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ANSPRACHE VON PAPST BENEDIKT XVI.
AN DIE TEILNEHMER DER VOLLVERSAMMLUNG DES OBERSTEN GERICHTSHOFS DER APOSTOLISCHEN SIGNATUR

Konsistoriensaal
Freitag, 4. Februar 2011

   

 

Meine Herren Kardinäle,
verehrte Mitbrüder im Bischofs- und im Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Zunächst möchte ich dem Präfekten der Apostolischen Signatur, Herrn Kardinal Raymond Leo Burke, meinen herzlichen Gruß entbieten und ihm für die Worte danken, mit denen er diese Begegnung eingeleitet hat. Ich begrüße die Herren Kardinäle und die Bischöfe, die dem Obersten Gerichtshof angehören, den Sekretär, die Beamten sowie alle Mitarbeiter, die ihren täglichen Dienst im Dikasterium versehen. Einen herzlichen Gruß richte ich auch an die Referendare und an die Anwälte.

Dies ist die erste Begegnung mit dem Obersten Gerichtshof der Apostolischen Signatur nach der Promulgation der Lex propria, die ich am 21. Juni 2008 unterzeichnet habe. Während der Vorbereitungen für dieses Gesetz brachten die Mitglieder der Signatur den Wunsch zum Ausdruck, der Förderung der geordneten Amtsführung im Gerichtsbereich der Kirche eine regelmäßige Vollversammlung zu widmen (vgl. Lex propria, Art. 112), in der für jedes Dikasterium der Römischen Kurie vorgesehenen Form (vgl. Apostolische Konstitution Pastor bonus, 28. Juni 1988, Art. 11; Regolamento Generale della Curia Romana, 30. April 1999, Art. 112–117). Denn die Funktion dieses Gerichtshofes erschöpft sich nicht in der Ausübung der höchsten Gerichtsbarkeit, sondern zu seinen Aufgaben im Vollzugsbereich gehört auch die Überwachung der geordneten Amtsführung im Gerichtsbereich des Corpus Ecclesiae (vgl. Apostolische Konstitution Pastor bonus, Art. 121; Lex propria, Art. 32). Das beinhaltet unter anderem, wie es in der Lex propria heißt, die stets zu aktualisierende Sammlung von Informationen über den Zustand und die Arbeit der Lokalgerichte durch den Jahresbericht, den jedes Gericht an die Apostolische Signatur zu senden angehalten ist; die Erfassung und Verarbeitung der daraus hervorgehenden Daten; die Erkennung von Strategien zur guten Nutzung der menschlichen und institutionellen Ressourcen in den Lokalgerichten sowie die ständige Ausübung der Ansprachefunktion gegenüber den Gerichtsherren der Diözesan- und Interdiözesangerichte, denen institutionell die direkte Verantwortung für die Rechtspflege obliegt. Diese Arbeit verlangt Koordinierung und Geduld und ist darauf ausgerichtet, den Gläubigen eine korrekte, schnelle und effiziente Rechtspflege zu bieten, wie ich in bezug auf die Ehenichtigkeitsverfahren im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben Sacramentum Caritatis gefordert habe: »Wo berechtigte Zweifel an der Gültigkeit der sakramental geschlossenen Ehe aufkommen, muß das Notwendige unternommen werden, um deren Fundierung zu überprüfen. Sodann ist es nötig, unter voller Beachtung des kanonischen Rechts das Vorhandensein kirchlicher Gerichte im jeweiligen Gebiet sowie ihren pastoralen Charakter und ihr korrektes und schnelles Handeln sicherzustellen. Für eine zügige Arbeitsweise der kirchlichen Gerichte bedarf es in jeder Diözese einer ausreichenden Anzahl entsprechend ausgebildeter Personen. Ich erinnere daran, daß es ›eine dringende Pflicht ist, den Gläubigen das institutionelle Wirken der Kirche in den Gerichten immer näher zu bringen‹« (Nr. 29). Bei jener Gelegenheit habe ich auch die Instruktion Dignitas Connubii erwähnt, die den Gerichtsherren und dem Gerichtspersonal in Form eines »Vademecums« die notwendigen Normen liefert, um die Ehenichtigkeitsverfahren möglichst zügig und sicher durchzuführen und zu einem Urteil zu gelangen. Die Apostolische Signatur ist darauf ausgerichtet zu gewährleisten, daß kirchliche Gerichtshöfe vor Ort vorhanden sind und daß ihr Dienst den rechtmäßigen Ansprüchen der Gläubigen auf Zügigkeit und Einfachheit in ihren Verfahren Genüge trägt, indem sie ihrer Amtsbefugnis entsprechend die Errichtung von Interdiözesangerichten fördert; das Gerichtspersonal umsichtig von akademischen Titeln dispensiert – aber stets unter sorgfältiger Überprüfung seines wirklichen Sachverstandes im materiellen Recht und im Prozeßrecht; und die notwendigen Dispensen von Gesetzen im Bereich des Prozeßrechts erteilt, wenn die Rechtsprechung in einem besonderen Fall die »relaxatio legis« verlangt, um das vom Gesetz beabsichtigte Ziel zu erreichen. Auch dies ist eine wichtige Arbeit im Bereich der Erkenntnis und Anwendung des Prozeßrechts.

Die Überwachung der geordneten Amtsführung im Gerichtsbereich wäre jedoch mangelhaft, wenn sie nicht auch den Schutz der geordneten Rechtsprechung umfaßte (vgl. Lex propria, Art. 111, §1). Die zur Kenntnisnahme und zum Eingreifen dienenden Mittel, mit denen die Apostolische Signatur durch die Lex propria und ihre institutionelle Position ausgestattet ist, ermöglichen ein Handeln, das sich in Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof der Römischen Rota (vgl. Apostolische Konstitution Pastor bonus, Art. 126) für die Kirche als Geschenk der Vorsehung erweist. Die Ermahnungen und Vorgaben, die die Apostolische Signatur den Antworten auf die Jahresberichte der Lokalgerichte begleitend hinzufügt, empfehlen den jeweiligen Gerichtsherren nicht selten die Kenntnis und Befolgung der in den jährlichen päpstlichen Ansprachen an die Römische Rota enthaltenen Weisungen sowie der allgemeinen Rechtsprechung der Rota zu besonderen Aspekten, die sich für die einzelnen Gerichte als dringend erweisen. Ich ermutige euch daher in diesen Tagen auch zu einer Reflexion über die geordnete Rechtsprechung in bezug auf den »error iuris« als Grund für die Ehenichtigkeit, die den Lokalgerichten unterbreitet werden kann.

Der Oberste Gerichtshof ist noch in einen weiteren heiklen Bereich der Rechtspflege eingebunden, der ihm vom Diener Gottes Paul VI. anvertraut wurde: Die Signatur befaßt sich mit Rechtsstreitigkeiten, die durch eine Maßnahme kirchlicher ausführender Gewalt entstanden sind und rechtmäßig an die Signatur übertragen wurden und die sich gegen einzelne Verwaltungsakte richten, die von Dikasterien der Römischen Kurie gesetzt oder von diesen gebilligt wurden (vgl. Apostolische Konstitution Regimini Ecclesiae universae, 15. August 1967, Nr. 106; CIC, Can. 1445, § 2; Apostolische Konstitution Pastor bonus, Art. 123; Lex propria, Art. 34).

Dieser Dienst ist von erstrangiger Bedeutung: Die Bereitstellung von Rechtsmitteln – von der friedlichen Schlichtung von Rechtsstreitigkeiten bis hin zu ihrer Verhandlung und zur Urteilsfindung – stellt einen Ort des Dialogs und der Wiederherstellung der Gemeinschaft in der Kirche dar. Es ist wahr, daß dem Unrecht vor allem mit den geistlichen Waffen des Gebets, der Nächstenliebe, der Vergebung und der Buße begegnet werden muß, aber dennoch läßt sich in einigen Fällen nicht ausschließen, daß es angebracht und notwendig sein kann, ihm durch Prozeßmittel zu begegnen. Diese sind vor allem Orte des Dialogs und führen manchmal zu Eintracht und Versöhnung. Die Prozeßordnung sieht nicht zufällig vor, »in limine litis«, ja in jedem Stadium des Prozesses Raum und Gelegenheit zu geben, »daß zwischen dem, der sich durch ein Dekret beschwert fühlt, und dem, der das Dekret erlassen hat, ein Rechtsstreit vermieden wird und daß zwischen ihnen in gemeinsamer Überlegung für eine billige Lösung Sorge getragen wird; dabei sollen gegebenenfalls auch angesehene Persönlichkeiten zur Vermittlung und zum Dienst beigezogen werden, so daß auf geeignete Weise Streit vermieden oder geschlichtet wird« (CIC, Can. 1733, §1). Zu diesem Ziel wird auch zu Initiativen und Bestimmungen ermutigt, die darauf ausgerichtet sind, Ämter oder Räte einzurichten, denen gemäß den zu erlassenden Bestimmungen die Aufgabe obliegt, billige Lösungen zu suchen und anzuraten (vgl. ebd., §2).

Andernfalls, wenn es also nicht möglich sein sollte, den Rechtsstreit friedlich zu schlichten, wird die Durchführung des Rechtsprozesses das Urteil im Rechtsstreit herbeiführen: Auch in diesem Fall ist die Arbeit des Obersten Gerichtshofes auf die Wiedereinsetzung der kirchlichen Gemeinschaft ausgerichtet, also auf die Wiederherstellung einer objektiven Ordnung, die dem Wohl der Kirche entspricht. Nur diese durch die Begründung der richterlichen Entscheidung wiederhergestellte und gerechtfertigte Gemeinschaft kann im kirchlichen Kontext zu wahrem Frieden und wahrer Eintracht führen. Das ist die Bedeutung des bekannten Prinzips »opus iustitiae pax«. Die mühevolle Wiederherstellung der Gerechtigkeit dient dazu, gerechte und geordnete Beziehungen zwischen den Gläubigen sowie zwischen diesen und der kirchlichen Obrigkeit wieder aufzubauen. Denn der innere Friede und das bereitwillige Mitwirken der Gläubigen an der Sendung der Kirche entspringen dem wiederhergestellten Bewußtsein, der eigenen Berufung in vollem Umfang nachzukommen. Die Gerechtigkeit, die die Kirche durch den Rechtsprozeß anstrebt, kann als Beginn, Mindesterfordernis und zugleich Voraussetzung der Liebe betrachtet werden. Sie ist unverzichtbar und gleichzeitig ungenügend, verglichen mit der Liebe, aus der die Kirche lebt. Dennoch kann das auf Erden pilgernde Gottesvolk seine Identität als Liebesgemeinschaft nicht erlangen, wenn man die Anforderungen der Gerechtigkeit in ihm nicht berücksichtigt.

Der allerseligsten Gottesmutter Maria, »Speculum iustitiae« und »Regina pacis«, vertraue ich den wertvollen und schwierigen Dienst an, den die Apostolische Signatur im Dienst der Gemeinschaft in der Kirche erfüllt, und ich versichere einen jeden von euch meiner Anerkennung und meiner Hochachtung. Auf euch und auf eure tägliche Arbeit rufe ich das Licht des Heiligen Geistes herab und erteile allen meinen Apostolischen Segen.

 



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