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PAPST FRANZISKUS

GENERALAUDIENZ

Petersplatz
Mittwoch, 9. Dezember 2015

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Katechese. Warum ein Jubiläum der Barmherzigkeit?

Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!

Gestern habe ich hier in der Petersbasilika die Heilige Pforte des Jubiläums der Barmherzigkeit geöffnet, nachdem ich sie bereits in der Kathedrale von Bangui in Zentralafrika geöffnet hatte. Heute möchte ich zusammen mit euch über die Bedeutung dieses Heiligen Jahres nachdenken und auf die Frage antworten: Warum feiern wir ein Jubiläumsjahr der Barmherzigkeit? Was bedeutet es?

Die Kirche braucht diesen außerordentlichen Moment. Ich sage nicht: Dieser außerordentliche Moment ist gut für die Kirche. Ich sage: Die Kirche braucht diesen außerordentlichen Moment. In unserer Zeit, in der ein tiefgreifender Wandel stattfindet, ist die Kirche aufgerufen, ihren besonderen Beitrag zu leisten und die Zeichen der Gegenwart und der Nähe Gottes sichtbar zu machen. Und das Jubiläumsjahr ist eine günstige Zeit für uns alle, um die göttliche Barmherzigkeit, die über alle menschlichen Grenzen hinausgeht und das Dunkel der Sünde überstrahlt, zu betrachten und so zu überzeugteren und fruchtbareren Zeugen zu werden.

Den Blick Gott, dem barmherzigen Vater, und den Brüdern zuzuwenden, die der Barmherzigkeit bedürfen, bedeutet, die Aufmerksamkeit auf den wesentlichen Inhalt des Evangeliums zu richten: auf Jesus, die menschgewordene Barmherzigkeit, der das große dreifaltige Geheimnis Gottes für unsere Augen sichtbar macht. Ein Jubiläum der Barmherzigkeit zu feiern ist gleichbedeutend damit, das Besondere des christlichen Glaubens, also Jesus Christus, den barmherzigen Gott, wieder in den Mittelpunkt unseres persönlichen Lebens und unserer Gemeinschaften zu stellen. Ein Heiliges Jahr also, um die Barmherzigkeit zu leben. Ja, liebe Brüder und Schwestern, dieses Heilige Jahr wird uns angeboten, um in unserem Leben die milde und sanfte Berührung der Vergebung Gottes zu erfahren, seine Gegenwart bei uns und seine Nähe vor allem in den Augenblicken, in denen sie am meisten benötigt werden.

Dieses Jubiläumsjahr ist also ein hervorragender Augenblick für die Kirche zu lernen, einzig und allein das zu wählen, »was Gott am meisten gefällt«. Und was ist es, das »Gott am meisten gefällt«? Seinen Kindern zu vergeben, ihnen Barmherzigkeit zu erweisen, damit sie ihrerseits den Brüdern vergeben können und wie Fackeln der Barmherzigkeit Gottes in der Welt erstrahlen können. Das ist es, was Gott am meisten gefällt. Der heilige Ambrosius greift in einem theologischen Werk, das er über Adam geschrieben hat, die Geschichte von der Schöpfung der Welt auf und sagt, dass Gott jeden Tag, nachdem er etwas erschaffen hatte – den Mond, die Sonne oder die Tiere – sagt: »Gott sah, dass es gut war.« Als er jedoch den Mann und die Frau erschaffen hatte, heißt es in der Bibel: »Gott sah: … Es war sehr gut.« Der heilige Ambrosius fragt sich: »Warum sagt er ›sehr gut‹? Warum freut Gott sich nach der Schöpfung des Mannes und der Frau so sehr?« Weil er am Ende jemanden hatte, dem er vergeben konnte. Das ist schön: Die Freude Gottes ist es zu vergeben, das Wesen Gottes ist die Barmherzigkeit.

Daher müssen wir in diesem Jahr die Herzen öffnen, damit diese Liebe, diese Freude Gottes uns alle mit dieser Barmherzigkeit erfüllen möge. Das Jubiläum wird eine »Zeit der Gnade« für die Kirche sein, wenn wir lernen werden, daszu wählen, »was Gott am meisten gefällt«, ohne der Versuchung zu erliegen zu meinen, dass es etwas Anderes gäbe, das wichtiger oder vorrangiger ist. Nichts ist wichtiger als das zu wählen, »was Gott am meisten gefällt«, also seine Barmherzigkeit, seine Liebe, seine Zärtlichkeit, seine Umarmung, seine Liebkosungen! Auch das notwendige Werk der Erneuerung der Institutionen und der Strukturen der Kirche ist ein Mittel, das uns dahin führen muss, die lebendige und lebenspendende Erfahrung der Barmherzigkeit Gottes zu machen: Sie allein kann der Kirche gewährleisten, jene Stadt zu sein, die auf einem Berg liegt und die nicht verborgen bleiben kann (vgl. Mt 5,14). Nur eine barmherzige Kirche sendet ihren Glanz aus! Wenn wir auch nur einen Augenblick lang vergessen sollten, dass die Barmherzigkeit das ist, »was Gott am meisten gefällt«, dann wäre alle unsere Mühe umsonst, denn wir würden zu Sklaven unserer Institutionen und unserer Strukturen, so erneuert sie auch sein mögen. Wir würden jedoch immer Sklaven bleiben.

»In uns die Freude tiefer zu verspüren, dass wir von Jesus wieder gefunden wurden, der als Guter Hirt gekommen ist, uns zu suchen, weil wir uns verirrt hatten« (Predigt in der Ersten Vesper vom Sonntag der göttlichen Barmherzigkeit, 11. April 2015): Das ist das Ziel, das die Kirche sich in diesem Heiligen Jahr setzt. So werden wir in uns die Gewissheit stärken, dass die Barmherzigkeit wirklich zum Aufbau einer humaneren Welt beitragen kann. Besonders in unserer Zeit, in der die Vergebung ein seltener Gast in den Bereichen des menschlichen Lebens ist, wird der Aufruf zur Barmherzigkeit dringender, und das an allen Orten: in der Gesellschaft, in den Institutionen, am Arbeitsplatz und auch in der Familie.

Gewiss könnte jemand einwenden: »Aber Vater, müsste die Kirche in diesem Jahr nicht etwas mehr tun? Es ist recht, die Barmherzigkeit Gottes zu betrachten, aber es gibt viele dringende Nöte!« Das ist wahr, es gibt viel zu tun, und ich werde als Erster nicht müde, daran zu erinnern. Man muss jedoch berücksichtigen, dass an der Wurzel der Vergessenheit der Barmherzigkeit stets die Eigenliebe steht. In der Welt nimmt diese die Form der ausschließlichen Suche nach eigenen Interessen, nach Genuss und Ehren an, vereint mit dem Wunsch, Reichtümer anzuhäufen, während sie im Leben der Christen oft als Scheinheiligkeit und Weltlichkeit daherkommt. All diese Dinge stehen der Barmherzigkeit entgegen. Die Bewegungen der Eigenliebe, die die Barmherzigkeit in der Welt zu einer Fremden machen, sind so viele und so zahlreich, dass wir oft nicht einmal mehr in der Lage sind, sie als Grenzen und als Sünde zu erkennen. Daher müssen wir erkennen, dass wir Sünder sind, um in uns die Gewissheit der göttlichen Barmherzigkeit zu stärken. »Herr, ich bin ein Sünder; Herr, ich bin eine Sünderin: Komm mit deiner Barmherzigkeit.« Das ist ein wunderschönes Gebet. Es ist ein Gebet, das man jeden Tag einfach sprechen kann: »Herr, ich bin ein Sünder; Herr, ich bin eine Sünderin: Komm mit deiner Barmherzigkeit.«

Liebe Brüder und Schwestern, ich hoffe, dass in diesem Heiligen Jahr jeder von uns die Barmherzigkeit Gottes erfahren möge, um Zeugen dessen zu sein, »was ihm am meisten gefällt«. Es ist naiv zu meinen, dass das die Welt verändern kann? Ja, menschlich gesprochen ist es verrückt, aber »das Törichte an Gott ist weiser als die Menschen und das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen« (1 Kor 1,25).
 

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Einen herzlichen Gruß richte ich an alle Pilger deutscher Sprache, insbesondere an die Mitglieder und Freunde der Schönstatt-Bewegung. In diesem außerordentlichen Heiligen Jahr schauen wir auch auf Maria, die Mutter der Barmherzigkeit. Die selige Jungfrau hat uns Jesus, die Quelle der Barmherzigkeit, geschenkt. Maria führe uns zur Begegnung mit dem barmherzigen Jesus. Gott segne euch alle.

 



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