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SCHREIBEN VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE BISCHÖFE INDIENS

 

Liebe Brüder im Bischofsamt!

1. Die wunderbare »varietas Ecclesiarum«, Ergebnis einer langen historischen, kulturellen, geistlichen und disziplinären Entwicklung, stellt einen Schatz der Kirche dar, »regina in vestitu deaurato circumdata varietate« (vgl. Ps 45 und Leo XIII., Orientalium dignitas), die ihren Bräutigam mit der Treue und Geduld der klugen Jungfrau erwartet, ausgestattet mit einem reichen Vorrat an Öl, damit das Licht ihrer Lampe alle Völker erleuchten möge in der langen Nacht des Wartens auf das Kommen des Herrn. Auch Indien zählt zu den Ländern und Nationen, in denen diese Vielfalt des kirchlichen Lebens mit großer Pracht aufscheint. Die katholische Kirche in Indien hat ihren Ursprung in der Verkündigung des Apostels Thomas. Sie hat sich durch den Kontakt mit den Kirchen chaldäischer und antiochenischer Tradition und seit dem 16. Jahrhundert durch den Einsatz lateinischer Missionare entwickelt. Die Geschichte des Christentums in diesem großen Land führte so zu drei verschiedenen Teilkirchen eigenen Rechts: kirchlichen Ausdrucksformen desselben Glaubens, der in verschiedenen Riten gefeiert wird, drei liturgischen, geistlichen, theologischen und disziplinären Überlieferungen entsprechend. Obwohl  diese Situation im Laufe der Geschichte manchmal zu Spannungen geführt hat, können wir heute eine christliche Präsenz bewundern, die reich und schön, komplex und einzigartig ist.

2. Es ist wesentlich, dass die katholische Kirche der Welt ihr Antlitz in all seiner Schönheit offenbart, im Reichtum ihrer verschiedenen Überlieferungen. Aus diesem Grund hat die Kongregation für die Orientalischen Kirchen, die in diesem Jahr ihren 100. Jahrestag feiert – sie wurde durch die Weitsicht von Papst Benedikt XV. im Jahr 1917 errichtet –, die Wiederherstellung östlicher katholischer Traditionen, wo das nötig war, ermutigt sowie Schutz und Achtung der Würde und der Rechte dieser altehrwürdigen Kirchen gewährleistet.

3. Das Zweite Vatikanische Konzil hat diese Sichtweise der Kirche angenommen und den Gläubigen die Notwendigkeit in Erinnerung gerufen, den Schatz der besonderen Überlieferungen jeder Kirche zu schützen und zu bewahren. »Darum gibt es auch in der kirchlichen Gemeinschaft zu Recht Teilkirchen, die sich eigener Überlieferungen erfreuen, unbeschadet des Primats des Stuhles Petri, welcher der gesamten Liebesgemeinschaft vorsteht (vgl. Ignatius von Antiochien, Ad Rom., Vorrede), die rechtmäßigen Verschiedenheiten schützt und zugleich darüber wacht, dass die Besonderheiten der Einheit nicht nur nicht schaden, sondern ihr vielmehr dienen« (Lumen gentium, 13).

4. Wie Lumen gentium lehrt, ist es Aufgabe des Bischofs von Rom, die Einheit in der Vielfalt des Leibes Christi zu fördern. Dafür legen die römischen Päpste die Stimme des Zweiten Vatikanischen Konzils treu aus und setzen sie um: Letzteres brachte den sehnlichen Wunsch zum Ausdruck, dass die aufgrund ihres ehrwürdigen Alters hochgeschätzten Orientalischen Kirchen »neu erblühen und mit frischer apostolischer Kraft die ihnen anvertraute Aufgabe meistern« mögen (Orientalium Ecclesiarum, 1). Ihrer Verantwortung obliegt es nicht nur, immer wirksamere Werkzeuge zu werden, um »die besondere Aufgabe […], die Einheit aller Christen, besonders  der ostkirchlichen, zu fördern« (ebd., 24), sondern auch ihre »gleiche Würde« zu fördern, denn »alle genießen dieselben Rechte und haben dieselben Verpflichtungen, auch bezüglich der […] Verkündigung des Evangeliums an die ganze Welt« (ebd., 3). Vor 30 Jahren verfasste mein geliebter Vorgänger, der heilige Johannes Paul II., ein Schreiben an die Bischöfe von Indien. Unter Bezugnahme auf das Zweite Vatikanische Konzil suchte er die Konzilslehre auf den indischen Kontext anzuwenden.  In Indien stellen die Christen, auch nach vielen Jahrhunderten, nur einen kleinen Teil der Bevölkerung dar, und folglich ist es besonders notwendig, Einheit zu zeigen und jeden Anschein von Spaltung zu vermeiden. Der heilige Johannes Paul II. erklärte auch, dass die Notwendigkeit der Einheit und die Wahrung der Vielfalt einander nicht widersprechen: »Die Notwendigkeit, den Überlieferungen und dem Erbe des eigenen Ritus treu zu bleiben, darf nicht verstanden werden als Beeinträchtigung der Aufgabe der Kirche, ›die versprengten Kinder Gottes wieder zu sammeln‹ (Joh 11,52), oder der Sendung der Kirche, die Gemeinschaft aller Menschen mit dem Erlöser zu fördern« (Epistula ad Indiae episcopos, 28. Mai 1987).

5. Vor fünf Jahrzehnten, als die syro-malabarische Kirche sich durch »Missionseparchien« in einige zentrale und nördliche Teile Indiens ausbreitete, waren die lateinischen Bischöfe allgemein der Ansicht, dass es nur eine Jurisdiktion geben sollte, also einen Bischof in einem bestimmten Territorium. Diese aus lateinischen Diözesen hervorgegangenen Eparchien haben heute die ausschließliche Jurisdiktion über diese Territorien, sowohl bei den lateinischen als auch bei den syro-malabarischen Gläubigen. Doch war die Erfahrung der letzten Jahrzehnte sowohl in den traditionellen Gebieten der östlichen Kirchen als auch im weiten Bereich der sogenannten Diaspora (wo diese Gläubigen schon lange präsent sind) eine Erfahrung fruchtbarer und harmonischer Zusammenarbeit zwischen den katholischen Bischöfen der verschiedenen Teilkirchen eigenen Rechts innerhalb eines Territoriums, und das zeigt, dass diese Lösung nicht nur ekklesiologisch gerechtfertigt, sondern auch pastoral nützlich ist. In einer Welt, in der zahlreiche Christen zur Migration gezwungen sind, sind sich überschneidende Jurisdiktionen üblich geworden. Sie erweisen sich immer mehr als wirksame Mittel, um die Seelsorge für die Gläubigen unter gleichzeitiger voller Achtung ihrer kirchlichen Überlieferungen zu gewährleisten.

6. In Indien selbst sollten einander überschneidende Jurisdiktionen kein Problem mehr sein, denn die Kirche hat sie für einige Zeit erprobt, wie etwa in Kerala. Das Schreiben Johannes Pauls II. gestattete die Errichtung einer syro-malabarischen Eparchie in der Region Bombay-Poona, die zur Eparchie Kalyan wurde. 2012 wurde in der Region von Delhi und den benachbarten Bundesstaaten die syro-malabarische Eparchie Faridabad errichtet, während die Grenzen der Eparchie Mandya 2015 erweitert wurden, um die Metropolregion von Bangalore einzubeziehen. Im selben Jahr wurden eine Eparchie und ein Apostolisches Exarchat für die syro-malankarischen Gläubigen errichtet, so dass die syro-malankarische Kirche sich auf dem gesamten indischen Territorium um die Seelsorge ihrer Gläubigen kümmern konnte. All diese Entwicklungen zeigen, dass – wenngleich nicht ohne Probleme – die Anwesenheit mehrerer Bischöfe im selben Territorium die Sendung der Kirche nicht beeinträchtigt. Im Gegenteil: Diese Schritte haben den Ortskirchen größeren Ansporn für ihren pastoralen und missionarischen Einsatz gegeben.

7. Im Jahr 2011 wollte mein Vorgänger Benedikt XVI. Vorkehrungen für die pastoralen Belange der syro-malabarischen Gläubigen in ganz Indien treffen, und ich habe im Anschluss an die Vollversammlung der Kongregation für die Orientalischen Kirchen im Jahr 2013 sein Anliegen bestätigt. Erzbischof Raphael Thattil ist gegenwärtig der Apostolische Visitator für jene syromalabarischen Gläubigen in Indien, die außerhalb ihres eigenen Territoriums leben, und er hat dem Apostolischen Stuhl ausführliche Berichte gesandt. Diese Frage wurde bei Begegnungen auf höchster Ebene in der Kirche untersucht. Im Anschluss an diese Schritte ist, so meine ich, jetzt die Zeit gekommen, diesen Prozess zu vollenden. Ich habe daher die Kongregation für die Orientalischen Kirchen autorisiert, Regelungen für die Seelsorge der syro-malabarischen Gläubigen in ganz Indien zu treffen, durch die Errichtung von zwei Eparchien sowie durch die Erweiterung der Grenzen der beiden bereits bestehenden Eparchien. Außerdem verfüge ich, dass die neuen ebenso wie die bereits bestehenden Kirchenbezirke der Hirtensorge des Großerzbischofs von Ernakulam- Angamaly sowie der Bischofssynode der syromalabarischen Kirche anvertraut werden, den Vorschriften des Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium entsprechend.

8. Ich hoffe, dass meine Entscheidung im Geist der Großherzigkeit und der Friedfertigkeit aufgenommen wird, auch wenn sie bei einigen Besorgnis auslösen könnte, da viele Syro-Malabaren, die keine Seelsorge in ihrem eigenen Ritus hatten, gegenwärtig ganz in das Leben der lateinischen Kirche eingebunden sind. Ich bin jedoch überzeugt, dass alle Beteiligten verstehen werden, dass es keinen Grund zur Besorgnis gibt: Das Leben der Kirche soll durch diese Maßnahme nicht gestört werden. Tatsächlich darf sie nicht negativ interpretiert werden – so als würde sie die Gläubigen zwingen, jene Gemeinschaften zu verlassen, die sie, manchmal über viele Generationen hinweg, aufgenommen haben und zu denen sie auf verschiedene Weise beigetragen haben. Vielmehr sollte es als Einladung und Gelegenheit zum Wachstum im Glauben und in der Gemeinschaft mit ihrer Teilkirche eigenen Rechts verstanden werden, um das kostbare Erbe ihres Ritus zu bewahren und an zukünftige Generationen weiterzugeben. Es gibt bereits eine Instruktion der Kongregation für die Orientalischen Kirchen für die Eparchie von Faridabad, die besagt, dass ein syro-malabarischer Gläubiger kraft desselben Gesetzes auch Mitglied der syro-malabarischen Pfarrei ist, in der er oder sie den Wohnsitz hat (vgl. Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, Can. 280 §1); trotzdem kann er oder sie gleichzeitig weiterhin in das Leben und die Aktivitäten der Pfarrei der lateinischen Kirche eingebunden bleiben. Die Gläubigen brauchen keine Dispens vom gegenwärtig gültigen Gesetz, um ihren Glauben in Ruhe und Frieden zu praktizieren, und sie können dafür die Seelsorge entweder lateinischer oder syro-malabarischer Hirten in Anspruch nehmen (vgl. Prot. Nr. 197/2014, 28. Januar 2016).

9. Der Weg der katholischen Kirche in Indien darf nicht durch Isolation und Trennung, sondern muss durch Achtung und Zusammenarbeit geprägt sein. Die Anwesenheit mehrerer Bischöfe der verschiedenen Rituskirchen im selben Territorium ist gewiss ein beredtes Zeugnis für eine dynamische und wunderbare Gemeinschaft. Das ist die Sichtweise des Zweiten Vatikanischen Konzils, das ich noch einmal zitiere: »Daher bestehen schließlich zwischen den verschiedenen Teilen der Kirche die Bande einer innigen Gemeinschaft der geistigen Güter, der apostolischen Arbeiter und der zeitlichen Hilfsmittel. Zu dieser Gütergemeinschaft nämlich sind die Glieder des Gottesvolkes berufen, und auch von den Einzelkirchen gelten die Worte des Apostels: ›Dienet einander, jeder mit der Gnadengabe, wie er sie empfangen hat, als gute Verwalter der vielfältigen Gnadengaben Gottes‹ (1 Petr 4,10)« (Lumen gentium, 13). In diesem Geiste bitte ich alle geliebten Kirchen in Indien, großherzig und mutig zu sein in ihrem Zeugnis für das Evangelium im Geist der Brüderlichkeit und der gegenseitigen Liebe. Für die syro-malabarische Kirche bedeutet das, die hochgeschätzte Arbeit ihrer Priester und Ordensleute im lateinischen Kontext fortzusetzen und weiterhin verfügbar zu sein für jene syro-malabarischen Gläubigen, die sich zwar entscheiden, am Leben lateinischer Pfarreien teilzunehmen, aber um Unterstützung von Seiten ihrer Ursprungskirche bitten.

Die Kirche des lateinischen Ritus kann den Mitgliedern syro-malabarischer Gemeinden, die keine eigenen Kirchengebäude haben, weiterhin großherzig Gastfreundschaft gewähren. Die Zusammenarbeit zwischen allen Rituskirchen sollte zum Beispiel durch Einkehrtage und Seminare für den Klerus, durch Bibelvorträge, das Feiern gemeinsamer Feste und durch ökumenische Bemühungen fortgesetzt werden. Durch das Wachstum geistlicher Freundschaft und gegenseitiger Unterstützung sollten alle Spannungen oder Ängste rasch überwunden werden. Diese Erweiterung des pastoralen Gebiets der syro-malabarischen Kirche darf keinesfalls als Wachstum an Macht und Herrschaft verstanden werden, sondern sie muss vielmehr ein Aufruf zu tieferer Gemeinschaft sein, die nie als Einförmigkeit verstanden werden darf. Mit den Worten des heiligen Augustinus, der die Dreifaltigkeit und die wunderbare Gemeinschaft des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes besungen hat, bitte ich auch euch: Dilatentur spatia caritatis (Sermo 69, PL 5,440.441). Möge es ein Wachstum in Liebe, Gemeinschaft und im Dienen geben.

Liebe Brüder im Bischofsamt, ich empfehle euch alle der Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria und versichere euch meiner Nähe im Gebet. Euch allen, der Kirche und den Gläubigen in Indien, erteile ich meinen Apostolischen Segen, und ich bitte euch, für mich zu beten.

Aus dem Vatikan, am 9. Oktober 2017

Franziskus

 



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