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GEBETSVIGIL ZUR VORBEREITUNG
AUF DIE XIV. ORDENTLICHE GENERALVERSAMMLUNG DER BISCHOFSSYNODE

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS

Petersplatz
Samstag, 3. Oktober 2015

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Liebe Familien, guten Abend!

Was nützt es, in der Nacht, die uns umgibt, eine kleine Kerze anzuzünden? Wäre nicht etwas ganz anderes notwendig, um die Dunkelheit aufzulösen? Kann man denn überhaupt die Finsternis besiegen?

Zu gewissen Zeiten im Leben – in diesem an wunderbaren Quellen doch so reichen Leben – drängen sich solche Fragen mit Nachdruck auf. Angesichts der Anforderungen des Lebens besteht die Versuchung, sich zurückzuziehen, davonzulaufen und sich zu verschließen – vielleicht unter dem Vorwand der Vorsicht und des Realismus – und so der Verantwortung zu entfliehen, den eigenen Beitrag bis zum Grunde zu leisten.

Erinnert ihr euch an das Erlebnis des Elija? Die menschliche Berechnung löst im Propheten die Angst aus, die ihn dazu treibt, die Flucht zu ergreifen. Angst… »Elija geriet in Angst, machte sich auf und ging weg, um sein Leben zu retten.« Er wanderte »vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb. Dort ging er in eine Höhle, um darin zu übernachten. Doch das Wort des Herrn erging an ihn: „Was willst du hier, Elija?“« (1 Kön 19,3.8-9). Und dann, auf dem Horeb, sollte er eine Antwort finden – nicht im starken, heftigen Sturm, der die Felsen erschüttert, nicht im Erdbeben und auch nicht im Feuer. Die Gnade Gottes erhebt nicht die Stimme; sie ist ein sanftes, leises Säuseln, das die erreicht, die bereit sind, es im Hauch einer leichten Brise wahrzunehmen. Jener Hauch klingenden Schweigens fordert sie auf, herauszukommen und in die Welt zurückzukehren, als Zeugen der Liebe Gottes zum Menschen, damit die Welt glaubt…

In diesem Geist haben wir vor genau einem Jahr auf ebendiesem Platz den Heiligen Geist angerufen und darum gebetet, dass die Synodenväter bei der Behandlung des Themas Familie fähig sein möchten, hinzuhören und sich miteinander auszutauschen, mit festem Blick auf Jesus, der das letzte Wort des Vaters und das Kriterium für die Interpretation von allem ist.

An diesem Abend kann unser Gebet nicht anders sein. Denn – wie der Metropolit Ignatius IV. Hazim sagte – ohne den Heiligen Geist ist Gott fern, bleibt Christus in der Vergangenheit, wird die Kirche eine bloße Organisation, verwandelt sich die Autorität in Herrschaft, wird Mission zu Propaganda, Gottesdienst zu Beschwörung und christliches Handeln zu einer Sklavenmoral (vgl. Ansprache an die ökumenische Konferenz von Uppsala, 1968).

Beten wir also, dass die Synode, die morgen eröffnet wird, die Erfahrung von Ehe und Familie zu einem vollkommenen Menschenbild zurückzuführen weiß; dass sie alles Schöne, Gute und Heilige in ihr erkenne, aufwerte und vor Augen führe; dass sie sich die Situationen von Verwundbarkeit zu Herzen nehme, die für viele Familien eine harte Prüfung darstellen: Armut, Kriege, Krankheit, Trauer, verletzte und zerrissene Beziehungen, die Missbehagen, Groll und Brüche verursachen; dass sie diese Familien wie überhaupt alle Familien daran erinnere, dass das Evangelium die „Frohe Botschaft“ bleibt, von der aus man immer neu beginnen kann. Mögen die Synodenväter fähig sein, aus dem Schatz der lebendigen Überlieferung Worte des Trostes und Orientierungen der Hoffnung zu schöpfen für Familien, die in dieser Zeit dazu berufen sind, die Zukunft der kirchlichen Gemeinschaft und der Stadt des Menschen aufzubauen.

***

Jede Familie ist nämlich immer ein Licht – so schwach es auch sein mag – im Dunkel der Welt.

Die Geschichte Jesu selbst unter den Menschen nimmt Gestalt an im Schoß einer Familie, in der er dreißig Jahre lang bleibt. Und seine Familie ist eine Familie wie viele andere, in einem abgelegenen Dorf am Rande der Imperiums.

Charles de Foucauld hat wie wohl wenige andere die geistliche Bedeutung erfasst, die von Nazareth ausgeht. Dieser große Forscher verließ sehr bald die militärische Laufbahn und war fasziniert vom Geheimnis der Heiligen Familie, vom täglichen Umgang Jesu mit seinen Eltern und den Nachbarn, von der Arbeit im Stillen, vom demütigen Gebet. Bei der Betrachtung der Familie von Nazareth spürte Bruder Charles die Unfruchtbarkeit der Gier nach Reichtum und Macht; mit dem Apostolat der Güte wurde er allen alles. Er, der sich zum Einsiedlerleben hingezogen fühlte, begriff, dass man nicht in der Liebe zu Gott wächst, wenn man die Knechtschaft der menschlichen Beziehungen umgeht. Denn in der Liebe zu den anderen lernt man, Gott zu lieben; indem man sich zum Nächsten niederbeugt, erhebt man sich zu Gott. Durch die brüderliche und solidarische Nähe zu den Ärmsten und Verlassensten verstand er, dass letztlich gerade sie es sind, die uns evangelisieren, indem sie uns helfen, in der Menschlichkeit zu wachsen.

Um die Familie heute zu verstehen, lasst auch uns – wie Charles de Foucauld – in das Geheimnis der Familie von Nazareth eintreten, in ihr verborgenes, alltägliches und gewöhnliches Leben, wie das der Mehrheit unserer Familien ist, mit ihren Mühen und ihren einfachen Freuden. Ein Leben, das durchwoben ist von gelassener Geduld in Widerwärtigkeiten, von Achtung gegenüber der Situation jedes Einzelnen, von jener Demut, die befreit und im Dienen erblüht. Ein Leben in Geschwisterlichkeit, die aus dem Gefühl entspringt, Teil eines einzigen Leibes zu sein.

Die Familie ist Ort einer vom Evangelium inspirierten Heiligkeit, die sich unter den gewöhnlichsten Bedingungen verwirklicht. Dort nimmt man die Erinnerung der Generationen in sich auf und schlägt Wurzeln, die befähigen, sich nach hohen Zielen auszustrecken. Die Familie ist Ort der Unterscheidung, wo man dazu angeleitet wird, den Plan Gottes für das eigene Leben zu erkennen und vertrauensvoll anzunehmen. Die Familie ist Ort der Unentgeltlichkeit, einer taktvollen, brüderlichen und solidarischen Gegenwart, die lehrt, aus sich selbst herauszugehen, um den anderen anzunehmen, um zu vergeben und Vergebung zu spüren.

***

Gehen wir wieder von Nazareth aus für eine Synode, die – mehr noch als über die Familie zu reden – fähig ist, von ihr zu lernen, in der Bereitschaft, immer ihre Würde, ihren Charakter und ihren Wert zu erkennen, trotz aller Mühen und Widersprüche, die sie kennzeichnen mögen.

Im »heidnischen Galiläa « (Mt 4,15) unserer Zeit werden wir die Bedeutung einer Kirche wiederentdecken, die Mutter ist, fähig, zum Leben zu erwecken, achtsam, um ständig das Leben hinzugeben, und beflissen, um mit Hingabe, Zärtlichkeit und moralischer Kraft zu begleiten. Denn wenn wir nicht verstehen, die Gerechtigkeit mit dem Mitleid zu verbinden, werden wir schließlich unnötig streng und zutiefst ungerecht sein.

Eine Kirche, die Familie ist, weiß mit der Liebe und der Nähe eines Vaters zu handeln, der die Verantwortung des Hüters lebt, der beschützt, ohne zu bevormunden, der korrigiert, ohne zu demütigen, der erzieht mit dem guten Vorbild und mit Geduld – bisweilen einfach mit dem Schweigen eines betenden und offenen Wartens.

Vor allem aber wird eine Kirche von Töchtern und Söhnen, die sich als Geschwister erkennen, nie so weit kommen, jemanden nur als eine Last, als ein Problem, als Anlass zu Opfer, Sorge oder Risiko zu betrachten: Der andere ist im Wesentlichen ein Geschenk und bleibt das auch, wenn er andere Wege einschlägt.

Die Kirche ist ein offenes Haus, weit entfernt von Prunksucht, aufnahmebereit im nüchternen Stil ihrer Mitglieder und gerade deshalb zugänglich für die Hoffnung auf Frieden, die in jedem Menschen vorhanden ist, auch in denen, deren Herz durch die Prüfungen des Lebens verletzt und leidend ist.

Diese Kirche kann wahrlich die Nacht des Menschen erhellen, ihm glaubwürdig das Ziel zeigen und seine Schritte mit ihm gehen, gerade weil sie als Erste die Erfahrung macht, im erbarmenden Herzen des Vaters ständig zu neuem Leben erweckt zu werden.

 



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