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BENEDIKT XVI.

GENERALAUDIENZ

Petersplatz
Mittwoch, 28. April 2010

 

 

Hl. Leonardo Murialdo und Hl. Giuseppe Benedetto Cottolengo

Liebe Brüder und Schwestern!

Wir nähern uns dem Abschluß des Priester-Jahres, und an diesem letzten Mittwoch im April möchte ich über zwei heilige Priester sprechen, die vorbildlich waren in ihrer Hingabe an Gott und im Zeugnis der Nächstenliebe gegenüber den notleidenden Brüdern, das sie in der Kirche und für die Kirche lebten: über den hl. Leonardo Murialdo und den hl. Giuseppe Benedetto Cottolengo. Wir begehen den 110. Todestag und den 40. Jahrestag der Heiligsprechung Murialdos; für Cottolengo haben die Feiern anläßlich des 200. Jahrestages seiner Priesterweihe begonnen.

Leonardo Murialdo wurde am 26. Oktober 1828 in Turin geboren. Es ist das Turin des hl. Johannes Bosco und auch das des hl. Giuseppe Cottolengo: ein Ort, der durch viele Priester und gläubige Laien, Vorbilder der Heiligkeit, fruchtbar gemacht wurde. Leonardo ist das achte Kind einer einfachen Familie. Als Junge wurde er zusammen mit seinem Bruder in das Internat der Piaristen in Savona aufgenommen, wo er die Grundschule und die weiterführenden Schulen besuchte; er fand dort gut ausgebildete Erzieher, in einer Atmosphäre der Religiosität, die auf einer soliden Katechese gründete, mit regelmäßigen Frömmigkeitsübungen. Als Jugendlicher erlebte er jedoch eine tiefe existentielle und geistliche Krise, die ihn vorzeitig zu seiner Familie zurückkehren und seine Studien in Turin beenden ließ, wo er sich für das zweijährige Studium der Philosophie einschrieb. Die »Rückkehr zum Licht« geschah – wie er berichtet – nach einigen Monaten, durch die Gnade einer Generalbeichte, in der er die unendliche Barmherzigkeit Gottes wiederentdeckte. Damals, mit 17 Jahren, traf er die Entscheidung, Priester zu werden, als Liebesantwort an Gott, der ihn mit seiner Liebe ergriffen hatte. Er wurde am 20. September 1851 geweiht. Zur selben Zeit, als Katechet des Oratoriums »Angelo Custode«, lernte ihn Don Bosco kennen und schätzen, der ihn überzeugte, die Leitung des neuen Oratoriums »San Luigi« in Porta Nuova zu übernehmen. Diese hatte er bis 1865 inne. Dort kam er auch mit den schwerwiegenden Problemen der ärmsten Bevölkerungsschichten in Berührung, die er in ihren Wohnungen besuchte. So reifte in ihm ein tiefes soziales, erzieherisches und apostolisches Bewußtsein heran, das ihn dann veranlaßte, sich eigenständig verschiedenen Initiativen zum Wohl der Jugend zu widmen. Katechese, Schule und Freizeitaktivitäten bildeten die Grundlagen seiner Erziehungsmethode im Oratorium. Don Bosco nahm ihn auch mit in die Audienz, die ihm der sel. Pius IX. im Jahre 1858 gewährte.

1873 gründete er die Kongregation vom hl. Joseph, deren apostolisches Ziel von Anfang an die Erziehung und Bildung der Jugendlichen war, besonders der armen und verwahrlosten. Turin erfuhr damals eine starke Blütezeit karitativer Werke und Tätigkeiten, die Leonardo Murialdo bis zu seinem Tod am 30. März 1900 förderte.

Ich möchte hervorheben, das das Herzstück der Spiritualität Leonardo Murialdos die Überzeugung von der barmherzigen Liebe Gottes ist: eines immer guten, geduldigen und großherzigen Vaters, der die Größe und die Unendlichkeit seines Erbarmens in der Vergebung offenbart. Diese Wirklichkeit erfuhr der hl. Leonardo nicht auf intellektueller, sondern auf existentieller Ebene, durch die lebendige Begegnung mit dem Herrn. Er sah sich stets als Mann an, der vom barmherzigen Gott Gnade erlangt hat: Daher lebte er mit froher Dankbarkeit gegenüber dem Herrn, im ruhigen Bewußtsein der eigenen Grenzen, mit dem brennenden Verlangen nach Buße und im ständigen und großherzigen Bemühen um Bekehrung. Sein ganzes Leben schien ihm nicht nur durch diese Liebe erleuchtet, geleitet und gestützt zu sein, sondern es schien ihm unablässig hineingenommen zu sein in die unendliche Barmherzigkeit Gottes. In seinem Geistlichen Testament schrieb er: »Deine Barmherzigkeit umfängt mich, o Herr … So wie Gott immer und überall ist, so ist immer und überall Liebe, ist immer und überall Barmherzigkeit.« Im Rückblick auf die Zeit der Krise, die er in seiner Jugend erlebte, bemerkte er: »So wollte der gute Gott seine Güte und Großherzigkeit noch einmal in ganz einzigartiger Weise erglänzen lassen. Er gewährte mir nicht nur erneut seine Freundschaft, sondern berief mich zu einer Erwählung besonderer Liebe: Er berief mich zum Priestertum, und das nur wenige Monate nach meiner Rückkehr zu ihm.« Der hl. Leonardo lebte die priesterliche Berufung daher als ungeschuldetes Geschenk der Barmherzigkeit Gottes mit Dankbarkeit, Freude und Liebe. Weiter schrieb er: »Gott hat mich auserwählt! Er hat mich berufen, ja sogar gezwungen zu der Ehre, der Herrlichkeit, dem unsagbaren Glück, sein Diener zu sein, ein ›anderer Christus‹ zu sein … Und wo war ich, als du mich gesucht hast, mein Gott? Im tiefsten Abgrund! Dort war ich, und dort hat Gott mich gesucht; dort ließ er mich seine Stimme hören …«

Indem er die Größe der Sendung des Priesters hervorhob, der »das Werk der Erlösung, das große Werk Jesu Christi, das Werk des Retters der Welt fortsetzen« muß, also das Werk, »die Seelen zu retten«, hielt der hl. Leonardo sich selbst und seinen Mitbrüder stets die Verantwortung vor Augen, ein Leben zu führen, das dem empfangenen Sakrament entspricht. Liebe Gottes und Liebe zu Gott: Das war die Kraft seines Weges der Heiligkeit, das Gesetz seines Priestertums, die tiefere Bedeutung seines Apostolats unter den armen Jugendlichen und die Quelle seines Gebets. Der hl. Leonardo Murialdo hat sich vertrauensvoll der Vorsehung überlassen und großherzig den göttlichen Willen erfüllt, in der Beziehung zu Gott und in der Hingabe an die armen Jugendlichen. Auf diese Weise hat er die kontemplative Stille mit dem unermüdlichen Eifer des Handelns vereint, die Treue zu den täglichen Pflichten mit dem Einfallsreichtum der Initiativen, die Kraft in den Schwierigkeiten mit der inneren Ruhe des Geistes. Das ist sein Weg der Heiligkeit, um das Gebot der Liebe zu Gott und zum Nächsten zu leben.

In demselben Geist der Liebe lebte 40 Jahre vor Leonardo Murialdo der hl. Giuseppe Benedetto Cottolengo, Gründer des Werkes, dem er selbst den Namen »Piccola Casa della Divina Provvidenza« – Kleines Haus der göttlichen Vorsehung – gab und das heute auch »Cottolengo« genannt wird. Am kommenden Sonntag, im Rahmen meines Pastoralbesuchs in Turin, werde ich Gelegenheit haben, die sterblichen Überreste dieses Heiligen zu verehren und den Gästen der »Piccola Casa« zu begegnen.

Giuseppe Benedetto Cottolengo wurde am 3. Mai 1786 in Bra, einem Ort in der Provinz Cuneo, geboren. Als Erstgeborener von zwölf Kindern, von denen sechs bereits in zartem Alter gestorben sind, zeigte er schon als kleiner Junge große Einfühlsamkeit gegenüber den Armen. Er schlug den Weg des Priestertums ein, auf dem auch zwei seiner Brüder ihm folgten. Seine Jugendjahre waren die des Napoleonischen Abenteuers und der daraus folgenden Mißstände im religiösen und sozialen Bereich. Giuseppe Cottolengo wurde ein guter Priester, der von vielen reumütigen Sündern aufgesucht wurde; er hielt im damaligen Turin geistliche Exerzitien und Vorträge für die Universitätsstudenten, wobei er stets einen beachtlichen Erfolg zu verzeichnen hatte. Im Alter von 32 Jahren wurde er zum Kanoniker der Allerheiligsten Dreifaltigkeit ernannt, einer Priesterkongregation, die die Aufgabe hatte, in der Kirche »Corpus Domini« den priesterlichen Dienst zu versehen und den religiösen Feiern der Stadt Würde zu verleihen. In diesem Amt fand er jedoch keine innere Ruhe. Gott bereitete ihn auf eine besondere Sendung vor und gab ihm durch eine unerwartete und entscheidende Begegnung zu verstehen, was seine zukünftige Bestimmung bei der Ausübung des Dienstes sein sollte.

Der Herr setzt immer Zeichen auf unseren Weg, um uns nach seinem Willen zu unserem wahren Wohl zu führen. Für Giuseppe Cottolengo geschah dies auf dramatische Weise am Morgen des 2. September 1827, einem Sonntag. Die Postkutsche aus Mailand kam in Turin an, so überfüllt wie nie zuvor. Mitten im Gedränge befand sich eine ganze französische Familie; die hochschwangere Ehefrau mit fünf Kindern hatte hohes Fieber. Nach einem Irrweg von einem Hospital zum anderen fand die Familie Unterkunft in einem öffentlichen Nachtasyl, aber der Zustand der Frau verschlechterte sich, und einige machten sich auf die Suche nach einem Priester. Ein geheimnisvoller Plan ließ sie mit Giuseppe Cottolengo zusammentreffen, und er begleitete schweren und betrübten Herzens diese junge Mutter zum Tod, unter dem tiefen Schmerz der ganzen Familie. Nachdem er diese schmerzliche Aufgabe vollbracht hatte, begab er sich mit großem Leid im Herzen zum Allerheiligsten Sakrament und betete: »Mein Gott, warum? Warum wolltest du, daß ich Zeuge wurde? Was willst du von mir? Man muß etwas tun!« Dann erhob er sich, ließ alle Glocken läuten und Kerzen entzünden, und sagte, während er die neugierigen Menschen in die Kirche einließ: »Gnade ist geschehen! Gnade ist geschehen!« Von jenem Augenblick an war Giuseppe Cottolengo verwandelt: All seine Fähigkeiten, besonders sein wirtschaftliches und organisatorisches Talent, wurden genutzt, um Initiativen zur Unterstützung der Notleidenden ins Leben zu rufen.

Es gelang ihm, Dutzende von Mitarbeitern und freiwilligen Helfern in sein Unternehmen einzubinden. Er begab sich in die Außengebiete von Turin, um sein Werk auszuweiten, und schuf eine Art Siedlung, in der er jedem Gebäude, das er erbauen konnte, einen bedeutsamen Namen gab: »Haus des Glaubens«, »Haus der Hoffnung«, »Haus der Liebe«. Er rief den Stil der »Familien« ins Leben und gründete wirkliche Gemeinschaften von Personen – freiwillige Helfer und Helferinnen, Männer und Frauen, Ordensleute und Laien –, die vereint waren, um die Schwierigkeiten, denen sie gegenüberstanden, gemeinsam in Angriff zu nehmen und zu überwinden. Jeder in dieser »Piccola Casa della Divina Provvidenza« hatte eine bestimmte Aufgabe: einige arbeiteten, einige beteten, einige dienten, einige lehrten, einige verwalteten. Gesunde und Kranke trugen gemeinsam die Last des Alltags. Auch das Ordensleben bildete sich mit der Zeit heraus, den besonderen Nöten und Erfordernissen entsprechend. Er dachte auch an ein eigenes Seminar, um den Priestern des Werkes eine besondere Ausbildung zu geben. Stets war er bereit, der göttlichen Vorsehung zu folgen und zu dienen, ohne sie jemals in Frage zu stellen. Er sagte: »Ich bin ein Nichtsnutz und weiß noch nicht einmal, was ich tue. Die göttliche Vorsehung jedoch weiß sicher, was sie will. Ich muß ihr nur gehorchen. Vorwärts ›in Domino‹«. Für seine Armen und Notleidenden bezeichnet er sich stets als den »Handlanger der göttlichen Vorsehung«.

Neben den kleinen Siedlungen gründete er auch fünf Klöster kontemplativer Schwestern und ein Eremitenkloster, und für ihn gehörten sie zu den wichtigsten Dingen, die er verwirklichte: eine Art »Herz«, das für das ganze Werk schlagen sollte. Er starb am 30. April 1842 mit folgenden Worten auf den Lippen: »Misericordia, Domine; Misericordia, Domine. Gute und heilige Vorsehung … Allerseligste Jungfrau, jetzt ist es an Euch.« Sein ganzes Leben war, wie eine Zeitung damals schrieb, »ein erfüllter Tag der Liebe«.

Liebe Freunde, diese beiden Priester, von denen ich einige Charakterzüge aufgezeigt habe, haben ihren Dienst in der Ganzhingabe des Lebens an die Armen, die Notleidenden, die Geringen gelebt. Dabei haben sie die tiefe Wurzel, die nie versiegende Quelle ihres Handelns stets in der Beziehung zu Gott gefunden, aus seiner Liebe geschöpft, in der tiefen Überzeugung, daß es nicht möglich ist, Nächstenliebe zu üben, ohne in Christus und in der Kirche zu leben. Ihre Fürsprache und ihr Vorbild mögen auch weiterhin den Dienst vieler Priester erleuchten, die sich mit Großherzigkeit Gott und der ihnen anvertrauten Herde hingeben, und sie mögen einem jeden helfen, sich mit Freude und Großherzigkeit Gott und dem Nächsten hinzuschenken.


In der heutigen Audienz möchte ich zwei Priestergestalten vorstellen, die im Turin des 19. Jahrhunderts ihr Leben ganz in den Dienst der Armen gestellt haben. Der heilige Leonardo Murialdo stammte aus einer kinderreichen Familie und wurde in katholischen Ordensschulen erzogen, doch als Jugendlicher durchlebte er eine tiefe Glaubenskrise. Seine Rückkehr zu Gott und seine Berufung zum Priester sah er deshalb immer als ein unverdientes Geschenk der göttlichen Vaterliebe. Nach über zwanzig Jahren der geistlichen, leiblichen und schulischen Fürsorge für bedürftige Jugendliche gründete er die Kongregation des heiligen Josefs, in der er viele andere zu einem eifrigen und konsequenten Priesterleben führte. Der heilige Giuseppe Benedetto Cottolengo, an dessen Grab ich am kommenden Sonntag in Turin beten werde, wirkte zu Beginn des 19. Jahrhunderts zunächst als vielgesuchter Beichtvater und geschätzter Prediger. Doch eines Nachts stellte ihn die göttliche Vorsehung an die Seite einer Mutter, die bei der Geburt ihres sechsten Kindes im Kreis ihrer mittellosen Familie verstarb. Aus dieser erschütternden Erfahrung erwuchs im Gebet gleichsam eine neue Berufung, die zur Gründung des „Kleinen Hauses der göttlichen Vorsehung führte“, das zunächst außerhalb von Turin und heute an vielen Orten der Welt armen und kranken Menschen ein Zuhause bietet.

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Ein herzliches Grüß Gott sage ich allen Pilgern und Besuchern aus den Ländern deutscher Sprache. Ich heiße hier besonders die Mitglieder des Bundes katholischer Unternehmer sowie die Priester aus der Diözese Feldkirch mit ihrem Bischof Dr. Elmar Fischer willkommen. Das leuchtende Beispiel der heiligen Leonardo Murialdo und Giuseppe Benedetto Cottolengo zeigt uns, daß wir nur dann wirklich Werkzeuge der barmherzigen Liebe Gottes sein können, wenn wir in Christus und in der Kirche leben. Der Heilige Geist erfülle eure Herzen mit seiner Gnade!

 

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