APOSTOLISCHE REISE NACH GROSSBRITANNIEN
(16.-19. SEPTEMBER 2010)
FREUNDSCHAFTSBESUCH BEIM ERZBISCHOF VON CANTERBURY
Lambeth Palace (London Borough of Richmond)
Freitag, 17. September 2010
(Video)
Euer Gnaden!
Es ist mir eine Freude, Ihre Besuche, die Sie mir in Rom freundlicherweise abgestattet haben, nun mit diesem brüderlichen Besuch bei Ihnen in Ihrem Amtssitz erwidern zu können. Ich danke Ihnen für Ihre Einladung und die Gastfreundschaft, die Sie mir so großzügig erwiesen haben. Desgleichen grüße ich die anglikanischen Bischöfe, die aus verschiedenen Teilen Großbritanniens hier zusammengekommen sind, meine bischöflichen Mitbrüder aus den katholischen Diözesen von England, Wales und Schottland wie auch die anwesenden ökumenischen Berater.
Euer Gnaden, Sie haben über das historische Treffen gesprochen, das vor fast 30 Jahren zwischen zwei unserer Vorgänger – Papst Johannes Paul II. und Erzbischof Robert Runcie – in der Kathedrale von Canterbury stattgefunden hat. Dort, genau an dem Ort, wo der heilige Thomas von Canterbury mit seinem Blut Zeugnis für Christus gegeben hat, beteten sie gemeinsam um das Geschenk der Einheit unter den Jüngern Christi. Heute bitten wir wiederum um diese Gabe im Bewußtsein, daß die Einheit, die Christus für seine Jünger wollte, nur als Antwort auf das Gebet geschehen kann, nämlich durch das Wirken des Heiligen Geistes, der die Kirche fortwährend erneuert und sie in die ganze Wahrheit führt.
Ich beabsichtige heute nicht, über die Schwierigkeiten zu sprechen, die sich auf dem ökumenischen Weg in der Vergangenheit ergeben haben und sich weiter ergeben werden. Diese Probleme sind allen hier bekannt. Vielmehr möchte ich mit Ihnen Dank sagen für die herzliche Freundschaft, die unter uns gewachsen ist, und für den beachtlichen Fortschritt in so vielen Bereichen des Dialogs während der 40 Jahre, seitdem die internationale anglikanisch-römisch-katholische Kommission ihre Arbeit aufgenommen hat. Laßt uns die Frucht dieser Arbeit dem Herrn der Ernte anvertrauen in der Hoffnung, daß er unsere Freundschaft mit weiterem bedeutsamem Wachstum segnen wird.
Das Umfeld, in dem der Dialog zwischen der Anglikanischen Gemeinschaft und der Katholischen Kirche stattfindet, hat sich seit dem privaten Treffen zwischen Papst Johannes XXIII. und Erzbischof Geoffrey Fisher im Jahr 1960 stark entwickelt. Einerseits entfernt sich die uns umgebende Kultur trotz eines tiefen und weitverbreiteten Hungers nach geistlicher Nahrung immer mehr von ihren christlichen Wurzeln. Andererseits bietet die – in diesem Land besonders ausgeprägte – zunehmend multikulturelle Dimension der Gesellschaft Gelegenheit, andere Religionen kennenzulernen. Dies gibt uns Christen die Möglichkeit, gemeinsam mit Mitgliedern anderer religiöser Traditionen Wege zu suchen, um für die transzendente Dimension des Menschen und den universalen Ruf zur Heiligkeit, die im persönlichen und gesellschaftlichen Bereich zu einem tugendhaften Leben führt, Zeugnis zu geben. Die ökumenische Zusammenarbeit in dieser Aufgabe ist unbedingt notwendig und wird gewiß im Bemühen um Frieden und Harmonie in einer anscheinend so oft von Zersplitterung gefährdeten Welt fruchtbar werden.
Ebenso sollten wir Christen niemals zögern, unseren Glauben an die Einzigartigkeit des uns von Christus erworbenen Heils zu bekennen und gemeinsam nach einem tieferen Verständnis der Mittel zu suchen, die er uns zur Verfügung gestellt hat, um dieses Heil zu erlangen. Gott „will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4). Und diese Wahrheit ist nichts anderes als Jesus Christus, der Ewige Sohn des Vaters, der durch sich alles in der Macht des Kreuzes versöhnt hat. In Treue zum Willen des Herrn erkennen wir, wie es in diesem Abschnitt aus dem ersten Timotheusbrief des heiligen Paulus heißt, daß die Kirche eine inklusive Berufung hat, jedoch nicht auf Kosten der christlichen Wahrheit. Hierin liegt das Dilemma, das alle betrifft, die sich ernsthaft um die Ökumene bemühen.
In der Gestalt von John Henry Newman, der am Sonntag selig gesprochen wird, ehren wir einen Vertreter der Kirche, dessen kirchliche Gesinnung durch seinen anglikanischen Hintergrund geprägt und in den vielen Jahren seines geistlichen Dienstes in der Kirche von England gereift ist. Er kann uns die Tugenden lehren, die für die Ökumene erforderlich sind: Einerseits fühlte er sich gedrängt, sogar unter hohem persönlichen Einsatz seinem Gewissen zu folgen; andererseits veranlaßte ihn die Herzlichkeit seiner bleibenden Freundschaft mit seinen früheren Kollegen, mit ihnen in echt irenischem Geist und in tiefer Sehnsucht nach Einheit im Glauben die Fragen, wo sie verschiedener Meinung waren, zu erörtern. Euer Gnaden, laßt uns in diesem gleichen Geist der Freundschaft unsere Entschlossenheit erneuern, gemäß dem Willen unseres einen Herrn und Erlösers Jesus Christus das Ziel der Einheit im Glauben, in der Hoffnung und der Liebe zu verfolgen.
Mit diesen Gedanken nehme ich von Ihnen Abschied. „Die Gnade Jesu Christi, des Herrn, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!“ (2 Kor 13,13).
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