PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Im Abgrund des Geheimnisses
Dienstag, 24. Oktober 2017
(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 46, 17. November 2017)
Mit dem Blick auf den Gekreuzigten »in das Geheimnis Jesu eintreten« und sich so »in den Abgrund« seiner Barmherzigkeit »versenken«. In der Einladung, die Papst Franziskus während der Messe in Santa Marta am Dienstag, den 24. Oktober, aussprach, liegt der Verweis auf einen »Weg« für jeden Christen: ein Weg zum wahren »Mittelpunkt« des Lebens, in dem es jeden Worts gebricht und allein die Kontemplation der Liebe dessen bleibt, der »sein Leben für das Heil des Menschen hingegeben hat«.
Die Betrachtung des Papstes ging von der ersten Lesung des Tages aus dem Brief an die Römer aus (5,12.15.17-19.20-21), in der es fast den Anschein hat, als gelinge es Paulus nicht, »das zum Ausdruck zu bringen, was er sagen will«. Es ist ein Abschnitt, in dem der Apostel eine Reihe von Entgegensetzungen benutzt: fünf Mal spricht er von »einem Menschen« und »einem anderen Menschen«, er führt die Begriffe der »Sünde, des Falls, des Ungehorsams, der Gnade, der Gerechtigkeit, der Vergebung« ein. Bei dem Versuch, den Leser »etwas verstehen« zu lassen, benutzt der Apostel eine Methode, die nicht »studiert und ausgedacht« ist, sondern »die ihm aus dem Herzen kommt«. Vor allem »spürt Paulus, dass er unfähig ist, das zu erklären, was er erklären will«.
Hinter dieser ganzen Rede, so Franziskus, stehe in Wirklichkeit »die Heilsgeschichte, die Schöpfung, die Geschichte der Sünde, des Falls des Menschen. Da ist die ›Neu-Schöpfung‹, das heißt die Erlösung, von der die Kirche sagt, dass sie wundervoller, mächtiger als die Schöpfung ist«. Und die von Paulus verwendete Sprache wird durch die Tatsache gerechtfertigt, dass es in der Tat »keine Worte gibt, die ausreichen, um Christus zu erklären«. Da er diese Unmöglichkeit wahrnimmt, »drängt er uns, bringt uns fast bis zum Abgrund und gibt uns einen Stoß, ja mehr noch: er schleudert uns, damit wir in das Geheimnis fallen«. In das »Geheimnis Christi«.
All »diese Worte«, so der Papst, »diese Gegensätze, diese Beschreibungen sind nur Schritte auf dem Weg, um in das Geheimnis Christi einzutauchen«. Ein Geheimnis, das »derart überreich, stark, groß ist, so unerklärlich, dass es nicht mit Argumenten zu begreifen ist«. Die Argumente »bringen dich bis dorthin, aber du musst in das Geheimnis eintauchen, um zu begreifen, wer Jesus Christus für dich ist, wer Jesus Christus für uns ist«.
Der von Paulus vorgeschlagene Kern, so der Papst, liege in einem anderen Abschnitt, in dem er mit dem Blick auf Jesus sage: »›Er hat mich geliebt und sich für mich hingegeben‹, und er findet keine andere Erklärung.« Der Apostel schreibe: »Es ist schwer, dass sich unter uns einer findet, der sein Leben für einen guten Menschen, für einen gerechten Menschen hingeben will: das ist schwer. Aber es gibt sie. Doch einen, der sein Leben für einen Verbrecher, für einen Sünder wie mich hingeben will? Allein Jesus Christus.« So trete man in das Geheimnis Christi ein. Auchwenn dies »nicht leicht ist: es ist eine Gnade«.
All dies, erklärte der Papst, hätten die Heiligen gut verstanden. Und »nicht nur die kanonisiertenHeiligen«, sondern die »vielen im täglichen Leben verborgenen Heiligen. Viele demütige, einfache Menschen, die ihre Hoffnung allein auf den Herrn setzen. Sie sind in das Geheimnis Jesu Christi eingetaucht.« In jenes Geheimnis, das der heilige Paulus als »Torheit« beschreibe, und von dem er auch sage: »Wenn ich mich etwas rühmen sollte, dann nicht dessen, was ich bei Gamaliel in der Synagoge studiert habe, und auch nicht des anderen, das ich getan habe, meiner Familie, meines adeligen Blutes: nein, dessen würde ich mich nicht rühmen. Ich kann mich nur zweier Dinge rühmen: meiner Sünden und Jesu Christi, des Gekreuzigten.« Erneut ist es eine Entgegensetzung, die »uns zum Geheimnis Jesu führt«, das heißt: »er, der Gekreuzigte, im Dialog mit meinen Sünden«.
Auf jeden Fall handle es sich, so der Papst weiter, um einen schwierigen Weg, da »wir es nicht gewohnt sind, in das Geheimnis einzutreten. Wenn wir zur Messe kommen, ja, dann gehen wir zum Beten, das ist wahr. Wir wissen, dass Jesus kommt. Wir wissen auch, dass er im Wort Gottes ist, dass er in der Gemeinschaft kommt.« Doch »das reicht nicht«. Denn »in das Geheimnis Jesu Christi eintreten ist mehr: es heißt, sich in jenen Abgrund der Barmherzigkeit zu versenken, wo es keine Worte gibt; nur die Umarmung der Liebe. Die Liebe, die ihn zum Tod für uns führte.«
Um diesen Begriff besser verständlich zu machen, zog der Papst als Beispiel das Sakrament der Versöhnung heran: »Wenn wir zur Beichte gehen, weil wir gesündigt haben«, was machen wir?« »Wir gehen hin, sagen dem Beichtvater die Sünden und sind ruhig und zufrieden.« Doch »wenn wir das so tun, dann sind wir nicht in das Geheimnis Jesu Christi eingetreten«. Wenn ich dagegen »zum Beichten gehe, dann gehe ich, um Jesus Christus zu begegnen, um in das Geheimnis Jesu Christi einzutauchen, um in jene Umarmung der Vergebung einzutreten, von der Paulus spricht, jene Unentgeltlichkeit der Vergebung«.
So stelle sich also für jeden Christen eine Frage: »›Wer ist Jesus für dich?‹ – ›Er ist der Sohn Gottes, die zweite Person der Dreifaltigkeit.‹ Wir können das ganze Glaubensbekenntnis aufsagen, den ganzen Katechismus, und alles ist wahr«. Doch, so der Papst, das ist noch ein Punkt, an dem es nicht gelingt, »das Zentrum des Geheimnisses Jesu Christi« zum Ausdruck zu bringen, welches ist: »Er hat mich geliebt und sich für mich hingegeben.« Und gerade das ist »die Arbeit, die wir Christen tun müssen«. Also: »Das Geheimnis Jesu Christi zu verstehen, ist keine Angelegenheit des Studiums; es ist etwas aus Gnade. Jesus Christus wird unentgeltlich verstanden. Jesus Christus wird allein aus reiner Gnade verstanden.«
Hilfreich, so Franziskus, könne die »christliche Frömmigkeit« sein, besonders das Gebet des Kreuzwegs: »Er ist ein Gehen mit Jesus in dem Moment, in dem er uns die Umarmung der Vergebung und des Friedens gibt.« Und es sei »schön, den Kreuzweg zu beten«, es vielleicht »zuhause zu tun und an die Momente der Passion des Herrn zu denken«. Im übrigen »rieten auch die großen Heiligen immer dazu, das geistliche Leben mit dieser Begegnung mit dem Geheimnis Jesu, des Gekreuzigten, zu beginnen«. Und »die heilige Theresa riet es ihren Schwestern: Um zum Gebet der Kontemplation – das hohe Gebet, das sie hatte – zu gelangen, soll man mit der Betrachtung der Passion des Herrn beginnen«.
Vor Christus am Kreuz, so der Rat des Papstes, müsse man »anfangen nachzudenken. Und so versuchen, mit dem Herzen zu begreifen, dass ›er mich geliebt und sich für mich hingegeben hat‹«. Was dann das sei, »was Paulus in diesem so schwierigen Text voller Gegensätze erklären will: er will uns dorthin bringen, zum Abgrund des Geheimnisses Jesu Christi«. Denn ein jeder könne sagen: »Ich bin ein guter Christi, ich gehe sonntags zur Messe, ich tue Werke der Barmherzigkeit, ich verrichte die Gebete, ich erziehe meine Kinder gut«, und »das ist alles sehr gut«. Doch es ist notwendig, darüber hinauszugehen: »Du tust all dies: Aber bist du in das Geheimnis Jesu Christi eingetreten?«, in das Geheimnis, »das du nicht kontrollieren kannst?«
Daher der Rat des Papstes, zum heiligen Paulus zu beten – »einem wahren Zeugen, einem, der Jesus Christus begegnet ist und der es zugelassen hat, von ihm angetroffen zu werden, und der in das Geheimnis Jesu Christi eingetreten ist« –, dass er »uns die Gnade schenke, in das Geheimnis Jesu Christi einzutreten, der uns liebt, der sich selbst dem Tod überlassen hat für uns, der uns vor Gott gerecht gemacht hat, der alle Sünden vergeben hat, auch die Wurzeln der Sünde: in das Geheimnis des Herrn einzutreten«. Und, so der Papst abschließend, »jedes Mal, wenn wir auf Christus, den Gekreuzigten, blicken, wollen wir denken, dass dies eine Ikone des größten Geheimnisses der Schöpfung, von allem ist: Christus, der Gekreuzigte, Mittelpunkt der Geschichte, Mittelpunkt meines Lebens«.
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