PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Die Vergebung in einer Liebkosung
Montag, 7. April 2014
aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 16/17, 18. April 2014
»Gott vergibt nicht per Dekret, sondern mit einer Liebkosung.« Und mit der Barmherzigkeit »geht Jesus noch über das Gesetz hinaus und vergibt, indem er die Wunden unserer Sünden streichelt«. Dieser großen Zärtlichkeit Gottes hat Papst Franziskus die Predigt der Messe gewidmet, die er am Montag, 7. April, im Haus Santa Marta feierte.
»Die heutigen Schriftlesungen«, so erläuterte der Papst, »sprechen vom Ehebruch«, zusammen mit Gotteslästerung und Götzendienst, »im Mosaischen Gesetz als eine höchst schwerwiegende Sünde« betrachtet und »mit der Todesstrafe« durch Steinigung bestraft. In der Tat »verstößt« der Ehebruch »gegen Gottes Ebenbild, gegen Gottes Treue«, denn »die Ehe ist das Symbol – und auch eine menschliche Wirklichkeit – des treuen Bundes Gottes mit seinem Volk«. So »befleckt man, wenn man die Ehe durch einen Ehebruch zerstört, diese Beziehung zwischen Gott und seinem Volk«. Zu jener Zeit sei das »eine schwerwiegende Sünde« gewesen, da man »gerade das Symbol für die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk, das Symbol der Treue Gottes, befleckt habe«.
Im Tagesevangelium (Joh 8,1-11) wird die Geschichte der Ehebrecherin erzählt. »Wir begegnen Jesus: er saß da, unter sehr vielen Menschen, als Katechet, er lehrte«. Dann »näherten sich ihm die Schriftgelehrten und die Pharisäer mit einer Frau, die sie herbeizerrten, vielleicht mit gefesselten Händen, wir können es uns vorstellen«. Und so »stellten sie sie in die Mitte und beschuldigten sie: Das ist eine Ehebrecherin!« Sie »klagten sie öffentlich an«. Und, so berichtet das Evangelium, sie stellten Jesus eine Frage: »Was müssen wir tun mit dieser Frau? Du sprichst über die Güte, aber Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, dass wir sie töten sollen!« Sie »sagten das«, merkte der Papst an, »um ihn auf die Probe zu stellen, um einen Vorwand zu haben, um ihn anzuklagen.« In der Tat, »wenn Jesus gesagt hätte: ja, fangt mit der Steinigung an«, dann hätten sie die Möglichkeit gehabt, zu den Leuten zu sagen: »Ach, ist das euer ach so guter Meister? Schaut, was er dieser armen Frau angetan hat!« Wenn Jesus hingegen »gesagt hätte: nein, die arme Frau, vergebt ihr!«, dann hätten sie ihn beschuldigen können, »das Gesetz nicht zu erfüllen«. Ihr einziges Ziel sei gewesen, Jesus »auf die Probe zu stellen und ihm eine Falle zu stellen«. »Die Frau war ihnen völlig gleichgültig; die Ehebrecher waren ihnen gleichgültig.« Ja, »vielleicht waren einige von ihnen sogar selbst Ehebrecher«. Jesus seinerseits wollte, obwohl viele Menschen ihn umringten, »mit der Frau allein zurückbleiben, er wollte das Herz dieser Frau ansprechen: das ist für Jesus das Wichtigste«. Und »das Volk war allmählich weggegangen«, nachdem es seine Worte gehört hatte: »Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie.«
»Das Evangelium«, so kommentierte der Bischof von Rom, »berichtet mit einer gewissen Ironie, dass alle weggegangen seien, einer nach dem anderen, angefangen bei den Ältesten: Man sieht, dass sie in der Himmelsbank ein schönes Sündenkonto eröffnet hatten!« Nun sei »der Augenblick des Beichtvaters Jesus gekommen«. Er bleibe »allein mit der Frau«, die »da in der Mitte« stehengeblieben sei. In der Zwischenzeit »hatte sich Jesus gebückt und mit dem Finger auf die Erde geschrieben. Einige Exegeten sagen, dass Jesus die Sünden dieser Schriftgelehrten und Pharisäer niedergeschrieben habe. Vielleicht ist das auch nur Einbildung«. Dann »richtete er sich auf und schaute« die Frau an, die »sich sehr schämte, und sagte zu ihr: ›Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt?‹ Wir sind allein hier, du und ich. Du im Angesicht Gottes. Ohne Beschuldigungen, ohne Gerede: Du und Gott«.
Die Frau erkläre nicht etwa, ein Opfer »falscher Anschuldigungen« geworden zu sein, sie verteidige sich nicht, indem sie behaupte: »Ich habe keinen Ehebruch begangen.« Nein, »sie gesteht ihre Sünde« und antwortet Jesus: »Keiner, Herr, hat mich verurteilt.« Jesus seinerseits sage zu ihr: »›Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr‹, um keine solche Schande zu erleben, um Gott nicht zu beleidigen, um nicht die schöne Beziehung zwischen Gott und seinem Volk zu beflecken.«
Also »vergibt Jesus. Aber wir haben es hier mit etwas mehr als der Vergebung zu tun. Denn Jesus geht als Beichtvater über das Gesetz hinaus. « In der Tat »sagte das Gesetz, dass sie bestraft werden musste«. Im Übrigen war Jesus »ohne Sünde und hätte den ersten Stein werfen können «. Aber er »geht darüber hinaus. Er sagt nicht zu ihr: Der Ehebruch ist keine Sünde. Aber er verurteilt sie nicht nach dem Gesetz.« Genau das »ist das Geheimnis der Barmherzigkeit Jesu«. So gehe »Jesus, um Barmherzigkeit zu üben«, über »das Gesetz hinaus, das die Steinigung vorschrieb«. Er gehe so weit, zu der Frau zu sagen, sie solle in Frieden gehen. »Die Barmherzigkeit«, so erläuterte der Papst, »ist etwas, das schwer zu verstehen ist: sie tilgt die Sünden nicht«, denn was die Sünden tilgt, »ist die Vergebung Gottes«.
Aber »die Barmherzigkeit ist die Art und Weise, auf die Gott vergibt«. Denn »Jesus hätte sagen können: Aber ich vergebe dir, geh! Wie er zu jenem Gelähmten gesagt hat: Deine Sünden sind dir vergeben!« In dieser Situation »geht Jesus noch darüber hinaus« und er empfehle der Frau, »nicht mehr zu sündigen«. Und »hier sieht man das barmherzige Verhalten Jesu: Er verteidigt die Sünder vor ihren Feinden, er verteidigt den Sünder vor einer gerechten Verurteilung«.
Das, so fügte der Papst hinzu, »gilt auch für uns«. Und er bekräftigte: »Wie viele von uns würden doch verdienen, eine Strafe zu erhalten! Und sie wäre auch gerecht. Aber er vergibt!« Wie? »Mit dieser Barmherzigkeit«, die »die Sünde nicht auslöscht: es ist die Vergebung Gottes, die sie auslöscht«, während die Barmherzigkeit noch darüber hinaus geht«. Sie sei »wie der Himmel: wir schauen den Himmel an, die vielen Sterne, aber wenn am Morgen die Sonne aufgeht, dann kann man vor lauter Licht die Sterne nicht mehr sehen«. Und »so ist die Barmherzigkeit Gottes: ein großes Licht der Liebe, der Zärtlichkeit«. Denn »Gott vergibt nicht per Dekret, sondern mit einer Liebkosung«. Er tue das, »indem er die Wunden unserer Sünden streichelt, denn er hat Teil an der Vergebung, er hat Teil an unserem Heil.«
Auf diese Weise, so schloss Papst Franziskus, »ist Jesus Beichtvater«. Er demütige die ehebrecherische Frau nicht, »er sagt nicht zu ihr: Was hast du getan, wann hast du es getan, wie hast du es getan und mit wem hast du es getan?« Er sage dagegen zu ihr, sie solle »gehen und nicht mehr sündigen: das ist die große Barmherzigkeit Gottes, die große Barmherzigkeit Jesu: uns zu vergeben, indem er uns liebkost«.
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