BOTSCHAFT
DES HEILIGEN VATERS
FRANZISKUS
AN DIE BISCHÖFE, PRIESTER UND DIAKONE
AN DIE GOTTGEWEIHTEN UND AN DIE LAIEN
ZUM FÜNFZIGSTEN JAHRESTAG
DES APOSTOLISCHEN SCHREIBENS
IN FORM EINES »MOTU PROPRIO«
MINISTERIA QUAEDAM
DES HEILIGEN PAUL VI.
1. Der fünfzigste Jahrestag des Apostolischen Schreibens in Form eines »Motu Proprio« Ministeria quaedam des heiligen Paul VI. [AAS 64 (1972), 529-534] bietet uns die Gelegenheit, erneut über das Thema der Dienste nachzudenken. Innerhalb des fruchtbaren, aber nicht spannungsfreien Kontextes, der auf das Zweite Vatikanische Konzil folgte, hat dieses Dokument der Kirche eine bedeutsame Überlegung dargeboten, die nicht nur zur Erneuerung der Disziplin in Bezug auf die erste Tonsur, die niederen Weihen und den Subdiakonat in der lateinischen Kirche geführt hat – wie es im Titel heißt –, sondern der Kirche eine wichtige Perspektive eröffnet hat, die die Kraft hatte, weitere Entwicklungen anzustoßen.
2. Im Lichte dieser Entscheidung und der Gründe, auf die sie sich stützte, müssen wir die beiden jüngsten Apostolischen Schreiben in Form eines »Motu Proprio« verstehen, mit denen ich auf das Thema der Beauftragungen eingegangen bin. Das erste, Spiritus Domini, vom 10. Januar 2021, hat Kanon 230 § 1 des Codex des kanonischen Rechts in Bezug auf den Zugang von Personen weiblichen Geschlechts zu den Beauftragungen des Lektors und des Akolythen geändert. Das zweite, Antiquum ministerium, vom 10. Mai 2021, hat die Beauftragung des Katecheten eingesetzt. Diese beiden Eingriffe sollen nicht als ein Überwinden der früheren Lehre interpretiert werden, sondern als eine Weiterentwicklung, die möglich ist, weil sie auf denselben Grundsätzen beruht, die – im Einklang mit den Überlegungen des Zweiten Vatikanischen Konzils – Ministeria quaedam angeregt haben. Die beste Art und Weise, den heutigen bedeutenden Jahrestag zu begehen, besteht gerade darin, die Überlegungen zu den Beauftragungen weiter zu vertiefen, die der heilige Paul VI. angestoßen hat.
3. Das Thema ist von besonderem Gewicht für das Leben der Kirche: Es gibt nämlich keine christliche Gemeinschaft, die keine Ämter ausprägt. Die paulinischen Briefe, und nicht nur sie, legen davon reichlich Zeugnis ab. Wenn sich der Apostel Paulus – um nur ein Beispiel von vielen möglichen aufzugreifen – an die Kirche in Korinth wendet, dann zeichnen seine Worte das Bild einer Gemeinschaft, die reich ist an Charismen (1 Kor 12,4), Diensten (1 Kor 12,5), Werken (1 Kor 12,6), Offenbarungen (1 Kor 12,7) und Geistesgaben (1 Kor 14,1.12.37). Die Vielfalt der verwendeten Begriffe beschreibt eine große Spannbreite der Wirklichkeit des Dienstes, die auf dem Fundament von zwei sicheren Grundlagen geregelt wird: Am Ursprung eines jeden Dienstes steht immer Gott, der durch seinen Heiligen Geist alles in allen bewirkt (vgl. 1 Kor 12,4-6); das Ziel eines jeden Dienstes ist immer das Gemeinwohl (vgl. 1 Kor 12,7), der Aufbau der Gemeinschaft (vgl. 1 Kor 14,12). Jeder Dienst ist eine Berufung von Gott zum Wohle der Gemeinschaft.
4. Diese beiden Grundlagen ermöglichen es der christlichen Gemeinschaft, die Vielfalt der Dienste, die der Geist hervorbringt, je nach der konkreten Situation zu regeln, in der sie lebt. Diese Aufteilung ist nicht bloß ein funktionaler Umstand, sondern vielmehr eine sorgfältige gemeinschaftliche Unterscheidung, die auf das hört, was der Geist der Kirche an einem konkreten Ort und im jeweiligen Moment ihres Lebens eingibt. In der Apostelgeschichte finden wir erhellende Beispiele für diese Unterscheidung, gerade in Bezug auf die Dienststrukturen, nämlich den Kreis der Zwölf, der für die Ersetzung von Judas sorgen musste (Apg 1,15-26), und jenen der Sieben, der eine Spannungssituation, die in der Gemeinschaft entstanden war, lösen musste (Apg 6,1-6). Jede Dienststruktur, die aus dieser Unterscheidung hervorgeht, ist wie das Wirken des Geistes dynamisch, lebendig, flexibel: In ihm muss sie sich immer tiefer verwurzeln, um nicht zu riskieren, dass Dynamik zur Verwirrung wird, dass Lebendigkeit sich auf Improvisation aus dem Stegreif reduziert, dass Flexibilität in willkürliche und ideologische Anpassungen umschlägt.
5. Der heilige Paul VI. hat in Anwendung der Lehren des Konzils in Ministeria quaedam eine echte Unterscheidung vorgenommen und die Richtung aufgezeigt, in der es weitergehen kann. Indem er die Ansuchen nicht weniger Konzilsväter annahm, hat er nämlich die geltende Praxis verändert und den Erfordernissen jenes Augenblicks angepasst sowie den Bischofskonferenzen die Möglichkeit zuerkannt, den Apostolischen Stuhl um die Einsetzung jener Beauftragungen zu bitten, die in ihren Regionen als notwendig oder sehr nützlich erachtet wurden. Auch das Gebet der Bischofsweihe nennt im Teil der Fürbitten als eine seiner Hauptaufgaben, die Dienste zu ordnen: »... Er verteile die Ämter nach deinem Willen …« (Pontificale Romanum, De Ordinatione Episcopi, Presbyterorum et Diaconorum, Editio typica altera, n. 47, p. 25: »... ut distribuat munera secundum præceptum tuum ...«).
6. Die oben genannten Grundsätze, die im Evangelium verwurzelt sind und sich in den breiteren Kontext der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils einfügen, sind die gemeinsame Grundlage, die es ermöglicht zu erkennen, angeregt durch das Hören auf die Konkretheit des Lebens der kirchlichen Gemeinschaften, welches die Dienste sind, die die Kirche hier und jetzt aufbauen. Die Ekklesiologie der Gemeinschaft, die Sakramentalität der Kirche, die Komplementarität des gemeinsamen Priestertums und des Weihepriestertums sowie die liturgische Sichtbarkeit jedes Dienstes sind die lehrmäßigen Grundsätze, die, durch das Wirken des Geistes belebt, die Vielfalt der Dienste in Einklang bringen.
7. Wenn die Kirche der Leib Christi ist, muss alles Dienen (ministrare) des fleischgewordenen Wortes ihre Glieder durchdringen, von denen ein jedes – aufgrund seiner Einzigartigkeit, die auf einen persönlichen Ruf Gottes antwortet, – einen Zug des Antlitzes Christi, des Dieners, zum Ausdruck bringt: Die Harmonie ihres Handelns zeigt der Welt die Schönheit dessen, der »nicht gekommen ist, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele« (Mk 10,45). Das Weihegebet für die Diakone enthält einen bedeutenden Ausdruck, um die Vielfalt in der Einheit zu beschreiben: »Du hast deine Kirche geschmückt mit dem Reichtum himmlischer Gnaden. Du hast den Leib Christi wunderbar gestaltet in der Vielfalt der Glieder und ihn durch den Heiligen Geist geeint und geheiligt ...« (Pontificale Romanum, De Ordinatione Episcopi, Presbyterorum et Diaconorum, Editio typica altera, n. 207, p. 121: »Cuius corpus, Ecclesiam tuam, cælestium gratiarum varietate distinctam suorumque conexam distinctione membrorum, compage mirabili per Spiritum Sanctum unitam …«).
8. Die Frage der in der Taufe grundgelegten Dienste berührt verschiedene Aspekte, die sicher zu berücksichtigen sind: Die Terminologie, die verwendet wird, um die Dienste zu bezeichnen, ihre lehrmäßige Grundlegung, die rechtlichen Aspekte, die Unterscheidungen und Beziehungen zwischen den einzelnen Diensten, ihre Bedeutung im Hinblick auf die Berufung, die Ausbildungswege, das Ereignis der Beauftragung, die zur Ausübung eines Dienstes befähigt, die liturgische Dimension eines jeden Dienstes. Allein schon durch diese kursorische Aufzählung wird die Komplexität des Themas bewusst: Sicher ist es nötig, das Nachdenken über die Kernbereiche dieser Themen zu vertiefen. Nichtsdestoweniger würden wir sehr wahrscheinlich nicht weit kommen, wenn wir sie definieren und lösen müssten, um anschließend die Dimension des Dienstes leben zu können. Wie ich in Evangelii Gaudium (Nr. 231-233) festgehalten habe, ist die Wirklichkeit wichtiger als die Idee und „zwischen den beiden muss ein ständiger Dialog hergestellt und so vermieden werden, dass die Idee sich schließlich von der Wirklichkeit löst“ (Nr. 231).
Auch das andere Prinzip, an das ich in Evangelii Gaudium, wenn auch in anderem Zusammenhang, erinnert habe (Nr. 222), kann für uns hilfreich sein: Die Zeit ist mehr wert als der Raum. Mehr als die Besessenheit von sofortigen Ergebnissen hinsichtlich des Lösens aller Spannungen und des Klärens aller Aspekte zu stützen – und dabei zu riskieren, Prozesse zu kristallisieren und manchmal zu beanspruchen sie anzuhalten –, müssen wir dem Wirken des Geistes des Herrn folgen, der auferstanden und in den Himmel aufgefahren ist und der „die einen als Apostel ein[setzte], andere als Propheten, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, um die Heiligen für die Erfüllung ihres Dienstes zuzurüsten, für den Aufbau des Leibes Christi, bis wir alle zur Einheit im Glauben und der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, zum vollkommenen Menschen, zur vollen Größe, die der Fülle Christi entspricht“ (Eph 4,11-13).
9. Es ist der Geist, der uns in unterschiedlichen und komplementären Weisen am Priestertum Christi Anteil haben und der die ganze Gemeinschaft dienstbar werden lässt, um den Leib seiner Kirche aufzubauen. Der Geist wirkt in den Räumen, die unser folgsames Hinhören für sein Wirken verfügbar werden lässt. Ministeria quaedam hat die Tür geöffnet für die erneuerte Erfahrung der Dimension des Dienstes der Gläubigen, die aus dem Wasser der Taufe neu geboren, durch das Siegel des Geistes bestärkt und durch das lebendige Brot genährt werden, das vom Himmel herabkommt.
10. Ich halte das Teilen der Erfahrungen dieser Jahre, zumal im Klima des synodalen Wegs, für nützlich, um der Stimme des Geistes zuhören zu können und die Entwicklung nicht zum Stillstand zu bringen – zugleich aber darauf zu achten, sie nicht zu erzwingen und Entscheidungen durchzusetzen, die aus ideologischen Auffassungen hervorgehen. Diese Erfahrungen können wertvolle Hinweise liefern, um zu einer harmonischen Sicht hinsichtlich der Frage der in der Taufe grundgelegten Dienste zu gelangen und so auf unserem Weg weiterzugehen. Aus diesem Grund möchte ich in den kommenden Monaten, in zu bestimmender Art und Weise, einen Dialog mit den Bischofskonferenzen beginnen, um den Reichtum an Erfahrungen mit Diensten teilen zu können, die die Kirche in diesen fünfzig Jahren gemacht hat, ebenso hinsichtlich der eingesetzten (Lektoren, Akolythen und jüngst Katecheten) wie der außerordentlichen und faktischen.
11. Ich vertraue unseren Weg dem Schutz der Jungfrau Maria an, der Mutter der Kirche. Indem sie das fleischgewordene Wort in ihrem Schoß hütet, trägt Maria den Dienst ihres Sohnes in sich, an dem sie in der ihr eigenen Art Anteil erhält. Auch diesbezüglich ist sie das vollkommene Bild der Kirche, die in der Vielfalt der Dienste den Dienst Jesu Christi hütet und an seinem Priestertum teilhat, ein jedes Glied in der ihm eigenen Art.
Gegeben zu Rom, bei Sankt Johann im Lateran, am 15. August 2022, dem Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel, im zehnten Jahr meines Pontifikats.
FRANZISKUS
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