Index   Back Top Print

[ AR  - DE  - EN  - ES  - FR  - HR  - IT  - PL  - PT ]

PAPST FRANZISKUS

GENERALAUDIENZ

Audienzhalle
Mittwoch, 20. Februar 2019

[Multimedia]


 

Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!

Die heutige Audienz findet an zwei Orten statt. Zuerst hatte ich eine Begegnung mit Gläubigen aus Benevent im Petersdom und jetzt mit euch. Und das ist der Einfühlsamkeit der Präfektur des Päpstlichen Hauses zu verdanken, die nicht wollte, dass ihr in der Kälte steht: Dafür wollen wir ihnen danken. Danke.

Wir setzen die Katechesen über das »Vaterunser« fort. Der erste Schritt eines jeden christlichen Gebets ist der Eintritt in ein Mysterium: das Mysterium der Vaterschaft Gottes. Man darf nicht beten wie ein Papagei. Entweder du trittst ein in das Geheimnis, in das Bewusstsein, dass Gott dein Vater ist, oder du betest nicht. Wenn ich zu Gott, meinem Vater, beten will, dann beginne ich mit  dem Mysterium. Um zu verstehen, in welchem Maße Gott unser Vater ist, denken wir an die Gestalt unserer Eltern, aber wir müssen sie immer gewissermaßen »verfeinern«, reinigen. Das sagt auch der Katechismus der Katholischen Kirche, wo es heißt: »Die Reinigung des Herzens betrifft die Bilder von Vater und Mutter, die aus unserer persönlichen und der kulturellen Entwicklung hervorgegangen sind und unsere Beziehung zu Gott beeinflussen« (Nr. 2779).

Keiner von uns hatte perfekte Eltern, keiner; ebenso wie wir unsererseits nie perfekte Eltern oder Hirten sein werden. Wir alle haben Fehler, alle. Wir leben unsere Liebesbeziehungen immer im Zeichen unserer Grenzen und auch unseres Egoismus; daher sind sie oft belastet von dem Wunsch, den anderen zu besitzen oder zu manipulieren.

Deshalb werden aus Liebeserklärungen manchmal Gefühle des Zorns oder der Feindseligkeit. Schau an, die beiden haben sich letzte Woche so sehr geliebt, und jetzt hassen sie einander bis auf den Tod: Das sehen wir jeden Tag! Das kommt daher, dass wir alle bittere Wurzeln in uns tragen, die nicht gut sind und manchmal zum Vorschein kommen und Böses tun. Darum müssen wir, wenn wir von Gott als »Vater« sprechen und dabei das Bild unserer Eltern vor Augen haben – besonders dann, wenn diese uns liebhatten – gleichzeitig darüber hinausgehen.

Denn die Liebe Gottes ist die Liebe des Vaters »im Himmel«, wie der Begriff lautet, den Jesus uns zu gebrauchen einlädt: Sie ist die vollkommene Liebe, die wir in diesem Leben nur unvollkommen kosten. Männer und Frauen sind auf ewig Bettler um Liebe – wir sind Bettler um Liebe, wir brauchen Liebe –, suchen nach einem Ort, an dem sie endlich geliebt werden, aber finden ihn nicht. Wie viel enttäuschte Freundschaft und Liebe gibt es in unserer Welt: so viel!

Der griechische Gott der Liebe, in der Mythologie, ist eine absolut tragische Gestalt: Man versteht nicht, ob er ein engelgleiches Wesen oder ein Dämon ist. In der Mythologie heißt es, er sei der Sohn von »Poros« und »Penía«, also von Findigkeit und Armut, dazu bestimmt, in sich selbst etwas von der Physiognomie dieser Eltern zu tragen. Von hier ausgehend können wir an das ambivalente Wesen der menschlichen Liebe denken: Sie ist fähig zu erblühen und eine Stunde des Tages mit großer Macht zu leben und gleich darauf zu verwelken und zu sterben; was sie ergreift, entrinnt ihr immer (vgl. Platon, Symposion, 203). Es gibt ein Wort des Propheten Hosea, das die unserer Liebe innewohnende Schwäche erbarmungslos zum Ausdruck bringt: »Eure Liebe ist wie eine Wolke am Morgen und wie der Tau, der bald vergeht« (6,4). Das ist oft unsere Liebe: ein Versprechen, das einzuhalten man sich bemüht, ein Versuch, der schnell verdorrt und verdampft, etwa wie am Morgen, wenn die Sonne aufgeht und den Tau der Nacht hinwegnimmt. Wie oft haben wir Menschen so schwach und wechselhaft geliebt. Wir alle haben diese Erfahrung gemacht: Wir haben geliebt, aber dann ist diese Liebe zu Fall gekommen und schwach geworden.

In dem Wunsch zu lieben sind wir dann an unsere Grenzen gestoßen, haben die Armut unserer Kräfte erfahren: unfähig, ein Versprechen zu halten, das in den Tagen der Gnade ganz leicht zu erfüllen schien. Im Grunde hatte auch der Apostel Petrus Angst und musste fliehen. Der Apostel Petrus war der Liebe Jesu nicht treu. Immer ist diese Schwäche da, die uns zu Fall bringt. Wir sind Bettler, die auf dem Weg Gefahr laufen, nie vollständig jenen Schatz zu finden, den sie vom ersten Tag ihres Lebens an suchen: die Liebe.

Es gibt jedoch eine andere Liebe, die Liebe des Vaters »im Himmel«. Niemand darf daran zweifeln, Empfänger dieser Liebe zu sein. Er liebt uns. »Er liebt mich«, können wir sagen. Auch wenn unser Vater und unsere Mutter uns vielleicht nicht geliebt haben – eine zeitliche Hypothese –, so gibt es doch einen Gott im Himmel, der uns so liebt, wie niemand auf dieser Erde es jemals getan hat und jemals tun kann. Die Liebe Gottes ist beständig.

Der Prophet Jesaja sagt: »Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, ohne Erbarmen sein gegenüber ihrem leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergisst: Ich vergesse dich nicht. Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände« (49,15-16). Heute sind Tätowierungen in Mode: »Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände«. Ich habe dich auf meine Hände tätowiert. Ich bin in den Händen Gottes, so, und ich kann es nicht entfernen. Die Liebe Gottes ist wie die Liebe einer Mutter, die man nie vergessen kann. Und wenn eine Mutter dich vergisst? »Ich vergesse dich nicht«, sagt der Herr. Das ist die vollkommene Liebe Gottes, so werden wir von ihm geliebt. Auch wenn all unsere irdische Liebe zerbröckeln und nichts als Staub in unseren Händen zurückbleiben würde, so gibt es immer für uns alle die brennende, einzigartige und treue Liebe Gottes.

In dem Hunger nach Liebe, den wir alle verspüren, suchen wir nicht nach etwas, das nicht existiert: Er ist vielmehr die Einladung, Gott kennenzulernen, der unser Vater ist. Die Bekehrung des heiligen Augustinus zum Beispiel hat diese Gratwanderung gemacht: Der junge und brillante Rhetor suchte unter den Geschöpfen einfach etwas, das kein Geschöpf ihm geben konnte, bis er eines Tages den Mut hatte, den Blick zu erheben. Und an jenem Tag lernte er Gott kennen. Den liebenden Gott. Der Begriff »im Himmel« soll keine Ferne zum Ausdruck bringen, sondern eine radikal andere Liebe, eine andere Dimension der Liebe, eine unermüdliche Liebe, eine Liebe, die immer bleiben wird, ja die sogar immer greifbar ist. Es genügt zu sagen: »Vater unser im Himmel«, und jene Liebe kommt.

Fürchte dich also nicht! Keiner von uns ist allein. Auch wenn dein irdischer Vater dich unglücklicherweise vergessen hat und du Groll gegen ihn hegst, ist dir die grundlegende Erfahrung des christlichen Glaubens nicht verwehrt: zu wissen, dass du ein von Gott geliebtes Kind bist, und das nichts im Leben seine leidenschaftliche Liebe zu dir auszulöschen vermag.

* * *

Ein herzliches Willkommen allen Pilgern und Besuchern deutscher Sprache. Kinder des Vaters im Himmel zu sein bedeutet, den Nächsten zu lieben und denen nahe zu sein, die allein und in Not sind. Um dieses Zeugnis der göttlichen Barmherzigkeit geben zu können, schenke der Herr euch und eure Familien seinen Beistand und seine Gnade!

 


Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana