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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS 
AN DIE TEILNEHMER DER INTERNATIONALEN TAGUNG
ÜBER RELIGIONSFREIHEIT
 

Konsistoriensaal
Freitag, 20. Juni 2014

 

Ich begrüße Sie, liebe Brüder und Schwestern, aus Anlass Ihrer Internationalen Konferenz und danke Herrn Prof. Giuseppe Dalla Torre für seine freundlichen Worte. In jüngster Zeit ist die Debatte um die Religionsfreiheit sehr intensiv geworden, was sowohl die Regierungen als auch die Religionsgemeinschaften auf den Plan ruft. Der Bezugspunkt der katholischen Kirche hierzu ist die Erklärung Dignitatis humanae, eines der wichtigsten Dokumente des Zweiten Ökumenischen Vatikanischen Konzils.

In der Tat ist jedes menschliche Wesen auf der Suche nach der Wahrheit über seinen Ursprung und sein Schicksal. In seinem Kopf und seinem Herzen stellt sich der Mensch Fragen und macht sich Gedanken, die er nicht unterdrücken oder ersticken kann, da sie aus seinem Innersten kommen, seiner Natur wesenseigen sind. Es sind religiöse Fragen, und diese Fragen bedürfen der Religionsfreiheit, um vollkommen zum Ausdruck kommen zu können. Fragen, die versuchen, den wahren Sinn des Daseins zu erhellen wie auch das Band, das die menschliche Existenz mit dem Kosmos und mit der Geschichte verbindet. Fragen, die die Dunkelheit durchbrechen wollen, von der das Schicksal des Menschen umgeben wäre, wenn man diese Fragen nicht stellen würde, sie also ohne Antwort blieben. Der Psalmist sagt: »Seh’ ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt: Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?« (Ps 8, 4-5).

Die Vernunft erkennt in der Religionsfreiheit nicht nur ein Grundrecht des Menschen, das seine höchste Würde widerspiegelt – die Würde, die Wahrheit suchen und sich in ihren Dienst stellen zu können –, sondern auch die unerlässliche Voraussetzung dafür, dass der Mensch sein ganzes Potential entfalten kann. Die Religionsfreiheit ist nicht nur die Freiheit des Denkens oder der persönlichen Religionsausübung. Sie ist die Freiheit, gemäß den ethischen Prinzipien, die aus der gefundenen Wahrheit hervorgehen, zu leben, und zwar sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich. Dies stellt in der globalisiertenWelt eine große Herausforderung dar, in der das »schwache Denken« – das wie eine Krankheit ist – auch das allgemeine ethische Niveau senkt, und im Namen eines falsch verstandenen Toleranzbegriffs letztlich jene verfolgt werden, die für die Wahrheit des Menschen und ihre ethischen Konsequenzen eintreten.

Die rechtlichen, staatlichen oder internationalen Ordnungen sind daher gerufen, die Religionsfreiheit anzuerkennen, zu garantieren und zu verteidigen. Sie ist nämlich nicht nur ein Recht, das untrennbar zur menschlichen Natur gehört, zu ihrer Würde, frei zu sein, sondern auch Indikator einer gesunden Demokratie und eine der Hauptquellen der Legitimität des Staates. Die Religionsfreiheit, die in Verfassungen und Gesetze einfließen und in ein konsequentes Handeln umgesetzt werden kann, fördert die Entwicklung der Beziehungen gegenseitigen Respekts zwischen den verschiedenen religiösen Bekenntnissen und deren gesunde Zusammenarbeit mit dem Staat und der politischen Gemeinschaft, ohne jegliche Vermischung der Rollen und ohne Antagonismen. Anstelle des globalen Konflikts der Werte kann dann, ausgehend von einer Reihe universal geteilter Werte, eine globale Zusammenarbeit im Hinblick auf das Gemeinwohl ermöglicht werden.

Im Licht der von der Offenbarung bestätigten und perfektionierten Erkenntnisse der Vernunft und des zivilen Fortschritts der Völker scheint es unverständlich, ja besorgniserregend, dass noch heute Menschen diskriminiert und in ihren Rechten beschnitten werden aus dem alleinigen Grund, dass sie einem bestimmten Glauben angehören und diesen öffentlich bekennen. Es ist inakzeptabel, dass es wahre Verfolgungen aus Gründen der Religionszugehörigkeit gibt! Und sogar Kriege! Das verletzt die Vernunft, ist ein Angriff auf den Frieden und eine Demütigung für die Würde des Menschen! Mit großem Schmerz muss ich feststellen, dass die Christen die Gruppe sind, die die meisten dieser Diskriminierungen erleiden muss. Die Christenverfolgung ist heute sogar noch schlimmer als in den ersten Jahrhunderten der Kirche, und es gibt heute mehr christliche Märtyrer als in jener Zeit. Und das mehr als 1700 Jahre nach dem Toleranzedikt von Kaiser Konstantin, das den Christen die Freiheit zugestand, ihren Glauben öffentlich zu bekennen!

Ich hoffe sehr, dass es Ihrer Konferenz gelingen möge, mit Tiefe und wissenschaftlichem Ernst die Gründe zu veranschaulichen, die es für jede rechtliche Ordnung verpflichtend machen, die Religionsfreiheit zu respektieren und zu verteidigen. Ich danke Ihnen für Ihren Beitrag und bitte Sie, für mich zu beten. Ich wünsche Ihnen von Herzen das Beste und bitte Gott, dass er Sie segnen möge. Danke.

 


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