APOSTOLISCHE REISE NACH DEUTSCHLAND
22.-25. SEPTEMBER 2011
GEBETSVIGIL MIT DEN JUGENDLICHEN
ANSPRACHE VON PAPST BENEDIKT XVI.
Ausstellungs- und Veranstaltungsgelände Freiburg im Breisgau
Samstag, 24. September 2011
(Video)
Liebe junge Freunde!
Ich habe mich den ganzen Tag auf diesen Abend gefreut, hier mit euch zusammenzusein und Gemeinschaft im Gebet mit euch zu haben. Einige von euch werden schon beim Weltjugendtag dabeigewesen sein, wo wir die besondere Atmosphäre der Ruhe, der tiefen Gemeinschaft und der inneren Freude erleben durften, die über einer abendlichen Gebetsvigil liegt. Diese Erfahrung wünsche ich uns allen auch für diesen Moment: daß der Herr uns anrührt und zu frohen Zeugen macht, die miteinander beten und füreinander einstehen, nicht nur heute abend, sondern unser ganzes Leben.
In allen Kirchen, in den Domen und Klöstern, überall wo sich die Gläubigen zur Feier der Osternacht versammeln, wird die heiligste aller Nächte mit dem Entzünden der Osterkerze eröffnet, deren Licht dann an alle Anwesenden weitergereicht wird. Eine winzige Flamme verbreitet sich im Kreis vieler Lichter und erhellt das dunkle Gotteshaus. In diesem wunderbaren liturgischen Ritus, den wir in dieser Gebetsvigil nachgeahmt haben, offenbart sich uns in Zeichen, die mehr sagen als Worte, das Geheimnis unseres christlichen Glaubens. Er, Christus, der von sich sagt: „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 8,12), bringt unser Leben zum Leuchten, damit wahr wird, was wir soeben im Evangelium gehört haben: „Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt 5,14). Es sind nicht unsere menschlichen Anstrengungen oder der technische Fortschritt unserer Zeit, die Licht in diese Welt bringen. Immer wieder erleben wir es ja, daß unser Mühen um eine bessere und gerechtere Ordnung an seine Grenzen stößt. Das Leiden der Unschuldigen und letztlich der Tod eines jeden Menschen sind ein undurchdringliches Dunkel, das vielleicht von neuen Erfahrungen her für einen Moment, wie durch einen Blitz in der Nacht, erhellt werden mag. Am Ende bleibt aber doch eine beängstigende Finsternis.
Es mag um uns herum dunkel und finster sein, und doch schauen wir ein Licht: eine kleine, winzige Flamme, die stärker ist als die so mächtig und unüberwindbar scheinende Dunkelheit. Christus, der von den Toten erstanden ist, leuchtet in dieser Welt und gerade dort am hellsten, wo nach menschlichem Ermessen alles düster und hoffnungslos ist. Er hat den Tod besiegt – Er lebt – und der Glaube an ihn durchbricht wie ein kleines Licht all das, was finster und bedrohlich ist. Wer an Jesus glaubt, hat sicherlich nicht immer Sonnenschein im Leben, so als ob ihm Leiden und Schwierigkeiten erspart bleiben könnten, aber es gibt da immer einen hellen Schein, der ihm einen Weg zeigt, den Weg, der zum Leben in Fülle führt (vgl. Joh 10,10). Wer an Christus glaubt, dessen Augen sehen auch in der dunkelsten Nacht ein Licht und sehen schon das Leuchten eines neuen Tages.
Das Licht bleibt nicht allein. Rings herum flammen weitere Lichter auf. In ihrem Schein erhält der Raum Konturen, so daß man sich orientieren kann. Wir leben nicht allein auf der Welt. Gerade in den wichtigen Dingen des Lebens sind wir auf Mitmenschen angewiesen. So stehen wir besonders im Glauben nicht allein, wir sind Glieder der großen Kette der Gläubigen. Niemand kann glauben, wenn er nicht durch den Glauben der anderen gestützt wird, und durch meinen Glauben trage ich wiederum dazu bei, die anderen in ihrem Glauben zu stärken. Wir helfen uns, einander Vorbilder zu sein, lassen die anderen am Unsrigen teilhaben, unseren Gedanken, unseren Taten, unserer Zuneigung. Und wir helfen einander, uns zurechtzufinden, unseres Standpunkts in der Gesellschaft gewahr zu werden.
Liebe Freunde, „Ich bin das Licht der Welt – Ihr seid das Licht der Welt“, sagt der Herr. Es ist geheimnisvoll und großartig, daß Jesus von sich selbst und von uns allen zusammen das gleiche sagt, nämlich „Licht zu sein“. Wenn wir glauben, daß Er der Sohn Gottes ist, der Kranke geheilt und Tote erweckt hat, ja selbst aus dem Grabe erstanden ist und wirklich lebt, so verstehen wir, daß er das Licht, die Quelle aller Lichter dieser Welt ist. Wir dagegen erleben doch immer wieder das Scheitern unserer Bemühungen und das persönliche Versagen trotz unserer guten Absichten. Die Welt, in der wir leben, wird trotz des technischen Fortschritts anscheinend letztlich nicht besser. Noch immer gibt es Krieg und Terror, Hunger und Krankheit, bittere Armut und erbarmungslose Unterdrückung. Und auch die, die sich in der Geschichte als „Lichtbringer“ verstanden haben, ohne aber von Christus, dem einzigen, wahren Licht, entzündet zu sein, haben kein irdisches Paradies geschaffen, sondern Diktaturen und totalitäre Systeme errichtet, in denen selbst der kleinste Funke wahrer Menschlichkeit erstickt wurde.
An diesem Punkt dürfen wir nicht darüber schweigen, daß es das Böse gibt. Wir sehen es an so vielen Orten in dieser Welt; wir sehen es aber auch – und das erschreckt uns – in unserem eigenen Leben. Ja, in unserem eigenen Herzen gibt es die Neigung zum Bösen, den Egoismus, den Neid, die Aggression. Mit einer gewissen Selbstdisziplin läßt sich das vielleicht einigermaßen kontrollieren. Schwieriger wird es aber mit einem eher verborgenen Schlechtsein, das sich wie ein dumpfer Nebel auf uns legen kann, und das ist die Trägheit, die Schwerfälligkeit, das Gute zu wollen und zu tun. Immer wieder in der Geschichte haben aufmerksame Zeitgenossen darauf hingewiesen: Der Schaden der Kirche kommt nicht von ihren Gegnern, sondern von den lauen Christen. „Ihr seid das Licht der Welt.“ - Nur Christus kann sagen: „Ich bin das Licht der Welt.“ Wir alle sind nur Licht, wenn wir in dem „Ihr“ stehen, das vom Herrn her immer neu Licht wird. Und wie der Herr über das Salz warnend sagt, daß es schal werden könne, so hat er auch in das Wort vom Licht eine leise Mahnung eingeflochten. Anstatt das Licht auf den Leuchter zu stellen, kann man es mit einem Gefäß zudecken. Fragen wir uns: Wie oft decken wir durch unsere Trägheit, durch unseren Eigensinn das Licht Gottes zu, so daß es nicht durch uns hindurch in die Welt hineinleuchten kann?
Liebe Freunde, der heilige Apostel Paulus scheut sich nicht, in vielen seiner Briefe seine Zeitgenossen, die Mitglieder der Ortsgemeinden, „Heilige“ zu nennen. Hier wird deutlich, daß jeder Getaufte – noch ehe er gute Werke tun kann – geheiligt ist von Gott. In der Taufe entzündet der Herr gleichsam ein Licht in unserem Leben, das der Katechismus die heiligmachende Gnade nennt. Wer dieses Licht bewahrt, wer in der Gnade lebt, der ist heilig.
Liebe Freunde, immer wieder ist das Bild der Heiligen karikiert und verzerrt worden, so als ob heilig zu sein bedeute, weltfremd, naiv und freudlos zu sein. Nicht selten meint man, ein Heiliger sei nur der, der asketische und moralische Höchstleistungen vollbringe und den man daher wohl verehren, aber im eigenen Leben doch nie nachahmen könne. Wie falsch und entmutigend ist diese Meinung! Es gibt keinen Heiligen, mit Ausnahme der seligen Jungfrau Maria, der nicht auch die Sünde gekannt und niemals gefallen wäre. Liebe Freunde, Christus achtet nicht so sehr darauf, wie oft wir im Leben straucheln, sondern wie oft wir mit seiner Hilfe wieder aufstehen. Er fordert keine Glanzleistungen, sondern möchte, daß Sein Licht in euch scheint. Er ruft euch nicht, weil ihr gut und vollkommen seid, sondern weil Er gut ist und euch zu seinen Freunden machen will. Ja, ihr seid das Licht der Welt, weil Jesus euer Licht ist. Ihr seid Christen – nicht weil ihr Besonderes und Herausragendes tut, sondern weil Er, Christus, euer, unser Leben ist. Ihr seid heilig, wir sind heilig, wenn wir seine Gnade in uns wirken lassen.
Liebe Freunde, an diesem Abend, an dem wir uns im Gebet um den einen Herrn versammeln, ahnen wir die Wahrheit des Wortes Christi, daß die Stadt auf dem Berg nicht verborgen bleiben kann. Diese Versammlung leuchtet im mehrfachen Sinn des Wortes – im Schein unzähliger Lichter, im Glanz so vieler junger Menschen, die an Christus glauben. Eine Kerze kann nur dann Licht spenden, wenn sie sich von der Flamme verzehren läßt. Sie bliebe nutzlos, würde ihr Wachs nicht das Feuer nähren. Laßt es zu, daß Christus in euch brennt, auch wenn das manchmal Opfer und Verzicht bedeuten kann. Fürchtet nicht, ihr könntet etwas verlieren und sozusagen am Ende leer ausgehen. Habt den Mut, eure Talente und Begabungen für Gottes Reich einzusetzen und euch hinzugeben – wie das Wachs einer Kerze – damit der Herr durch euch das Dunkel hell macht. Wagt es, glühende Heilige zu sein, in deren Augen und Herzen die Liebe Christi strahlt und die so der Welt Licht bringen. Ich vertraue darauf, daß ihr und viele andere junge Menschen hier in Deutschland Leuchten der Hoffnung seid, die nicht verborgen bleiben. „Ihr seid das Licht der Welt.“ Wo Gott ist, da ist Zukunft! Amen.
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