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EUCHARISTIEFEIER ZUR ERÖFFNUNG DER WELTBISCHOFSSYNODE

PREDIGT VON BENEDIKT XVI.

Basilika St. Paul vor den Mauern
Sonntag, 5. Oktober 200
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Verehrte Brüder im Bischofs- und im Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Die erste Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja wie auch der Abschnitt aus dem Matthäusevangelium haben unserer gottesdienstlichen Gemeinschaft ein eindrucksvolles allegorisches Bild der Heiligen Schrift vor Augen gestellt: das Bild vom Weinberg, von dem wir bereits an den vorhergehenden Sonntagen gehört haben. Die Perikope zu Beginn der Erzählung des Evangeliums bezieht sich auf das »Lied vom Weinberg«, das wir bei Jesaja finden. Dieses Lied steht im Zusammenhang mit der herbstlichen Weinlese: es ist ein kleines Meisterwerk der hebräischen Dichtkunst, das den Zuhörern Jesu sehr vertraut gewesen sein dürfte und aus dem gut ersichtlich wurde, daß mit dem Weinberg Israel gemeint ist, wie dies auch bei anderen Worten der Propheten der Fall war (vgl. Hos 10,1; Jer 2,21; Ez 17,3–10; 19,10–14; Ps 80,9–17). Gott widmet seinem Weinberg, also dem Volk, das er auserwählt hat, dieselbe Sorge, die ein treuer Bräutigam seiner Braut entgegenbringt (vgl. Ez 16,1–14; Eph 5,25–33).

Das Bild vom Weinberg beschreibt also ebenso wie das von der Hochzeit den göttlichen Heilsplan und ist eine ergreifende Allegorie des Bundes Gottes mit seinem Volk. Im Evangelium nimmt Jesus das Lied des Jesaja wieder auf, paßt es aber seinen Zuhörern und der neuen Stunde der Heilsgeschichte an. Der Schwerpunkt liegt nun nicht mehr auf dem Weinberg, sondern auf den Weinbauern, von denen die »Knechte« des Herrn in seinem Namen die Pacht einfordern. Die Knechte werden jedoch schlecht behandelt und sogar getötet. Wie könnte man da nicht an die Geschicke des auserwählten Volkes denken und an das Schicksal, das die von Gott gesandten Propheten ereilte? Schließlich unternimmt der Besitzer des Weinberges einen letzten Versuch: er schickt seinen eigenen Sohn, in der Überzeugung, daß wenigstens er auf offenes Gehör stößt. Doch es geschieht das Gegenteil: die Winzer töten ihn gerade deshalb, weil er der Sohn, das heißt der Erbe ist, und weil sie überzeugt sind, daß sie auf diese Weise leicht in den Besitz des Weinberges kommen können. Wir erkennen hier also einen »Qualitätssprung« im Vergleich zur Klage über der Verstöße gegen die soziale Gerechtigkeit im Lied des Jesaja. Hier sehen wir deutlich, wie sich die Verachtung gegenüber den vom Gutbesitzer erteilten Anweisungen in die Verachtung seiner selbst verwandelt: Es geht hier nicht mehr um den bloßen Ungehorsam gegenüber einem göttlichen Gebot, sondern um die regelrechte Ablehnung Gottes selbst: Hier läßt sich bereits das Geheimnis des Kreuzes erkennen.

Was in diesem Abschnitt aus dem Evangelium beklagt wird, stellt unsere Art zu denken und zu handeln in Frage; es stellt vor allem eine Anfrage dar an die Völker, denen das Evangelium verkündet worden ist. Wenn wir die Geschichte betrachten, so werden wir nicht selten die Kälte und den Widerstand inkonsequenter Christen feststellen müssen. Infolgedessen mußte Gott, ohne jemals sein Heilsversprechen zurückzunehmen, oft auf Züchtigungen zurückgreifen. Unwillkürlich denkt man in diesem Zusammenhang an die erste Verkündigung des Evangeliums, aus der anfänglich blühende christliche Gemeinden hervorgingen, die dann verschwanden und heute nur in den Geschichtsbüchern Erwähnung finden. Könnte das nicht auch in unserem Zeitalter geschehen? Nationen, die einst reich an Glauben und Berufungen waren, verlieren mittlerweile unter dem Einfluß einer verderblichen und zerstörerischen modernen Kultur zunehmend ihre Identität. Es gibt Menschen, die beschlossen haben, daß »Gott tot ist«, und sich selbst zu »Gott« erklären und glauben, die einzigen Schöpfer ihres Schicksals und die Herren der Welt zu sein. Wenn der Mensch sich Gottes zu entledigen versucht und sich nicht mehr von ihm das Heil erwartet, dann glaubt er, das tun zu können, was ihm gefällt. Er wird sich zum alleinigen Maß seiner selbst und seines Handelns machen. Aber wird der Mensch dann wirklich glücklich, wenn er Gott aus seinem Horizont fernhält, Gott für »tot« erklärt? Wird er dadurch wirklich freier? Wenn die Menschen um jeden Preis ihr eigener Herr sein wollen und sich zu den einzigen Herren über die Schöpfung erheben, können sie dann wirkliche eine Gesellschaft aufbauen, in der Freiheit, Gerechtigkeit und Friede herrschen? Ist es dann nicht eher so – wie es ja die täglichen Nachrichten immer wieder zeigen –, daß sich die Willkür der Macht, egoistische Interessen, Unrecht, Ausbeutung und Gewalt in all ihren Ausdrucksformen ausbreiten? All das wird dann letztlich dazu führen, daß sich der Mensch noch einsamer fühlt und die Gesellschaft immer gespaltener und orientierungsloser wird.

Die Worte Jesu bergen eine Verheißung in sich: Der Weinberg wird nicht zerstört werden. Während er die untreuen Winzer ihrem Schicksal überläßt, wendet sich der Gutsbesitzer nicht von seinem Weinberg ab, und er vertraut ihn seinen anderen treuen Knechten an. Dies zeigt uns: Wenn der Glaube in einigen Gegenden schwächer wird und unterzugehen scheint, dann wird es immer andere Völker geben, die bereit sind, ihn anzunehmen. Eben deswegen sichert uns Jesus mit den Worten von Psalm 118 zu, daß sein Tod nicht die Niederlage Gottes bedeutet: »Der Stein, den die Bauleute verwarfen, er ist zum Eckstein geworden« (V. 22). Nach seinem Tod wird er nicht im Grab bleiben. Ganz im Gegenteil: Das, was eine völlige Niederlage zu sein schien, bezeichnet den Anfang eines endgültigen Sieges. Auf sein schmerzvolles Leiden und seinen Tod am Kreuz folgt die Herrlichkeit der Auferstehung: Der Weinberg wird auch weiterhin Wein hervorbringen, und der Gutsherr wird ihn »an andere Winzer verpachten, die ihm die Früchte zur rechten Zeit abliefern« (Mt 21,41).

Das Bild vom Weinberg mit all seinen moralischen, lehrmäßigen und spirituellen Auswirkungen kehrt im Bericht vom Letzten Abendmahl wieder, als der Herr bei seinem Abschied von den Aposteln sagt: »Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab, und jede, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt« (Joh 15,1–2). Ausgehend vom Osterereignis wird die Heilsgeschichte also eine entscheidende Wende erfahren, deren Protagonisten jene »anderen Winzer« sein werden, die »wie auserlesene Triebe in Jesus eingepflanzt sind, als wahre Reben, die reiche Früchte ewigen Lebens bringen« (Tagesgebet). Unter diesen »Winzern« sind auch wir, eingepflanzt in Christus, der selbst zum »wahren Weinstock« werden wollte. Beten wir, daß der Herr, der uns in der Eucharistie sein Blut und sich selbst schenkt, uns helfen möge, »Frucht zu bringen« für das ewige Leben und für unsere heutige Zeit.

Die trostreiche Botschaft, die uns diese biblischen Texte vermitteln, besteht in der Gewißheit, daß das Böse und der Tod nicht das letzte Wort haben werden, sondern am Ende wird Christus siegen. Immer! Unermüdlich verkündet die Kirche diese Frohe Botschaft, und sie tut dies auch heute in dieser Basilika, die dem Völkerapostel geweiht ist, der als erster das Evangelium in weiten Teilen Kleinasiens und Europas verkündete. Wir werden diese Botschaft in besonderer Weise während der XII. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode erneuern, die unter dem Thema steht: »Das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche«. Mit herzlicher Zuneigung möchte ich nun euch alle begrüßen, liebe Synodenväter, und all jene, die an diesem Treffen als Experten, Auditoren und Sondergäste teilnehmen. Mit Freude empfange ich zudem die Bruderdelegierten der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Dem Generalsekretär der Bischofssynode und seinen Mitarbeitern möchte ich unser aller Anerkennung aussprechen für die anspruchsvolle Arbeit, die ihr in diesen Monaten ausführt, verbunden mit meinen besten Wünschen angesichts der Mühen, die euch in den kommenden Wochen erwarten.

Wenn Gott spricht, fordert er immer zu einer Antwort heraus; sein Heilswirken erfordert die Mitwirkung des Menschen; seine Liebe wartet auf eine Erwiderung. Es darf nie geschehen, liebe Brüder und Schwestern, was in der Bibel über den Weinberg gesagt wird: Er hoffte, daß der Weinberg süße Trauben brächte, doch er brachte nur saure Beeren (vgl. Jes 5,2). Nur das Wort Gottes kann das Herz des Menschen in der Tiefe verwandeln, und deshalb ist es wichtig, daß die einzelnen Gläubigen und die Gemeinschaften mit dem Wort Gottes immer tiefer vertraut werden. Die Synodenversammlung wird ihre Aufmerksamkeit auf diese für das Leben und die Sendung der Kirche grundlegende Wahrheit richten. Sich vom Wort Gottes zu nähren ist für sie ihre erste und grundlegende Aufgabe. Denn wenn die Verkündigung des Evangeliums der Grund ihres Bestehens und ihrer Mission ist, ist es unerläßlich, daß die Kirche das kennt und lebt, was sie verkündet, damit ihre Verkündigung glaubwürdig wird trotz der Schwachheit und Armut der Menschen, aus denen sie besteht. Wir wissen darüber hinaus, daß die Verkündigung des Wortes nach dem Vorbild Christi das Reich Gottes zum Inhalt hat (vgl. Mk 1,14–15). Das Reich Gottes jedoch ist die Person Jesu selbst, der mit seinen Worten und Werken den Menschen aller Zeiten das Heil anbietet. In diesem Zusammenhang ist eine Überlegung des hl. Hieronymus von Interesse: »Wer die Schriften nicht kennt, kennt weder die Macht Gottes noch seine Weisheit. Die Schrift nicht kennen heißt, Christus nicht kennen« (Prolog zum Jesajakommentar: PL 24,17).

In diesem Paulus-Jahr werden wir mit besonderer Eindringlichkeit den Ruf des Völkerapostels erschallen hören: »Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!« (1 Kor 9,16); ein Ruf, der für jeden Christen zu einer eindringlichen Aufforderung wird, sich in den Dienst Christi zu stellen. »Die Ernte ist groß« (Mt 9,37), wiederholt der göttliche Meister heute auch uns gegenüber: Viele sind ihm noch nicht begegnet und warten auf die erste Verkündigung seines Evangeliums; andere sind, obwohl sie eine christliche Erziehung oder Bildung erhalten haben, lau geworden in ihrer Begeisterung und haben zum Wort Gottes einen nur noch oberflächlichen Kontakt; andere haben sich von der Glaubenspraxis entfernt und brauchen eine Neuevangelisierung. Es fehlt weiter nicht an Menschen guten Willens, die sich grundlegende Fragen über den Sinn des Lebens und des Todes stellen, Fragen, auf die nur Christus befriedigende Antworten geben kann. Dann wird es für die Gläubigen aller Kontinente unumgänglich, bereit zu sein, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die sie erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15), mit Freude das Wort Gottes zu verkünden und kompromißlos das Evangelium zu leben.

Verehrte und liebe Brüder, der Herr möge uns helfen, uns in den kommenden Wochen der Synodenarbeiten gemeinsam zu fragen, wie wir der Verkündigung des Evangeliums in unserer Zeit immer größere Wirksamkeit verleihen können. Wir spüren alle, wie notwendig es ist, das Wort Gottes in den Mittelpunkt unseres Lebens zu stellen, Christus als unseren einzigen Erlöser, als das Reich Gottes in Person anzunehmen, so daß sein Licht jeden Bereich des menschlichen Lebens erleuchte: die Familie, die Schule, die Kultur, die Arbeit, die Freizeit und andere Bereiche der Gesellschaft und unseres Lebens. Indem wir an der Eucharistiefeier teilnehmen, werden wir uns immer mehr der engen Verbindung bewußt, die zwischen der Verkündigung des Wortes Gottes und dem eucharistischen Opfer besteht: es ist dasselbe Geheimnis, das unserer Betrachtung dargeboten wird. Deshalb unterstreicht das Zweite Vatikanische Konzil: »Die Kirche hat die Heiligen Schriften immer verehrt wie den Leib Herrn selbst, weil sie, vor allem in der heiligen Liturgie, vom Tisch des Wortes Gottes wie des Leibes Christi ohne Unterlaß das Brot des Lebens nimmt und den Gläubigen reicht.« Zu Recht schließt es mit den Worten: »Wie das Leben der Kirche sich mehrt durch die ständige Teilnahme am eucharistischen Geheimnis, so darf man neuen Antrieb für das geistliche Leben erhoffen aus der gesteigerten Verehrung des Wortes Gottes, welches ›bleibt in Ewigkeit‹« (Dei Verbum, 21.26).

Der Herr möge es uns gewähren, daß wir gläubig hinzutreten zum zweifachen Tisch des Wortes und des Leibes und Blutes Christi. Diese Gabe erwirke uns die selige Jungfrau Maria, die »all dies in ihrem Herzen bewahrte und darüber nachdachte« (Lk 2,19). Möge sie uns lehren, auf die Heilige Schrift zu hören und sie zu meditieren, in einem inneren Reifungsprozeß, der nie Intelligenz und Herz voneinander trennen darf. Mögen uns auch die Heiligen helfen, insbesondere der hl. Paulus, den wir in diesem Jahr immer mehr als furchtlosen Zeugen und Verkünder des Wortes Gottes entdecken. Amen!

    

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