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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

 

Gottes Wiegenlied

 Donnerstag, 11. Dezember 2014

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 1/2, 9. Januar 2015

 

Gott ist für uns wie eine Mama, die uns zärtlich das Wiegenlied vorsingt und sich nicht davor fürchtet, womöglich vor lauter Liebe zu uns »lächerlich« zu wirken. Deshalb warnte Franziskus vor der »Versuchung, die Gnade in eine käufliche Ware zu verwandeln«, in der Gewissheit: »Wenn wir den Mut aufbrächten, unser Herz für diese Zärtlichkeit Gottes zu öffnen, wie viel geistliche Freiheit hätten wir dann doch!« Und um diese Erfahrung erleben zu können, empfahl der Papst im Laufe der Frühmesse, die er am 11. Dezember in der Kapelle des Hauses Santa Marta feierte, man solle die Bibel aufschlagen und den in der ersten Lesung vorgegebenen Abschnitt aus dem Propheten Jesaja (Kap. 41,13-20) lesen.

»Der Prophet Jesaja«, so der Papst, »spricht über das Heil, darüber, wie Gott sein Volk errettet, und er kehrt zu diesem Bild zurück, zu dieser Wirklichkeit, die gerade in der Nähe Gottes zu seinem Volk besteht.« Im Übrigen »errettet Gott, indem er uns nahe kommt; er rettet nicht aus der Distanz: er nähert sich und geht mit seinem Volk«. Und »das ist das Heil Gottes«. So »hat er im Deuteronomium dem Volk ganz klar gesagt: Sage mir, welche Nation hat einen Gott, der ihr so nah wäre, wie dir Gott nahe ist? Keine!«

»Gerade die Nähe Gottes zu seinem Volk ist es, die Heil wirkt.« Eine »Nähe, die vorangeht, weitergeht, bis sie unsere menschliche Natur annimmt «. »In diesem Abschnitt«, so erläuterte Franziskus, »»steht etwas, das uns vielleicht ein wenig lächeln lässt, aber es ist schön.« Tatsächlich sei »die Nähe so groß, dass Gott hier geradezu wie eine Mutter auftritt, wie eine Mama, die ein Zwiegespräch mit ihrem Kind führt: eine Mama, wenn sie dem Kind das Wiegenlied vorsingt und sich einer kindlichen Stimme bedient und klein wird wie das Kind und so sehr im kindlichen Tonfall spricht, dass es lächerlich erscheinen könnte, wenn man nicht verstünde, dass es da um etwas Großes geht.« In der Tat stehe in der Heiligen Schrift: »Fürchte dich nicht, du armer Wurm Jakob.«

»Wie oft«, so fuhr der Papst fort, »sagt eine Mutter diese Dinge zu ihrem Kind, während sie es liebkost!« Es sei dieselbe Sprache, die wir auch in der Schrift fänden: »Zu einem Dreschschlitten mache ich dich, zu einem neuen Schlitten mit vielen Schneiden … ich werde dich groß machen…!« Und indem sie das sage, »liebkost« die Mutter das Kind, »und bringt es in eine noch größere Nähe«. Aber auch »Gott tut das: das ist die Zärtlichkeit Gottes«, der »uns sehr nah ist, der sich durch diese Zärtlichkeit, die Zärtlichkeit einer Mutter, ausdrückt«. Und das gelte »auch dann, wenn das Kind seine Mutter nicht will und sich wegdreht und weint«. So »weinte Jesus auf dem Berg, als er Jerusalem sah, denn das Volk hatte sich entfernt«. Aber »Gott zeigt die Haltung einer Mutter: Nähe«.

Und »das ist die Gnade Gottes«, so bekräftigte Franziskus: »Wenn wir über die Gnade sprechen, dann sprechen wir von dieser Nähe.« Denn »wenn einer sagt: ich bin im Stand der Gnade, ich bin dem Herrn nahe oder ich lasse zu, dass der Herr sich mir nähert, dann ist das Gnade!« Dagegen »wollen wir sehr oft die Gnade kontrollieren, um sicher zu sein, so als würde das Kind zu seiner Mama sagen: ›Aber gib doch endlich Ruhe, sei jetzt still, lass mich leben, alles in Ordnung, ich weiß, dass du mich liebst.‹« Und »die Mutter sagt weiter diese Dinge, die einen lächeln lassen, aber das ist Liebe, die Liebe drückt sich so aus«.

Aber »wird das Kind der Mutter Einhalt gebieten? Nein! Es lässt zu, dass es geliebt wird, weil es ein Kind ist. Dasselbe geschieht, wenn Jesus sagt: Das Himmelreich ist wie das Kind, das sich von Gott lieben lässt.« Und »das ist die Gnade!« Franziskus warnte also vor der »Versuchung, die Gnade in eine käufliche Ware zu verwandeln«, einer Versuchung, der »wir im Lauf der Geschichte und auch in unserem eigenen Leben oftmals ausgesetzt waren«. Das bedeute »diese Gnade, die eine Nähe ist, eine Nähe von Gottes Herz ist«, in »eine Ware oder etwas, das kontrolliert werden kann«, zu verwandeln. Denn »wir wollen die Gnade kontrollieren«. Und »wenn von der Gnade die Rede ist, dann sind wir versucht, zu sagen: ›Mir ist viel Gnade zuteil geworden, ja, ich bin im Stande der Gnade!‹ Aber was soll das heißen: Dass du dem Herrn nahe bist? ›Nein, ich habe auch eine reine Seele, ich bin im Stand der Gnade!‹« Es ende aber damit, dass »diese so schöne Wahrheit der Nähe Gottes zu einer geistlichen Buchhalterei wird: ›Nein, ich tue das, weil das mir 300 Tage der Gnade einbringt… Ich tue jenes andere, weil es mir dies und das einbringt, und so häufe ich Gnade an…‹« Wenn man auf diese Art und Weise argumentiere, dann degradiere man die Gnade eben zu »einer Ware«.

»Im Lauf der Geschichte«, so erläuterte der Papst, »ist diese Nähe Gottes zu seinem Volk verraten worden durch diese unsere egoistische Verhaltensweise, die Gnade kontrollieren zu wollen, sie zu etwas Käuflichem machen zu wollen.« Als Beispiel führte Franziskus die »Parteien zu Lebzeiten Jesu« an. Angefangen bei den »Pharisäern: In ihren Augen bestand die Gnade gerade darin, das Gesetz zu erfüllen, dem Gesetz zu folgen, und wenn ein Zweifel bestand, dann machte man ein neues Gesetz, damit dieses Gesetz verständlicher würde.« Aber auf diese Weise »hatten sie schließlich 300 oder 400 Gebote«. »Eine Mutter tut das nicht, wenn sie ihr Kind liebkost: es ist absolut unentgeltlich.« Dagegen »haben die Pharisäer mit der Unentgeltlichkeit Gottes eine Straße der Heiligkeit gebaut, die sie zu Knechten machte.« Gerade das sei der Grund dafür, dass »Jesus sie tadelte: ›Ihr ladet den Menschen Lasten auf, die sie kaum tragen können, viele Gesetze!‹« Wodurch sie »die Gnade Gottes, diese Nähe, zu einer käuflichen Ware machten«. Dann seien da die »Sadduzäer« gewesen: Ihrer Meinung nach bestand die Gnade Gottes darin, »das Volk politisch mit den Besatzern zusammenleben zu lassen und politische Absprachen zu treffen«, wobei sie so argumentiert hätten: »Aber es geht uns gut, das Volk macht weiter, so machen wir weiter… Das ist die Gnade, wir sind im Stand der Gnade Gottes, weil wir so weitermachen können…« Aber »Jesus tadelt« auch sie.

Und weiter habe es dann auch noch »die Essener« gegeben, die »gut waren, sehr gut, aber sie hatten große Angst, sie wollten nichts riskieren, und so zogen sie sich ins Kloster zurück, um zu beten«. Und so »wurde diese Gnade, die uns voranbringt, diese Nähe Gottes zu einer mönchischen Klausur im Kloster, aber es ist nicht mehr die Gnade Gottes.«

Die »Zeloten« ihrerseits hätten »gedacht, dass die Gnade Gottes gerade der Befreiungskrieg wäre, der Guerillakrieg zur Befreiung Israels«. Und das sei »noch eine weitere Art und Weise« gewesen, »die Gnade zur käuflichen Ware zu machen «. Aber, so der Papst, »die Gnade Gottes ist etwas ganz anderes: sie ist Nähe, sie ist Zärtlichkeit.« Und er riet zu einer »Regel«, die »immer gültig ist: Wenn du in deinem Verhältnis zu Gott nicht spürst, dass Er dich zärtlich liebt«, dann bedeute das, dass »dir immer noch etwas fehlt, dass du noch nicht verstanden hast, was die Gnade ist; dass dir die Gnade noch nicht zuteil geworden ist, die diese Nähe ist.«

Franziskus wollte auch noch eine eigene Erfahrung mit seinen Zuhörern teilen, als er sich daran erinnerte, wie sich ihm vor vielen Jahren einmal eine Frau genähert habe und zu ihm gesagt habe: »Pater, ich möchte Ihnen eine Frage stellen, weil ich nicht weiß, ob ich beichten muss oder nicht. Am letzten Samstag waren wir bei der Hochzeit von Freunden, und da war die Messe, und mein Mann und ich haben uns gesagt: Aber ist das recht, diese Messe am Samstag Abend? Nützt sie? Gilt sie für den Sonntag? Wissen Sie, Pater, die Lesungen waren nicht dieselben wie am Sonntag, es waren die Lesungen für die Hochzeit, und ich weiß nicht, ob das nun gegolten hat, oder ob ich eine Todsünde begangen habe, weil ich am Sonntag nicht in die andere Messe gegangen bin.« Als sie diese Frage stellte, so erinnerte sich Papst Franziskus, »litt diese Frau«. Also »habe ich dieser Frau gesagt: ›Der Herr liebt Sie sehr: Sie sind hingegangen, haben die Kommunion empfangen, sie sind mit Jesus zusammengewesen… Ja, aber seien Sie beruhigt, der Herr ist kein Krämer, der Herr liebt, er ist uns nah.‹«

Auch »der heilige Paulus reagiert heftig gegen diese Spiritualität des Gesetzes«, unterstrich Franziskus. In der Tat schreibe er: »Ich bin gerecht, wenn ich dies, das und jenes tue. Wenn ich das nicht tue, dann bin ich nicht gerecht.« Vielmehr »bist du gerecht, weil Gott sich dir genähert hat, weil Gott dich liebkost, weil Gott dir diese schönen Dinge voller Zärtlichkeit sagt: das ist unsere Gerechtigkeit, diese Nähe Gottes, diese Zärtlichkeit, diese Liebe.« Und »unser Gott ist so gut«, dass er »gar Gefahr läuft, uns lächerlich zu erscheinen «. Und der Papst fügte hinzu: »Wenn wir nur den Mut aufbrächten, unser Herz für diese Zärtlichkeit Gottes zu öffnen, wie viel geistliche Freiheit hätten wir dann! Wie viel!« Er schloss mit einem praktischen Rat: »Wenn ihr heute zuhause ein wenig Zeit habt, dann schlagt die Bibel auf: Jesaja, Kapitel 41, Vers 13 bis 20, sieben Verse. Und lest sie!« Um auf diese Weise »diese Zärtlichkeit Gottes« tiefer zu ergründen, die Zärtlichkeit »dieses Gottes, der einem jeden von uns das Wiegenlied singt, so wie eine liebevolle Mutter«.

 


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