ÖFFNUNG DER HEILIGEN PFORTE UND MESSE IN DER HEILIGEN NACHT
BEGINN DES ORDENTLICHEN JUBILÄUMS
HOCHFEST DER GEBURT DES HERRN
PREDIGT VON PAPST FRANZISKUS
Petersbasilika
Dienstag, 24. Dezember 2024
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Ein in Licht gehüllter Engel des Herrn erleuchtet die Nacht und verkündet den Hirten die frohe Botschaft: »Ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr« (Lk 2,10-11). Inmitten des Staunens der Armen und des Gesangs der Engel öffnet sich der Himmel auf Erden: Gott ist einer von uns geworden, um uns ihm gleich zu machen, er ist zu uns herabgestiegen, um uns wieder aufzurichten und in die Umarmung des Vaters zurückzuführen.
Dies, Schwestern und Brüder, ist unsere Hoffnung. Gott ist der Immanuel, er ist der Gott-mit-uns. Der unendlich Große hat sich klein gemacht; das göttliche Licht ist in der Dunkelheit der Welt aufgeleuchtet; die Herrlichkeit des Himmels ist auf der Erde erschienen. Und wie? In der Kleinheit eines Kindes. Und wenn Gott kommt, auch wenn unser Herz einer ärmlichen Krippe gleicht, dann können wir sagen: Die Hoffnung ist nicht gestorben, die Hoffnung lebt und umhüllt unser Leben für immer! Die Hoffnung enttäuscht nicht.
Schwestern und Brüder, mit der Öffnung der Heiligen Pforte haben wir ein neues Heiliges Jahr begonnen: Jeder von uns kann in das Geheimnis dieses Gnadenerweises eintreten. Dies ist die Nacht, in der sich die Tür der Hoffnung für die Welt weit geöffnet hat; dies ist die Nacht, in der Gott zu jedem Einzelnen sagt: Auch für dich gibt es Hoffnung! Es gibt Hoffnung für jeden von uns. Aber vergesst nicht, Schwestern und Brüder, dass Gott alles vergibt, Gott vergibt immer. Vergesst nicht, dass dies eine Art ist, die Hoffnung auf den Herrn zu verstehen.
Um dieses Geschenk zu empfangen, sind wir aufgerufen, uns mit dem Staunen der Hirten von Betlehem auf den Weg zu machen. Im Evangelium heißt es: »So eilten sie« nach der Ankündigung des Engels »hin« (Lk 2,16). Das ist der Fingerzeig, um die verlorene Hoffnung wiederzufinden, sie in uns zu erneuern, sie in der Trostlosigkeit unserer Zeit und unserer Welt auszusäen: eilend. Und es gibt so viel Trostlosigkeit in dieser Zeit! Denken wir an die Kriege, an Kinder, die mit Maschinengewehren erschossen werden, an Bomben auf Schulen und Krankenhäuser. Eilen wir und verlangsamen wir nicht den Schritt, sondern lassen wir uns von der guten Nachricht anziehen.
Gehen wir eilig den Herrn anzusehen, der für uns geboren wurde, mit leichtem und wachem Herzen, bereit, ihm zu begegnen, damit wir die Hoffnung in unsere vielfältigen Lebensumstände übertragen können. Das ist unsere Aufgabe: Die Hoffnung in unsere vielfältigen Lebensumstände zu übertragen. Denn die christliche Hoffnung ist kein Happy End, das wir passiv erwarten, es ist nicht das Happy End eines Films: Sie ist die Verheißung des Herrn, die wir hier und jetzt, in dieser Welt, die leidet und seufzt, aufnehmen sollen. Sie fordert uns daher auf, zu eilen, nicht im gewohnten Trott weiterzuziehen, nicht in Mittelmäßigkeit und Trägheit zu verharren. Der heilige Augustinus würde sagen, sie fordert uns auf, uns über die Dinge, die falsch sind, zu empören und den Mut zu haben, sie zu ändern; sie fordert uns auf, zu Pilgern auf der Suche nach der Wahrheit zu werden, zu Träumern, die nicht müde werden, zu Frauen und Männern, die sich von Gottes Traum aufrütteln lassen, der der Traum von einer neuen Welt ist, in der Frieden und Gerechtigkeit herrschen.
Lernen wir vom Beispiel der Hirten: Die Hoffnung, die in dieser Nacht geboren wird, duldet nicht die Bequemlichkeit der Sesshaften und die Trägheit derer, die sich in ihrer eigenen Bequemlichkeit eingerichtet haben – und viele von uns laufen Gefahr, sich in unserer Bequemlichkeit einzurichten –; die Hoffnung lässt nicht die falsche Vorsicht derer zu, die aus Angst, sich selbst zu gefährden, keine Partei ergreifen, und nicht das Kalkül derer, die nur an sich selbst denken; die Hoffnung ist unvereinbar mit dem geruhsamen Leben derer, die ihre Stimme nicht gegen das Übel und gegen das Unrecht erheben, das sich zu Lasten der Ärmsten ereignet. Im Gegenteil: Die christliche Hoffnung lädt uns zwar dazu ein, geduldig auf das Keimen und Wachsen des Reiches Gottes zu warten, verlangt von uns aber auch den Mut, diese Verheißung schon heute vorwegzunehmen, durch unser Verantwortungsbewusstsein – aber nicht nur, sondern auch durch unser Mitgefühl. Und hier tut es uns vielleicht gut, uns nach unserem Mitgefühl zu fragen: Habe ich Mitgefühl? Kann ich mit-fühlen? Denken wir daran.
Angesichts der Tatsache, wie oft wir es uns in dieser Welt gemütlich machen und uns ihrer Mentalität anpassen, formulierte ein Schriftsteller und Priester dieses Gebet für Weihnachten: »Herr, ich bitte dich um irgendeine Mühsal, etwas Unruhe, ein paar Gewissensbisse. Zu Weihnachten möchte ich unzufrieden sein. Erfreut, aber auch unzufrieden. Erfreut über das, was Du bewirkst, unzufrieden mit meiner unzureichenden Antwort darauf. Nimm uns bitte unseren Scheinfrieden weg und stecke eine Handvoll Dornen in unsere überquellende „Krippe“. Lege uns den Wunsch nach etwas anderem in die Seele« (A. Pronzato, La novena di Natale). Der Wunsch nach etwas anderem. Nicht stehen bleiben. Vergessen wir nicht, dass stehende Gewässer als erste faulen.
Die christliche Hoffnung ist genau das „etwas andere“, das uns auffordert, „zu eilen“. Denn wir Jünger des Herrn sind aufgerufen, unsere größte Hoffnung in ihm zu finden und sie dann unverzüglich als Pilger des Lichts in die Finsternis der Welt zu bringen.
Schwestern, Brüder, dies ist das Heilige Jahr, dies ist die Zeit der Hoffnung! Es lädt uns ein, die Freude an der Begegnung mit dem Herrn wiederzuentdecken, es ruft uns zur geistlichen Erneuerung auf und verpflichtet uns zur Umgestaltung der Welt, damit dies wirklich eine Zeit des Jubels wird: Sie soll es für unsere Mutter Erde werden, die durch die Logik des Profits entstellt wird; sie soll es für die ärmsten Länder werden, die durch ungerechte Schulden belastet sind; sie soll es für alle werden, die Gefangene von alter und neuer Knechtschaft sind.
Möge uns allen die Gabe und Verpflichtung zuteilwerden, die Hoffnung dorthin zu bringen, wo sie verloren gegangen ist: dorthin, wo das Leben verwundet ist, wo Erwartungen enttäuscht wurden, wo Träume zerstört worden sind, wo Misserfolge Herzen gebrochen haben; in die Erschöpfung derer, die es nicht mehr schaffen, in die bittere Einsamkeit derer, die sich besiegt fühlen, in das Leiden, das die Seele zermürbt; in die langen und leeren Tage der Gefangenen, in die engen und kalten Zimmer der Armen, an die Orte, die von Krieg und Gewalt geschändet sind. Dorthin ist Hoffnung zu bringen, dort ist Hoffnung auszusäen.
Das Heilige Jahr wird eröffnet, damit allen die Hoffnung zuteilwird, die Hoffnung des Evangeliums, die Hoffnung der Liebe, die Hoffnung der Vergebung.
Kehren wir zur Krippe zurück, schauen wir auf die Krippe, schauen wir auf die Güte Gottes, die sich im Antlitz des Jesuskindes zeigt, und fragen wir uns: »Gibt es in unserem Herzen diese Erwartung? Gibt es in unserem Herzen diese Hoffnung? [...] Indem wir die liebende Güte Gottes betrachten, die unser Misstrauen und unsere Ängste überwindet, betrachten wir auch die Größe der Hoffnung, die uns erwartet. [...] Möge dieses Erblicken der Hoffnung unsere täglichen Wege erleuchten« (C.M. Martini, Omelia di Natale, 1980).
Schwester, Bruder, für dich öffnet sich in dieser Nacht die „heilige Pforte“ des Herzens Gottes. Jesus, der Gott-mit-uns, wird für dich, für mich, für uns, für jeden Mann und jede Frau geboren. Und weißt du, mit ihm erblüht die Freude, mit ihm verändert sich das Leben, mit ihm enttäuscht die Hoffnung nicht.
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