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PAPST FRANZISKUS

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 9. November 2016

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Katechese. 35. Die Kranken und Gefangenen besuchen

Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!

Das Leben Jesu, vor allem in den drei Jahren seines öffentlichen Wirkens, war eine unablässige Begegnung mit den Menschen. Unter diesen nahmen die Kranken einen besonderen Platz ein. Wie viele Abschnitte der Evangelien berichten von diesen Begegnungen! Der Gelähmte, der Blinde, der Aussätzige, der Besessene, der Mondsüchtige und zahllose Kranke jeder Art… Jesus war ihnen allen nahe und hat sie geheilt mit seiner Gegenwart und mit der Macht seiner heilenden Kraft. Unter den Werken der Barmherzigkeit darf daher nicht das Werk fehlen, die kranken Menschen zu besuchen und ihnen beizustehen. Zusammen mit diesem Werk können wir auch jenes einfügen, den Menschen nahe zu sein, die sich im Gefängnis befinden. Denn sowohl die Kranken als auch die Gefangenen leben in einem Zustand, der ihre Freiheit einschränkt. Und gerade wenn sie uns fehlt, merken wir, wie kostbar sie ist! Jesus hat uns die Möglichkeit gegeben, trotz der Beschränkungen durch die Krankheit und der Einschränkungen frei zu sein. Er schenkt uns die Freiheit, die aus der Begegnung mit ihm kommt sowie aus dem neuen Sinn, den diese Begegnung unserer persönlichen Lage verleiht.

Mit diesen Werken der Barmherzigkeit lädt uns der Herr zu einer Geste großer Menschlichkeit ein: dem Teilen. Wir wollen dieses Wort in Erinnerung  behalten: das Teilen. Wer krank ist, fühlt sich oft allein. Wir können nicht verbergen,  dass man vor allem in unseren Tagen gerade in der Krankheit die tiefste Erfahrung der Einsamkeit macht, die einen großen Teil des Lebens  durchzieht. Ein Besuch kann dafür sorgen, dass der kranke Mensch sich weniger allein fühlt, und etwas Gesellschaft ist eine hervorragende Medizin! Ein Lächeln, eine Liebkosung, ein Händedruck sind einfache Gesten, die jedoch sehr wichtig sind für jemanden, der sich alleingelassen fühlt. Wie viele Menschen widmen sich dem Besuch  der Kranken in den Krankenhäusern oder zuhause! Das ist ein unbezahlbares ehrenamtliches Werk. Wenn es im Namen des Herrn geschieht, wird es auch zum beredten und wirksamen Ausdruck der Barmherzigkeit. Lassen wir die kranken Menschen nicht allein! Verwehren wir ihnen nicht, Erleichterung zu finden, und uns selbst nicht, bereichert zu werden durch die Nähe zu den Leidenden. Die Krankenhäuser sind wahre »Kathedralen des Schmerzes«, wo jedoch auch die Kraft der Nächstenliebe deutlich wird, die stützt und Mitgefühl erweist.

Im selben Maße denke ich an jene, die im Gefängnis sind. Jesus hat auch sie nicht vergessen. Indem er den Besuch der Gefangenen unter die Werke der Barmherzigkeit gestellt hat, wollte er uns vor allem auffordern, niemanden zu richten. Gewiss, wenn jemand im Gefängnis ist, dann darum, weil er einen Fehler gemacht hat, das Gesetz und das zivile Zusammenleben nicht geachtet hat. Daher verbüßt er seine Strafe im Gefängnis. Aber was auch immer ein Gefangener getan haben mag: Er bleibt stets von Gott geliebt. Wer kann in das Innere seines Gewissens eintreten, um zu verstehen, was er empfindet? Wer kann seinen Schmerz und seine Reue begreifen? Es ist zu einfach, sich die Hände in Unschuld zu waschen und zu sagen, dass er einen Fehler gemacht hat.

Ein Christ ist vielmehr aufgerufen, sich seiner anzunehmen, damit der, der einen Fehler gemacht hat, das Böse, das er getan hat, versteht und in sich geht. Der Entzug der Freiheit ist zweifellos eine der größten Entbehrungen für den Menschen. Wenn hinzu noch die Verwahrlosung kommt aufgrund der oft unmenschlichen Bedingungen, unter denen diese Menschen leben, dann sollte ein Christ sich wirklich aufgefordert fühlen, alles zu tun, um ihnen die Würde zurückzuerstatten. Die Menschen im Gefängnis zu besuchen ist ein Werk der Barmherzigkeit, das vor allem heute einen besonderen Wert annimmt aufgrund der verschiedenen Formen des Justizialismus, denen wir unterworfen sind. Niemand darf mit dem Finger auf andere zeigen. Vielmehr müssen wir alle uns zu Werkzeugen der Barmherzigkeit machen, müssen mit anderen teilen und sie achten. Ich denke oft an die Strafgefangenen… ich denke oft an sie, ich trage sie im Herzen. Ich frage mich, was sie dazu geführt hat, Verbrechen zu begehen, und wieso sie den verschiedenen Formen des Bösen nachgeben konnten. Dennoch spüre ich bei diesen Gedanken, dass alle Nähe und Zärtlichkeit brauchen, denn Gottes Barmherzigkeit vollbringt Wunder. Wie viele Tränen habe ich über die Wangen von Strafgefangenen laufen sehen, die vielleicht nie in ihrem Leben geweint hatten; und das nur, weil sie sich angenommenund geliebt fühlten.

Und vergessen wir nicht, dass auch Jesus und die Apostel die Erfahrung des Gefängnisses gemacht haben. In den Passionsberichten erfahren wir vom Leiden, dem der Herr unterworfen war: gefangengenommen, wie ein Verbrecher abgeführt, verspottet, gegeißelt, mit Dornen gekrönt… Er, der einzige Unschuldige! Und auch der heilige Petrus und der heilige Paulus waren im Gefängnis (vgl. Apg 12,5; Phil 1,12-17).

Letzten Sonntag – es war der Sonntag des Jubiläums der Strafgefangenen – hat mich eine Gruppe Strafgefangener aus Padua besucht. Ich habe sie gefragt, was sie am nächsten Tag tun würden, vor ihrer Rückkehr nach Padua. Sie haben zu mir gesagt: »Wir werden in den Mamertinischen Kerker gehen, um an der Erfahrung des heiligen Paulus teilzuhaben.« Das ist schön, das zu hören hat mir gut getan. Diese Strafgefangenen wollten Paulus als Gefangenem begegnen. Das ist etwas Schönes, es hat mir gut getan. Und auch dort, im Gefängnis, haben sie gebetet und evangelisiert. Bewegend ist der Abschnitt aus der Apostelgeschichte, in dem über die Gefangenschaft des Paulus berichtet wird: Er fühlte sich allein und wünschte, dass einer seiner Freunde ihm einen Besuch abstatten würde (vgl. 2 Tim 4,9-15). Er fühlte sich allein, weil die große Mehrheit ihn alleingelassen hatte… der große Paulus.

Diese Werke der Barmherzigkeit sind, wie man sieht, uralt und dennoch stets zeitgemäß. Jesus hat alles stehen und liegen gelassen, um die Schwiegermutter des Petrus zu besuchen; ein uraltes Werk der Nächstenliebe. Jesus hat es getan. Wir dürfen nicht in Gleichgültigkeit verharren, sondern müssen zu Werkzeugen der Barmherzigkeit Gottes werden. Wir alle können Werkzeuge der Barmherzigkeit Gottes sein, und das wird uns besser tun als den anderen, denn die Barmherzigkeit geht durch eine Geste, ein Wort, einen Besuch, und durch diese Barmherzigkeit wird jenen Freude und Würde zurückerstattet, die sie verloren haben.

* * *

Von Herzen grüße ich die Brüder und Schwestern deutscher Sprache aus Österreich, Deutschland, aus der Schweiz und Italien sowie die Pilger aus den Niederlanden. Besonders heiße ich die Gläubigen des Bistums Osnabrück willkommen. Dieses Heilige Jahr helfe uns, unsere Gleichgültigkeit zu überwinden und Leben und Hoffnung mit denen, die leiden oder nicht frei sind, zu teilen. Der Herr erfülle euch mit seinem Frieden und seinem Segen.

 



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