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BEGEGNUNG DES HEILIGEN VATERS PAPST BENEDIKT XVI.
MIT DEM KLERUS DER DIÖZESE ROM

LECTIO DIVINA

Aula Paolo VI
Donnerstag, 23. Februar 2012

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Liebe Brüder!

Es ist mir eine große Freude, jedes Jahr zu Beginn der Fastenzeit meinen Klerus zu sehen, den Klerus von Rom, und es ist schön für mich, heute zu sehen, wie zahlreich wir sind. Ich hatte gedacht, daß wir uns in dieser großen Aula als Gruppe fast verlieren würden, aber ich sehe, daß wir eine starke Heerschar Gottes sind und kraftvoll in diese Zeit eintreten können, in die Kämpfe, die notwendig sind, um das Reich Gottes zu fördern, es voranzubringen. Gestern sind wir durch die Tür der Fastenzeit Fastenzeit eingetreten, der jährlichen Erneuerung unserer Taufe; wir wiederholen gleichsam unser Katechumenat, indem wir erneut in die Tiefe unseres Getauftseins und somit unserer Zugehörigkeit zu Christus hinabsteigen. Auf diese Weise können wir auch versuchen, unsere Gemeinschaften erneut in diese enge Verbundenheit mit dem Tod und der Auferstehung Christi zu führen, Christus immer ähnlicher zu werden, immer wirklicher Christen zu werden. Der Abschnitt aus dem Brief des hl. Paulus an die Epheser, den wir gehört haben (4,1–16), ist einer der großen kirchlichen Texte des Neuen Testaments.

Er beginnt damit, daß der Autor sich vorstellt: »Ich, der ich um des Herrn willen im Gefängnis bin« (V. 1). Das griechische Wort »desmios « bedeutet »gefesselt«: Paulus liegt wie ein Verbrecher in Fesseln, er ist gefesselt für Christus und beginnt so in der Gemeinschaft mit dem Leiden Christi. Das ist das erste Element, mit dem er sich vorstellt: Er spricht als Gefesselter, er spricht in der Gemeinschaft des Leidens Christi, und so steht er auch in Gemeinschaft mit der Auferstehung Christi, mit seinem neuen Leben. Wenn wir sprechen, müssen wir immer in Gemeinschaft mit seinem Leiden sprechen und in diesem Sinn auch unser Leiden, unseren Schmerz und unsere Prüfungen annehmen: Es sind Beweise für die Gegenwart Christi, dafür, daß er bei uns ist und daß wir in Gemeinschaft mit seinem Leiden auf die Neuheit des Lebens, auf die Auferstehung zugehen. »Gefesselt« ist also in erster Linie ein Wort der Theologie des Kreuzes, der notwendigen Gemeinschaft jedes Evangelisierers, jedes Hirten mit dem obersten Hirten, der uns erlöst hat, in dem er »sich hingeschenkt«, für uns gelitten hat.

Die Liebe ist Leiden, sie ist ein Sich-Hinschenken, sie ist ein Sich-Verlieren, und gerade auf diese Weise ist sie fruchtbar. Aber so, im äußerlichen Element der Fesseln, der nicht mehr vorhandenen Freiheit, erscheint auch ein weiterer Aspekt, der sichtbar wird: Die wahre Fessel, die Paulus an Christus bindet, ist die Fessel der Liebe. »Aus Liebe gefesselt«: eine Liebe, die Freiheit schenkt, eine Liebe, die ihn fähig macht, die Botschaft Christi und Christus selbst zu vergegenwärtigen. Und das sollte auch für uns alle die letzte Fessel sein, die uns befreit, mit der Fessel der Liebe an Christus gebunden. So finden wir die Freiheit und den wahren Weg des Lebens und können durch die Liebe Christi auch die uns anvertrauten Menschen zu dieser Liebe führen, die die Freude, die Freiheit ist. Und dann sagt er: Ich »ermahne« (Eph 4,1). Es ist seine Aufgabe zu ermahnen, aber es ist keine moralistische Belehrung. Ich ermahne aus der Gemeinschaft mit Christus heraus; letztlich ist es Christus selbst, der ermahnt, der mit der Liebe eines Vaters und einer Mutter auffordert, »ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging« (V.1). Erstes Element also: An uns ist ein Ruf ergangen. Ich bin nicht namenlos oder sinnlos in der Welt: Es gibt einen Ruf, es gibt eine Stimme, die mich gerufen hat, eine Stimme, der ich folge. Und mein Leben sollte darin bestehen, immer tiefer in den Weg des Rufes einzutreten, dieser Stimme zu folgen und so den wahren Weg zu finden und die anderen auf diesem Weg zu führen.

Ich bin »mit einem Ruf gerufen«. Ich würde sagen, wir haben den ersten großen Ruf der Taufe, bei Christus zu sein, und den zweiten großen Ruf, Hirten in seinem Dienst zu sein. Und wir müssen immer mehr auf diesen Ruf hören, so daß wir auch andere rufen oder besser ihnen helfen können, die Stimme des Herrn, der ruft, zu hören. Das große Leiden der heutigen Kirche in Europa und im Westen ist der Mangel an Priesterberufungen, aber der Herr ruft immer, es fehlt am Hören. Wir haben seine Stimme gehört und müssen auf die Stimme des Herrn auch für andere achten, müssen dazu beitragen, daß sie gehört wird und daß so der Ruf angenommen wird, daß sich ein Weg öffnet für die Berufung, Hirten mit Christus zu sein. Der hl. Paulus kommt auf das Wort »Ruf« am Ende des ersten Verses zurück und spricht von einer Berufung, einem Ruf zur Hoffnung – der Ruf selbst ist eine Hoffnung – und zeigt so die Dimensionen des Rufs auf, der nicht nur für den einzelnen bestimmt ist. Der Ruf ist bereits ein dialogisches Phänomen, ein Phänomen im »Wir«: im »Ich und Du« und im »Wir«.

»Durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung«: So sehen wir die Dimensionen der Berufung. Es sind drei: letztlich, diesem Text zufolge, die Berufung auf Gott hin. Gott ist das Ziel; am Ende kommen wir einfach in Gott an, und der ganze Weg ist ein Weg auf Gott hin. Aber dieser Weg auf Gott hin ist kein isolierter Weg, der nur im »Ich« stattfindet, er ist ein Weg zur Zukunft, zur Erneuerung der Welt, er ist ein Weg im »Wir« der Berufenen, der andere ruft, sie diesen Ruf hören läßt. Daher ist der Ruf auch immer eine kirchliche Berufung. Dem Ruf des Herrn treu zu sein, setzt voraus, dieses »Wir« zu entdecken, in dem und für das wir berufen sind. Ebenso müssen wir gemeinsam gehen und die notwendigen Tugenden umsetzen. Die »Berufung« verlangt die Kirchlichkeit, also die vertikale und die horizontale Dimension, die untrennbar miteinander vereint sind, sie verlangt Kirchlichkeit in dem Sinne, daß wir uns helfen lassen für das »Wir« und dieses »Wir« der Kirche aufbauen. In diesem Sinne erläutert der hl. Paulus die Berufung mit diesem Ziel: ein einziger Gott, aber mit dieser Ausrichtung auf die Zukunft; die Hoffnung liegt im »Wir« derer, die Hoffnung haben, die innerhalb der Hoffnung lieben, mit einigen Tugenden, die gerade die Elemente des gemeinsamen Weges sind. Die erste ist: »Seid demütig« (Eph 4,2). Darauf möchte ich kurz eingehen, denn dies ist eine Tugend, die im vorchristlichen Tugendkatalog nicht erscheint; es ist eine neue Tugend, die Tugend der Nachfolge Christi. Denken wir an den Brief an die Philipper, an das zweite Kapitel: Christus war Gott gleich, erniedrigte sich, wurde wie ein Sklave und war gehorsam bis zum Kreuz (vgl. Phil 2,6–8). Das ist der Weg der Demut des Sohnes, den wir nachahmen müssen. Christus nachzufolgen bedeutet, in diesen Weg der Demut einzutreten. Im griechischen Text heißt es »tapeinophrosyne« (vgl. Eph 4,2): nicht großartig von sich selbst denken, das rechte Maß haben.

Demut. Das Gegenteil der Demut ist der Hochmut, als Wurzel aller Sünden. Der Hochmut – der Überheblichkeit ist, vor allem Macht will, Schein, vor den anderen auffallen, jemand oder etwas sein – hat nicht die Absicht, Gott zu gefallen, sondern sich selbst zu gefallen, von den anderen angenommen und – sagen wir – von den anderen verehrt zu werden. Das »Ich« im Mittelpunkt der Welt: Es handelt sich um mein hochmütiges Ich, das alles weiß. Christ zu sein bedeutet, diese erste Versuchung zu überwinden, die auch der Kern der Erbsünde ist: wie Gott zu sein, aber ohne Gott; Christ zu sein bedeutet, wahrhaftig, aufrichtig, realistisch zu sein. Die Demut ist vor allem Wahrheit, in der Wahrheit leben, die Wahrheit lernen, zu lernen, daß gerade meine Kleinheit die Größe ist, denn so bin ich wichtig für das große Gefüge der Geschichte Gottes mit der Menschheit. Gerade indem ich erkenne, daß ich ein Gedanke Gottes, des Aufbaus seiner Welt bin und daß ich gerade so, in meiner Kleinheit – und nur so – unersetzlich bin, nur in dieser Weise bin ich groß.

Das ist der Beginn des Christseins: die Wahrheit zu leben. Und nur wenn ich die Wahrheit, den Realismus meiner Berufung für die anderen, mit den anderen, im Leib Christi lebe, dann lebe ich gut. Gegen die Wahrheit zu leben bedeutet immer, schlecht zu leben. Leben wir die Wahrheit! Lernen wir diesen Realismus: nicht auffallen zu wollen, sondern Gott gefallen zu wollen und das zu tun, was Gott von mir und für mich gedacht hat und so auch den anderen anzunehmen. Den anderen anzunehmen, der vielleicht größer ist als ich, setzt genau diesen Realismus und die Wahrheitsliebe voraus; es setzt voraus, daß ich mich selbst als »Gedanke Gottes« annehme, so wie ich bin, in meinen Grenzen und auf diese Weise in meiner Größe. Mich selbst anzunehmen und den anderen anzunehmen gehört zusammen: Nur wenn ich mich im großen göttlichen Gefüge selbst annehme, kann ich auch die anderen annehmen, die mit mir die große Symphonie der Kirche und der Schöpfung bilden. Ich denke, daß die kleinen Demütigungen, die wir Tag für Tag erleben müssen, heilsam sind, weil sie jedem helfen, die eigene Wahrheit zu erkennen und so frei zu sein von jener Eitelkeit, die der Wahrheit entgegensteht und mich nicht glücklich und gut machen kann: das anzunehmen und zu lernen und so zu lernen, meine Stellung innerhalb der Kirche anzunehmen, meinen kleinen Dienst als groß in den Augen Gottes zu erkennen. Und gerade diese Demut, dieser Realismus macht frei. Wenn ich überheblich bin, wenn ich hochmütig bin, möchte ich immer gefallen, und wenn es mir nicht gelingt, fühle ich mich elend, bin ich unglücklich und muß immer dieses Gefallen suchen. Wenn ich dagegen demütig bin, habe ich die Freiheit, auch im Gegensatz zu stehen zu einer vorherrschenden Meinung, zu den Gedanken anderer, denn die Demut gibt mir die Fähigkeit, die Freiheit der Wahrheit. Und so würde ich sagen, bitten wir den Herrn, daß er uns helfen möge, wirklich Baumeister der Gemeinschaft der Kirche zu sein: auf daß sie wachse, auf daß wir selbst wachsen in der großen Vision Gottes, des »Wir«, und Glieder des Leibes Christi sind, der so in der Einheit dem Sohn Gottes angehört.

Die zweite Tugend, hier fassen wir uns kürzer, ist die »Friedfertigkeit« – die »dolcezza«, wie es in der italienischen Übersetzung heißt (Eph 4,2) –, auf Griechisch »praus«, also »milde, sanftmütig «; und auch das ist eine christologische Tugend wie die Demut, die bedeutet, Christus auf diesem Weg der Demut nachzufolgen. So ist auch »praus« – sanftmütig zu sein, milde zu sein – Nachfolge Christi, der sagt: Kommt zu mir, ich bin gütig und von Herzen demütig (vgl. Mt 11,29). Das bedeutet nicht Schwachheit. Christus kann auch hart sein, wenn nötig, aber stets mit einem guten Herzen: die Güte, die Sanftmut bleibt stets sichtbar. In der Heiligen Schrift ist »die Sanftmütigen « manchmal einfach nur die Bezeichnung für die Gläubigen, die kleine Herde der Armen, die in allen Prüfungen demütig und standhaft in der Gemeinschaft des Herrn bleiben: diese Friedfertigkeit zu suchen, die das Gegenteil der Gewalt ist. Die dritte Seligpreisung. Das Evangelium nach Matthäus sagt: »Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben« (Mt 5,5).

Nicht die Gewalttätigen besitzen das Land, sondern am Ende bleiben die Sanftmütigen: Ihnen wird die große Verheißung zuteil, und so müssen wir uns Gottes Verheißung ganz sicher sein: daß die Friedfertigkeit stärker ist als die Gewalt. In diesem Wort der Sanftmut verbirgt sich der Gegensatz zur Gewalt: Die Christen sind jene, die keine Gewalt anwenden, sie sind die Gegner der Gewalt. Weiter sagt der hl. Paulus: »geduldig« (Eph 4,2). Gott ist geduldig. Trotz unserer Schwächen und unserer Sünden macht er immer wieder einen Anfang mit uns. Er vergibt mir, auch wenn er weiß, daß ich morgen wieder fallen und sündigen werde; er verteilt seine Gaben, auch wenn er weiß, daß wir oft ungenügende Verwalter sind. Gott ist geduldig, großherzig, er vertraut uns seine Güte an. Und wiederum gehört diese Geduld, diese Großherzigkeit zur Nachfolge Christi. Und schließlich: »Ertragt einander in Liebe« (Eph 4,2). Mir scheint, daß gerade aus der Demut die Fähigkeit folgt, den anderen anzunehmen. Die Andersheit des anderen ist immer eine Last. Warum ist der andere anders? Aber gerade diese Vielfalt, diese Andersheit ist notwendig für die Schönheit der Symphonie Gottes. Und gerade durch die Demut, in der ich meine Grenzen, meine Andersheit gegenüber dem anderen, die Last, die ich für den anderen bin, erkenne, müssen wir fähig werden, den anderen nicht nur zu ertragen, sondern gerade in der Andersheit mit Liebe auch den Reichtum seines Seins und der Ideen und Phantasie Gottes erkennen. All das dient also als kirchliche Tugend zum Aufbau des Leibes Christi, der der Geist Christi ist, damit er erneut zum Vorbild, zum Leib werde und wachse. Paulus spricht das dann konkret an, indem er sagt, daß diese Vielfalt der Gaben, der Veranlagungen, des Menschseins der Einheit dient (vgl. Eph 4,11–13). Alle diese Tugenden sind auch Tugenden der Einheit.

Für mich ist es beispielsweise sehr bedeutsam, daß der erste Brief nach dem Neuen Testament, der Erste Brief des Klemens an eine Gemeinde gerichtet ist – die der Korinther –, die gespalten ist und unter der Spaltung leidet (vgl. PG 1,201–328). In diesem Brief ist gerade das Wort »Demut« ein Schlüsselwort: Sie sind gespalten, weil die Demut fehlt. Die Abwesenheit der Demut zerstört die Einheit. Die Demut ist eine grundlegende Tugend der Einheit, und nur so wächst die Einheit des Leibes Christi, werden wir wirklich vereint und empfangen wir den Reichtum und die Schönheit der Einheit. Daher ist es logisch, daß die Aufzählung dieser Tugenden, die kirchliche, christologische Tugenden, Tugenden der Einheit sind, auf die deutliche Einheit zugeht: »ein Herr, ein Glaube. Eine Taufe, ein Gott und Vater aller« (Eph 4,5). Ein Glaube und eine Taufe, als konkrete Wirklichkeit der Kirche, die dem einen Herrn unterstellt ist.

Taufe und Glaube sind untrennbar miteinander verbunden. Die Taufe ist das Sakrament des Glaubens, und der Glaube hat einen zweifachen Aspekt. Er ist ein zutiefst persönlicher Akt: Ich erkenne Christus, ich begegne Christus und schenke ihm Vertrauen. Denken wir an die Frau, die sein Gewand berührt in der Hoffnung, geheilt zu werden (vgl. Mt 9,20–21); sie vertraut sich ihm vollkommen an, und der Herr sagt: Du bist geheilt, weil du geglaubt hast (vgl. Mt 9,22). Auch zu den Aussätzigen, zu dem einzigen, der umkehrt, sagt er: »Dein Glaube hat dir geholfen« (Lk 17,19). Der Glaube ist also anfangs vor allem eine persönliche Begegnung, ein Berühren des Gewandes Christi, ein Berührtsein von Christus; er bedeutet, mit Christus in Berührung zu stehen, sich dem Herrn anzuvertrauen, die Liebe Christi zu besitzen und zu finden und in der Liebe Christi auch den Schlüssel zur Wahrheit, zur Universalität. Aber eben weil er der Schlüssel zur Universalität des einen Herrn ist, ist jener Glaube nicht nur ein persönlicher Akt des Vertrauens, sondern ein Akt, der einen Inhalt hat. Die »fides qua« erfordert die »fides quae«, den Inhalt des Glaubens, und die Taufe bringt diesen Inhalt zum Ausdruck: Die trinitarische Formel ist das Grundelement des Glaubensbekenntnisses der Christen.

Es ist schon an sich ein »Ja« zu Christus und so zum dreifaltigen Gott, mit dieser Wirklichkeit, mit diesem Inhalt, der mich mit diesem Herrn, mit diesem Gott vereint, der dieses Antlitz hat: Er lebt als Sohn des Vaters in der Einheit des Heiligen Geistes und in der Gemeinschaft des Leibes Christi. Das scheint mir also sehr wichtig zu sein: Der Glaube hat einen Inhalt, und es genügt nicht, es ist kein Element der Einigung, wenn dieser Inhalt des einen Glaubens nicht vorhanden ist und nicht gelebt und bekannt wird. Daher ist das »Jahr des Glaubens« konkret gesagt auch ein »Jahr des Katechismus«. Beide sind untrennbar miteinander verbunden. Wir werden das Konzil nur dann erneuern, wenn wir den – danach wieder verdichteten – Inhalt des Katechismus der Katholischen Kirche erneuern. Und ein großes Problem der gegenwärtigen Kirche ist der Mangel an Glaubenskenntnis, ist der »religiöse Analphabetismus«, wie die Kardinäle am vergangenen Freitag über diese Wirklichkeit gesagt haben. »Religiöser Analphabetismus«: Mit diesem Analphabetismus können wir nicht wachsen, kann die Einheit nicht wachsen. Daher müssen wir selbst uns diesen Inhalt wieder aneignen, als Reichtum der Einheit und nicht als Paket an Dogmen und Geboten, sondern als eine einzigartige Wirklichkeit, die sich in ihrer Tiefe und Schönheit offenbart. Wir müssen alles tun, was möglich ist, für eine katechetische Erneuerung, damit man den Glauben kennt und somit Gott kennt, Christus kennt, die Wahrheit kennt und die Einheit in der Wahrheit wächst. All diese Einheiten enden dann darin: »ein Gott und Vater aller«. Alles, was nicht Demut ist, alles, was nicht gemeinsamer Glaube ist, zerstört die Einheit, zerstört die Hoffnung und macht das Antlitz Gottes unsichtbar. Gott ist einer und einzig. Der Monotheismus war das große Privileg Israels, das den einzigen Gott kennenlernte, und er bleibt das Grundelement des christlichen Glaubens. Der dreifaltige Gott – das wissen wir – sind keine drei Gottheiten, sondern er ist ein einziger Gott. Und sehen wir besser, was Einheit bedeutet: Einheit ist Einheit der Liebe. Es ist so: Gerade weil er der Kreislauf der Liebe ist, ist Gott einer und einzig.

Für Paulus ist, wie wir gesehen haben, die Einheit Gottes gleichgesetzt mit unserer Hoffnung. Warum? Auf welche Weise? Weil Gottes Einheit Hoffnung ist, weil sie uns garantiert, daß es am Ende keine verschiedenen Mächte gibt, daß es am Ende keinen Dualismus zwischen verschiedenen gegensätzlichen Mächten gibt, daß am Ende das Haupt des Drachen nicht bleibt, das sich gegen Gott erheben könnte, daß der Schmutz des Bösen und der Sünde nicht bleibt. Am Ende bleibt nur das Licht! Gott ist einer, und er ist der eine Gott: Es gibt keine andere Macht gegen ihn! Wir wissen, daß heute, durch die immer mehr wachsenden Übel, die wir in der Welt erleben, viele an Gottes Allmacht zweifeln. Einige – auch gute – Theologen sagen sogar, daß Gott nicht allmächtig sei, weil das, was wir in der Welt sehen, mit der Allmacht nicht vereinbar sei; und so wollen sie eine neue Apologie schaffen, Gott entschuldigen und Gott von diesen Übeln »freisprechen«. Aber das ist nicht die richtige Weise, denn wenn Gott nicht allmächtig ist, wenn es andere Mächte gibt und immer geben wird, dann ist er nicht wirklich Gott, und ist er nicht die Hoffnung, denn am Ende bliebe die Vielgötterei, am Ende bliebe der Kampf, die Macht des Bösen. Gott, der eine Gott, ist allmächtig. Sicher, in der Geschichte hat er seiner Allmacht eine Grenze gesetzt und unsere Freiheit anerkannt. Aber am Ende kehrt alles zurück und bleibt keine andere Macht. Das ist die Hoffnung: daß das Licht siegt, die Liebe siegt! Am Ende bleibt nicht die Kraft des Bösen, es bleibt nur Gott! Und so sind wir auf dem Weg der Hoffnung, gehen wir auf die Einheit des einen Gottes zu, der sich durch den Heiligen Geist offenbart hat, im einen Herrn, Christus.

Von dieser großen Vision her geht Paulus dann ein wenig ins Detail und sagt über Christus: »Er stieg hinauf zur Höhe und erbeutete Gefangene, er gab den Menschen Geschenke« (Eph 4,8). Der Apostel zitiert Psalm 68, der in poetischer Form den Aufstieg Gottes mit der Bundeslade in die Höhe beschreibt, zum Gipfel des Berges Zion, zum Tempel: Gott als Sieger, der die anderen überwunden hat, die Gefangene sind, und der als Sieger Geschenke verteilt. Das Judentum hat darin vielmehr ein Bild des Mose gesehen,  der auf den Berg Sinai steigt, um in der Höhe den Willen Gottes zu empfangen, die Gebote, die nicht als Last betrachtet werden, sondern als das Geschenk, das Antlitz Gottes, den Willen Gottes zu kennen. Paulus sieht hier letztlich ein Bild des Aufstiegs Christi, der zum Himmel auffährt, nachdem er herabgekommen ist; er fährt zum Himmel auf und zieht die Menschheit zu Gott, er bereitet einen Platz für das Fleisch und das Blut in Gott selbst; er zieht uns in die Höhe seiner Sohnschaft und befreit uns aus der Gefangenschaft der Sünde, er befreit uns, weil er Sieger ist. Als Sieger verteilt er die Geschenke. Und so sind wir vom Aufstieg Christi bei der Kirche angekommen. Die Geschenke sind die »charis« als solche, die Gnade: in der Gnade, in der Liebe Gottes sein. Und dann die Charismen, die die »charis« in den einzelnen Funktionen und Sendungen konkret machen: Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer, um so den Leib Christi aufzubauen (vgl. Eph 4,11). Ich möchte jetzt nicht in eine detaillierte Exegese eintreten. Es ist sehr umstritten, was Apostel, Propheten ... hier bedeutet. In jedem Fall können wir sagen, daß die Kirche auf dem Fundament des apostolischen Glaubens errichtet ist, der stets gegenwärtig bleibt: Die Apostel sind in der apostolischen Sukzession in den Hirten gegenwärtig, die wir sind, durch Gottes Gnade und trotz all unserer Armut. Und wir sind Gott dankbar, daß er uns berufen hat, in der apostolischen Sukzession zu stehen und den Leib Christi weiter aufzubauen. Hier taucht ein Element auf, das mir wichtig erscheint: Die Ämter – die sogenannten Ämter – werden »Gaben Christi« genannt, es sind Charismen.

Es gibt also nicht diesen Gegensatz: auf der einen Seite das Amt als etwas Rechtliches und auf der anderen Seite die Charismen als prophetische, lebendige, geistliche Gabe, als Gegenwart des Geistes und seiner Neuheit. Nein! Gerade die Ämter sind Gabe des Auferstandenen und sind Charismen, sind Ausdrucksformen seiner Gnade; man kann nicht Priester sein, ohne charismatisch zu sein. Priester zu sein ist ein Charisma. Wie mir scheint, müssen wir uns bewußt sein, zum Priesteramt berufen zu sein, durch eine Gabe des Herrn, durch ein Charisma des Herrn berufen zu sein. Von seinem Geist inspiriert müssen wir so versuchen, unser Charisma zu leben.

Nur auf diese Weise, denke ich, kann man verstehen, daß die Kirche im Westen Priesteramt und Zölibat untrennbar miteinander verbunden hat: in einer eschatologischen Existenz zu sein auf die letzte Bestimmung unserer Hoffnung hin, auf Gott hin. Gerade weil das Priesteramt ein Charisma ist und auch mit einem Charisma verbunden sein muß: Wenn es das nicht wäre, sondern nur etwas Rechtliches wäre, wäre es absurd, ein Charisma aufzuzwingen, das ein wahres Charisma ist. Wenn aber das Priesteramt selbst Charisma ist, dann ist es normal, daß es mit dem Charisma, mit dem charismatischen Zustand des eschatologischen Lebens, zusammen existiert. Bitten wir den Herrn, daß er uns helfen möge, dies immer mehr zu verstehen, immer mehr im Charisma des Heiligen Geistes zu leben und so auch das eschatologische Zeichen der Treue zu dem einen Herrn zu leben, das gerade für unsere Zeit notwendig ist, angesichts des Zerfalls von Ehe und Familie, die nur im Licht dieser Treue zu dem einen Ruf des Herrn zusammengefügt werden können.

Ein letzter Punkt: Der hl. Paulus spricht vom Wachstum zum vollkommenen Menschen, der seine vollendete Gestalt in Christus erreicht: Wir sollen nicht mehr unmündige Kinder sein, ein Spiel der Wellen, hin und her getrieben von jedem Widerstreit der Meinungen (vgl. Eph 4,13–14). »Wir wollen uns, von der Liebe geleitet, an die Wahrheit halten und in allem wachsen, bis wir ihn erreicht haben« (Eph 4,15). Man darf nicht in einer geistigen Unmündigkeit leben, in einer Unmündigkeit des Glaubens: Leider sehen wir in unserer heutigen Welt diese Unmündigkeit. Viele sind nicht über die Erstkatechese hinausgegangen; vielleicht ist dieser Kern geblieben, vielleicht ist er auch zerstört worden. Ansonsten sind sie ein Spiel der Wellen der Welt und nichts anderes; sie können nicht als Erwachsene mit Sachkenntnis und tiefer Überzeugung die »Philosophie des Glaubens« darlegen und vergegenwärtigen, die große Weisheit, die Vernünftigkeit des Glaubens, die auch den anderen die Augen öffnet, die Augen öffnet gerade für das, was in der Welt gut und wahr ist. Es fehlt dieses Erwachsensein im Glauben, und es bleibt die Unmündigkeit im Glauben.

Freilich haben wir in den letzten Jahrzehnten auch einen anderen Gebrauch des Wortes »erwachsener Glaube« erlebt. Man spricht von einem »erwachsenen«, also vom Lehramt der Kirche emanzipierten Glauben. Solange ich der Mutter unterstellt bin, bin ich ein unmündiges Kind, muß ich mich emanzipieren; wenn ich vom Lehramt emanzipiert bin, bin ich endlich erwachsen. Aber das Ergebnis ist kein erwachsener Glaube, das Ergebnis ist die Abhängigkeit von den Wellen der Welt, von den Meinungen der Welt, von der Diktatur der Kommunikationsmittel, von der Meinung, die alle denken und wollen. Die Emanzipation von der Gemeinschaft des Leibes Christi ist keine wahre Emanzipation! Im Gegenteil, es bedeutet, unter die Diktatur der Wellen, des Windes der Welt zu geraten. Die wahre Emanzipation besteht gerade darin, sich von dieser Diktatur zu befreien, in der Freiheit der Kinder Gottes, die gemeinsam glauben im Leib Christi, mit dem auferstandenen Christus, und die so die Wirklichkeit sehen und in der Lage sind, auf die Herausforderungen unserer Zeit zu antworten. Mir scheint, daß wir viel zum Herrn beten müssen, auf daß er uns helfen möge, in diesem Sinne emanzipiert, in diesem Sinne frei zu sein, mit einem wirklich erwachsenen Glauben, der sieht, der sehen läßt und der auch den anderen helfen kann, zur wahren Vollkommenheit zu gelangen, zum wahren Erwachsenenalter, in Gemeinschaft mit Christus.

In diesem Zusammenhang steht der schöne Ausdruck »aletheuein en te agape«, wahr sein in der Liebe, in der Wahrheit leben, Wahrheit in der Liebe sein: Die beiden Begriffe gehören zusammen. Heute steht der Begriff der Wahrheit etwas unter Verdacht, weil man Wahrheit mit Gewalt in Zusammenhang bringt. Leider gab es in der Geschichte auch Episoden, in denen versucht wurde, die Wahrheit mit Gewalt zu verteidigen. Aber beide stehen zueinander im Gegensatz. Die Wahrheit kann nicht mit anderen Mitteln als durch sich selbst auferlegt werden! Die Wahrheit kann nur durch sich selbst, durch das eigene Licht kommen. Aber wir brauchen die Wahrheit; ohne Wahrheit kennen wir die wahren Werte nicht, und wie sollen wir den »Kosmos« der Werte ordnen? Ohne Wahrheit sind wir blind in der Welt, haben wir keinen Weg. Die große Gabe Christi besteht gerade darin, daß wir das Antlitz Gottes sehen und – wenngleich in rätselhafter, sehr ungenügender Weise – den tiefsten Grund, das Wesentliche der Wahrheit in Christus erkennen, in seinem Leib. Und wenn wir diese Wahrheit kennen, wachsen wir auch in der Liebe, die die Legitimierung der Wahrheit ist und die uns zeigt, was Wahrheit ist. Ich würde wirklich sagen, daß die Liebe die Frucht der Wahrheit ist – den Baum erkennt man an seinen Früchten –, und wenn es keine Liebe gibt, wird auch die Wahrheit nicht wirklich angemessen gelebt; und wo die Wahrheit ist, entsteht die Liebe. Gottlob sehen wir das in allen Jahrhunderten: trotz der negativen Tatsachen war die Frucht der Liebe in der Christenheit stets gegenwärtig, und sie ist es auch heute! Das sehen wir in den Märtyrern, das sehen wir in vielen Ordensschwestern, Ordensbrüdern und Priestern, die demütig den Armen, den Kranken dienen, die Gegenwart der Liebe Christi sind. Und so sind sie das große Zeichen, daß hier die Wahrheit ist.

Bitten wir den Herrn, daß er uns helfen möge, die Frucht der Liebe zu tragen und so Zeugen seiner Wahrheit zu sein. Danke.

 

 



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