BENEDIKT XVI.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 7. Dezember 2005
Lesung: Psalm 138,1–4.8
1 Dank für Gottes Hilfe [Von David.] Ich will dir danken aus ganzem Herzen, dir vor den Engeln singen und spielen;
2 ich will mich niederwerfen zu deinem heiligen Tempel hin und deinem Namen danken für deine Huld und Treue. Denn du hast die Worte meines Mundes gehört, deinen Namen und dein Wort über alles verherrlicht.
3 Du hast mich erhört an dem Tag, als ich rief; du gabst meiner Seele große Kraft.
4 Dich sollen preisen, Herr, alle Könige der Welt, wenn sie die Worte deines Mundes vernehmen.
5 Sie sollen singen von den Wegen des Herrn; denn groß ist die Herrlichkeit des Herrn.
6 Ja, der Herr ist erhaben; doch er schaut auf die Niedrigen, und die Stolzen erkennt er von fern.
7 Gehe ich auch mitten durch große Not: du erhältst mich am Leben. Du streckst die Hand aus gegen meine wütenden Feinde, und deine Rechte hilft mir.
8 Der Herr nimmt sich meiner an. Herr, deine Huld währt ewig. Laß nicht ab vom Werk deiner Hände!
Psalm 138
Dankopfer
Liebe Brüder und Schwestern!
1. Der Dankhymnus, den wir soeben gehört haben – Psalm 138 –, wird von der jüdischen Überlieferung David zugeschrieben, auch wenn er wahrscheinlich erst in der Zeit nach David entstanden ist. Eröffnet wird der Psalm mit einem persönlichen Lied des Beters. Dieser erhebt seine Stimme im Rahmen der Tempelversammlung oder bezieht sich zumindest auf das Heiligtum von Zion, den Ort der Gegenwart des Herrn und seiner Begegnung mit dem Volk der Gläubigen.
In der Tat bekennt der Psalmist, »daß er sich in Richtung des heiligen Tempels von Jerusalem niederwirft « (vgl. V. 2): Dort singt er vor Gott, der mit seiner Engelschar im Himmel ist, aber auch im irdischen Raum des Tempels zuhört (vgl. V. 1). Der Beter ist sich gewiß, daß der »Name« des Herrn, das heißt seine lebendige, tätige personale Wirklichkeit sowie seine Tugenden der Treue und Barmherzigkeit, Zeichen des Bundes mit seinem Volk, die Stütze jedes Vertrauens und jeder Hoffnung sind (vgl. V. 2).
2. Der Blick richtet sich dann für einen Augenblick auf die Vergangenheit, auf den Tag des Leidens: Damals hatte die göttliche Stimme auf den Ruf des angsterfüllten Gläubigen geantwortet. Sie hatte der verstörten Seele Mut eingeflößt (vgl. V. 3). Der hebräische Urtext spricht wörtlich vom Herrn, der »in der Seele« des unterdrückten Gerechten »die Kraft entfacht«: so als würde ein heftiger Wind hereinbrechen, der Zaudern und Angst vertreibt, eine neue Lebenskraft überträgt und Stärke und Vertrauen erblühen läßt.
Nach dieser anscheinend persönlichen Einleitung erweitert der Psalmist den Blick hin auf die Welt und stellt sich vor, daß sein Zeugnis den ganzen Horizont miteinbeziehe: »alle Könige der Welt« schließen sich, in einer Art universalistischer Zustimmung, in einem gemeinsamen Lobpreis zu Ehren der Größe und souveränen Macht des Herrn dem jüdischen Beter an (vgl. V. 4–6).
3. Der Inhalt dieses vielstimmigen Lobes, das von allen Völkern aufsteigt, zeigt bereits die künftige Kirche der Heiden, die künftige Universalkirche. Dieser Inhalt hat als erstes die »Herrlichkeit« und die »Wege des Herrn« zum Thema (vgl. V. 5), das heißt seine Heilspläne und seine Offenbarung. Man entdeckt auf diese Weise, daß Gott sicher »erhaben« und transzendent ist, aber mit Liebe »auf die Niedrigen schaut«, während er den Stolzen, als Zeichen der Zurückweisung und des Gerichts, von seinem Blick fernhält (vgl. V. 6).
Wie Jesaja verkündete: »Denn so spricht der Hohe und Erhabene, der ewig Thronende, dessen Name ›der Heilige‹ ist: Als Heiliger wohne ich in der Höhe, aber ich bin auch bei den Zerschlagenen und Bedrückten, um den Geist der Bedrückten wiederaufleben zu lassen und das Herz der Zerschlagenen neu zu beleben« (Jes 57,15). Gott trifft also die Wahl, sich auf die Seite der Schwachen, der Opfer, der Geringsten zu stellen und sie zu verteidigen: Das wird übrigens allen Königen bekannt gemacht, damit sie wissen, wie ihre Option bei der Regierung der Völker aussehen soll. Natürlich wird das nicht nur zu den Königen und zu allen Regierungen gesagt, sondern zu uns allen, weil auch wir wissen sollen, welche Entscheidung zu treffen ist, was unsere Option ist: nämlich das Eintreten für die Unterdrückten, Ausgegrenzten, Armen und Schwachen.
4. Nach dieser Einbeziehung der Verantwortlichen der Nationen weltweit, nicht nur der damaligen Zeit, sondern aller Zeiten, kehrt der Beter zum persönlichen Lob zurück (vgl. Ps 138,7–8). Mit einem Blick, der sich nach vorn, in die Zukunft seines Lebens richtet, erfleht er von Gott Hilfe für die Prüfungen, die das Dasein noch für ihn bereithalten wird. Und so beten wir alle mit diesem Beter jener Zeit.
Es wird zusammenfassend von den »wütenden Feinden« gesprochen (V. 7), gleichsam ein Symbol für alle Feindseligkeiten, die sich dem Gerechten auf seinem Gang durch die Geschichte in den Weg stellen können. Doch er weiß, und mit ihm wissen auch wir, daß ihn der Herr niemals verlassen wird, daß er seine Hand ausstrecken wird, um ihm zu helfen und ihn zu führen. So ist das Ende des Psalms ein letztes leidenschaftliches Vertrauensbekenntnis zu Gott, dessen Huld ewig währt: »Er läßt nicht ab vom Werk seiner Hände«, das heißt von seinem Geschöpf (V. 8). Und in diesem Vertrauen, in dieser Gewißheit der Güte Gottes dürfen wir leben.
Wir dürfen sicher sein, daß wir, so schwer und stürmisch die uns erwartenden Prüfungen auch sein mögen, niemals uns selbst überlassen bleiben, niemals aus den Händen des Herrn fallen werden, jenen Händen, die uns geschaffen haben und sich nun auf unserem Lebensweg um uns kümmern. Wie der hl. Paulus bekennen wird: »Er, der bei euch das gute Werk begonnen hat, wird es auch vollenden« (Phil 1,6).
5. So haben auch wir mit einem Psalm des Lobes, Dankes und Vertrauens gebetet. Wir wollen diese Reihe des hymnischen Lobes fortsetzen mit dem Zeugnis eines christlichen Sängers, des großen Ephraim des Syrers (4. Jahrhundert), Verfasser vieler Texte von einem außerordentlichen poetischen und spirituellen Gehalt.
»Wie groß unsere Bewunderung für dich, o Herr, auch sein mag, deine Herrlichkeit übertrifft alles, was unsere Zungen auszudrücken vermögen«, singt Ephraim in einem Hymnus (Hymnen über die Jungfräulichkeit, 7: Die Harfe des Heiligen Geistes) und in einem anderen: »Lob sei dir, für den alle Dinge leicht sind, weil du allmächtig bist« (Hymnen über die Geburt, 11). Ein letzter Grund unseres Vertrauens ist, daß Gott die Macht der Barmherzigkeit besitzt und von seiner Macht für die Barmherzigkeit Gebrauch macht. Und schließlich noch ein letztes Zitat: »Lob sei dir von allen, die deine Wahrheit begreifen« (Hymnen über den Glauben, 14).
Ein Danklied von besonderer Schönheit erklingt im Psalm 138, den wir heute zum Gegenstand unserer Katechese machen. Er beginnt mit einem Hinweis auf die Gebetsrichtung: Zum Tempel hin, zum Ort der Gegenwart des Herrn, an dem Gott seinem Volk begegnet, wendet sich der Beter des Alten Bundes. Sein ganzer Dank gilt dem „Namen“ des Herrn. Dieser steht für die lebendige Wirklichkeit des personalen Gottes, dessen Treue und Barmherzigkeit der Grund des Vertrauens und der Hoffnung seines Volkes sind. Der ganz persönliche Dank für die erfahrene Güte Gottes, für die Erhörung in Stunden der Not, weitet sich schließlich zum universalen Lob: Dich sollen preisen, Herr, alle Könige der Welt! (V. 4).
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Der Gott, der uns Menschen – das Werk seiner Hände – niemals aufgibt, begleite euch alle, liebe Freunde deutscher Sprache, die ich hier ganz herzlich willkommen heiße. Meinen besonderen Gruß richte ich heute an die Pilger der Internationalen Schönstattbewegung sowie an die Notare aus Österreich. Macht euch in diesen Tagen des Advents zu Trägern und Boten des Lichts, das unserer Welt in Jesus Christus aufstrahlt. Euch allen eine gute Zeit in Rom!
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