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PAPST FRANZISKUS

GENERALAUDIENZ

Bibliothek im Apostolischen Palast
Mittwoch, 9. Dezember 2020

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Katechese über das Gebet - 18. Das Bittgebet

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Wir setzen unsere Betrachtungen über das Gebet fort. Das christliche Gebet ist vollkommen menschlich – wir beten als Menschen, als das, was wir sind –, es umfasst den Lobpreis und die Bitte. Denn als Jesus seine Jünger beten gelehrt hat, hat er es mit dem »Vaterunser« getan, damit wir uns zu Gott in ein kindliches Vertrauensverhältnis stellen und alle unsere Bitten an ihn richten. Wir bitten Gott um die höchsten Gaben: die Heiligung seines Namens unter den Menschen, das Kommen seiner Herrschaft, die Verwirklichung seines Wohlwollens gegenüber der Welt. Der Katechismus ruft in Erinnerung: »Dabei gibt es eine Rangordnung der Bitten: Zuerst erbitten wir das Reich und dann alles, was uns notwendig ist, um es aufzunehmen und an seinem Kommen mitzuarbeiten« (Nr. 2632). Aber im Vaterunser bitten wir auch um die einfacheren Gaben, um die alltäglicheren Gaben, wie das »tägliche Brot«, zu dem auch Gesundheit, ein Zuhause, Arbeit, die alltäglichen Dinge zählen und auch die Eucharistie, die notwendig ist für das Leben in Christus. Ebenso beten wir um die Vergebung der Sünden – was etwas Alltägliches ist, wir brauchen immer Vergebung –, also um Frieden in unseren Beziehungen, und schließlich darum, dass er uns in den Versuchungen beistehe und uns vom Bösen erlöse.

Bitten, flehen. Das ist sehr menschlich. Hören wir jetzt noch einmal den Katechismus: »Im Bittgebet spricht sich das Bewusstsein unserer Beziehung zu Gott aus. Wir sind Geschöpfe und darum weder unser eigener Ursprung, noch Herr über unsere Lage und sind auch nicht unser letztes Ziel. Als Sünder wissen wir Christen aber auch, dass wir uns immer wieder von unserem Vater abwenden. Die Bitte ist schon eine Rückkehr zu Gott« (Nr. 2629). Wenn jemand sich schlecht fühlt, weil er schlimme Dinge getan hat – er ist ein Sünder –, dann nähert er sich, wenn er das Vaterunser betet, schon wieder dem Herrn. Manchmal können wir glauben, wir bräuchten nichts mehr, würden uns selbst genügen und in völliger Unabhängigkeit leben. Manchmal passiert das! Aber früher oder später verschwindet diese Illusion. Der Mensch ist eine Bitte, die manchmal zu einem – oft verhaltenen – Schrei wird. Die Seele ähnelt einem dürren Land, das nach Wasser lechzt, wie es im Psalm heißt (vgl. Ps 63,2). Wir alle erfahren in dem einen oder anderen Augenblick unseres Daseins Zeiten der Melancholie oder der Einsamkeit. Die Bibel scheut sich nicht, das menschliche Leben als von Krankheit, Unrecht, Verrat durch Freunde oder Bedrohung durch Feinde gezeichnet darzustellen. Manchmal scheint alles zusammenzubrechen, scheint das bisher gelebte Leben umsonst zu sein. Und in diesen scheinbar aussichtslosen Situationen gibt es einen einzigen Ausweg: den Schrei, das Gebet »Herr, hilf mir!«

Das Gebet öffnet Lichtschimmer in der tiefsten Dunkelheit. »Herr, hilf mir!« Das öffnet den Weg, es ebnet den Weg. Wir Menschen teilen diese Bitte um Hilfe mit der ganzen Schöpfung. Wir sind nicht die einzigen, die »beten« in diesem unendlichen Universum: Jedes Teilchen der Schöpfung trägt die Sehnsucht nach Gott in sich eingeschrieben. Und der heilige Paulus hat es zum Ausdruck gebracht, indem er sagt: »Wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt. Aber nicht nur das, sondern auch wir, obwohl wir als Erstlingsgabe den Geist haben, auch wir seufzen in unserem Herzen« (Röm 8,22-23). In uns hallt das vielfältige Seufzen der Geschöpfe wider: der Bäume, der Felsen, der Tiere…

Alles sehnt sich nach Erfüllung. Tertullian hat geschrieben: »Es betet jegliche Kreatur, es betet das Vieh und die wilden Tiere. Auch sie beugen ihre Knie, und wenn sie aus ihren Ställen oder Höhlen herauskommen, so blicken sie nicht untätigen Mundes gen Himmel empor, sondern lassen den Hauch sprühend ausgehen in ihrer Weise. Die Vögel nehmen, wenn sie sich vom Neste erheben, die Richtung gen Himmel, breiten anstatt der Hände die Flügel in Kreuzform aus und lassen Laute hören, die als Gebet gelten können« (De oratione, 29). Das ist ein poetischer Ausdruck als Kommentar zu dem, was der heilige Paulus sagt, dass »die gesamte Schöpfung seufzt, betet«. Wir sind jedoch die einzigen, die bewusst beten, die wissen, dass wir uns an den Vater wenden, in Dialog mit dem Vater treten. Wir dürfen also keinen Anstoß nehmen, wenn wir das Bedürfnis verspüren zu beten, dürfen uns nicht schämen. Und vor allem müssen wir bitten, wenn wir in Not sind. Als Jesus über einen unehrlichen Mann spricht, der mit seinem Herrn die Rechnung begleichen muss, sagt dieser: »Zu bitten schäme ich mich.« Und viele von uns haben dieses Gefühl: Wir schämen uns zu bitten; um Hilfe zu bitten; darum zu bitten, dass jemand uns hilft, etwas zu tun, zu einem Ziel zu gelangen; und wir schämen uns auch, Gott zu bitten.

Man braucht sich nicht schämen zu bitten und zu sagen: »Herr, ich brauche dies! Herr, ich bin in dieser Schwierigkeit! Hilf mir!« Es ist der Schrei des Herzens zu Gott, der Vater ist. Und wir müssen lernen, es auch in glücklichen Zeiten zu tun; Gott für alles zu danken, was uns gegeben ist, und nichts als selbstverständlich oder geschuldet zu betrachten: Alles ist Gnade. Der Herr gibt uns immer, und alles ist Gnade, alles. Die Gnade Gottes. Ersticken wir jedoch nicht die Bitte, die von selbst in uns aufkommt. Das Bittgebet geht einher mit der Annahme unserer Begrenztheit und unserer Kreatürlichkeit. Man mag vielleicht nicht dahin gelangen, an Gott zu glauben, aber es ist schwierig, nicht an das Gebet zu glauben: Es ist ganz einfach da; es kommt in uns auf wie ein Schrei; und wir alle haben zu tun mit dieser inneren Stimme, die vielleicht für lange Zeit schweigen mag, die aber eines Tages erwacht und schreit.

Brüder und Schwestern, wir wissen, dass Gott antworten wird. Es gibt keinen Beter im Buch der Psalmen, der seine Klage erhebt und nicht erhört wird. Gott antwortet immer: Heute, morgen, aber er antwortet immer, auf die eine oder die andere Weise. Immer antwortet er. Die Bibel sagt das immer wieder: Gott hört den Schrei dessen, der zu ihm fleht. Auch unsere gestammelten Bitten; jene, die tief in unserem Herzen geblieben sind; die zum Ausdruck zu bringen wir uns manchmal schämen: Der Vater hört sie und will uns den Heiligen Geist schenken, der jedes Gebet beseelt und alles verwandelt. Es ist eine Frage der Geduld, immer, das Warten auszuhalten. Jetzt sind wir in der Adventszeit, einer Zeit, der das Warten auf Weihnachten zu eigen ist. Wir sind in Erwartung. Das sieht man gut. Aber auch unser ganzes Leben ist in Erwartung. Und das Gebet ist immer in Erwartung, denn wir wissen, dass der Herr antworten wird. Sogar der Tod zittert, wenn ein Christ betet, denn er weiß, dass jeder Beter einen Verbündeten hat, der stärker ist als er: den auferstandenen Herrn. Der Tod ist schon besiegt in Christus, und der Tag wird kommen, an dem alles endgültig sein wird und er unser Leben und unsere Glückseligkeit nicht mehr verhöhnen wird.

Lernen wir, in Erwartung des Herrn zu sein. Der Herr kommt zu uns, nicht nur an diesen großen Festen – Weihnachten, Ostern –, sondern der Herr kommt jeden Tag zu uns im Innern unseres Herzens, wenn wir darauf warten. Und oft merken wir nicht, dass der Herr nahe ist, dass er an unsere Tür klopft und wir ihn eintreten lassen. »Ich fürchte Gott, wenn er vorübergeht; ich fürchte, dass er vorübergeht und ich es nicht bemerke«, sagte der heilige Augustinus. Und der Herr geht vorüber, der Herr kommt, der Herr klopft an. Aber wenn deine Ohren voll sind mit anderem Lärm, dann wirst du den Ruf des Herrn nicht hören. Brüder und Schwestern, in Erwartung sein: Das ist das Gebet!

* * *

Von Herzen grüße ich die Gläubigen deutscher Sprache. Vergessen wir nicht unser Gebet für alle, die Trost und Kraft brauchen. In dieser Adventszeit wollen wir uns noch mehr dafür einsetzen, denen nahe zu sein, die leiden und Hilfe brauchen. Der Herr, der kommen wird, erfülle uns mit seiner Freude und schenke uns seine Kraft.

 



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