PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTAE"
Der Triumphalismus der Christen
Mittwoch, 29. Mai 2013
aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 23, 7. Juni 2013
Der Triumphalismus der Christen ist jener, der eine Folge des menschlichen Scheiterns, des Scheiterns des Kreuzes ist. Sich von anderen Triumphalismen, von weltlichen Triumphalismen, versuchen zu lassen, heißt der Versuchung nachgeben, ein »Christentum ohne Kreuz«, ein »halbes Christentum« zu entwerfen. Im Mittelpunkt der Reflexionen, die Papst Franziskus bei der Frühmesse anstellte, die er am Mittwoch, 29. Mai, in der Kapelle der Domus Sanctae Marthae feierte, stand die Demut.
Im Evangelium zum heutigen Tag (Mk 10, 3245) ist der Weg nach Jerusalem beschrieben, den Jesus mit seinen Jüngern geht. »Sie waren auf der Straße, die nach Jerusalem hoch führte«, erläuterte der Papst, »und Jesus ging vorne. Mit entschiedenem Schritt. Wir können auch denken, dass er es eilig hatte.« Der Heilige Vater, der beim Thema der Gefühle verweilte, die sich in jenem Augenblick im Herzen der »bestürzten« und »verängstigten« Jünger rührten, wollte das Verhalten des Herrn hervorheben, der ihnen die Wahrheit enthüllt: »Wir gehen jetzt nach Jerusalem hinauf; dort wird der Menschensohn den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten ausgeliefert; sie werden ihn zum Tod verurteilen« und töten.
»Aber nach drei Tagen wird er auferstehen«. Jesus »sagt die Wahrheit« und zeigt ihnen den Weg, der »am dritten Tag« endet. Trotz der Worte Christi denken die Jünger, dass es besser sei, anzuhalten. Und der Papst wies darauf hin, dass sie sogleich anfangen, untereinander darüber zu streiten, »wie man die Kirche einrichten könne«. Ja, Jakobus und Johannes »gingen hin zu Jesus, um ihn um das Amt des Regierungschefs zu bitten«. Aber auch die anderen »diskutierten und fragten sich, wer von ihnen wohl der Wichtigste« in dieser Kirche sein werde, die sie einrichten wollten. Christus, so bemerkte der Papst, hatte die Erfüllung seiner Sendung vor sich, während seine Jünger anhielten, um »über ein anderes Vorhaben, einen anderen Gesichtspunkt der Kirche« zu streiten.
Auf diese Weise sind sie derselben Versuchung ausgesetzt, die Jesus in der Wüste erfahren hatte, »als der Teufel zu ihm gekommen war, um ihm einen anderen Weg vorzuschlagen« und ihn dazu herausgefordert hatte, »ein Wunder« zu vollbringen, so erinnerte der Papst, »etwas, um das alle baten«. Wie sich vom Tempel stürzen und es unversehrt überleben, so dass jedermann das Wunder sehen und erlöst werden könne.
Jesus, so fügte er hinzu, wurde auch durch Petrus dieser Versuchung ausgesetzt. Als er vom Kreuz sprach: daran erinnerte der Bischof von Rom. Der Apostel flehte ihn an, darauf zu verzichten, nachdem er ihm wiederholt hatte: »Du bist der Sohn Gottes.« »Und Jesus sagte zu ihm: Satan! Und widerstand der Versuchung.« Heute, betonte der Papst, besteht die Gefahr darin, der »Versuchung eines Christentums ohne Kreuz« zu erliegen. »Eines Christentums, das auf halbem Wege stehenbleibt. Das ist eine Versuchung.« Aber es gibt auch noch eine weitere Versuchung, ergänzte der Papst, »diejenige eines Christentums mit dem Kreuz, aber ohne Jesus«, über die er, wie er sagte, vielleicht ein andermal sprechen wird. Und indem er das Predigtthema noch weiter ausführte, erklärte der Papst, dass es sich dabei um die »Versuchung des Triumphalismus« handle. »Wir wollen den Triumph jetzt«, sagte er, »ohne ans Kreuz geschlagen zu werden. Einen weltlichen Triumph, einen vernünftigen Triumph«.
Er zitierte, um ein Beispiel anzuführen, die biblische Geschichte, in der berichtet wird, wie der Teufel, nach der Provokation, sich vom Tempel zu stürzen, Jesus einen Pakt vorschlägt: »Bete mich an, so will ich dir alles geben.« Und der Papst machte darauf aufmerksam, dass »er das deshalb tat, damit er nicht das tun könne, was der Vater von Jesus wollte«.
»Der Triumphalismus in der Kirche bringt die Kirche zum Stillstand«, fuhr der Papst fort. »Der Triumphalismus von uns Christen blockiert die Christen. Eine triumphalistische Kirche ist eine Kirche, die auf halbem Wege stehenbleibt.« Eine Kirche, die sich damit begnügt, »gut eingerichtet zu sein, mit allen erforderlichen Büros, alles in schöner Ordnung, alles schön, effizient«, die aber die Märtyrer verleugnet, wäre »eine Kirche, die ausschließlich an die Triumphe, an die Erfolge denkt; eine Kirche, die sich nicht jene Regel Jesu zu eigen gemacht hat: die Regel des Triumphs, der auf dem Weg über das Scheitern erfolgt. Das menschliche Scheitern, das Scheitern des Kreuzes. Und das ist eine Versuchung, der wir alle ausgesetzt sind.«
Und in diesem Kontext erinnerte sich der Papst an eine Begebenheit aus seinem Leben: »Ich habe einmal einen dunklen Augenblick meines spirituellen Lebens durchlebt, und habe den Herrn um eine Gnade gebeten. Ich ging dann zu Schwestern, um ihnen Exerzitien zu predigen, und am letzten Tag haben sie gebeichtet. Da kam eine alte, über 80-jährige Schwester, die ganz klare, ja richtig leuchtende Augen hatte, um zu beichten. Sie war eine Frau Gottes. Dann am Ende habe ich in ihr so sehr eine Frau Gottes gesehen, dass ich zu ihr gesagt habe: Schwester, als Buße beten Sie für mich, weil ich einer Gnade bedarf, ja? Wenn Sie den Herrn darum bitten, wird er sie mir sicher gewähren. Sie hat einen Augenblick lang innegehalten, als ob sie bete, und hat dann zu mir gesagt: Gewiss wird Ihnen der Herr die Gnade gewähren, aber täuschen Sie sich nicht: er wird es auf seine göttliche Weise tun. Das hat mir sehr gut getan: zu hören, dass der Herr uns immer das gewährt, worum wir ihn bitten, aber dass er es auf seine göttliche Weise tut.« Diese seine Weise, erläuterte der Papst, »schließt das Kreuz mit ein. Nicht aus Masochismus, nein, nein: aus Liebe, aus Liebe bis zur Vollendung.«
Am Ende der Predigt forderte der Heilige Vater alle Anwesenden dazu auf, den Herrn um »die Gnade zu bitten, keine Kirche zu sein, die auf halbem Wege stehenbleibt, keine triumphalistische Kirche, keine Kirche der großen Erfolge«. »Wenn die Kirche demütig ist«, sagte er, »dann geht sie entschieden weiter wie Jesus, sie geht vorwärts, vorwärts, vorwärts!«
Gemeinsam mit dem Heiligen Vater konzelebrierten Valério Breda, Bischof von Penedo in Brasilien, sowie José Manuel Garcia Cordero, Bischof von Bragança-Miranda in Portugal. An der Messe nahmen unter anderen einige Arbeiter des Governatorats teil sowie Don Dario Edoardo Viganò, Direktor des Vatikanischen Fernsehzentrums, und Msgr. Francesco Ceriotti, der jahrzehntelang im Bereich der Kommunikation für die Italienische Bischofskonferenz tätig war und an diesem Tag sein 70-jähriges Priesterjubiläum feierte.
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