INTERNATIONALES FORUM
“THE ECONOMY OF FRANCESCO”
[Basilika des hl. Franziskus in Assisi, 19.-21. November 2020]
VIDEOBOTSCHAFT DES HEILIGEN VATERS
Samstag, 21. November 2020
Liebe junge Menschen, guten Tag!
Danke, dass ihr dabei seid, für die ganze Arbeit, die ihr getan habt, für den Einsatz in diesen Monaten, trotz der Programmänderungen. Ihr habt nicht den Mut verloren. Im Gegenteil: Ich habe das Reflexionsniveau, die Qualität, die Ernsthaftigkeit und die Verantwortung kennengelernt, mit denen ihr gearbeitet habt. Ihr habt nichts beiseite gelassen, was euch Freude oder Sorge bereitet, was euch empört oder was euch drängt, etwas zu verändern. Die ursprüngliche Idee war, uns in Assisi zu treffen, um uns auf den Spuren des heiligen Franziskus inspirieren zu lassen. Vom Gekreuzigten in San Damiano und von anderen Gesichtern – wie dem des Aussätzigen – her ist der Herr auf ihn zugegangen, hat ihn berufen und hat ihm eine Sendung anvertraut. Er hat ihn befreit von den Götzen, die ihn isolierten, von den Zweifeln, die ihn lähmten und ihn in die übliche Schwäche des »das hat man schon immer so gemacht« – das ist eine Schwäche! – einsperrten, von der süßlichen und unzufriedenen Traurigkeit jener, die nur für sich selbst leben, und hat ihm die Fähigkeit geschenkt, einen Lobgesang anzustimmen, als Ausdruck der Freude, der Freiheit und der Selbsthingabe. Daher ist diese virtuelle Begegnung in Assisi für mich kein Zielpunkt, sondern die Ingangsetzung eines Prozesses, den wir eingeladen sind, als Berufung, als Kultur und als Pakt zu leben.
»Franziskus, geh hin und stelle mein Haus wieder her, das, wie du siehst, ganz verfallen ist!« Diese Worte haben den jungen Franziskus aufgerüttelt, und sie werden zu einem besonderen Appell an einen jeden von uns. Wenn ihr euch berufen, einbezogen und als Protagonisten der »Normalität« fühlt, die aufgebaut werden muss, dann könnt ihr »Ja« sagen, und das gibt Hoffnung. Ich weiß, dass ihr diese Einladung sofort angenommen habt, denn ihr seid in der Lage zu sehen, zu analysieren und zu erfahren, dass wir auf diese Weise nicht vorangehen können: Das große Maß an Zustimmung, Anmeldungen und Teilnahme an diesem Pakt, das die Kapazitäten übersteigt, hat das deutlich gezeigt. Ihr zeigt besondere Sensibilität und Sorge, wenn es darum geht, die entscheidenden Fragen zu erkennen, die uns herausfordern, und zwar aus einer besonderen Perspektive heraus: aus der Perspektive der Wirtschaft, die euer Forschungs-, Studien- und Arbeitsbereich ist. Ihr wisst, dass wir dringend einen anderen wirtschaftlichen Diskurs brauchen, dringend verantwortungsbewusst zur Kenntnis nehmen müssen, dass »das gegenwärtige weltweite System unter verschiedenen Gesichtspunkten unhaltbar ist«Danke, dass ihr dabei seid, für die ganze Arbeit, die ihr getan habt, für den Einsatz in diesen Monaten, trotz der Programmänderungen. Ihr habt nicht den Mut verloren. Im Gegenteil: Ich habe das Reflexionsniveau, die Qualität, die Ernsthaftigkeit und die Verantwortung kennengelernt, mit denen ihr gearbeitet habt. Ihr habt nichts beiseite gelassen, was euch Freude oder Sorge bereitet, was euch empört oder was euch drängt, etwas zu verändern. Die ursprüngliche Idee war, uns in Assisi zu treffen, um uns auf den Spuren des heiligen Franziskus inspirieren zu lassen. Vom Gekreuzigten in San Damiano und von anderen Gesichtern – wie dem des Aussätzigen – her ist der Herr auf ihn zugegangen, hat ihn berufen und hat ihm eine Sendung anvertraut. Er hat ihn befreit von den Götzen, die ihn isolierten, von den Zweifeln, die ihn lähmten und ihn in die übliche Schwäche des »das hat man schon immer so gemacht« – das ist eine Schwäche! – einsperrten, von der süßlichen und unzufriedenen Traurigkeit jener, die nur für sich selbst leben, und hat ihm die Fähigkeit geschenkt, einen Lobgesang anzustimmen, als Ausdruck der Freude, der Freiheit und der Selbsthingabe. Daher ist diese virtuelle Begegnung in Assisi für mich kein Zielpunkt, sondern die Ingangsetzung eines Prozesses, den wir eingeladen sind, als Berufung, als Kultur und als Pakt zu leben. »Franziskus, geh hin und stelle mein Haus wieder her, das, wie du siehst, ganz verfallen ist!« Diese Worte haben den jungen Franziskus aufgerüttelt, und sie werden zu einem besonderen Appell an einen jeden von uns. Wenn ihr euch berufen, einbezogen und als Protagonisten der »Normalität« fühlt, die aufgebaut werden muss, dann könnt ihr »Ja« sagen, und das gibt Hoffnung. Ich weiß, dass ihr diese Einladung sofort angenommen habt, denn ihr seid in der Lage zu sehen, zu analysieren und zu erfahren, dass wir auf diese Weise nicht vorangehen können: Das große Maß an Zustimmung, Anmeldungen und Teilnahme an diesem Pakt, das die Kapazitäten übersteigt, hat das deutlich gezeigt. Ihr zeigt besondere Sensibilität und Sorge, wenn es darum geht, die entscheidenden Fragen zu erkennen, die uns herausfordern, und zwar aus einer besonderen Perspektive heraus: aus der Perspektive der Wirtschaft, die euer Forschungs-, Studien- und Arbeitsbereich ist. Ihr wisst, dass wir dringend einen anderen wirtschaftlichen Diskurs brauchen, dringend verantwortungsbewusst zur Kenntnis nehmen müssen, dass »das gegenwärtige weltweite System unter verschiedenen Gesichtspunkten unhaltbar ist«1 und unserer so schwer misshandelten und geplünderten Schwester Erde Schaden zufügt, und mit ihr den Ärmsten und den Ausgegrenzten. Das geht Hand in Hand: Du plünderst die Erde, und viele Arme werden ausgegrenzt. Sie sind die ersten, die Schaden erleiden… und auch die ersten, die vergessen werden. Auf Eines muss man jedoch achten: Man darf sich nicht überreden lassen, dass dies nur ein gängiges Klischee sei. Ihr seid viel mehr als ein oberflächlicher vorübergehender »Lärm«, der mit der Zeit einschlafen und betäubt werden kann. Wenn das nicht geschehen soll, dann seid ihr aufgerufen, in euren Städten und Universitäten, am Arbeitsplatz und in der Gewerkschaft, in den Unternehmen und in den Bewegungen, in öffentlichen Ämtern und privaten Büros konkret Einfluss zu nehmen, mit Intelligenz, Engagement und Überzeugung, um zum Kern und zum Herzen zu gelangen, wo Themen und Paradigmen erarbeitet und entschieden werden.[1] All das hat mich dazu gebracht, euch einzuladen, diesen Pakt zu schließen. und unserer so schwer misshandelten und geplünderten Schwester Erde Schaden zufügt, und mit ihr den Ärmsten und den Ausgegrenzten.
Das geht Hand in Hand: Du plünderst die Erde, und viele Arme werden ausgegrenzt. Sie sind die ersten, die Schaden erleiden… und auch die ersten, die vergessen werden. Auf Eines muss man jedoch achten: Man darf sich nicht überreden lassen, dass dies nur ein gängiges Klischee sei. Ihr seid viel mehr als ein oberflächlicher vorübergehender »Lärm«, der mit der Zeit einschlafen und betäubt werden kann. Wenn das nicht geschehen soll, dann seid ihr aufgerufen, in euren Städten und Universitäten, am Arbeitsplatz und in der Gewerkschaft, in den Unternehmen und in den Bewegungen, in öffentlichen Ämtern und privaten Büros konkret Einfluss zu nehmen, mit Intelligenz, Engagement und Überzeugung, um zum Kern und zum Herzen zu gelangen, wo Themen und Paradigmen erarbeitet und entschieden werden.[2] All das hat mich dazu gebracht, euch einzuladen, diesen Pakt zu schließen.
Die gegenwärtige ernste Lage, die die Covid-Pandemie noch deutlicher gemacht hat, verlangt eine verantwortungsbewusste Besinnung von Seiten aller Handlungsträger in der Gesellschaft, von uns allen, wobei ihr eine Hauptrolle spielt: Die Folgen unseres Handelns und unserer Entscheidungen werden euch persönlich betreffen; daher könnt ihr euch nicht heraushalten aus Orten, an denen, ich möchte nicht sagen, eure Zukunft, aber eure Gegenwart geschaffen wird. Ihr könnt euch nicht dort heraushalten, wo Gegenwart und Zukunft geschaffen werden. Entweder seid ihr daran beteiligt, oder die Geschichte wird über euch hinweggehen.
Wir brauchen Veränderung, wir wollen Veränderung, wir suchen Veränderung.[3] Das Problem entsteht, wenn wir merken, dass wir aufgrund vieler Schwierigkeiten, die uns bedrängen, keine angemessenen und inklusiven Antworten haben; ja, wir leiden sogar unter einer Zersplitterung in den Analysen und Diagnosen, die letztlich jede mögliche Lösung blockiert. Im Grunde fehlt uns die Kultur, die notwendig ist, um die Öffnung für andere Sichtweisen zu gestatten und anzuregen, für Sichtweisen, die geprägt sind von einem Denken, einer Politik, von Bildungsprogrammen und einer Spiritualität, die sich nicht von einer herrschenden Logik vereinnahmen lassen.[4] Wenn dringend Antworten gefunden werden müssen, dann ist es unverzichtbar, Leitungsgremien wachsen zu lassen und zu unterstützen, die in der Lage sind, Kultur zu erarbeiten, Prozesse in Gang zu setzen – vergesst dieses Wort nicht: Prozesse in Gang setzen – Wege aufzuzeigen, Horizonte zu erweitern, Zugehörigkeiten zu schaffen… Für jedes Bemühen, unser gemeinsames Haus zu verwalten, zu heilen und zu verbessern, das von Bedeutung sein soll, »müssen sich vor allem die Lebensweisen, die Modelle von Produktion und Konsum und die verfestigten Machtstrukturen ändern, die heute die Gesellschaften beherrschen«.[5]
Wenn man das nicht tut, dann erreicht man nichts. Wir brauchen gemeinschaftliche und institutionelle Leitungsgremien, die sich der Probleme annehmen können, ohne in ihnen und in der eigenen Unzufriedenheit gefangen zu bleiben, und so die – oft unbewusste – Unterwerfung unter gewisse (ideologische) Logiken herausfordern, die letztlich jedes Handeln angesichts von Unrecht rechtfertigen und lähmen. Denken wir zum Beispiel an das, was Benedikt XVI. zutreffend gesagt hat: »Der Hunger hängt weniger von einem materiellen Mangel ab, als vielmehr von einem Mangel an gesellschaftlichen Ressourcen, deren wichtigste institutioneller Natur ist.«[6]Wenn ihr in der Lage sein werdet, dies zu lösen, dann wird euch der Weg in die Zukunft offen stehen. Ich wiederhole den Gedanken von Papst Benedikt: Der Hunger hängt weniger von einem materiellen Mangel ab, als vielmehr von einem Mangel an gesellschaftlichen Ressourcen, deren wich - tigste institutioneller Natur ist. Die soziale und wirtschaftliche Krise, die viele am eigenen Leib erleiden und die die Gegenwart und die Zukunft dadurch belastet, dass viele Kinder und Jugendliche sowie ganze Familien sich selbst überlassen und ausgegrenzt werden, duldet es nicht, dass wir die Interessen einiger Branchen vorziehen, zum Nachteil des Gemeinwohls. Wir müssen ein wenig zur Mystik [zum Geist] des Gemeinwohls zurückkehren. Gestattet mir, in diesem Sinne eine Übung hervorzuheben, die ihr als Methode für eine gesunde und revolutionäre Lösung der Konflikte erprobt habt.
Ihr habt in diesen Monaten verschiedene Reflexionen und wichtige theoretische Rahmenkonzepte ausgetauscht. Ihr wart in der Lage, euch zu 12 Themen (»Dörfer« habt ihr sie genannt) zu treffen: 12 Themen, um zu debattieren, zu diskutieren und gangbare Wege zu finden. Ihr habt die so notwendige Kultur der Begegnung gelebt, die das Gegenteil der Wegwerfkultur ist, die derzeit in Mode ist. Und diese Kultur der Begegnung gestattet es vielen Stimmen, um denselben Tisch herum zu sitzen, um miteinander zu sprechen, nachzudenken, zu diskutieren und in einer polyedrischen Perspektive die verschiedenen Dimensionen und Antworten auf die globalen Probleme, die unsere Völker und unsere Demokratien betreffen, zu entwickeln.[7] Wie schwer ist es, auf wirkliche Lösungen zuzugehen, wenn man den Gesprächspartner, der anderer Meinung ist als wir, diskreditiert, verleumdet und aus dem Zusammenhang gerissen zitiert! Den Gesprächspartner, der anderer Meinung ist als wir, zu diskreditieren, zu verleumden oder aus dem Zusammenhang gerissen zu zitieren, ist eine Art feiger Selbstverteidigung gegen Entscheidungen, die ich treffen müsste, um viele Probleme zu lösen.
Wir dürfen nie vergessen: »Das Ganze ist mehr als der Teil, und es ist auch mehr als ihre einfache Summe.«[8] Und »die bloße Summe von Einzelinteressen ist nicht in der Lage, eine bessere Welt für die gesamte Menschheit zu schaffen«[9] . Die Übung, einander über alle berechtigten Unterschiede hinaus zu begegnen, ist der grundlegende Schritt für jegliche Veränderung, die dazu beiträgt, eine neue kulturelle und somit wirtschaftliche, politische und soziale Geisteshaltung ins Leben zu rufen. Denn es ist nicht möglich, sich nur aus einer theoretischen oder individuellen Perspektive heraus für große Dinge zu engagieren, ohne einen Geist, der euch beseelt, ohne innere Beweggründe, die Sinn stiften, ohne eine Zugehörigkeit und eine Verwurzelung, die dem persönlichen und gemeinschaftlichen Handeln Tragweite verleihen.[10]So wird die Zukunft eine besondere Zeit sein, in der wir uns aufgerufen fühlen, die Dringlichkeit und die Schönheit der Herausforderung, vor der wir stehen, zu erkennen. Eine Zeit, die uns daran erinnert, dass wir nicht verurteilt sind zu Wirtschaftsmodellen, die ihr unmittelbares Interesse auf den Profit als einzigen Maßstab und auf das Streben nach entsprechenden öffentlichen politischen Maßnahmen richten, die ihre Kosten im menschlichen und sozialen Bereich sowie für die Umwelt ignorieren[11], so als könnten wir auf eine absolute, unbegrenzte oder neutrale Verfügbarkeit der Ressourcen zählen.
Nein, wir sind nicht gezwungen, in unserem Verhalten weiter still zu akzeptieren und zu dulden, »dass einige meinen, mehr Mensch zu sein als andere, als wären sie mit größeren Rechten geboren«[12] oder mit Privilegien, die ihnen den Genuss bestimmter grundlegender Güter oder Dienstleistungen garantieren.[13] Es genügt auch nicht, alles auf die Suche nach Linderungsmaßnahmen im NonprofitBereich oder in philanthropischen Modellen zu setzen. Auch wenn ihre Arbeit sehr wichtig ist, so sind sie nicht immer in der Lage, das gegenwärtige Ungleichgewicht, das die am stärksten ausgegrenzten Menschen betrifft, strukturell zu bekämpfen, und setzen ungewollt das Unrecht fort, dem sie sich entgegenstellen wollen. Denn es geht nicht nur oder nicht ausschließlich darum, unseren Brüdern und Schwestern in ihren Grundbedürfnissen zu helfen. Vielmehr muss man strukturell akzeptieren, dass die Armen genug Würde besitzen, um bei unseren Begegnungen mit uns an einem Tisch zu sitzen, an unseren Diskussionen teilzunehmen und für ihren eigenen Lebensunterhalt zu sorgen.
Und das ist viel mehr als Wohlfahrt: Wir sprechen von einer Umkehr und Änderung unserer Prioritäten und des Platzes des anderen in unseren politischen Maßnahmen und in der Gesellschaftsordnung. Es geht jetzt im 21. Jahrhundert »nicht mehr einfach um das Phänomen der Ausbeutung und der Unterdrückung, sondern um etwas Neues: Mit der Ausschließung ist die Zugehörigkeit zu der Gesellschaft, in der man lebt, an ihrer Wurzel getroffen, denn durch sie befindet man sich nicht in der Unterschicht, am Rande oder gehört zu den Machtlosen, sondern man steht draußen«.[14]Gebt acht: Die Ausgrenzung betrifft die Zugehörigkeit zur Gesellschaft, in der man lebt, an ihrer Wurzel, da man nicht ganz unten, am Rande oder ohne Macht in der Gesellschaft lebt, sondern außerhalb von ihr angesiedelt ist. Es ist die Wegwerfkultur, die nicht nur wegwirft, sondern zwingt, im eigenen Abfall zu leben, unsichtbar gemacht jenseits der Mauer der Gleichgültigkeit und des Komforts.
Ich erinnere mich an das erste Mal, dass ich ein geschlossenes Wohnviertel gesehen habe: Ich wusste nicht, dass es sie gibt. Es war 1970. Ich sollte einige Noviziate der Gesellschaft Jesu besuchen und bin in einem Land angekommen. Und dann hat man mir auf dem Weg durch die Stadt gesagt: »Nein, dorthin kann man nicht gehen, denn das ist eine bewachte Wohnanlage.« Drinnen waren Mauern, und darin waren die Häuser, die Straßen, aber es war abgeschirmt, geschlossen: also ein Wohnviertel, das in der Gleichgültigkeit lebte. Ich war sehr erschüttert, das zu sehen. Aber dann hat das immer mehr und mehr zugenommen…, und es gab sie über - all. Aber ich frage dich: Ist dein Herz wie ein geschlossenes Wohnviertel?
Wir können es uns nicht erlauben, einige Fragen weiter aufzuschieben. Diese immense und unaufschiebbare Aufgabe verlangt einen großherzigen Einsatz im kulturellen Bereich, in der akademischen Bildung und in der wissenschaftlichen Forschung, ohne sich in intellektuellen Moden oder ideologischen Einstellungen – die Inseln sind – zu verlieren, die uns vom Leben und vom konkreten Leiden der Menschen isolieren.[15]Es ist an der Zeit, liebe junge Wirtschaftswissenschaftler, Unternehmer, Angestellte und Leiter von Firmen, es ist an der Zeit, das Risiko zu wagen, Modelle der Entwicklung, des Fortschritts und der Nachhaltigkeit zu fördern, in denen die Menschen, und insbesondere die Ausgegrenzten (und darunter auch die Schwester Erde) aufhören, bes - tenfalls eine rein nominale, technische oder funktionale Präsenz zu sein, um zu Protagonisten ihres Lebens sowie des ganzen Sozialgefüges zu werden. Es darf keine nominelle Angelegenheit sein: Es gibt die Armen, die Ausgegrenzten… Nein, nein, diese Präsenz darf nicht nominell, nicht technisch, nicht funktional sein.
Es ist an der Zeit, dass sie zu Protagonisten ihres Lebens sowie des ganzen Sozialgefüges werden. Denken wir nicht für sie, denken wir mit ihnen. Denkt an das Erbe der Aufklärung, an die aufgeklärten Eliten. Alles für das Volk, nichts mit dem Volk. Und das geht nicht. Denken wir nicht für sie, denken wir mit ihnen. Und lernen wir von ihnen, Wirtschaftsmodelle voranzubringen, die allen zum Vorteil gereichen, denn der strukturelle Ansatz und die Entscheidungen werden bestimmt von der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen, die von der Soziallehre der Kirche so gut ausgearbeitet wurde. Politik und Wirtschaft dürfen sich nicht »dem Diktat und dem effizienzorientierten Paradigma der Technokratie unterwerfen. Im Hinblick auf das Gemeinwohl besteht für uns heute die dringende Notwendigkeit, dass Politik und Wirtschaft sich im Dialog entschieden in den Dienst des Lebens stellen, besonders in den des menschlichen Lebens«.[16]
Ohne diese Zentralität und diese Ausrichtung würden wir gefangen bleiben in einem entfremdenden Kreislauf, der immer wieder nur Dynamiken des Verfalls, der Ausgrenzung, der Gewalt und der Polarisierung herbeiführen würde: »Jedes Programm zur Steigerung der Produktion hat nur so weit Berechtigung, als es dem Menschen dient. Es soll die Ungleichheiten abtragen, Diskriminierungen beseitigen, den Menschen aus Versklavungen befreien. […] Es reicht nicht, den allgemeinen Wohlstand zu erhöhen, um alle in angemessener Weise daran teilnehmen zu lassen.« Nein, das reicht nicht. »Es reicht nicht, die Technik auszubauen, damit die Erde menschlicher zu bewohnen sei.«[17]Auch das reicht nicht. Die Aussicht auf die ganzheitliche Entwicklung des Menschen ist eine gute Nachricht, die prophezeit und umgesetzt werden muss – und das sind keine Träume: das ist der Weg –, eine gute Nachricht, die prophezeit und umgesetzt werden muss, weil sie uns anbietet, einander als Menschheit zu begegnen, auf der Grundlage des Besten von uns selbst: dem Traum Gottes, dass wir lernen, uns des Bruders anzunehmen, und zwar des schwächeren Bruders (vgl. Gen 4,9). »
Das Maß der Humanität bestimmt sich ganz wesentlich im Verhältnis zum Leid und zum Leidenden.« Das Maß der Humanität. »Das gilt für den einzelnen wie für die Gesellschaft.«[18]Dieses Maß muss auch in unseren Entscheidungen und in den Wirtschaftsmodellen verkörpert werden. Wie gut tut es doch, die Worte des heiligen Paul VI. erklingen zu lassen, der mit dem Wunsch, dass die Botschaft des Evangeliums alle menschlichen Wirklichkeiten durchdringen und leiten möge, schrieb: »Entwicklung ist nicht einfach gleichbedeutend mit ›wirtschaftlichem Wachstum‹. Wahre Entwicklung muss umfassend sein, sie muss jeden Menschen und den ganzen Menschen im Auge haben.« Jeden Menschen und den ganzen Menschen! »Wir lehnen es ab, die Wirtschaft vom Menschlichen zu trennen, von der Entwicklung der Kultur, zu der sie gehört. Was für uns zählt, ist der Mensch, jeder Mensch, jede Gruppe von Menschen bis hin zur gesamten Menschheit.«[19]In diesem Sinne werden viele von euch die Möglichkeit haben zu handeln und Einfluss zu nehmen auf makrowirtschaftliche Entscheidungen, wo das Schicksal vieler Nationen auf dem Spiel steht.
Auch diese Szenarien brauchen gebildete Menschen, »klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben« (Mt 10,16), die in der Lage sind, »über die nachhaltige Entwicklung der Länder [zu] wachen und diese vor einer erstickenden Unterwerfung durch Kreditsysteme [zu] schützen, die – weit davon entfernt, den Fortschritt zu fördern – die Bevölkerung unter das Joch von Mechanismen zwingen, die zu noch größerer Armut, Ausschließung und Abhängigkeit führen«[20]. Kreditsysteme allein sind ein Weg zu Armut und Abhängigkeit. Dieser rechtmäßige Protest fordert, ein Modell internationaler Solidarität hervorzubringen und zu begleiten, das die wechselseitige Abhängigkeit zwischen den Nationen anerkennt und respektiert und Kontrollmechanismen unterstützt, die in der Lage sind, jede Art von Unterwerfung zu vermeiden und auch die Förderung der am meis - ten benachteiligten Länder und der Entwicklungsländer zu überwachen; jedes Volk ist aufgerufen, Baumeister des eigenen Schicksals und des Schicksals der ganzen Welt zu werden.[21]
* * *
Liebe junge Menschen, »heute haben wir die großartige Gelegenheit, unsere Geschwisterlichkeit zum Ausdruck zu bringen; zu zeigen, dass wir auch barmherzige Samariter sind, die den Schmerz des Versagens auf sich nehmen, anstatt Hass und Ressentiments zu verstärken«.[22]Eine unvorhersehbare Zukunft ist bereits im Werden; jeder von uns, von dem Platz aus, an dem er handelt und entscheidet, kann viel tun. Wählt nicht die verlockenden Abkürzungen, die euch daran hindern euch einzumischen, um dort Sauerteig zu sein, wo ihr euch befindet (vgl. Lk 13,20-21). Keine Abkürzungen, Sauerteig, sich die Hände schmutzig machen. Wenn die Gesundheitskrise, die wir derzeit durchmachen, vorbei sein wird, dann wäre die schlimmste Reaktion die, noch mehr in einen fieberhaften Konsumismus zu verfallen sowie in neue Formen egoistischen Selbstschutzes. Vergesst nicht, dass man aus einer Krise nie genauso hervorgeht, wie man vorher war: Wir gehen besser oder schlechter daraus hervor. Lassen wir das Gute wachsen, ergreifen wir die Gelegenheit und stellen wir uns alle in den Dienst des Gemeinwohls. Gott gebe es, dass es am Ende nicht mehr »die Anderen« gibt, sondern dass wir es lernen, einen Lebensstil heranreifen zu lassen, in dem wir es verstehen, »Wir« zu sagen.[23]Aber ein großes »Wir«, kein kleines »wir« und dann »die Anderen«, nein, das geht nicht. Die Geschichte lehrt uns, dass es weder Systeme noch Krisen gibt, die in der Lage sind, die Fähigkeit, den Verstand und die Kreativität, die Gott unablässig in unseren Herzen erweckt, vollständig auszulöschen.
Mit Hingabe und Treue zu euren Völkern, eurer Gegenwart und eurer Zukunft könnt ihr euch anderen anschließen, um Pläne zu schmieden für eine neue Art, Geschichte zu schreiben. Habt keine Angst, euch einzubringen und die Seele der Städte mit dem Blick Jesu zu berühren. Habt keine Angst, die Konflikte und Wegkreuzungen der Geschichte mutig zu bewohnen, um sie mit dem Wohlgeruch der Seligpreisungen zu salben. Habt keine Angst, denn niemand erlangt das Heil allein. Niemand erlangt das Heil allein. Euch junge Menschen aus 115 Ländern lade ich ein anzuerkennen, dass wir einander brauchen, um die Wirtschaftskultur ins Leben zu rufen, die in der Lage ist, »Träume aufkommen zu lassen, Prophetien und Visionen zu wecken, Hoffnungen erblühen zu lassen, Vertrauen zu stimulieren, Wunden zu verbinden, Beziehungen zu knüpfen, eine Morgenröte der Hoffnung aufleben zu lassen, voneinander zu lernen und eine positive Vorstellungswelt zu schaffen, die den Verstand erleuchtet, das Herz erwärmt, neue Kraft zum Anpacken gibt und die jungen Menschen inspiriert – alle jungen Menschen ohne Ausnahme –, eine Vision von Zukunft, die erfüllt ist von der Freude des Evangeliums.«[24]Danke!
[1]Enzyklika Laudato si’ (24. Mai 2015), 61. Im Folgenden LS.
[2] Vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium (24. November 2013), 74. Im Folgenden EG.
[3] Vgl. Ansprache beim Welttreffen der Volksbewegungen, Santa Cruz de la Sierra, 9. Juli 2015.
[1] Vgl. LS, 111.
[5] Hl. Johannes Paul II., Enzyklika Centesimus annus (1. Mai 1991), 58.
[6] Enzylika Caritas in veritate (29. Juni 2009), 27.
[7] Vgl. Ansprache an das von der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften organisierte Seminar »Neue Formen der solidarischen Brüderlichkeit, Inklusion, Integration und Innovation« (5. Februar 2020). Wir rufen in Erinnerung: »Die wirkliche Weisheit, die aus der Reflexion, dem Dialog und der großherzigen Begegnung zwischen Personen hervorgeht, erlangt man nicht mit einer bloßen Anhäufung von Daten, die sättigend und benebelnd in einer Art geistiger Umweltverschmutzung endet« (LS, 47).
[8] EG, 235.
[9] Enzyklika Fratelli tutti (3. Oktober 2020), 105. Im Folgenden FT.
[10] Vgl. LS, 216.
[11] Und die gelegentlich Steuerhinterziehung und mangelnde Achtung der Rechte der Arbeitnehmer unterstützen, ebenso wie »die Möglichkeit der Korruption von Seiten einiger der größten Unternehmen der Welt, die sich nicht selten in Übereinstimmung mit dem vorherrschenden politischen Sektor befinden« (Ansprache an das von der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften organisierte Seminar »Neue Formen der solidarischen Brüderlichkeit, Inklusion, Integration und Innovation«, a.a.O.)
[12] LS, 90. Zum Beispiel »die Schuld dem Bevölkerungszuwachs und nicht dem extremen und selektiven Konsumverhalten einiger anzu - lasten, ist eine Art, sich den Problemen nicht zu stellen. Es ist der Versuch, auf diese Weise das gegenwärtige Modell der Verteilung zu legitimieren, in dem eine Minderheit sich für berechtigt hält, in einem Verhältnis zu konsumieren, das unmöglich verallgemeinert werden könnte, denn der Planet wäre nicht einmal imstande, die Abfälle eines solchen Konsums zu fassen« (LS, 50).
[13] Obwohl wir alle mit derselben Würde ausgestattet sind, beginnen im Hinblick auf die Gesellschaftsordnung nicht alle in derselben Position und mit denselben Möglichkeiten. Das stellt uns vor Herausforderungen und fordert uns auf, über Wege nachzudenken, die dazu führen, dass Freiheit und Gleichheit keine reinen Nennwerte sind, dazu geeignet, die Ungerechtigkeit zu fördern (vgl. FT, 21-23). Es würde uns guttun, uns zu fragen: »Was geschieht ohne eine bewusst kultivierte Brüderlichkeit, ohne einen politischen Willen zur Brüderlichkeit, der konkret wird in einer Erziehung zur Brüderlichkeit, zum Dialog, zur Entdeckung des Wertes der Gegenseitigkeit und wechselseitiger Bereicherung?« (FT, 103).
[14] EG, 53. In einer Welt der Virtualität, der Veränderungen und der Zersplitterung dürfen die sozialen Rechte nicht nur Ermahnungen oder nominalistische Appelle sein, sondern müssen Leuchtfeuer und Kompass für den Weg sein, denn es »bringt auch der Gesundheitszustand der Institutionen einer Gesellschaft Folgen für die Umwelt und die menschliche Lebensqualität mit sich« (LS, 142).
[15] Vgl. Apostolische Konstitution Veritatis gaudium (8. Dezember 2017), 3.
[16] LS, 189.
[17] Hl. Paul VI., Enzyklika Populorum progressio (26. März 1967), 34. Im Folgenden PP.
[18] Benedikt XVI., Enzyklika Spe salvi (30. November 2007), 38.
[19] PP, 14.
[20] Ansprache vor der UN-Generalversammlung (25. September 2015).
[21] Vgl. PP, 65.
[22] FT, 77.
[23] Ebd.
[24] Ansprache zu Beginn der Jugendsynode (3. Oktober 2018).
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