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BENEDIKT XVI.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 3 März 2010

 

 

Hl. Bonaventura

Liebe Brüder und Schwestern!

Heute möchte ich über den hl. Bonaventura von Bagnoregio sprechen. Ich muß gestehen, daß ich eine gewisse Nostalgie verspüre, während ich euch dieses Thema unterbreite, da ich an die Nachforschungen zurückdenke, die ich als junger Gelehrter gerade zu diesem, mir besonders teuren Autor durchgeführt habe. Die Kenntnis seines Denkens hat meinen Ausbildungsgang in nicht geringem Maße beeinflußt. Mit großer Freude habe ich vor einigen Monaten eine Pilgerreise zu seinem Geburtsort, Bagnoregio, unternommen, einer kleinen italienischen Stadt in Latium, die voll Verehrung die Erinnerung an ihn bewahrt.

Er wurde wahrscheinlich 1217 geboren und starb 1274, lebte also im 13. Jahrhundert, einem Zeitalter, in dem der christliche Glaube, der tief in die Kultur und Gesellschaft Europas eingedrungen war, im Bereich der Literatur, der darstellenden Künste, der Philosophie und der Theologie unvergängliche Werke inspirierte. Unter den großen christlichen Gestalten, die zur Herausbildung dieser Harmonie zwischen Glaube und Kultur beigetragen haben, ragt Bonaventura hervor, ein Mann des Handelns und der Kontemplation, von tiefer Frömmigkeit und Klugheit in der Leitung.

Er hieß Giovanni da Fidanza. Eine Episode, die sich noch in seiner Kindheit ereignete, hat sein Leben tief geprägt, wie er selbst erzählt. Er war schwer erkrankt, und nicht einmal sein Vater, der Arzt war, hatte noch Hoffnung, ihn vor dem Tod zu retten. Da bat seine Mutter um die Fürsprache des kurz vorher heiliggesprochenen Franziskus von Assisi. Und Giovanni wurde wieder gesund.

Noch vertrauter wurde ihm die Gestalt des »Poverello« von Assisi einige Jahre später, als er sich in Paris aufhielt, wohin er sich für seine Studien begeben hatte. Er hatte das Diplom des »Magister artium« erlangt, das wir mit dem Abschluß an einem angesehenen Gymnasium unserer Zeit vergleichen könnten. An diesem Punkt stellte sich Giovanni wie viele junge Menschen der Vergangenheit und auch heute eine entscheidende Frage: »Was soll ich aus meinem Leben machen?« Fasziniert vom Zeugnis des Feuereifers und der vom Evangelium inspirierten Radikalität der Minderbrüder, die 1219 nach Paris gekommen waren, klopfte Giovanni an die Tür des Franziskanerkonvents der Stadt und bat, in die große Familie der Schüler des hl. Franziskus aufgenommen zu werden. Viele Jahre später erklärte er die Gründe für seine Entscheidung: Im hl. Franziskus und in der von ihm begonnenen Bewegung erkannte er das Wirken Christi. So schrieb er in einem an einen anderen Minderbruder gerichteten Brief: »Ich gestehe vor Gott, daß der Grund, der mich das Leben des seligen Franziskus vor jedem anderen lieben ließ, darin besteht, daß es den Anfängen und dem Werden der Kirche ähnlich ist. Die Kirche begann mit einfachen Fischern und wurde in der Folge durch sehr berühmte und weise Lehrer bereichert; die Frömmigkeit des seligen Franziskus ist nicht von der Klugheit der Menschen, sondern von Christus bestimmt worden« (Epistula de tribus quaestionibus ad magistrum innominatum, in: Opere di San Bonavenura, Introduzione generale, Rom 1990, S. 29).

Daher legte Giovanni um das Jahr 1243 die Franziskanerkutte an und wählte den Namen Bonaventura. Er wurde sofort zum Studium bestimmt und besuchte die Theologische Fakultät der Pariser Universität, wo er eine Reihe sehr anspruchsvoller Kurse absolvierte. Er erlangte die verschiedenen, von der akademischen Laufbahn verlangten Titel, wie den des »baccalaureus biblicus « und des »baccalaureus sententiarum«. Bonaventura studierte also gründlich die Heilige Schrift, die Sentenzen des Petrus Lombardus, das Handbuch für Theologie jener Zeit und die wichtigsten theologischen Schriftsteller. Im Kontakt mit den Lehrern und Studenten, die aus ganz Europa in Paris zusammenströmten, reiften sein persönliches Nachdenken und eine spirituelle Sensibilität von großem Wert heran, die er im Lauf der nachfolgenden Jahre in seine Werke und Predigten einfließen zu lassen verstand; so wurde er zu einem der wichtigsten Theologen der Kirchengeschichte. Es ist wichtig, an den Titel der Doktorarbeit zu erinnern, die er verteidigte, um als Lehrer der Theologie für die »licentia ubique docendi« zugelassen zu werden, wie man damals sagte. Der Titel seiner Dissertation lautete Quaestiones disputatae de scientia Christi (Untersuchungen über das Wissen Christi). Dieses Thema zeigt die zentrale Rolle, die Christus immer im Leben und in der Lehre des Bonaventura gehabt hat. Wir können ohne weiteres sagen, daß sein ganzes Denken zutiefst christozentrisch war.

In jenen Jahren entbrannte in Paris, der Wahlheimatstadt Bonaventuras, eine heftige Polemik gegen die Minderbrüder des hl. Franziskus von Assisi und gegen die Predigerbrüder des hl. Dominikus de Guzmán. Man machte ihnen das Recht streitig, an der Universität zu lehren, und bezweifelte sogar die Echtheit ihres geweihten Lebens. Gewiß, die von den Bettelorden in das Verständnis des Ordenslebens eingeführten Änderungen, von denen ich in früheren Katechesen gesprochen habe, waren so innovativ, daß es nicht allen gelang, sie zu verstehen. Dazu kamen dann, wie dies mitunter auch unter aufrichtig religiösen Menschen geschieht, Motive menschlicher Schwäche, wie Neid und Eifersucht. Obwohl Bonaventura von der Ablehnung der anderen Universitätslehrer umgeben war, hatte er bereits auf dem theologischen Lehrstuhl der Franziskaner zu lehren begonnen und verfaßte als Antwort an diejenigen, welche die Bettelorden bekämpften, eine Schrift mit dem Titel Über die evangelische Vollkommenheit. In dieser Schrift zeigt er, daß die Bettelorden und insbesondere die Minderbrüder dadurch, daß sie die Gelübde der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams praktizierten, die evangelischen Räte selbst befolgten. Jenseits dieser historischen Umstände bleibt die von Bonaventura in diesem seinem Werk und in seinem Leben vertretene Lehre immer aktuell: Die Kirche wird durch die Treue zur Berufung jener ihrer Söhne und Töchter heller und schöner, die nicht nur die Gebote des Evangeliums in die Praxis umsetzen, sondern durch Gottes Gnade dazu berufen sind, dessen Räte zu befolgen und auf diese Weise mit ihrem armen, keuschen und gehorsamen Lebensstil davon Zeugnis zu geben, daß das Evangelium Quelle der Freude und der Vollkommenheit ist.

Der Konflikt wurde wenigstens für einige Zeit beigelegt, und durch das persönliche Eingreifen Papst Alexanders IV. wurde Bonaventura 1257 offiziell als »doctor« und »magister« der Universität von Paris anerkannt. Er mußte jedoch auf diese angesehene Aufgabe verzichten, weil ihn das Generalkapitel des Ordens im selben Jahr zum Generalminister wählte.

Er erfüllte dieses Amt 17 Jahre lang mit Weisheit und Hingabe, besuchte die Provinzen, schrieb an die Brüder, griff manchmal mit einer gewissen Strenge ein, um Mißbräuche zu beseitigen. Als Bonaventura diesen Dienst aufnahm, hatte sich der Orden der Minderbrüder erstaunlich entwickelt: Mehr als 30.000 Brüder waren über das ganze Abendland verstreut und waren in Missionen in Nordafrika, im Nahen Osten und auch in Peking anwesend. Es galt, diese Expansion zu festigen und ihr vor allem in voller Treue zum Charisma des Franziskus Einheit im Handeln und im Geist zu verleihen. Tatsächlich waren unter den Nachfolgern des Heiligen aus Assisi verschiedene Arten der Auslegung seiner Botschaft zu verzeichnen, und es bestand tatsächlich die Gefahr eines inneren Bruchs. Um diese Gefahr zu vermeiden, nahm das Generalkapitel des Ordens 1260 in Narbonne einen von Bonaventura vorgelegten Text an und ratifizierte ihn, in dem die Normen gesammelt und vereinheitlicht wurden, die das tägliche Leben der Minderbrüder regelten. Dennoch ahnte Bonaventura, daß die gesetzlichen Bestimmungen, so sehr sie auch von Weisheit und Mäßigung inspiriert waren, nicht ausreichten, um die Gemeinschaft des Geistes und der Herzen sicherzustellen. Es war notwendig, dieselben Ideale und Überzeugungen zu teilen. Aus diesem Grund wollte Bonaventura das echte Charisma des Franziskus, sein Leben und seine Lehre vorlegen. Daher sammelte er mit großem Eifer Dokumente, die den »Poverello« betrafen, und hörte sich aufmerksam die Erinnerungen derer an, die Franziskus direkt gekannt hatten. Daraus entstand eine historisch gut fundierte Biographie des Heiligen aus Assisi mit dem Titel Legenda Maior, die auch in einer kürzeren Form abgefaßt wurde und deshalb Legenda Minor betitelt ist. Das lateinische Wort legenda bezeichnet im Unterschied zum deutschen Wort nicht eine Frucht der Phantasie, sondern legenda bedeutet im Gegenteil einen maßgeblichen Text, der offiziell »zu lesen ist«. Tatsächlich erkannte das Generalkapitel der Minderbrüder 1263 in Pisa in der Biographie des hl. Bonaventura das getreueste Bild des Gründers, und so wurde sie zur offiziellen Biographie des Heiligen.

Welches Bild des hl. Franziskus tritt aus dem Herzen und aus der Feder seines ergebenen Sohnes und Nachfolgers, des hl. Bonaventura, hervor? Der wesentliche Punkt ist: Franziskus ist ein »alter Christus« (ein zweiter Christus), ein Mensch, der voll Leidenschaft Christus gesucht hat. In der Liebe, die zur Nachahmung drängt, hat er sich ganz ihm gleichgestaltet. Bonaventura verwies alle Schüler des Franziskus auf dieses lebendige Ideal. Dieses Ideal, das für jeden Christen – gestern, heute, immer – gültig ist, wurde auch für die Kirche des dritten Jahrtausends von meinem Vorgänger, dem ehrwürdigen Diener Gottes Johannes Paul II., als Programm gesehen. Dieses Programm, so schrieb er in seinem Apostolischen Schreiben Novo Millennio ineunte, »findet letztlich in Christus selbst seine Mitte. Ihn gilt es kennenzulernen, zu lieben und nachzuahmen, um in ihm das Leben des dreifaltigen Gottes zu leben und mit ihm der Geschichte eine neue Gestalt zu geben, bis sie sich im himmlischen Jerusalem erfüllt« (Nr. 29).

Im Jahr 1273 erfuhr das Leben des hl. Bonaventura eine weitere Veränderung. Papst Gregor X. wollte ihn zum Bischof weihen und zum Kardinal ernennen. Er bat ihn auch, ein sehr wichtiges kirchliches Ereignis vorzubereiten: das II. Ökumenische Konzil von Lyon, das die Wiederherstellung der Gemeinschaft zwischen der lateinischen und der griechischen Kirche zum Ziel hatte. Er widmete sich dieser Aufgabe mit aller Sorgfalt, konnte aber das Ende dieser ökumenischen Versammlung nicht mehr erleben, da er während ihres Ablaufs verstarb. Ein anonymer päpstlicher Notar verfaßte eine Lobrede auf Bonaventura, die uns ein abschließendes Bild dieses großen Heiligen und herausragenden Theologen bietet: »Ein guter, umgänglicher, frommer und barmherziger Mann, von Tugend erfüllt, geliebt von Gott und von den Menschen… Denn Gott hatte ihm eine solche Gnade geschenkt, daß alle, die ihn sahen, von einer Liebe durchdrungen wurden, die das Herz nicht verbergen konnte« (vgl. J.G. Bougerol, Bonaventura, in: A. Vauchez (Hg.), Storia dei santi e della santità cristiana. Bd. VI. L’epoca del rinnovamento evangelico, Mailand 1991, S. 91).

Nehmen wir das Erbe dieses heiligen Kirchenlehrers auf, der uns an den Sinn unseres Lebens mit den folgenden Worten erinnert: »Auf Erden … können wir die unermeßliche göttliche Größe durch die Vernunft und die Bewunderung betrachten; in der himmlischen Heimat hingegen werden wir durch die Schau, wenn wir Gott ähnlich sein werden, und durch die Ekstase … in die Freude Gottes eintreten« (Quaestiones disputatae de scientia Christi, q. 6, conclusio, in: Opere di San Bonaventura. Opuscoli Teologici/1, Rom 1993, S. 187).


Wenn ich bei der heutigen Katechese über den hl. Bonaventura spreche, tue ich es nicht ohne eine gewisse Nostalgie. Denn dieser Heilige ist mir im Studium und zu Beginn meiner wissenschaftlichen Tätigkeit ein Vorbild und ein Begleiter geworden, dem ich Wesentliches für meine geistliche Prägung verdanke. Bonaventura wurde um 1217 in Bagnoregio etwa 80 km nördlich von Rom geboren. Seine Lebenszeit fällt mitten in jenes 13. Jahrhundert, das sich durch eine große Blüte des Glaubens, des Wissens und der Kultur auszeichnete. Schon früh wurde Bonaventura, der mit weltlichem Namen Giovanni Fidanza hieß, von der Gestalt des hl. Franz von Assisi berührt, den er persönlich allerdings nicht mehr erlebt hat. Bonaventura erzählt, daß er als Kind schwer erkrankte. Keiner konnte ihm helfen. Sein Vater, der Arzt war, hatte ihn schon aufgegeben. Da rief die Mutter in ihrer Not den gerade heiliggesprochenen Franziskus an, und der Knabe wurde wieder gesund. Er ging dann nach Paris zum Studium und begegnete dort den Franziskanerbrüdern, die auch als Professoren an der Universität wirkten. Er war von ihrem Glaubenseifer und vor allem von ihrer Bedürfnislosigkeit so fasziniert, daß er selbst in diesen Orden eintrat. Im Laufe seines Lebens hatte er hohe Ämter inne, er wurde zuerst selbst Professor in Paris, dann Generalminister seines Ordens und schließlich Kardinal. Aber bei allem blieb er dem Armutsideal seines Ordens verpflichtet. Die Leuchtkraft der Kirche, das war seine tiefe Überzeugung, gründet in der Berufungstreue gerade jener Söhne und Töchter, die nicht nur die Gebote Gottes in die Tat umsetzen, sondern die darüber hinausgehenden Ratschläge, die uns das Evangelium gibt, und durch ein Leben in Armut, Keuschheit und Gehorsam dafür Zeugnis ablegen, daß das Evangelium uns Quelle erfüllten Lebens und einer bleibenden inneren Freude ist. Als bedeutender Theologe nahm Bonaventura an den Vorbereitungen zum 2. Konzil von Lyon teil, dessen Ziel die Versöhnung zwischen griechischer und lateinischer Kirche, also der Ökumenismus in den damaligen Maßstäben war. Er konnte die Union noch erleben, die allerdings nicht haltbar war, ist aber 1274 während des Konzils gestorben.

* * *

Von Herzen grüße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher. Christus, das lernen wir von Bonaventura, gilt es immer mehr kennenzulernen, zu lieben und dann auch nachzuahmen. So finden wir die Mitte unseres Lebens und können der Geschichte in positiver Weise Gestalt geben. Dazu schenke uns allen Gott seine Gnade.

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