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FESTTAG UNSERER LIEBEN FRAU VON  GUADALUPE
MESSE FÜR LATEINAMERIKA
 

PREDIGT VON PAPST FRANZISKUS

Vatikanische Basilika
Dienstag, 12. Dezember 2017

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Das eben verkündete Evangelium ist der Prolog zu zwei großen Lobgesängen: dem Lobgesang Mariens, der unter dem Namen »Magnifikat« bekannt ist, und dem von Zacharias, dem »Benedictus «, das ich gerne »den Gesang Elisabets oder der Fruchtbarkeit nenne«. Tausende Christen in der ganzen Welt beginnen den Tag, indem sie singen: »Gepriesen sei der Herr«, und sie beenden ihn, indem sie »die Größe des Herrn preisen, weil er gütig auf die Niedrigkeit seiner Magd geschaut hat«. So wollen die Gläubigen verschiedener Völker Tag für Tag Gedächtnis halten, daran erinnern, dass die Barmherzigkeit Gottes sich von Geschlecht zu Geschlecht auf das ganze Volk erstreckt, wie er es unseren Vätern verheißen hat.

Und in diesem Kontext dankbaren Gedenkens erklingt der Gesang Elisabets in Form einer Frage: »Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?« Wir sehen Elisabet, die von Unfruchtbarkeit gezeichnete Frau, die im Zeichen der Fruchtbarkeit und des Staunens singt. Genau diese beiden Aspekte möchte ich unterstreichen. Elisabet, die Frau im Zeichen der Unfruchtbarkeit, und Elisabet, die Frau im Zeichen der Fruchtbarkeit.

1. Elisabet, die unfruchtbare Frau, mit all dem, was dies für die religiöse Mentalität ihrer Zeit beinhaltete, welche die Unfruchtbarkeit als göttliche Strafe sah, als Folge der eigenen Sünde oder der des Ehemannes. Ein Zeichen der Schande, eingeschrieben in den eigenen Leib, entweder weil sie sich für eine Sünde schuldig fühlte, die sie nicht begangen hatte, oder weil sie sich als gering ansieht, weil sie nicht dem entspricht, was man von ihr erwartete. Stellen wir uns die Blicke ihrer Familienangehörigen, ihrer Nachbarn, ihren eigenen Blick vor… Unfruchtbarkeit, die bis in die Tiefe reicht und schließlich das gesamte Leben lähmt. Unfruchtbarkeit, die viele Namen und Formen annehmen kann, jedes Mal wenn ein Mensch am eigenen Leib die Scham erlebt, sich angeprangert zu sehen oder sich unbedeutend und gering zu fühlen. Dasselbe können wir uns in Bezug auf den Indio Juan Diego vorstellen, wenn er zu Maria sagt: »Denn ich bin in Wahrheit nur ein Mann vom Lande, ich bin ein Mecapal, bin ein Holzbrett, bin das Ende vom Schwanz, bin eine Schaufel; ich habe es selbst nötig, geführt zu werden, auf dem Rücken getragen zu werden, es ist kein Ort für mich, dorthin zu gehen, wohin du mich sendest…« (Nican Mopohua, 55).

Wie uns die lateinamerikanischen Bischöfe gut vor Augen geführt haben, kann man dieses Gefühl auch in unseren »indigenen und afroamerikanischen Gemeinschaften« finden, »die vielfach weder in ihrer Würde anerkannt noch mit gleichen Lebenschancen ausgestattet werden; viele Frauen, die wegen ihres Geschlechts, ihrer Rasse oder ihrer wirtschaftlichsozialen Lage aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden; Jugendliche, die nur unzureichend ausgebildet werden, keine Gelegenheit haben, weiter zu studieren, und auch keinen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten, um sich zu entfalten und eine Familie gründen zu können; viele Arme, Arbeitslose, Migranten, Zwangsumgesiedelte, Bauern ohne Land, die in der informellen Wirtschaft zu überleben suchen; Jungen und Mädchen, die der Kinderprostitution ausgesetzt sind, die nicht selten mit dem Sextourismus verbunden ist« (Schlussdokument, Aparecida, 65).

2. Und neben Elisabet, der unfruchtbaren Frau, betrachten wir Elisabet, die fruchtbare, staunende Frau. Sie ist die erste, die Maria erkennt und preist. Sie ist es, die im Alter im eigenen Leben, am eigenen Leib erfahren hat, dass sich die Verheißung Gottes erfüllt. Diejenige, die keine Kinder bekommen konnte, trug in ihrem Leib den Vorläufer des Heils. In ihr verstehen wir, dass der Traum Gottes nicht die Unfruchtbarkeit ist und dies niemals sein wird, und auch nicht, seine Kinder anzuprangern oder zu beschämen, sondern in ihnen und aus ihnen einen Lobpreis hervorbrechen zu lassen.

Dasselbe sehen wir in Juan Diego. Er und niemand anders war es, der in seinen Umhang, die »Tilma«, das Bild der Jungfrau eingeprägt trug: das Bild der Jungfrau mit dunkler Hautfarbe und den Gesichtszügen der Mestizen, gestützt von einem Engel mit Flügeln aus Quetzal-, Pelikan- und Arafedern; das Bild der Mutter, die die Züge ihrer Kinder annehmen konnte, damit sie spüren, dass auch sie an ihrem Segen teilhaben. Es scheint, als wolle Gott darauf bestehen, uns beständig zu zeigen, dass »der Stein, den die Bauleute verwarfen, zum Eckstein geworden ist« (Ps 118,22).

Liebe Brüder und Schwestern, mitten in dieser Dialektik von Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit wollen wir auf die reiche kulturelle Verschiedenheit unserer Völker in Lateinamerika und der Karibik blicken. Sie ist Zeichen des großen Reichtums, den wir nicht nur pflegen, sondern gerade in unserer Zeit auch mutig verteidigen sollen gegen jeden Versuch der Vereinheitlichung, die letztlich – mit verlockenden Parolen – eine einzige Art des Denkens, Seins, Fühlens und Lebens durchsetzt und so das von unseren Vätern Ererbte nutzlos und unfruchtbar macht; die schließlich bewirkt, dass unsere Jugendlichen sich wertlos fühlen, weil sie der einen oder der anderen Kultur angehören. Letztendlich erfordert unsere Fruchtbarkeit von uns, dass wir unsere Völker gegen eine ideologische Kolonialisierung verteidigen, die den größten Reichtum in ihnen auslöscht, mag es sich nun um Indigene, Afroamerikaner, Mestizen, Landbewohner oder Bewohner der Peripherien handeln. »Die Gottesmutter ist […] der Typus der Kirche« (Lumen gentium, 63) und von ihr wollen wir lernen, Kirche zu sein mit dem Antlitz eines Mestizen, eines Indigenen, eines Afroamerikaners, mit dem Antlitz des Landbewohners, sein wie Schwanz, Flügel, Cacaxtli [Holzbrett]… Ein armes Gesicht, Gesicht eines Arbeitslosen, eines Jungen und eines Mädchens, eines alten und eines jungen Menschens, damit niemand sich steril oder unfruchtbar fühlt, damit niemand sich schämt oder wertlos fühlt. Sondern damit sich im Gegenteil jeder wie Elisabet und Juan Diego als Träger einer Verheißung, einer Hoffnung fühlt und aus tiefstem Herzen sagen kann: »Abba, Vater!« (Gal 4,6), ausgehend von diesem Geheimnis der Kindschaft, das uns zu einem universalen Volk macht, ohne die persönlichen Züge auszulöschen.

Brüder und Schwestern, in dieser Atmosphäre des dankbaren Gedenkens dafür, dass wir Lateinamerikaner sind, wollen wir in unserem Herzen den Lobpreis Elisabets aufsteigen lassen, den Lobpreis der Fruchtbarkeit, und wir wollen ihn gemeinsam mit unseren Völkern beten, damit sie nicht müde werden zu wiederholen: »Du bist gebenedeit unter den Frauen, und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus.«

 

 



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