APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
NACH PANAMA AUS ANLASS DES 34. WELTJUGENDTAGES
(23.-28. JANUAR 2019)
ANGELUS
Panama
Sonntag, 27. Januar 2019
Liebe junge Freunde,
verehrte Leiter, Mitarbeiter und Pastoralarbeiter,
liebe Freundinnen und Freunde,
danke Pater Domingo für die Worte, die er im Namen aller an mich gerichtet hat. Es war mein Wunsch, euch hier in der Hausfamilie „Der barmherzige Samariter“ zu begegnen wie auch den jungen Menschen aus dem Zentrum „Johannes Paul II.“, aus dem Heim „St. Josef“ der Barmherzigen Schwestern und aus dem „Haus der Liebe“ der Gemeinschaft der Brüder Jesu von Kkottongnae. Bei euch zu sein ist mir ein Anlass, die Hoffnung zu erneuern. Danke, dass ihr das möglich macht!
Bei der Vorbereitung auf dieses Treffen durfte ich das Zeugnis eines Heimbewohners lesen, das mich sehr berührt hat. Er schrieb: »Hier wurde ich neu geboren.« Dieses Haus ebenso wie die anderen Zentren, die ihr repräsentiert, sind ein Zeichen für das neue Leben, das der Herr uns schenken will. Leicht erkennt man den starken Glauben einiger Brüder und Schwestern, wenn man sieht, wie sie Wunden verarzten, neue Hoffnung geben und zum Glauben ermuntern. Hier werden nicht nur die wiedergeboren, die wir die „Hauptbegünstigten“ eurer Häuser nennen könnten; hier wird die Kirche und der Glauben geboren, ständig erneuern sich hier die Kirche und der Glauben durch die Liebe.
Wir beginnen, neu geboren zu werden, wenn uns der Heilige Geist Augen schenkt, welche die anderen, wie Pater Domingo gesagt hat, nicht nur als unsere Nachbarn sehen – was ja schon viel wäre –, sondern als unsere Nächsten. Die anderen als Nächsten sehen.
Das Evangelium berichtet uns, dass Jesus einmal gefragt wurde: »Wer ist mein Nächster?« (Lk 10,29). Er hat darauf nicht mit einer Theorie geantwortet, ebenso wenig hielt er eine schöne feierliche Rede, sondern er gebrauchte ein Gleichnis – das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Dieses ist ein konkretes Beispiel aus dem wirklichen Leben, so wie ihr es alle sehr gut kennt und lebt. Der Nächste ist eine Person, ein Gesicht, dem wir unterwegs begegnen und das uns bewegt und unser Mitgefühl erweckt: es bewegt uns von unseren Schablonen und Prioritäten weg und erregt unser Mitgefühl für das, was diese Person erlebt. So machen wir ihr Platz und geben ihr Raum bei unserem Gehen. So hat das der barmherzige Samariter verstanden, als er vor dem Mann stand, der nicht nur von einigen Räubern, sondern auch von der Gleichgültigkeit eines Priesters und eines Leviten, die nicht den Mut zum Helfen aufbrachten, halbtot am Straßenrand zurückgelassen worden war. Auch Gleichgültigkeit tötet, sie verletzt und tötet, wie ihr wisst. Wegen einiger armseliger Geldstücke, aus Angst, unrein zu werden, aus Verachtung oder sozialem Dünkel haben sie den Mann einfach an der Straße liegen lassen. Der barmherzige Samariter zeigt uns – so wie alle eure Häuser –, dass der Nächste vor allem eine Person ist, jemand mit einem konkreten Gesicht, mit einem realen Gesicht und nicht etwas, an dem man vorbeigehen und das man ignorieren kann, egal, wie sein Zustand ist. Es geht um ein Gesicht, dass unser oft leidendes und unbeachtetes Menschsein offenbart.
Der Nächste ist ein Gesicht, welches glücklicherweise das Leben belästigt, weil es uns daran erinnert, was wirklich zählt und uns auf den Weg dorthin bringt. Es befreit uns davor, unsere Nachfolge des Herrn zu banalisieren und überflüssig zu machen.
Hier zu sein bedeutet auch, dem stillen und mütterlichen Antlitz der Kirche zu begegnen, dem es gelingt, prophetisch ein Heim zu schaffen, eine Gemeinschaft. Das ist das Antlitz der Kirche, dass man normalerweise nicht sieht und das unbeachtet bleibt, aber ein Zeichen der konkreten Barmherzigkeit und Zärtlichkeit Gottes ist; ein lebendiges Zeichen der frohen Botschaft der Auferstehung, die heute in unserm Leben wirksam ist.
Ein „Heim“ zu schaffen bedeutet, eine Familie aufzubauen, bedeutet zu lernen, sich den anderen verbunden zu fühlen über utilitaristische oder funktionale Zwecke hinaus. Solchermaßen vereint können wir das Leben ein bisschen menschlicher erfahren. Ein Heim zu schaffen bedeutet, die Prophetie Fleisch werden zu lassen, damit unsere Stunden und Tage weniger ungastlich, weniger gleichgültig und anonym werden. Es beinhaltet, Bindungen mit einfachen, alltäglichen Gesten aufzubauen, die jeder leisten kann. Wir alle wissen nur zu gut, dass ein Heim auf die Mithilfe aller angewiesen ist. Niemand kann gleichgültig oder unbeteiligt bleiben, denn jeder ist ein wesentlicher Baustein für das Bauwerk. Deshalb müssen wir den Herrn um die Gnade bitten, dass wir lernen, geduldig zu sein; dass wir lernen, einander zu vergeben; dass wir lernen, jeden Tag wieder neu zu beginnen. Wie viele Male sollen wir vergeben und wieder neu anfangen? Siebzigmal siebenmal, sooft es notwendig ist. Um stabile Bindungen aufzubauen braucht es die Zuversicht, die sich täglich aus Geduld und Vergebung nährt.
Und so geschieht das Wunder: Wir erfahren, dass man hier neu geboren wird; wir werden hier alle neu geboren, weil wir die Zuneigung Gottes wirklich spüren, die uns von einer menschlicheren und deshalb auch göttlicheren Welt träumen lässt.
Danke euch allen für euer beispielhaftes Leben und eure Großmut; ein Dank an eure Einrichtungen, an die freiwilligen Helfer und die Wohltäter. Ein Dank an alle, die die Liebe Gottes immer konkreter, wirklicher werden lassen, indem sie ihren Mitmenschen in die Augen schauen und sich gegenseitig als Nächste erkennen.
Beim Gebet des Angelus vertraue ich euch nun unserer Mutter, der Jungfrau Maria, an. Bitten wir sie, die als gute Mutter bestens mit Zärtlichkeit und Nähe vertraut ist, uns die Achtsamkeit zu lehren, um jeden Tag unseren Nächsten zu erkennen. Sie soll uns anspornen, dem Nächsten bereitwillig entgegenzukommen und ihm so ein Zuhause oder eine Umarmung anzubieten, wo er Schutz und brüderliche Liebe finden kann. Das ist eine Sendung, an der wir alle beteiligt sind.
Ich bitte euch nun, all eure Sorgen, all eure Nöte, eure Schmerzen, die ihr mit euch tragt, die Verletzungen, an denen ihr leidet, unter ihren Mantel zu legen. Sie möge wie eine barmherzige Samariterin mit ihrer Mütterlichkeit, ihrer Zärtlichkeit und ihrem mütterlichen Lächeln zu uns kommen und uns beistehen.
Angelus Domini …
Nach dem Angelus:
Liebe Brüder und Schwestern,
heute wird der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts begangen. Wir müssen die Erinnerung an die Vergangenheit, an die vergangenen Tragödien lebendig erhalten und von den dunklen Seiten der Geschichte lernen, um nie mehr wieder die gleichen Fehler zu begehen. Unablässig wollen wir uns weiterhin darum bemühen, die Gerechtigkeit zu pflegen, die Eintracht zu fördern und die Integration zu unterstützen, um Werkzeuge des Friedens und Erbauer einer besseren Welt zu sein.
Ich möchte meine tiefe Anteilnahme angesichts der Tragödien zum Ausdruck bringen, die den Bundesstaat Minas Gerais in Brasilien und den Bundesstaat Hidalgo in Mexiko getroffen haben. Ich empfehle alle Opfer der Barmherzigkeit Gottes. Zugleich bete ich für die Verwundeten und bringe ihren Familien und der ganzen Bevölkerung meine Zuneigung und meine geistliche Nähe zum Ausdruck.
Hier in Panama habe ich viel an das venezolanische Volk gedacht, mit dem ich mich in diesen Tagen besonders verbunden fühle. Angesichts der ernsten Situation, die es gerade durchmacht, bitte ich den Herrn darum, man möge eine gerechte und friedliche Lösung suchen und erreichen, um die Krise unter Achtung der Menschenrechte und im Hinblick allein auf das Wohl aller Bewohner des Landes zu überwinden. Ich lade euch ein, dafür zu beten und dieses Anliegen unter den Schutz Unserer Lieben Frau von Coromoto, der Patronin Venezuelas, zu stellen.
Christus und der Jungfrau Maria vertrauen wir ebenso die Opfer des terroristischen Anschlags an, der vergangenen Sonntag in der Kathedrale von Polo in den Philippinen während der Feier der Eucharistie verübt wurde. Erneut missbillige ich aufs entschiedenste diesen Vorfall von Gewalt, der wieder Trauer über diese christliche Gemeinschaft bringt, und bete für die Verstorbenen und Verletzten. Der Herr, der Friedensfürst, möge die Herzen der Gewalttätigen bekehren und den Bewohnern jener Region ein ruhiges Zusammenleben gewähren.
Und heute am letzten Tag des Weltjugendtags wurde mit den Opfergaben der Messe eine Liste von zwanzig jungen Menschen dargebracht, die nicht mehr erfahren konnten, über Fernsehen oder Radio, wie der Weltjugendtag verlaufen ist: Es handelt sich um die jungen Schüler der Polizeikadettenschule „Generale Francisco de Paula Santander“ in Kolumbien, die aus terroristischem Hass umgebracht wurden. Diese jungen Menschen wurden in das Messopfer mithineingenommen, und in Erinnerung an sie erlaube ich mir, ihre Namen bei diesem Angelus zu nennen. Jeder möge in seinem Herzen, nicht mit lauter Stimme im Herzen, das Wort sagen, das man in diesen Einrichtungen gewöhnlich bei der Nennung eines Toten verwendet: „Anwesend“. Sie mögen vor Gott anwesend sein: Kadett Luis Alfonso Mosquera Murillo, Kadett Oscár Javier Saavedra Camacho, Kadett Jonathan Efraín Suescón García, Kadett Manjardez Contreras Juan Felipe, Kadett Juan Diego Ayala Anzola, Kadett Juan David Rodas Agudelo, Kadett Diego Alejandro Pérez Alarcón, Kadett Jonathan Ainer León Torres, Kadett Alán Paul Bayona Barreto, Kadett Diego Alejandro Molina Peláez, Kadett Carlos Daniel Campaña Huertas, Kadett Diego Fernando Martínez Galvéz, Kadett Juan Esteban Marulanda Orozco, Kadett César Alberto Ojeda Gómez, Kadett Cristian Fabián González Portilla, Kadett Fernando Alonso Iriarte Agresoth, Kadett Ercia Sofía Chico Vallejo, Kadett Cristian Camilo Maquilón Martínez, Kadett Steven Rolando Prada Riaño, Kadett Iván René Munóz Parra. Wir bitten dich, Herr: Gib ihnen den Frieden und gib auch dem kolumbianischen Volk den Frieden. Amen.
[Segen]
Nochmals danke ich euch für das, was ihr hier tut. Es ist großartig, es ist sehr schön. Gott segne euch, und betet für mich. Danke!
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