung, eine Doktrin, ein Programm … es ist vor allem eine Person, die das Antlitz und den Namen Jesu von Nazareth trägt, Abbild des unsichtbaren Gottes. Wenn man das Reich von der Person Jesu trennt, hat man nicht mehr das von ihm geoffenbarte Reich Gottes.«[15] Andererseits hat die Kirche stets die Einzigartigkeit und Einzigkeit der Mittlerschaft Christi betont. Er ist, dank seines Seinszustandes als »eingeborener Sohn Gottes«, die »endgültige Selbstoffenbarung Gottes«.[16] Daher ist seine Mittlerschaft einzig, herausragend, universal und unübertrefflich: Man »kann und muß … sagen, daß Jesus Christus für das Menschengeschlecht und seine Geschichte eine herausragende und einmalige, nur ihm eigene, ausschließliche, universale und absolute Bedeutung und Wichtigkeit hat. Jesus ist nämlich das Wort Gottes, das für das Heil aller Mensch geworden ist«.[17] V. Das Selbstbewußtsein Jesu Christi. 8. P. Sobrino sagt, indem er L. Boff zitiert: »Jesus war ein außergewöhnlicher Glaubender und hatte selbst Glauben. Der Glaube war die Existenzweise Jesu« (Jesucristo liberador, S. 203, dt. S. 217). Und er selbst fügt hinzu: »Dieser Glaube bezeichnet das Ganze des Lebens Jesu« (ebd., S. 206, dt. S. 221). Der Autor rechtfertigt seine Position, indem er Hebräer 12,2 anführt: »Mit wenigen Worten und mit einer Deutlichkeit, für die es im Neuen Testament keine Parallelen gibt, sagt der Brief [an die Hebräer] daß Jesus mit dem Geheimnis Gottes im Glauben verbunden ist. Jesus ist derjenige, der den Glauben ursprünglich und in Fülle gelebt hat (12,2)« (La fe, S. 256). Dann fährt P. Sobrino fort: »Was den Glauben betrifft, so wird Jesus in seinem Leben als ein Glaubender wie wir dargestellt, als Bruder im theologischen Sinne, denn ihm blieb nicht erspart, durch den Glauben hindurchgehen zu müssen. Er wird jedoch auch als unser älterer Bruder dargestellt, weil er den Glauben ursprünglich und in Fülle gelebt hat (12,2). Und er ist das Vorbild, auf das wir unseren Blick heften müssen, um unseren eigenen Glauben zu leben« (La fe, S. 258). In den soeben zitierten Abschnitten kommt die Sohnesbeziehung Jesu zum Vater, in ihrer unwiederholbaren Einzigartigkeit, nicht mit der gebotenen Deutlichkeit zum Ausdruck; das oben Gesagte führt sogar vielmehr dazu, sie auszuschließen. Wenn man das Neue Testament als Ganzes betrachtet, dann kann man nicht behaupten, daß Jesus »ein Glaubender wie wir« sei. Im Johannesevangelium ist vom »Sehen« des Vaters durch Jesus die Rede: »Nur er, der von Gott ist, hat den Vater gesehen.«[18] Ebenso ist die einmalige und einzigartige Vertrautheit Jesu mit dem Vater in den synoptischen Evangelien belegt.[19] Das Sohnesbewußtsein und das messianische Bewußtsein Jesu ist die unmittelbare Folge seiner Ontologie als menschgewordener Sohn Gottes. Wenn Jesus ein – wenn auch vorbildlicher – Glaubender wie wir wäre, dann könnte er nicht der wahre Offenbarer sein, derjenige, der uns das Antlitz des Vaters zeigt. Es besteht ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen diesem Punkt und dem, was oben unter der Nr. IV über die Beziehung Jesu zum Reich gesagt wurde, sowie dem, was unten unter Nr. VI über den Heilswert, den Jesus seinem eigenen Tod zuschrieb, gesagt werden wird. In der Reflexion des Autors verblaßt nämlich der Charakter der Einzigkeit der Mittlerschaft und der Offenbarung Jesu, und der Seinszustand Jesu wird damit auf den eines Offenbarers reduziert wie er den Propheten oder den Mystikern zugeschrieben werden kann. Jesus, der menschgewordene Sohn Gottes, kennt den Vater innig und unmittelbar, er »sieht« ihn auf eine Weise, die gewiß über den Glauben hinausgeht. Die hypostatische Union und seine Sendung als Offenbarer und Erlöser erfordern das Sehen des Vaters und die Kenntnis seines Heilsplanes. Dies zeigen die bereits erwähnten Stellen aus dem Evangelium. Diese Lehre wurde in verschiedenen lehramtlichen Texten der jüngeren Zeit zum Ausdruck gebracht: »Jene liebevolle Erkenntnis aber, womit uns der göttliche Erlöser vom ersten Augenblick seiner Menschwerdung an entgegenkam, übertrifft alles menschliche Bemühen und Begreifen. Denn vermöge jener seligen Gottesschau, derer er sich sogleich nach der Empfängnis im Schoße der Gottesmutter erfreute …«[20] In etwas anderen Worten besteht auch Papst Johannes Paul II. auf dem Sehen des Vaters: »Sein [Jesu] Blick bleibt auf den Vater gerichtet. Eben wegen der Kenntnis und Erfahrung, die nur er von Gott hat, sieht er auch in diesem Augenblick der Finsternis klar die Schwere der Sünde und leidet dafür. Nur er, der den Vater sieht und darüber Freude in Fülle empfindet, ermißt bis zum Letzten, was es heißt, mit der Sünde seiner Liebe zu widerstehen.«[21] Auch der Katechismus der Katholischen Kirche spricht von der »unmittelbaren« Kenntnis, die Jesus vom Vater hat: »Dies gilt in erster Linie von der unmittelbaren, innigen Kenntnis, die der menschgewordene Gottessohn von seinem Vater hat.«[22] »Weil Christus in der Person des menschgewordenen Wortes mit der göttlichen Weisheit vereint war, wußte seine menschliche Erkenntnis voll und ganz um die ewigen Ratschlüsse, die zu enthüllen er gekommen war.«[23] Die Beziehung Jesu mit Gott wird nicht korrekt zum Ausdruck gebracht, wenn man sagt, daß er ein Glaubender wie wir war. Im Gegenteil, gerade die innige, direkte und unmittelbare Kenntnis, die er vom Vater hat, erlaubt es ihm, den Menschen das Geheimnis der göttlichen Liebe zu offenbaren. Und nur so kann er uns in diese Liebe einführen.
VI. Der Heilswert des Todes Jesu 9. Einige Aussagen P. Sobrinos lassen vermuten, daß Jesus der Auffassung des Autors zufolge seinem eigenen Tod keinen Heilswert beigemessen hätte: »Vorab sei gesagt, daß der historische Jesus seinen Tod nicht als Erlösungstod interpretiert hat, wie es später die soteriologischen Modelle tun, die im Neuen Testament ausgearbeitet wurden: Sühneopfer, stellvertretende Sühne … Mit anderen Worten: Es gibt keinen Hinweis darauf, daß Jesus selbst seinem Tod einen absoluten, transzendenten Sinn beimaß, wie das später im Neuen Testament geschah« (Jesucristo liberador, S. 261, dt. S. 279). »Es läßt sich aus den Evangelientexten keine eindeutige Bedeutung herausarbeiten, die Jesus seinem Tod beigemessen hat« (ebd., S. 261, dt. S. 280). »… kann man sagen, daß Jesus dem Tod in Vertrauen entgegengeht und ihn als letzten Akt des Dienstes versteht, eher als wirksames und anspornendes Beispiel für andere denn als Mechanismus der Erlösung anderer. Mensch sein heißt, bis zum Ende treu sein« (ebd., S. 263, dt. S. 282). Zunächst scheint die Aussage des Autors begrenzt zu sein: Jesus scheint seinem Tod keinen Heilswert nach den Kategorien des Neuen Testaments beigemessen zu haben. Im Folgenden sagt er jedoch, daß »es keinen Hinweis darauf gibt«, daß Jesus seinem eigenen Tod einen transzendenten und absoluten Sinn beigemessen hätte. P. Sobrino sagt nur, daß Jesus dem Tod voll Vertrauen entgegengeht und ihm den Wert zumißt, ein anspornendes Beispiel für die anderen zu sein. Auf diese Weise kommt den zahlreichen Stellen des Neuen Testaments, in denen vom Heilswert des Todes Christi die Rede ist,[24] jegliche Verbindung mit dem Bewußtsein, das Christus während seines dem Tod unterworfenen Lebens von sich selbst besaß, abhanden. Der Autor berücksichtigt nicht auf angemessene Weise die Stellen des Evangeliums, in denen Jesus seinem Tod eine Heilsbedeutung zuerkennt, darunter besonders Mk 10,45[25]: »Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele«, und die Einsetzungsworte der Eucharistie: »Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird.«[26] Hier zeigt sich noch einmal die oben erwähnte Schwierigkeit bezüglich des Gebrauchs, den P. Sobrino vom Neuen Testament macht. Einer hypothetischen geschichtlichen Rekonstruktion, die sich als irrig erweist, wird der Vorrang eingeräumt vor den neutestamentlichen Daten. 10. Das Problem betrifft jedoch nicht nur das Bewußtsein, mit dem Jesus seinem Tod entgegenging, und die Bedeutung, die er diesem beigemessen hätte. P. Sobrino legt auch seine Auffassung von der soteriologischen Bedeutung dar, die dem Tod Christi zuerkannt werden sollte: Das Erlösende besteht »darin, daß auf der Erde offenbar geworden ist, wie nach Gottes Willen die Menschen sein sollen … Der bis zum Kreuz treugebliebene Jesus ist mindestens in diesem Sinn Erlösung: Er ist die Offenbarung des ›homo verus‹, des wahren und vollkommenen Menschen … Die Tatsache, daß sich hier – auf unerwartete Weise – der wahre Mensch offenbart hat, ist gute Nachricht und in sich schon Erlösung … Entsprechend kann das Kreuz Jesu, insofern es End- und Höhepunkt seines ganzen Lebens ist, als erlösend verstanden werden. Die erlösende Wirksamkeit zeigt sich eher in der Beispielhaftigkeit als in der Wirksamkeit, was aber nicht heißt, daß sie nicht wirksam wäre … Es handelt sich also nicht um eine wirksame, sondern um eine symbolische [exemplarische] Kausalität« (Jesucristo liberador, S. 293–294; dt. S. 315–316). Natürlich muß der Wirksamkeit des Beispiels Christi, das das Neue Testament ausdrücklich erwähnt, [27] sein ganzer Wert zuerkannt werden; dies ist eine Dimension der Soteriologie, die man nicht vergessen darf. Dennoch kann die Wirksamkeit des Todes Jesu nicht auf das Beispiel oder – um mit den Worten des Autors zu sprechen – auf die Offenbarung des »homo verus«, der Gott bis zum Tod am Kreuz treugeblieben ist, reduziert werden. Im oben zitierten Text benutzt P. Sobrino Ausdrücke wie »mindestens« und »eher als«, die scheinbar die Tür für andere Überlegungen offenlassen. Aber am Ende schließt sich diese Tür durch eine ausdrückliche Verneinung: Er sagt, daß es sich nicht um wirksame Kausalität, sondern um »exemplarische Kausalität« handle. Die Erlösung scheint so auf das Erscheinen des »homo verus« reduziert zu werden, der sich in der Treue bis zum Tod offenbart. Der Tod Christi wäre auf diese Weise »exemplum« und nicht »sacramentum« (Geschenk). Die Erlösung wird auf Moralismus reduziert. Hier werden noch einmal die bereits im Zusammenhang mit dem Geheimnis der Menschwerdung und mit dem Reich erwähnten christologischen Schwierigkeiten deutlich. Nur die Menschennatur Jesu kommt hier ins Spiel, und nicht der Sohn Gottes, der für uns und unsere Erlösung Mensch geworden ist. Die Aussagen des Neuen Testaments, der Überlieferung und des kirchlichen Lehramts über die Kraft der von Christus gewirkten Erlösung und Rettung können nicht auf das gute Beispiel, das er uns gegeben hat, reduziert werden. Das Geheimnis der Menschwerdung, des Todes und der Auferstehung Jesu Christi, des menschgewordenen Sohnes Gottes, ist die einzige und unerschöpfliche Quelle der Erlösung der Menschheit, die in der Kirche durch die Sakramente wirksam wird. Das Konzil von Trient sagt im Dekret über die Rechtfertigung: »So geschah es, daß der himmlische Vater, ›der Vater der Erbarmungen und der Gott allen Trostes‹ (2 Kor 1,3), als jene selige ›Fülle der Zeit‹ (Eph 1,10; Gal 4,4) kam, seinen Sohn Christus Jesus … zu den Menschen sandte, damit er die Juden, ›die unter dem Gesetze waren, erlöse‹ (Gal 4,5), ›die Heiden, die nicht nach Gerechtigkeit trachteten, Gerechtigkeit erlangten‹ (Röm 9,30) und alle ›die Annahme an Kindes Statt empfingen‹ (Gal 4,5). Ihn ›setzte Gott als Versöhner ein, durch den Glauben, in seinem Blute‹ (Röm 3,25), ›für unsere Sünden, aber nicht nur für unsere, sondern auch für die der ganzen Welt‹ (1 Joh 2,2).«[28] Im selben Dekret heißt es, daß die Verdienstursache der Rechtfertigung Jesus ist, der eingeborene Sohn Gottes, »der uns, ›als wir Feinde waren‹ (Röm 5,10), ›wegen der übergroßen Liebe, mit der er uns liebte‹ (Eph 2,4), durch sein heiligstes Leiden am Holz des Kreuzes Rechtfertigung verdiente und Gott, dem Vater, für uns Genugtuung leistete«[29]. Das Zweite Vatikanische Konzil lehrt: »Gottes Sohn hat in der mit sich geeinten menschlichen Natur durch seinen Tod und seine Auferstehung den Tod besiegt und so den Menschen erlöst und ihn umgestaltet zu einem neuen Geschöpf (vgl. Gal 6,15; 2 Kor 5,17). Indem er nämlich seinen Geist mitteilte, hat er seine Brüder, die er aus allen Völkern zusammenrief, in geheimnisvoller Weise gleichsam zu seinem Leib gemacht. In jenem Leibe strömt Christi Leben auf die Gläubigen über, die durch die Sakramente auf geheimnisvolle und doch wirkliche Weise mit Christus, der gelitten hat und verherrlicht ist, vereint werden.«[30] Der Katechismus der Katholischen Kirche seinerseits sagt: »Dieser göttliche Plan, durch den gewaltsamen Tod des ›Knechtes, des Gerechten‹ Heil zu schaffen, war in der Schrift im voraus angekündigt worden als ein Mysterium allumfassender Erlösung, das heißt eines Loskaufs, der die Menschen aus der Sklaverei der Sünde befreit. In einem Glaubensbekenntnis, von dem er sagt, er habe es ›empfangen‹, bekennt der hl. Paulus: ›Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift‹ (1 Kor 15,3). Der Erlösungstod Jesu läßt insbesondere die Weissagung vom leidenden Gottesknecht in Erfüllung gehen«[31].
Schluss
11. Die Theologie entsteht aus dem Gehorsam gegenüber dem Antrieb der Wahrheit, die sich mitteilen möchte, und der Liebe, die den Geliebten immer noch besser kennenlernen will, also Gott, dessen Güte wir im Glaubensakt erkennen.[32] Daher kann die theologische Reflexion keinen anderen Ursprung haben als den Glauben der Kirche. Nur von diesem Glauben her kann der Theologe, in Gemeinschaft mit dem Lehramt ein immer tieferes Verständnis des Wortes Gottes, wie es in der Schrift enthalten ist und von der lebendigen Tradition der Kirche weitergegeben wird, gewinnen.[33] Die von Gott in Jesus Christus geoffenbarte und von der Kirche weitergegebene Wahrheit ist also das letzte normgebende Prinzip der Theologie, [34] und keine andere Instanz kann sich über sie stellen. Indem sie sich auf diesen immerwährenden Urgrund bezieht, ist die Theologie Quelle der wahren Neuheit und des Lichts für die Menschen guten Willens. Daher bringt die theologische Forschung desto reichere und reifere Früchte, zum Wohl des ganzen Gottesvolkes und der ganzen Menschheit, je mehr sie sich einfügt in den lebendigen Strom, der, dank des Wirkens des Heiligen Geistes, von den Aposteln ausgeht und bereichert wurde durch die gläubige Reflexion der Generationen, die uns vorangegangen sind. Es ist der Heilige Geist, der die Kirche einführt in die ganze Wahrheit [35], und nur in der Fügsamkeit gegenüber diesem »Geschenk von oben« ist die Theologie wirklich kirchlich und steht sie im Dienst der Wahrheit. Ziel dieser »Notifikation« ist es, allen Gläubigen die Fruchtbarkeit einer theologischen Reflexion, die sich nicht scheut, sich im lebendigen Fluß der kirchlichen Tradition zu entfalten, noch einmal vor Augen zu führen. Papst Benedikt XVI. hat in der dem unterzeichneten Präfekten am 13. Oktober 2006 gewährten Audienz die vorliegende Notifikation, die in der Ordentlichen Versammlung dieser Kongregation beschlossen worden war, approbiert und ihre Veröffentlichung angeordnet. Rom, am Sitz der Kongregation für die Glaubenslehre, am 26. November 2006, dem Hochfest Christkönig.
William Kardinal Levada Angelo Amato S.D.B.
[1] Vgl. z. B. unten, Nr. 6.
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[2] Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret Optatam totius, 16; Johannes Paul II., Enzyklika Fides et ratio, 65: AAS 91 (1999), 5–88. [3] Vgl. 1 Thess 1,10; Phil 2,5–11; 1 Kor 12,3; Röm 1,3–4; 10,9; Kol 2,9 usw. [4] Vgl. die Konzile von Nizäa, DH 125; Konstantinopel, DH 150; Ephesus, DH 250–263; Chalkedon, DH 301–302. [5] Vgl. DH 252–263. [6] Konzil von Chalkedon, Symbolum Chalcedonense, DH 301. [7] Pius XII., Enzyklika Sempiternus Rex: AAS 43 (1951), 638; DH 3905. [8] Konzil von Ephesus, Anathematismi Cyrilli Alex., DH 252. [9] Ebd., DH 255. [10] 1 Kor 12,3; Phil 2,11. [11] Vgl. 1 Kor 8,6. [12] Vgl. Origenes, In Mt. Hom., 14,7; Tertullian, Adv. Marcionem, IV,8; Hilarius von Poitiers, Comm. in Mt. 12,17. [13] Johannes Paul II., Enzyklika Redemptoris Missio, 16: AAS 83 (1991), 249–340. [14] Ebd., 18. [15] Ebd.. [16] Ebd., 5. [17] Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Dominus Iesus, 15: AAS 92 (2000), 742–765. [18] Vgl. Joh 6,46; vgl. auch Joh 1,18. [19] Vgl. Mt 11,25–27; Lk 10,21–22. [20] Pius XII., Enzyklika Mystici corporis, 75: AAS 35 (1943) 230; DH 3812. [21] Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Novo millennio ineunte, 26: AAS 93 (2001), 266–309. [22] Katechismus der Katholischen Kirche, 473. [23] Ebd., 474. [24] Vgl. z. B. Röm 3,25; 2 Kor 5,21; 1 Joh 2,2 usw [25] Vgl. Mt 20,28. [26] Mk 14,24; vgl. Mt 26,28; Lk 22,20. [27] Vgl. Joh 13,15; 1 Petr 2,21 [28] Konzil von Trient, Dekret über die Rechtfertigung, DH 1522. [29] Ebd., DH 1529; vgl. DH 1560. [30] Zweites Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 7. [31] Katechismus der Katholischen Kirche, 601. [32] Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Donum veritatis, 7: AAS 82 (1990), 1550–1570. [33] Ebd., 6. [34] Ebd., 10. [35] Vgl. Joh 16,13.
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