APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
NACH KENIA, UGANDA UND IN DIE ZENTRALAFRIKANISCHE REPUBLIK
(25.-30. NOVEMBER 2015)
HEILIGE MESSE MIT PRIESTERN, GOTTGEWEIHTEN PERSONEN UND ENGAGIERTEN LAIEN
Kathedrale von Bangui (Zentralafrikanische Republik)
Sonntag, 29. November 2015
Worte vor der Öffnung der Heiligen Pforte
Heute wird Bangui die geistliche Hauptstadt der Welt. Das Heilige Jahr der Barmherzigkeit kommt im Voraus in dieses Land. Ein Land, das seit vielen Jahren unter Krieg und Hass, unter Unverständnis und Mangel an Frieden leidet. Aber in diesem leidenden Land sind auch all die Länder mit einbegriffen, die das Kreuz des Krieges tragen. Bangui wird die geistliche Hauptstadt des Gebetes um die Barmherzigkeit des Vaters. Wir alle bitten um Frieden, Barmherzigkeit, Versöhnung, Vergebung, Liebe. Für Bangui, für die gesamte Zentralafrikanische Republik, für die ganze Welt, für die Länder, die unter Krieg leiden, bitten wir um Frieden! Und alle gemeinsam erbitten wir Liebe und Frieden. Alle gemeinsam: Doyé Siriri! [alle wiederholen: „Doyé Siriri!“]
Und mit diesem Gebet beginnen wir nun das Heilige Jahr: hier in dieser geistlichen Hauptstadt der Welt, heute!
PREDIGT VON PAPST FRANZISKUS
An diesem ersten Sonntag im Advent, einer liturgischen Zeit der Erwartung des Retters und eines Symbols der christlichen Hoffnung, hat Gott meine Schritte zu euch gelenkt, in dieses Land, während die Weltkirche sich anschickt, das Jubiläumsjahr der Barmherzigkeit zu eröffnen, das wir heute hier begonnen haben. Und ich freue mich besonders, dass mein Pastoralbesuch mit der Eröffnung dieses Jubiläumsjahres in eurem Land zusammenfällt. Von dieser Kathedrale aus möchte ich mit meinem Herzen und meinen Gedanken liebevoll alle Priester, gottgeweihten Personen und pastoralen Mitarbeiter dieses Landes erreichen, die in diesem Moment geistig mit uns verbunden sind. Durch euch möchte ich auch alle Zentralafrikaner, die Kranken, die alten Menschen und die vom Leben Verwundeten grüßen. Einige von ihnen sind vielleicht verzweifelt, haben nicht einmal mehr die Kraft zu handeln und erwarten nur ein Almosen, das Almosen des Brotes, das Almosen der Gerechtigkeit, das Almosen einer Geste der Zuwendung und der Güte. Und wir alle erwarten die Gnade, das Almosen des Friedens.
Doch wie die Apostel Petrus und Johannes, die zum Tempel hinaufgingen und weder Gold noch Silber besaßen, um es dem bedürftigen Gelähmten zu geben, so komme ich, um ihnen die Kraft und die Macht Gottes anzubieten, die den Menschen heilen, ihn wieder aufrichten und ihn fähig machen, ein neues Leben zu beginnen, indem er »ans andere Ufer« (Lk 8,22) hinüberfährt.
Jesus schickt uns nicht allein ans andere Ufer, sondern lädt uns vielmehr ein, die Überfahrt gemeinsam mit ihm zu unternehmen, indem jeder auf eine spezifische Berufung antwortet. Wir müssen uns darum bewusst sein, dass man diese Überfahrt ans andere Ufer nur gemeinsam mit ihm machen kann, indem man sich von den Begriffen der Familie und des Blutes, die Trennungen verursachen, befreit, um eine Kirche aufzubauen, die Familie Gottes ist, die für alle offen ist und sich um die kümmert, die es am meisten brauchen. Das setzt Nähe zu unseren Brüdern und Schwestern voraus, es bedeutet einen Gemeinschaftsgeist. Es ist nicht vor allem eine Frage der finanziellen Mittel; in Wirklichkeit genügt es, das Leben des Gottesvolkes zu teilen, indem wir jedem Rede und Antwort stehen, der nach der Hoffnung fragt, die uns erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15), und Zeugen der unendlichen Barmherzigkeit Gottes sind, der – wie der Antwortpsalm dieses Sonntags hervorhebt – »gut und gerecht ist [und] die Irrenden auf den rechten Weg« weist (Ps 25,8). Jesus lehrt uns, dass der himmlische Vater »seine Sonne […] über Bösen und Guten aufgehen [lässt] « (Mt 5,45). Nachdem wir selber Vergebung erfahren haben, müssen wir vergeben. Das ist unsere grundsätzliche Berufung: »Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist« (Mt 5,48). Eine der wesentlichen Anforderungen dieser Berufung zur Vollkommenheit ist die Feindesliebe, die gegen die Versuchung zur Rache und die Spirale endloser Vergeltungsmaßnahmen wappnet. Jesus hat Wert darauf gelegt, auf diesem besonderen Aspekt des christlichen Zeugnisses zu beharren (vgl. Mt 5,46-47). Die Arbeiter für die Evangelisierung müssen also vor allem „Handwerker“ der Vergebung, Spezialisten der Versöhnung und Experten der Barmherzigkeit sein. Das ist die Art und Weise, wie wir unseren Brüdern und Schwestern helfen können, „ans andere Ufer hinüberzufahren“, indem wir ihnen das Geheimnis unserer Kraft, unserer Hoffnung und unserer Freude offenbaren, die ihre Quelle in Gott haben, weil sie auf die Gewissheit gegründet sind, dass er mit uns im Boot ist. Wie der Herr im Moment der Brotvermehrung mit den Aposteln gehandelt hat, so sind jetzt wir es, denen er seine Gaben anvertraut, damit wir hingehen, um sie überall zu verteilen, und sein Wort verkünden, das versichert: »Seht, es werden Tage kommen […], da erfülle ich das Heilswort, das ich über das Haus Israel und über das Haus Juda gesprochen habe« (Jer 33,14).
In den liturgischen Texten dieses Sonntags können wir einige Merkmale dieses angekündigten Heiles Gottes entdecken, die sich zugleich als Anhaltspunkte erweisen, um uns in unserer Mission zu leiten. Zunächst ist das von Gott verheißene Glück mit den Begriffen der Gerechtigkeit angekündigt. Der Advent ist die Zeit, unsere Herzen vorzubereiten, um den Retter empfangen zu können, das heißt den einzigen Gerechten und den einzigen Richter, der imstande ist, jedem das angedeihen zu lassen, was er verdient. Hier wie anderswo dürsten viele Männer und Frauen nach Achtung, nach Gerechtigkeit, nach Fairness, ohne positive Zeichen am Horizont zusehen. Zu diesen kommt er, um sie mit seiner Gerechtigkeit zu beschenken (vgl. Jer 33,15). Er kommt, um unsere persönlichen und kollektiven Geschichten, unsere enttäuschten Hoffnungen und unsere sterilen Zukunftsaussichten fruchtbar zu machen. Und er sendet uns aus, um vor allem denen, die von den Mächtigen dieser Welt unterdrückt werden, wie auch denen, die unter der Last ihrer Sünden gebeugt sind, zu verkünden: »Juda [wird] gerettet werden, Jerusalem kann in Sicherheit wohnen. Man wird ihm den Namen geben: Jahwe ist unsere Gerechtigkeit« (Jer 33,16). Ja, Gott ist Gerechtigkeit! Das ist es, warum wir Christen berufen sind, in der Welt „Handwerker“ eines auf Gerechtigkeit gegründeten Friedens zu sein.
Das erwartete Heil Gottes hat zugleich den Charakter der Liebe. Während wir uns auf das Weihnachtsgeheimnis vorbereiten, machen wir uns ja erneut den Weg des Gottesvolkes zu Eigen, um den Sohn Gottes aufzunehmen, der gekommen ist, um uns zu offenbaren, dass Gott nicht nur Gerechtigkeit ist, sondern auch und vor allem Liebe (vgl. 1 Joh 4,8). Überall, auch und vor allem dort, wo Gewalt, Hass, Ungerechtigkeit und Verfolgung herrschen, sind die Christen aufgerufen, Zeugnis von diesem Gott zu geben, der die Liebe ist. Indem ich den Priestern, den gottgeweihten Personen und den Laien, die in diesem Land die christlichen Tugenden manchmal sogar in heroischer Weise leben, Mut zuspreche, gebe ich zu, dass der Abstand, der uns von dem so anspruchsvollen Ideal des christlichen Zeugnisses trennt, zuweilen groß ist. Darum übernehme ich in Form eines Gebetes jene Worte des heiligen Paulus: Liebe Brüder, »euch aber lasse der Herr wachsen und reich werden in der Liebe zueinander und zu allen« (1 Thess 3,12). In diesem Zusammenhang muss das Zeugnis der Heiden über die Christen der Urkirche wie ein Leuchtturm an unserem Horizont gegenwärtig bleiben: »Seht, wie sie einander lieben, sie lieben sich wirklich« (Tertullian, Apologetik, 39,7).
Und schließlich hat das angekündigte Heil Gottes den Charakter einer unbesiegbaren Macht, die allem überlegen ist. Nachdem Jesus nämlich seinen Jüngern die schrecklichen Zeichen angekündigt hat, die seinem Kommen vorausgehen werden, schließt er: »Wenn [all] das beginnt, dann richtet euch auf, und erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe« (Lk 21,28). Und wenn der heilige Paulus von einer Liebe spricht, die »wachsen und reich werden« soll, dann tut er das, weil das christliche Zeugnis diese unwiderstehliche Kraft widerspiegeln muss, um die es im Evangelium geht. Jesus will also auch inmitten nie dagewesener Umwälzungen seine große Macht, seine unvergleichliche Herrlichkeit (vgl. Lk 21,27) und die Macht der Liebe zeigen, die vor nichts zurückweicht, weder vor den erschütterten Himmeln, noch vor der brennenden Erde, noch vor dem wütenden Meer. Gott ist mächtiger und stärker als alles! Diese Überzeugung gibt dem Gläubigen Gelassenheit, Mut und die Kraft, angesichts der schlimmsten Widrigkeiten im Guten durchzuhalten. Auch wenn die Kräfte des Bösen sich entfesseln, müssen die Christen sich mit erhobenem Haupt zur Stelle melden, bereit, in diesem Kampf standzuhalten, in dem Gott das letzte Wort hat. Und dieses Wort wird ein Wort der Liebe und des Friedens sein!
An alle, die zu Unrecht die Waffen dieser Welt gebrauchen, richte ich einen Appell: Legt diese Instrumente des Todes ab; bewaffnet euch vielmehr mit Gerechtigkeit, Liebe und Barmherzigkeit, den echten Garanten des Friedens. Jünger Christi, Priester, Ordensleute oder engagierte Laien in diesem Land mit dem so eindrucksvollen Namen im Herzen Afrikas – diesem Land, das aufgerufen ist, den Herrn als wirkliches Zentrum alles Guten zu entdecken –, eure Berufung ist es, inmitten eurer Mitbürger das Herz Gottes zu verkörpern. Gebe Gott, dass wir alle »gefestigt [sind,] ohne Tadel […], geheiligt vor Gott, unserem Vater, wenn Jesus, unser Herr, mit allen seinen Heiligen kommt« (1 Thess 3,13). Versöhnung, Vergebung, Liebe und Frieden! Amen.
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