BEGEGNUNG MIT DEN PRIESTERN DER DIÖZESE ROMA
ANSPRACHE VON BENEDIKT XVI.
Benediktionsaula
Donnerstag, 22. Februar 2007
Im Verlauf der traditionellen Begegnung des Heiligen Vaters mit den Priestern der Diözese Rom in der Fastenzeit, bei der auch der Generalvikar für die Diözese, Kardinal Camillo Ruini, anwesend war, beantwortete der Heilige Vater die Fragen, die ihm neun Priester stellten.
Die erste Frage wurde von Msgr. Pasquale Silla, Pfarrer und Rektor des Heiligtums »Santa Maria del Divino Amore« in Castel di Leva, gestellt, der an den Besuch, den Benedikt XVI. dem Heiligtum am 1. Mai 2006 abstattete, und an die Bitte erinnerte, die er der Pfarrgemeinde hinterlassen hat: In dem Heiligtum und von dem Heiligtum aus inständig zu beten für den Bischof von Rom, für seine Mitarbeiter, für den ganzen Klerus und für die Gläubigen. In Erwiderung auf diese Bitte hat sich die Gemeinde des »Divino Amore« bemüht, dem Gebet in allen seinen Formen – vor allem dem liturgischen Gebet – höchsten Wert beizumessen, damit es beständig und einhellig sei: Eine der Früchte dieses Bemühens ist die Ewige Eucharistische Anbetung, die ab kommendem 25. März im Heiligtum eingeführt werden soll. Auch im Hinblick auf die Nächstenliebe engagiert sich das Heiligtum für die Erweiterung seiner Initiativen vor allem im Bereich der Sorge um die Minderjährigen, die Familien und die alten Menschen. Aus dieser Sicht hat Msgr. Silla den Papst um konkrete Hinweise gebeten, wie die Sendung des Marienheiligtums in der Diözese immer wirksamer verwirklicht werden könnte.
Benedikt XVI.: Ich möchte zuallererst sagen, daß ich zufrieden und glücklich darüber bin, mich hier wirklich als Bischof einer großen Diözese zu fühlen. Der Kardinalvikar hat gesagt, daß ihr euch Licht und Trost erwartet. Und ich muß sagen: So viele Priester aller Generationen zu sehen, ist Licht und Trost für mich. Schon bei der ersten Frage habe ich auch und vor allem gelernt: Und das scheint mir auch ein wesentliches Element unserer Begegnung zu sein. Hier kann ich die lebendige und konkrete Stimme der Pfarrer hören, ihre pastoralen Erfahrungen, und so kann vor allem auch ich eure konkrete Situation, die Fragen, die ihr habt, eure Erfahrungen und Schwierigkeiten kennenlernen. Auf diese Weise kann ich sie nicht nur abstrakt erleben, sondern in einem konkreten Gespräch mit dem tatsächlichen Leben der Pfarreien.
Ich komme nun zur ersten Frage. Mir will scheinen, daß Sie im wesentlichen auch bereits die Antwort darauf gegeben haben, was dieses Heiligtum tun kann … Ich weiß, daß es das von den Römern am meisten geliebte Marienheiligtum ist. Ich habe selbst, als ich mehrmals in das alte Heiligtum gekommen bin, diese jahrhundertealte Frömmigkeit erfahren. Man spürt die Gegenwart des Gebets von Generationen und berührt gleichsam mit der Hand die mütterliche Gegenwart der Muttergottes. Man kann dort wirklich eine Begegnung mit der Marienverehrung über die Jahrhunderte hinweg erleben, eine Begegnung mit den Sehnsüchten, Nöten, Bedürfnissen, Leiden, aber auch mit den Freuden von Generationen in der Begegnung mit Maria. So ist dieses Heiligtum, zu dem die Menschen mit ihren Hoffnungen, Problemen, Fragen, Leiden kommen, eine wesentliche Gegebenheit für die Diözese Rom. Wir sehen immer mehr, daß die Wallfahrtsstätten eine Quelle des Lebens und des Glaubens in der Gesamtkirche und somit auch in der Kirche von Rom sind. In meiner Heimat habe ich die Erfahrung der Fußwallfahrten zu unserem Nationalheiligtum von Altötting gemacht. Das ist eine große Mission des Volkes. Da gehen vor allem die jungen Leute mit; und während sie drei Tage zu Fuß pilgern, leben sie in der Atmosphäre des Gebets, der Gewissensprüfung, sie entdecken gleichsam wieder ihr christliches Glaubensbewußtsein. Diese drei Tage der Wallfahrt sind Tage der Beichte und des Gebets, sie sind ein wahrhaftiger Weg hin zur Muttergottes, zur Familie Gottes und dann zur Eucharistie. Zu Fuß gehen sie zur Muttergottes, und mit der Muttergottes gehen sie zum Herrn, zur eucharistischen Begegnung, während sie sich durch die Beichte auf die innere Erneuerung vorbereiten. Sie erleben erneut die eucharistische Wirklichkeit des Herrn, der sich selbst hingibt, wie die Muttergottes dem Herrn ihr Fleisch schenkte und so die Pforte zur Menschwerdung öffnete. Die Muttergottes hat ihr Fleisch für die Menschwerdung gegeben und so die Eucharistie möglich gemacht, in der wir das Fleisch empfangen, das das Brot für die Welt ist. Auf dem Weg zur Begegnung mit der Muttergottes lernen diese jungen Menschen, ihr Fleisch, das tägliche Leben darzubringen, um es dem Herrn zu übergeben. Und sie lernen zu glauben, nach und nach »Ja« zu sagen zum Herrn.
Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich würde daher sagen, das Heiligtum als solches, das heißt als Ort des Gebets, der Beichte, der Feier der Eucharistie, ist ein großer Dienst in der Kirche von heute, für die Diözese Rom. Ich meine also, der wesentliche Dienst, von dem Sie im übrigen konkret gesprochen haben, ist eben der, sich als Ort des Gebets, des sakramentalen Lebens und des Lebens verwirklichter Nächstenliebe anzubieten. Sie haben, wenn ich richtig verstanden habe, von vier Dimensionen des Gebets gesprochen. Die erste ist die persönliche Dimension. Und hier zeigt uns Maria den Weg. Der hl. Lukas sagt uns zweimal, Maria »bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach« (Lk 2,19; vgl. 2,51). Sie war ein Mensch im Gespräch mit Gott, mit dem Wort Gottes und auch mit den Geschehnissen, durch die Gott mit ihr sprach. Das Magnificat ist aus Worten der Heiligen Schrift »gewoben« und zeigt uns, wie Maria in einem fortwährenden Gespräch mit dem Wort Gottes und auf diese Weise mit Gott selbst gelebt hat. Natürlich war sie dann im Leben mit dem Herrn immer im Gespräch mit Christus, mit dem Sohn Gottes und mit dem dreieinigen Gott. Wir lernen daher von Maria, mit dem Herrn persönlich zu sprechen, indem wir die Worte Gottes in unserem Leben und in unserem Herzen erwägen und bewahren, damit sie echte Nahrung für einen jeden werden. Auf diese Weise leitet uns Maria in einer Schule des Gebets, in einem persönlichen, tiefen Kontakt mit Gott.
Die zweite Dimension, von der Sie gesprochen haben, ist das liturgische Gebet. In der Liturgie lehrt uns der Herr beten, indem er uns zuerst sein Wort schenkt und uns dann im Hochgebet in die Gemeinschaft mit seinem Geheimnis des Lebens, des Kreuzes und der Auferstehung einführt. Der hl. Paulus hat einmal gesagt, »wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen« (Röm 8,26): Wir wissen nicht, wie wir beten sollen, was wir zu Gott sagen sollen. Deshalb hat uns Gott die Worte des Gebets gegeben, sowohl in den Psalmen wie in den großen Gebeten der Heiligen Liturgie, als auch gerade in der eucharistischen Liturgie selbst. Hier lehrt er uns beten. Wir treten in das Gebet ein, das sich im Laufe der Jahrhunderte unter der Inspiration des Heiligen Geistes entwickelt hat, und schließen uns dem Gespräch Christi mit dem Vater an. Die Liturgie ist also vor allem Gebet: Zuerst Zuhören, dann Antworten, sei es im Antwortpsalm oder im Gebet der Kirche oder im Eucharistischen Hochgebet. Wir feiern die Liturgie richtig, wenn wir sie in einer »betenden « Haltung feiern, indem wir uns dem Geheimnis Christi und seinem Gespräch als Sohn mit dem Vater anschließen. Wenn wir die Eucharistie in dieser Weise feiern – zuerst als Zuhören, dann als Antwort, somit als Gebet mit den vom Heiligen Geist angezeigten Worten –, dann feiern wir sie richtig. Und die Menschen werden hineingezogen durch unser gemeinsames Gebet in den engsten Kreis der Kinder Gottes.
Die dritte Dimension ist die der Volksfrömmigkeit. Ein bedeutendes Dokument der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung spricht von dieser Volksfrömmigkeit und zeigt uns, wie wir sie »leiten« sollen. Die Volksfrömmigkeit ist eine unserer Stärken, weil es sich um Gebete handelt, die tief im Herzen der Menschen verwurzelt sind. Auch Menschen, die dem Leben der Kirche etwas fernstehen und kein großes Glaubensverständnis haben, werden von diesem Gebet innerlich berührt. Man muß nur diese Gesten »erhellen«, diese Tradition »läutern«, damit sie zu aktuellem Leben der Kirche wird.
Sodann die Eucharistische Anbetung. Ich bin sehr dankbar dafür, daß sich die Eucharistische Anbetung immer mehr erneuert. Während der Synode über die Eucharistie haben die Bischöfe viel über ihre Erfahrungen gesprochen, davon, daß durch diese Anbetung, auch während der Nacht, neues Leben in die Gemeinden zurückkehre und daß gerade so auch neue Berufungen entstehen. Ich darf sagen, daß ich in Kürze das Nachsynodale Apostolische Schreiben über die Eucharistie unterzeichnen werde, das dann der Kirche zur Verfügung stehen wird. Es ist ein Dokument, das sich eben für die Meditation anbietet. Es wird eine Hilfe sein bei der Feier des Gottesdienstes, bei der persönlichen Betrachtung, bei der Vorbereitung der Predigten, bei der Feier der Eucharistie. Und es wird auch dazu dienen, die Volksfrömmigkeit zu leiten, zu erhellen und wiederzubeleben.
Schließlich haben Sie vom Heiligtum als Ort der »caritas« gesprochen. Das erscheint mir sehr logisch und notwendig. Ich habe vor kurzem wieder einmal gelesen, was der hl. Augustinus im X. Buch der Bekenntnisse sagt: Ich bin versucht gewesen – und ich verstehe jetzt, daß es eine Versuchung war –, mich in das kontemplative Leben zu verschließen, die Einsamkeit mit dir, Herr, zu suchen; aber du hast mir das verwehrt, du hast mich da herausgeholt und mich das Wort des hl. Paulus hören lassen: »Christus ist für alle gestorben. So müssen wir mit Christus sterben und für alle leben«; ich habe verstanden, daß ich mich nicht in der Kontemplation verschließen darf; Du bist für alle gestorben, daher muß ich mit Dir für alle leben und muß die Werke der Nächstenliebe leben. Die wahre Kontemplation zeigt sich in den Werken der Nächstenliebe. Das Zeichen dafür, daß wir wahrhaftig gebetet haben, daß wir Christus begegnet sind, ist daher, daß wir »für die anderen sind«. So muß ein Pfarrer sein. Und der hl. Augustinus war ein großer Pfarrer. Er sagt: Ich wollte in meinem Leben immer im Hören des Wortes, in der Meditation leben, aber jetzt muß ich – Tag für Tag, Stunde um Stunde – an der Pforte sitzen, wo ständig die Glocke klingelt, ich muß die Bedrückten trösten, den Armen helfen, die Streitsüchtigen ermahnen, Frieden stiften und so weiter. Der hl. Augustinus zählt die ganze Arbeit eines Pfarrers auf, weil zur damaligen Zeit der Bischof auch eine ähnliche Funktion hatte wie jetzt der Kadi in den islamischen Ländern. Wir könnten sagen, er war der Friedensrichter, wenn es um zivilrechtliche Probleme ging: Er mußte Frieden stiften zwischen den Streitsüchtigen. Er hat somit ein Leben geführt, das für ihn, einen Mann des Kontemplation, sehr schwierig gewesen ist. Aber er hat diese Wahrheit verstanden: So bin ich bei Christus; wenn ich »für die anderen « bin, bin ich im gekreuzigten und auferstandenen Herrn.
Das erscheint mir als ein großer Trost für die Pfarrer und für die Bischöfe. Wenn uns wenig Zeit für die Kontemplation bleibt, sind wir beim Herrn, wenn wir »für die anderen« sind. Sie haben von den anderen konkreten Elementen der Liebe gesprochen, die sehr wichtig sind. Sie sind auch ein Zeichen für unsere Gesellschaft, besonders für die Kinder, für die alten Menschen, für die Leidenden. Ich glaube daher, daß Sie mit diesen vier Dimensionen des Lebens uns die Antwort auf die Frage gegeben haben: Was sollen wir in unserem Heiligtum tun?
Danach sprach Don Maurizio Secondo Mirilli, Pfarrvikar von »Santa Bernadette Soubirous « und Zuständiger für den Dienst in der Jugendseelsorge der Diözese. Er unterstrich die anspruchsvolle Aufgabe, die den Priestern mit der Glaubensschulung der jungen Generationen obliegt. Den Papst bat Don Maurizio um ein Wort der Leitung und Orientierung, wie den jungen Menschen vor allem angesichts der heutigen kulturellen Herausforderungen die Freude am christlichen Glauben vermittelt werden kann, und regte ihn dazu an, die vorrangigen Themenkreise zu benennen, in die am meisten Energie investiert werden sollte, um den Jungen und Mädchen zu helfen, Christus konkret zu begegnen.
Benedikt XVI.: Danke für die Arbeit, die Sie für die Jugendlichen leisten. Wir wissen, daß die Jugend tatsächlich eine Priorität in unserer Seelsorgearbeit sein muß, weil sie in einer Welt lebt, die fern von Gott ist. Und es ist sehr schwierig, in unserem kulturellen Umfeld die Begegnung mit Christus, das christliche Leben, das Leben des Glaubens zu finden. Die Jugendlichen brauchen viel Begleitung, um wirklich diesen Weg zu finden. Ich würde sagen – auch wenn ich leider ziemlich entfernt von ihnen lebe und daher nicht sehr konkrete Hinweise geben kann –, daß mir das erste Element gerade und vor allem die Begleitung zu sein scheint. Sie müssen sehen, daß man den Glauben in der heutigen Zeit leben kann, daß es sich nicht um etwas Vergangenes handelt, sondern daß es möglich ist, heute als Christen zu leben und so wirklich das Gute zu finden.
Ich erinnere mich an ein autobiographisches Element in den Schriften des hl. Cyprian. Ich habe in dieser unserer Welt – sagt er – vollkommen fern von Gott gelebt, weil die Gottheiten tot waren und Gott nicht sichtbar war. Und wenn ich die Christen sah, dachte ich: Das ist ein unmögliches Leben, das läßt sich in unserer Welt nicht verwirklichen! Aber als ich dann einigen von ihnen begegnete, in ihre Gemeinschaft eintrat, mich im Katechumenat leiten ließ, auf diesem Weg der Bekehrung zu Gott, da habe ich allmählich begriffen: Es ist möglich! Und nun bin ich glücklich, das Leben gefunden zu haben. Ich habe verstanden, daß jenes andere Leben nicht Leben war, und in Wahrheit – so bekennt er – wußte ich auch vorher, daß jenes Leben nicht das wahre Leben war.
Es scheint mir sehr wichtig zu sein, daß die Jugendlichen Menschen finden – sowohl ihres Alters wie auch reifere –, an denen sie sehen können, daß christliches Leben heute möglich und auch vernünftig und realisierbar ist. Es scheint mir, daß es an allen beiden letzten Elementen Zweifel gibt: an der Realisierbarkeit, weil die anderen Wege von der christlichen Lebensweise sehr weit entfernt sind, und an der Vernünftigkeit, weil es auf den ersten Blick den Anschein hat, daß uns die Wissenschaft völlig andere Dinge sagt und sich daher kein vernünftiger Zugang zum Glauben öffnen kann, der zeigen würde, daß der Glaube durchaus mit unserer Zeit und mit der Vernunft im Einklang steht.
Der erste Punkt ist also die Erfahrung, die dann auch die Tür zur Erkenntnis öffnet. In diesem Sinne kommt dem »Katechumenat«, das auf neue Weise – das heißt als gemeinsamer Lebensweg, als gemeinsame Erfahrung der Tatsache, daß es möglich ist, so zu leben – gelebt wird, große Bedeutung zu. Nur wenn es eine gewisse Erfahrung gibt, vermag man dann auch zu verstehen. Ich denke an einen Rat, den Pascal einem nichtgläubigen Freund gab. Er sagte: Versuche, ein wenig die Dinge zu tun, die ein Gläubiger tut, und dann wirst du mit dieser Erfahrung sehen, daß das alles logisch und wahr ist.
Ich würde sagen, daß uns gerade jetzt die Fastenzeit einen wichtigen Aspekt zeigt. Wir dürfen nicht meinen, sofort ein hundertprozentig christliches Leben, ohne Zweifel und ohne Sünden, zu leben. Wir müssen anerkennen, daß wir auf dem Weg sind, daß wir lernen sollen und können, daß wir auch Schritt für Schritt umkehren müssen. Die grundlegende Umkehr ist gewiß ein endgültiger Akt. Aber die Verwirklichung der Umkehr ist ein Lebensakt, der sich in der Geduld eines ganzen Lebens verwirklicht. Es ist ein Akt, bei dem wir nicht das Vertrauen und den Mut des Wegs verlieren dürfen. Gerade das müssen wir anerkennen: Wir können uns nicht selber von einem Augenblick zum anderen zu vollkommenen Christen machen. Dennoch lohnt es sich, voranzugehen, sozusagen am Glauben an die Grundoption festzuhalten und dann mit Ausdauer auf einem Weg der Umkehr zu bleiben, der mitunter schwierig wird. Es kann in der Tat geschehen, daß ich mich so entmutigt fühle, daß ich alles aufgeben will und in einem Zustand der Krise verbleibe. Man darf sich aber nicht sofort fallenlassen, sondern muß mutig wieder neu anfangen. Der Herr leitet mich, der Herr ist großzügig, und mit seiner Vergebung gehe ich voran, und dann werde auch ich gegenüber den anderen großzügig. So lernen wir wirklich die Liebe zum Nächsten und das christliche Leben, das diese Ausdauer des Vorangehens einschließt.
Was die großen Themen betrifft, so würde ich sagen, daß es wichtig ist, Gott kennenzulernen. »Gott« ist das wesentliche Thema. Der hl. Paulus sagt im Brief an die Epheser: »Erinnert euch, damals… hattet ihr keine Hoffnung und lebtet ohne Gott in der Welt. Jetzt aber seid ihr, die ihr einst in der Ferne wart, durch Christus Jesus… in die Nähe gekommen« (Eph 2,12–13). So hat das Leben einen Sinn, der mich auch in den Schwierigkeiten leitet. Es ist daher notwendig, zum Schöpfergott, zu dem Gott, der die schöpferische Vernunft ist, zurückzukehren und dann Christus zu finden, der das lebendige Antlitz Gottes ist. Wir sagen, daß es hier eine Wechselseitigkeit gibt. Einerseits ist da die Begegnung mit Jesus, mit dieser menschlichen, geschichtlichen, realen Gestalt; sie hilft mir, allmählich Gott kennenzulernen; und andererseits hilft mir das Kennenlernen Gottes, die Größe des Geheimnisses Christi, der das Angesicht Gottes ist, zu verstehen. Erst dann, wenn es uns gelingt zu begreifen, daß Jesus nicht ein großer Prophet, nicht eine der religiösen Persönlichkeiten der Welt, sondern das Angesicht Gottes ist, ja Gott ist, haben wir die Größe Christi entdeckt und den gefunden, der Gott ist. Gott ist nicht bloß ein ferner Schatten, eine »erste Ursache«, sondern er hat ein Antlitz: Es ist das Angesicht der Barmherzigkeit, das Angesicht der Vergebung und der Liebe, das Angesicht der Begegnung mit uns. Diese beiden Themen durchdringen sich also gegenseitig und müssen immer zusammengehen.
Sodann müssen wir natürlich verstehen, daß die Kirche die große Gefährtin auf unserem Weg ist. In ihr bleibt das Wort Gottes lebendig, und Christus ist nicht bloß eine Gestalt der Vergangenheit, sondern er ist gegenwärtig. Daher müssen wir das sakramentale Leben, die sakramentale Vergebung, die Eucharistie, die Taufe als neue Geburt wiederentdecken. Der hl. Ambrosius hat in der Osternacht, in der letzten mystagogischen Katechese, gesagt: Bisher haben wir von den moralischen Dingen gesprochen, nun ist der Augenblick da, um vom Mysterium zu sprechen. Er hatte, natürlich in Anbetracht Gottes, ein Leitbild zur moralischen Erfahrung geboten, das sich dann dem Mysterium öffnet. Ich denke, daß sich heute diese beiden Dinge durchdringen müssen: Ein Weg mit Jesus, der immer mehr die Tiefe seines Geheimnisses aufdeckt. So lernt man, christlich zu leben, so lernt man die Größe der Vergebung und die Größe des Herrn, der sich uns in der Eucharistie schenkt.
Auf diesem Weg begleiten uns natürlich die Heiligen. Sie haben, wenngleich mit vielen Problemen, gelebt und sind die wahren und lebendigen »Interpretationen« der Heiligen Schrift gewesen. Ein jeder hat seinen Heiligen, von dem er am besten lernen kann, was das Leben als Christ mit sich bringt. Es sind vor allem die Heiligen unserer Zeit. Und dann ist da natürlich immer Maria, die die Mutter des Wortes bleibt. Das Wiederentdecken Mariens hilft uns, als Christen voranzugehen und den Sohn kennenzulernen.
Pater Franco Incampo, Rektor der Kirche »Santa Lucia del Gonfalone«, hat die Erfahrung mit dem Projekt »Lesen der gesamten Bibel« vorgestellt, das seine Gemeinde zusammen mit der Waldenserkirche durchführt. »Wir haben uns auf das Hören des Wortes eingelassen – sagte er –. Es ist ein umfangreiches Projekt. Welchen Wert hat das Wort in der kirchlichen Gemeinschaft? Warum kennen wir die Bibel so wenig? Wie kann man die Kenntnis der Bibel fördern, damit das Wort die Gemeinde auch für einen ökumenischen Weg heranbildet?«.
Benedikt XVI.: Sie haben sicher eine konkretere Erfahrung damit, wie man das machen könnte. Ich kann dazu vor allem sagen, daß die nächste Synode das Wort Gottes zum Thema haben wird. Ich habe die vom Rat der Synode erarbeiteten Lineamenta bereits gesehen, und ich denke, daß die verschiedenen Dimensionen der Gegenwart des Wortes in der Kirche gut deutlich gemacht werden werden.
Natürlich ist die Bibel in ihrer Ganzheitlichkeit eine sehr große Sache, die es allmählich zu entdecken gilt. Denn wenn wir nur die einzelnen Teile nehmen, kann es oft schwierig sein, zu verstehen, daß es sich um das Wort Gottes handelt: Ich denke an bestimmte Teile der Bücher der Könige mit den chronologischen Berichten, mit der Vernichtung der im Heiligen Land vorhandenen Völker. Noch vieles andere ist schwierig. Auch das Buch Kohelet kann sich, isoliert betrachtet, als sehr schwierig erweisen: Es scheint geradezu die Verzweiflung zu theoretisieren, denn es bleibt nichts, und am Ende stirbt mit den Törichten auch der Weise. Wir hatten ja daraus jetzt die Lesung im Brevier.
Ein erster Punkt scheint mir das Lesen der Heiligen Schrift in ihrer Einheit und Ganzheitlichkeit zu sein. Die einzelnen Teile sind Teile eines Weges, und nur wenn wir sie in ihrer Ganzheitlichkeit als einen einzigen Weg sehen, wo ein Teil den anderen erklärt, können wir das verstehen. Bleiben wir zum Beispiel beim Buch Kohelet. Dem ging das Weisheitswort voraus, wonach wer gut ist, auch gut lebt. Das heißt: Gott belohnt den, der gut ist. Und dann kommt Ijob, und man sieht, daß es nicht so ist und daß gerade der, der in rechter Weise lebt, mehr leidet. Er scheint von Gott vergessen worden zu sein. Dann kommen die Psalmen jener Zeit, wo es heißt: Aber was tust du, Gott? Die Gottlosen, die Hochmütigen leben gut, sie sind fett, sie nähren sich reichlich und lachen über uns und sagen: Aber wo ist Gott? Er kümmert sich nicht um uns, und wir sind verkauft worden wie die Schafe, die geschlachtet werden sollen. Was machst du mit uns, warum ist das so? Es kommt der Augenblick, wo Kohelet sagt: Aber wo bleibt am Ende alle diese Weisheit? Es ist ein fast existentialistisches Buch, in dem festgestellt wird: Alles ist vergeblich. Dieser erste Weg verliert nichts von seinem Wert, sondern öffnet sich der neuen Perspektive, die am Ende zum Kreuz Christi führt, der »der Heilige Gottes« ist, wie Petrus im 6. Kapitel des Johannesevangeliums sagt. Der Weg endet mit dem Kreuz. Und gerade auf diese Weise zeigt sich die Weisheit Gottes, die uns dann der hl. Paulus beschreiben wird. Also nur wenn wir alles als einen einzigen Weg nehmen, den wir Schritt für Schritt gehen, und die Heilige Schrift in ihrer Einheit zu lesen lernen, können wir tatsächlich den Zugang zur Schönheit und zum Reichtum der Heiligen Schrift finden. Es gilt daher: Alles lesen, aber immer die Gesamtheit der Heiligen Schrift berücksichtigen, wo ein Teil den anderen, ein Schritt des Weges den anderen erklärt. Was diesen Punkt betrifft, kann die moderne Exegese sehr hilfreich sein. Nehmen wir zum Beispiel das Buch des Propheten Jesaja: Die Exegeten entdeckten, daß das Buch ab dem 40. Kapitel einen anderen Verfasser hat – den Deutero-Jesaja, wie man damals sagte. Für die katholische Theologie war das ein Augenblick großen Schreckens. Manche dachten, daß man auf diese Weise Jesaja zerstöre und am Ende die Vision vom Gottesknecht, im 53. Kapitel, nicht mehr eine Vision des Jesajas war, der 800 Jahre vor Christus gelebt hatte. Was sollen wir tun?, fragte man sich. Nun haben wir begriffen, daß das ganze Buch ein Weg von immer neuen Auslegungen ist, wo man immer mehr in das zu Beginn vorgegebene Geheimnis eintritt und alles, was von Anfang an vorhanden, aber noch verschlossen war, sich einem immer mehr eröffnet.
Wir können hier an einem Buch den ganzen Weg der Heiligen Schrift verstehen, der ein ständiges Wiederlesen, ein besseres und neues Verstehen des früher Gesagten ist. Schritt für Schritt kommt die Erleuchtung, und der Christ vermag zu verstehen, was der Herr den Emmausjüngern gesagt hat, als er ihnen erklärte, daß alle Propheten von ihm gesprochen hatten. Der Herr eröffnet uns die letzte Auslegung, Christus ist der Schlüssel zu allem, und nur, wenn wir uns auf dem Weg den Emmausjüngern anschließen, nur wenn wir mit Christus gehen, alles wieder neu in seinem Licht lesen, mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus, treten wir in den Reichtum und in die Schönheit der Heiligen Schrift ein.
Daher würde ich sagen, der entscheidende Punkt ist, daß man die Heilige Schrift nicht zerstückelt. Gerade die moderne Kritik hat uns, wie wir jetzt sehen, verstehen lassen, daß es sich um einen unausgesetzten Weg handelt. Und wir können auch sehen, daß es ein Weg ist, der eine Richtung hat, und daß tatsächlich Christus der Zielpunkt ist. Wenn wir bei Christus anfangen, können wir den ganzen Weg wiederaufnehmen und in die Tiefe des Wortes Gottes eintreten.
Zusammenfassend würde ich sagen, das Lesen der Heiligen Schrift muß immer eine Lektüre im Lichte Christi sein. Nur so können wir auch in unserem heutigen Umfeld die Heilige Schrift lesen und verstehen und von der Heiligen Schrift wirklich Licht erhalten. Wir müssen eines begreifen: Die Heilige Schrift ist ein Weg mit einer Richtung. Wer den Zielpunkt kennt, kann auch jetzt von neuem alle Schritte tun und so auf tiefere Weise das Geheimnis Christi kennenlernen. Wenn wir das begreifen, haben wir auch die Kirchlichkeit der Heiligen Schrift verstanden, weil diese Wege, diese Schritte des Weges, Schritte eines Volkes sind. Es ist das Volk Gottes, das weiter geht. Der wahre Besitzer des Wortes ist immer das vom Heiligen Geist geführte Volk Gottes, und die Inspiration ist ein komplexer Prozeß: Der Heilige Geist führt, das Volk empfängt.
Es ist also der Weg eines Volkes, des Gottesvolkes. Die Heilige Schrift muß immer richtig gelesen werden. Das kann aber nur geschehen, wenn wir innerhalb dieses Subjekts auf dem Weg sind, das das Volk Gottes ist, das lebt, das von Christus erneuert, neu gegründet wird, aber immer seine Identität beibehält.
Ich würde daher sagen, es gibt drei Dimensionen, die untereinander in Beziehung stehen. Die historische Dimension, die christologische Dimension und die ekklesiologische Dimension – des auf dem Weg befindlichen Volkes – durchdringen sich gegenseitig. Vollständig ist eine Lektüre der Heiligen Schrift dann, wenn alle drei Dimensionen gegeben sind. Deshalb bleibt die Liturgie – die gemeinsame, betende Lesung durch das Volk Gottes – der bevorzugte Ort für das Verständnis des Wortes; dies auch deshalb, weil hier die Lektüre zum Gebet wird und sich mit dem Gebet Christi im Eucharistischen Hochgebet vereint.
Ich möchte noch eine Sache hinzufügen, die alle Kirchenväter hervorgehoben haben. Dabei denke ich vor allem an einen wunderschönen Text des hl. Ephraim und an einen anderen des hl. Augustinus, in denen es heißt: Wenn du wenig verstanden hast, nimm es an, und denke nicht, du hättest alles verstanden. Das Wort ist immer viel größer als alles, was du verstehen konntest. Und das muß jetzt kritisch gegenüber einer bestimmten Richtung der modernen Exegese gesagt werden, die glaubt, alles verstanden zu haben, und daß daher nach der von ihr erarbeiteten Auslegung nichts anderes mehr gesagt werden könne. Das ist nicht wahr. Das Wort ist immer größer als die Exegese der Väter und die kritische Exegese, weil auch diese nur einen Teil, ja, ich würde sagen, einen sehr kleinen Teil versteht. Das Wort ist immer größer – das ist unser großer Trost. Und es ist einerseits schön zu wissen, daß man nur ein klein wenig verstanden hat. Es ist schön zu wissen, daß es noch einen unerschöpflichen Schatz gibt und daß jede neue Generation wieder neue Schätze entdecken und weitergehen wird mit der Größe des Wortes Gottes, das uns immer voraus ist, uns leitet und immer größer ist. Mit diesem Bewußtsein muß man die Heilige Schrift lesen.
Der hl. Augustinus hat gesagt: Aus der Quelle trinkt der Hase und trinkt der Esel. Der Esel trinkt mehr, aber jeder trinkt entsprechend seiner Fähigkeit. Ob wir nun Hasen oder Esel sind, wir sind dankbar, daß der Herr uns von seinem Wasser trinken läßt.
Das Thema »Kirchliche Bewegungen und Neue Gemeinschaften als Geschenk der Vorsehung für unsere Zeit« wurde von Pater Gerardo Raul Carcar angesprochen; er gehört der Gemeinschaft der Schönstatt-Patres an, ist vor sechs Monaten aus Argentinien nach Rom gekommen und arbeitet jetzt als Hilfsvikar in der Pfarrei »San Girolamo a Corviale«. Es handelt sich um Wirklichkeiten, die einen kreativen Elan haben, den Glauben leben und nach neuen Lebensformen suchen, um einen richtigen missionarischen Standort in der Kirche zu finden. Der Ordensmann hat den Papst um Rat gebeten, wie man sich einfügen soll, um tatsächlich einen Dienst an der Einheit in der Universalkirche zu entfalten.
Benedikt XVI.: Ich sehe, daß ich mich kürzer fassen muß. Danke für diese Frage. Mir scheint, Sie haben die wesentlichen Quellen dessen zitiert, was ich über die Neuen Bewegungen sagen kann. In diesem Sinn ist Ihre Frage auch eine Antwort.
Ich möchte gleich darauf hinweisen, daß ich in diesen Monaten die italienischen Bischöfe zum »Ad-limina«-Besuch empfange und so etwas besser die Geographie des Glaubens in Italien kennenlernen kann. Zusammen mit den Problemen, die wir alle kennen, sehe ich viel Schönes. Ich sehe vor allem, daß der Glaube im Herzen der Italiener noch tief verwurzelt ist, auch wenn er natürlich in den heutigen Situationen in vielerlei Weise bedroht ist. Die Bewegungen nehmen auch meine väterliche Hirtenfunktion gut an. Andere sind kritischer und sagen, daß sich die Bewegungen nicht einfügen. Ich denke, daß die Situationen tatsächlich unterschiedlich sind, es hängt ganz von den betreffenden Personen ab.
Mir scheint, wir haben zwei Grundregeln, von denen Sie ja gesprochen haben. Die erste Regel hat uns der hl. Paulus im Ersten Brief an die Thessalonicher gegeben: Wir sollen die Charismen nicht auslöschen. Wenn uns der Herr neue Gaben schenkt, sollen wir dankbar sein, auch wenn sie manchmal unbequem sind. Es ist schön, daß – ohne Initiative der Hierarchie – durch eine sogenannte Initiative von unten, aber tatsächlich auch durch eine Initiative von oben, das heißt als Gabe des Heiligen Geistes, in der Kirche neue Formen des Lebens entstehen, wie sie im übrigen zu allen Zeiten entstanden sind.
Anfangs waren sie immer unbequem: Auch der hl. Franziskus war sehr unbequem, und es war für den Papst sehr schwierig, einer Wirklichkeit, die viel größer war als die rechtlichen Vorschriften, schließlich eine kanonische Form zu geben. Für den hl. Franziskus war es ein sehr großes Opfer, sich in dieses rechtliche Gerüst einzwängen zu lassen, aber am Ende ist auf diese Weise eine Wirklichkeit entstanden, die noch heute lebt und die auch in Zukunft leben wird: Sie schenkt dem Leben der Kirche Kraft und neue Elemente.
Ich möchte damit nur sagen: In allen Jahrhunderten sind Bewegungen entstanden. Auch der hl. Benedikt war anfangs eine Bewegung. Sie fügen sich nicht ohne Leiden, nicht ohne Schwierigkeiten in das Leben der Kirche ein. Selbst der hl. Benedikt mußte die anfängliche Richtung des Mönchtums korrigieren. Und so hat uns auch in unserem Jahrhundert der Herr, der Heilige Geist neue Initiativen mit neuen Aspekten des christlichen Lebens geschenkt: Da sie von Menschen mit ihren Grenzen gelebt werden, rufen sie auch Schwierigkeiten hervor.
Die erste Regel lautet also: Die Charismen nicht auslöschen, dankbar dafür sein, auch wenn sie unbequem sind. Die zweite Regel lautet: Die Kirche ist »eine«; wenn die Bewegungen wirklich Gaben des Heiligen Geistes sind, fügen sie sich ein und dienen der Kirche, und im geduldigen Dialog zwischen Bischöfen und Bewegungen entsteht eine neue fruchtbare Form, wo diese Elemente zu aufbauenden Elementen für die Kirche von heute und von morgen werden.
Dieser Dialog findet auf allen Ebenen statt. Ausgehend vom Pfarrer, vom Bischof und vom Nachfolger Petri ist die Suche nach den angemessenen Strukturen im Gange: In vielen Fällen hat die Suche bereits ihre Ergebnisse gebracht. In anderen Fällen ist man noch am Sondieren. Zum Beispiel fragt man sich, ob nach fünf Versuchsjahren die Statuten für den Neokatechumenalen Weg endgültig bestätigt werden sollen oder ob es noch eine gewisse Zeit des Versuchs braucht oder ob vielleicht einige Elemente dieser Struktur noch etwas überarbeitet werden müssen.
Jedenfalls kenne ich die Neokatechumenalen von Anfang an. Es ist ein langer Weg gewesen, mit vielen Komplikationen, die es auch heute noch gibt, aber wir haben eine kirchliche Form gefunden, die das Verhältnis zwischen dem Hirten und dem Neokatechumenalen Weg schon sehr verbessert hat. Und so gehen wir voran! Dasselbe gilt für die anderen Bewegungen.
Als Synthese der beiden Grundregeln würde ich jetzt sagen: Verlangt sind Dankbarkeit, Geduld und Annahme auch der Leiden, die unvermeidlich sind. Auch in einer Ehe gibt es immer Leiden und Spannungen. Und trotzdem gehen die Partner weiter voran, und so reift die wahre Liebe. Dasselbe geschieht in der Gemeinschaft der Kirche: Haben wir Geduld miteinander! Auch die verschiedenen Ebenen der Hierarchie – vom Pfarrer bis zum Bischof und zum Papst – müssen einen ständigen Gedankenaustausch pflegen, müssen das Gespräch fördern, um gemeinsam den besten Weg zu finden. Die Erfahrungen der Pfarrer sind grundlegend, aber dann auch die Erfahrungen des Bischofs und, so sagen wir, die universale Sicht des Papstes haben ihren theologischen und pastoralen Platz in der Kirche.
Also einerseits dieses Miteinander der verschiedenen Ebenen der Hierarchie; andererseits erzeugt das Miteinander, das in den Pfarreien geduldig und aufgeschlossen im Gehorsam gegenüber dem Herrn gelebt wird, wirklich die neue Vitalität der Kirche.
Seien wir dem Heiligen Geist dankbar für die Gaben, die er uns geschenkt hat. Gehorchen wir der Stimme des Geistes, aber seien wir auch klar bei der Integration dieser Elemente in das Leben: Dieses Kriterium dient am Ende der konkreten Kirche, und mit Geduld, Mut und Hochherzigkeit wird uns so der Herr gewiß leiten und uns helfen.
Don Angelo Mangano, Pfarrer von »San Gelasio«, einer Pfarrei, die seit 2003 der pastoralen Sorge der Gemeinschaft »Missione Chiesa Mondo« anvertraut ist, hat bezeichnenderweise am Fest der Kathedra Petri von der Pastoral gesprochen. Er hat auf die Wichtigkeit hingewiesen, ein einzigartiges Zusammengehen zwischen geistlichem Leben und pastoralem Leben zu entwickeln, das nicht Organisationstechnik ist, sondern mit dem Leben der Kirche selbst übereinstimmt. Jesus selbst wird zur Synthese, hat der Priester gesagt, der den Heiligen Vater fragte, wie man dem Volk Gottes den Begriff der Seelsorge als wahres Leben der Kirche begreiflich machen könne und wie man es anstellen solle, damit sich die Seelsorge immer mehr von der Ekklesiologie des Konzils nähre.
Benedikt XVI.: Das sind, wie mir scheint, verschiedene Fragen. Eine Frage ist, wie man die Pfarrgemeinde durch die Ekklesiologie des Konzils inspirieren kann, wie den Gläubigen vermittelt werden soll, diese Ekklesiologie zu leben; die andere Frage ist, wie wir handeln sollen, um in uns selber die pastorale Arbeit geistlich zu machen. Beginnen wir mit dieser letzten Frage. Eine gewisse Spannung zwischen dem, was ich absolut tun muß, und der Frage, welche geistlichen Reserven ich haben muß, bleibt immer bestehen. Das sehe ich immer wieder beim hl. Augustinus, der sich in den Predigten beklagt. Ich habe schon daraus zitiert: Ich würde so gern mit dem Wort Gottes leben, aber ich muß von früh bis abends bei euch sein. Augustinus findet jedoch dieses Gleichgewicht dadurch, daß er immer zur Verfügung steht, sich aber auch Zeit für das Gebet, für die Betrachtung des Heiligen Wortes vorbehält, weil er sonst nichts mehr sagen könnte.
Ich möchte hier besonders unterstreichen, was Sie darüber gesagt haben, daß die Pastoral niemals eine bloße Strategie, eine Verwaltungsarbeit sein dürfe, sondern immer eine geistliche Arbeit bleiben müsse. Sicher kann auch das andere nicht völlig fehlen, weil wir auf dieser Erde leben und es eben auch diese Probleme gibt, z. B. wie die Gelder richtig verwaltet werden sollen und dergleichen mehr. Auch das ist ein Bereich, der nicht völlig ausgeklammert werden kann. Aber der Grundakzent muß eben der sein, daß Hirt oder Seelsorger zu sein an sich ein geistlicher Akt ist. Sie haben mit Recht auf das Johannesevangelium, Kapitel 10, hingewiesen, wo der Herr sich als den guten Hirten bezeichnet. Und als ersten endgültigen Moment sagt Jesus, daß der Hirt vorausgeht. Das heißt, er zeigt den Weg, er tut als erster das, was die anderen tun sollen; er schlägt zuerst den Weg ein, der dann der Weg für die anderen ist. Der Hirt geht voraus. Das heißt, er selbst lebt vor allem das Wort Gottes: Er ist ein Mann des Gebets, ein Mann der Vergebung, ein Mann, der empfängt und die Sakramente als Akte des Gebets und der Begegnung mit dem Herrn feiert. Er ist ein Mann der gelebten und verwirklichten Liebe. Und so werden alle anderen einfachen Handlungen, wie Gespräche, Begegnungen und alles, was eben getan werden muß, zu geistlichen Handlungen in Gemeinschaft mit Christus. Sein »pro omnibus«, »für alle«, wird zu unserem »pro meis«, »für die Meinen«.
Er geht also voraus, und in diesem Vorausgehen ist, wie mir scheint, schon das Wesentliche gesagt. Im 10. Kapitel bei Johannes heißt es dann weiter, daß Jesus uns vorausgeht und sich selbst am Kreuz hingibt. Und das ist auch für den Priester unvermeidlich. Dieses Sich-selbst-Hingeben ist auch eine Teilhabe am Kreuz Christi, und dank dessen können auch wir in glaubwürdiger Weise die Leidenden trösten, auf der Seite der Armen, der Ausgegrenzten usw. stehen.
In diesem Programm, das Sie entwickelt haben, ist daher die Vergeistigung der täglichen Seelsorgearbeit von grundlegender Bedeutung. Das ist leichter gesagt als getan, aber wir müssen es versuchen. Und um unsere Arbeit vergeistigen zu können, müssen wir wiederum dem Herrn folgen. Die Evangelien sagen uns, daß er am Tag arbeitete und des Nachts auf dem Berg mit dem Vater war und betete. Ich muß hier meine Schwäche eingestehen: In der Nacht kann ich nicht beten, da möchte ich schlafen. Aber dennoch muß man ein wenig freie Zeit für den Herrn haben: Das schließt die Feier der Messe sowie das Stundengebet und die anschließende tägliche Betrachtung, auch wenn sie kurz ist, ebenso ein wie den Rosenkranz. Aber dieses persönliche Gespräch mit dem Wort Gottes ist wichtig. Nur auf diese Weise können wir die nötigen Reserven erhalten, um den Anforderungen des Lebens als Seelsorger zu entsprechen.
Nun ein zweiter Punkt: Sie haben mit Recht die Ekklesiologie des Konzils hervorgehoben. Mir scheint, wir müssen diese Ekklesiologie noch viel mehr verinnerlichen, und zwar sowohl die Ekklesiologie von Lumen gentium wie jene von Ad gentes, das auch ein ekklesiologisches Dokument ist, sowie auch jene der kleineren Dokumente und sodann die Ekklesiologie von Dei Verbum. Durch die Verinnerlichung dieser Sicht können wir auch unser Volk für diese Sicht gewinnen, damit es erkennt, daß die Kirche nicht bloß ein großes Gebilde, eine dieser übernationalen Einrichtungen ist, die es gibt. Die Kirche ist, auch wenn sie Leib ist, Leib Christi und somit ein geistlicher Leib, wie der hl. Paulus sagt. Sie ist eine geistliche Wirklichkeit.
Mir scheint daher sehr wichtig zu sein, daß die Menschen sehen können: Die Kirche ist keine übernationale Organisation, keine Verwaltungs- oder Machtkörperschaft, keine Sozialagentur – auch wenn sie soziale und übernationale Arbeit leistet –, sondern ein geistlicher Leib. Wir müssen mit dem Volk Gottes beten, mit dem Volk zusammen das Wort Gottes hören, mit dem Volk Gottes die Sakramente feiern, mit Christus in der Liebe tätig sein usw. Vor allem in unseren Predigten müssen wir diese Sicht verbreiten. In diesem Sinn ist, so scheint mir, die Homilie eine wunderbare Gelegenheit, den Menschen nahe zu sein und ihnen die vom Konzil gelehrte Spiritualität zu vermitteln. Und auf diese Weise ist die Homilie, wenn sie im Gebet, im Hören des Wortes Gottes gewachsen ist, Vermittlung des Inhalts des Gotteswortes. Dann erreicht wirklich das Konzil unser Volk. Nicht jene bruchstückhaften Splitter der Publizistik, die ein falsches Bild des Konzils verbreitet haben, sondern die wahre geistliche Wirklichkeit des Konzils. Und so müssen wir immer von neuem mit dem Konzil und im Geist des Konzils durch die Verinnerlichung seiner Vision das Wort Gottes lernen. Wenn wir das tun, können wir uns auch unseren Mitmenschen mitteilen und so tatsächlich eine pastorale und spirituelle Arbeit leisten.
Don Alberto Pacini, Rektor der Basilika »Sant’Anastasia«, hat von der Ewigen Eucharistischen Anbetung gesprochen – im besonderen von der Möglichkeit, nächtliche Gebetszeiten einzurichten – und den Papst gebeten, den Sinn und Wert der eucharistischen Sühne bei sakrilegischer Entwendung der Eucharistie und gegenüber satanischen Sekten zu erklären.
Benedikt XVI.: Im allgemeinen wird nicht mehr über die Eucharistische Anbetung gesprochen, obwohl sie wirklich in unsere Herzen eingedrungen ist und in das Herz des Volkes eindringt. Sie haben diese spezifische Frage zur eucharistischen Wiedergutmachung gestellt. Das ist zu einem schwierigen Thema geworden. Ich erinnere mich: Als ich jung war, betete man am Herz-Jesu-Fest mit einem schönen Gebet von Leo XIII. und dann von Pius XI., in dem die Wiedergutmachung – schon damals in bezug auf gotteslästerliche Taten, die wieder gutgemacht werden mußten – einen besonderen Platz hatte.
Mir scheint, wir müssen tiefer gehen, wir müssen zum Herrn selber gelangen, der die Wiedergutmachung für die Sünde der Welt angeboten hat, und wieder gutzumachen versuchen, das heißt, einen Ausgleich herstellen zwischen dem Mehr an Bösem und dem Mehr an Gutem. So dürfen wir in der Waage der Welt nicht dem Negativen dieses große Übergewicht belassen, sondern müssen dem Guten ein mindestens gleiches Gewicht geben. Dieser Grundgedanke stützt sich auf alles, was Christus getan hat. Das ist, soweit ich es zu verstehen vermag, der Sinn des eucharistischen Opfers. Diesem großen Gewicht des Bösen, das es in der Welt gibt und das die Welt nach unten zieht, setzt der Herr ein anderes größeres Gewicht entgegen, das Gewicht der unendlichen Liebe, die in diese Welt eintritt. Das ist der entscheidende Punkt: Gott ist immer das absolute Gute, aber gerade dieses absolute Gute tritt in das Spiel der Geschichte ein; Christus wird hier gegenwärtig und erleidet das Böse bis zum Ende; auf diese Weise schafft er ein Gegengewicht von absolutem Wert. Das Mehr an Bösem, das es immer gibt, wenn wir die Proportionen nur empirisch sehen, wird vom unermeßlichen Mehr des Guten, des Leidens des Gottessohnes überwunden.
In diesem Sinn gibt es die Wiedergutmachung, die notwendig ist. Mir will scheinen, daß es heute etwas schwierig ist, diese Dinge zu verstehen. Wenn wir das Gewicht des Bösen in der Welt sehen, das ständig wächst, das in der Geschichte absolut die Oberhand zu haben scheint, könnte man – wie der hl. Augustinus in einer Meditation sagt – schier verzweifeln. Doch wir sehen, daß es ein noch größeres Mehr in der Tatsache gibt, daß Gott selbst in die Geschichte eingetreten ist, an der Geschichte teilgehabt und gelitten hat bis ans Ende. Das ist der Sinn der Wiedergutmachung. Dieses Mehr des Herrn ist für uns ein Aufruf dazu, uns auf seine Seite zu stellen, auch mit unserer Schwachheit einzutreten in dieses große Mehr an Liebe und es gegenwärtig zu machen. Wir wissen, daß dieses Mehr auch für uns nötig war, denn auch in unserem Leben gibt es das Böse. Wir alle leben dank des Mehr des Herrn. Aber er macht uns dieses Geschenk, damit wir, wie der Brief an die Kolosser sagt, an seinem Überfluß teilhaben und – sagen wir – diesen Überfluß konkret in unserer geschichtlichen Situation noch weiter vermehren können.
Mir scheint, daß die Theologie mehr tun müßte, um diese Wirklichkeit der Wiedergutmachung besser verständlich zu machen. Es gab im Laufe der Geschichte auch falsche Ideen. Dieser Tage habe ich die theologischen Reden des hl. Gregor von Nazianz gelesen, der bei einem bestimmten Anlaß von diesem Aspekt spricht und sich fragt, wem der Herr sein Blut dargebracht habe. Er sagt: Der Vater wollte nicht das Blut des Sohnes, der Vater ist nicht grausam, man muß das nicht dem Willen des Vaters zuschreiben; aber die Geschichte wollte es so, die Notwendigkeiten und Mißverhältnisse der Geschichte wollten es; man mußte in diese Mißverhältnisse eintreten und hier das wahre Gleichgewicht wieder herstellen. Das ist sehr einleuchtend. Aber mir scheint, wir verfügen noch nicht hinreichend über die Sprache, um diese Tatsache uns und dann auch den anderen verständlich zu machen. Man muß nicht einem grausamen Gott das Blut Gottes darbringen. Sondern Gott selber muß mit seiner Liebe in die Leiden der Geschichte eintreten, um nicht nur ein Gleichgewicht zu schaffen, sondern ein Mehr an Liebe, das stärker ist als das Übergewicht an Bösem, das es gibt. Dazu lädt uns der Herr ein.
Das ist, wie mir scheint, eine typisch katholische Wirklichkeit. Luther sagt: Wir können nichts hinzufügen. Und das stimmt. Und dann sagt er: Daher zählen unsere Werke nichts. Und das stimmt nicht. Denn die Großzügigkeit des Herrn zeigt sich gerade darin, daß er uns einlädt, einzutreten, und auch Wert darauf legt, daß wir bei ihm sind. Wir müssen das alles besser lernen und auch die Größe und Großzügigkeit des Herrn und die Größe unserer Berufung spüren. Der Herr will uns an diesem seinem großen Mehr teilhaben lassen. Wenn wir anfangen, das zu begreifen, werden wir uns freuen, daß der Herr uns dazu einlädt. Es wird die große Freude darüber sein, daß wir von der Liebe des Herrn ernst genommen wurden.
Der siebte Beitrag kam von Don Francesco Tedeschi, Dozent an der Fakultät für Missionswissenschaft an der Päpstlichen Universität Urbaniana; im pastoralen Dienst an der Basilika »San Bartolomeo« auf der Tiberinsel, einer Gedenkstätte der neuen Märtyrer des 20. Jahrhunderts. Was Don Tedeschi vorbrachte, war nicht so sehr eine Frage als vielmehr eine Reflexion über die Beispielhaftigkeit und Anziehungskraft der Märtyrergestalten vor allem im Hinblick auf die Jugendlichen. Die Märtyrer enthüllen die Schönheit des christlichen Glaubens und geben vor der Welt davon Zeugnis, daß es möglich ist, auf das Böse mit dem Guten zu antworten, wenn man sein Leben auf die Kraft der Hoffnung gründet. Dieser Reflexion wollte der Papst keine weiteren Worte hinzufügen.
Benedikt XVI.: Der Beifall, den wir gehört haben, zeigt, daß Sie selbst uns schon ausführliche Antworten gegeben haben … Daher könnte ich auf Ihre Frage nur antworten: Ja, es ist so, wie Sie gesagt haben. Und wir wollen über Ihre Worte nachdenken.
Als nächster hat Pater Krzystzof Wendlik, Pfarrvikar an der Kirche »Santi Urbano e Lorenzo« in Prima Porta, über das Problem des Relativismus in der modernen Kultur gesprochen und den Papst um ein erleuchtendes Wort über das Verhältnis zwischen Glaubenseinheit und Pluralismus in der Theologie gebeten.
Benedikt XVI.: Das ist eine große Frage! Als ich noch Mitglied der Internationalen Theologischen Kommission war, haben wir uns ein ganzes Jahr lang mit diesem Problem auseinandergesetzt. Ich war Referent und kann mich daher gut daran erinnern. Trotzdem sehe ich mich nicht dazu in der Lage, die Frage mit wenigen Worten zu erklären.
Ich möchte nur sagen, daß die Theologie immer sehr vielfältig gewesen ist. Denken wir an die Kirchenväter, dann das Mittelalter mit der franziskanischen und der dominikanischen Schule, dann das Spätmittelalter und so weiter. Wie wir gesagt haben: Das Wort Gottes ist immer größer als wir. Deshalb können wir die Reichweite dieses Wortes niemals ausschöpfen, und es braucht verschiedene Formen der Annäherung, verschiedene Arten des Nachdenkens. Ich möchte einfach sagen: Wichtig ist, daß der Theologe einerseits in seiner Verantwortlichkeit und seiner beruflichen Fähigkeit versucht, Wege zu finden, die den Erfordernissen und Herausforderungen unserer Zeit entsprechen; und daß er sich andererseits immer bewußt ist, daß all das auf den Glauben der Kirche gegründet ist und daher immer zum Glauben der Kirche zurückkehren muß. Ich denke: Wenn ein Theologe persönlich tief im Glauben lebt und versteht, daß seine Arbeit Nachdenken über den Glauben ist, wird er die Versöhnung zwischen Einheit und Vielfalt finden.
Der letzte Beitrag kam von Don Luigi Veturi, Pfarrer von »San Giovanni Battista dei Fiorentini «, der das Thema der sakralen Kunst in den Mittelpunkt seiner Frage stellte. Er fragte den Papst, ob die sakrale Kunst als Mittel der Glaubensvermittlung nicht angemessener zur Geltung gebracht werden sollte.
Benedikt XVI.: Die Antwort könnte sehr einfach lauten: Ja! Ich bin etwas verspätet zu Ihnen gekommen, weil ich vorher die »Cappella Paolina« besucht habe, die seit einigen Jahren restauriert wird. Man sagte mir, die Arbeiten würden noch zwei Jahre dauern. Ich konnte ein wenig zwischen den Gerüsten einen Teil dieses Wunderwerkes der Kunst sehen. Es lohnt sich, diese Kapelle fachkundig zu restaurieren, so daß sie wieder in ihrem Glanz erstrahlt und eine lebendige Katechese darstellt.
Damit wollte ich daran erinnern, daß Italien besonders reich an Kunst ist, und die Kunst ist ein unerschöpflicher, unglaublicher Schatz der Katechese. Für uns ist es auch eine Pflicht, sie kennenzulernen und gut zu verstehen. Nicht so, wie es die Kunsthistoriker manchmal tun, die sie nur formal nach der künstlerischen Technik interpretieren. Wir müssen vielmehr in den Inhalt eintreten und den Inhalt, der diese große Kunst inspiriert hat, wieder lebendig machen. Es scheint mir wirklich eine Pflicht zu sein – auch bei der Ausbildung der künftigen Priester – , diese Schätze zu kennen und fähig zu sein, das, was in ihnen vorhanden ist und heute zu uns spricht, in lebendige Katechese zu verwandeln. So wird auch die Kirche nicht als ein Organismus der Unterdrückung oder der Macht – wie manche sie hinstellen wollen –, sondern als Organismus einer geistig-spirituellen Fruchtbarkeit erscheinen können, die in der Geschichte unwiederholbar ist oder zumindest, so wage ich zu sagen, außerhalb der katholischen Kirche nicht festgestellt werden kann. Das ist auch ein Zeichen für die Vitalität der Kirche, die trotz all ihrer Schwächen und auch Sünden immer eine große geistige Wirklichkeit geblieben ist, eine Quelle der Inspiration, die uns diesen ganzen Reichtum geschenkt hat.
Es ist daher für uns eine Pflicht, in diesen Reichtum einzutreten und fähig zu sein, zu echten Interpreten dieser Kunst zu werden. Das gilt sowohl für die Kunst der Malerei und der Bildhauerei als auch für die geistliche Musik, die ein Bereich der Kunst ist, der wiederbelebt zu werden verdient. Ich würde sagen, das auf verschiedene Weise gelebte Evangelium ist auch heute noch eine inspirierende Kraft, die uns Kunst schenkt und schenken wird. Es gibt auch heute vor allem sehr schöne Skulpturen, die beweisen, daß die Fruchtbarkeit des Glaubens und des Evangeliums nicht erloschen ist; es gibt auch heute musikalische Kompositionen… Mir scheint, daß heute eine, sagen wir, widersprüchliche Situation der Kunst, auch eine etwas verzweifelte Situation der Kunst hervorgehoben werden kann. Auch heute inspiriert die Kirche, weil der Glaube und das Wort Gottes unerschöpflich sind. Und das gibt uns allen Mut. Es schenkt uns die Hoffnung, daß die Welt auch in Zukunft neue Glaubensvisionen haben wird, und zugleich die Gewißheit, daß die bereits hinter uns liegenden zweitausend Jahre christlicher Kunst immer lebendig und immer ein »Heute« des Glaubens sind.
Nun danke ich Ihnen für Ihre Geduld und Ihre Aufmerksamkeit. Alles Gute für die Fastenzeit!
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