BESUCH DER BASILIKA SANTA MARIA DEGLI ANGELI
AUS ANLASS DER 800-JAHR-FEIER DER VERGEBUNG VON ASSISI
MEDITATION DES HEILIGEN VATERS
Basilika Santa Maria degli Angeli - Assisi
Donnerstag, 4. August 2016
Heute, liebe Brüder und Schwestern, möchte ich gerne zu allererst an die Worte erinnern, die der heilige Franziskus nach einer alten Überlieferung genau hier vor dem ganzen Volk und den Bischöfen gesprochen hat: „Ich will euch alle ins Paradies schicken!“ Was konnte der Poverello von Assisi Schöneres verlangen als das Geschenk des Heiles, des ewigen Lebens mit Gott und der Freude ohne Ende, die Jesus uns mit seinem Tod und seiner Auferstehung erworben hat?
Und außerdem, was ist denn das Paradies, wenn nicht das Geheimnis der Liebe, die uns für immer mit Gott verbindet, damit wir ihn ohne Ende betrachten können? Die Kirche bekennt von jeher diesen Glauben, wenn sie sagt, dass sie an die Gemeinschaft der Heiligen glaubt. Wir sind mit unserem Leben aus dem Glauben nie allein; die Heiligen und die Seligen leisten uns Gesellschaft; auch unsere Lieben, die in Einfachheit und Freude den Glauben gelebt und in ihrem Leben bezeugt haben. Es gibt eine unsichtbare, aber deshalb nicht weniger wirkliche Verbindung, die uns „ein Leib“ sein lässt kraft der einen Taufe, die wir empfangen haben, beseelt von dem „einen Geist“ (vgl. Eph 4,4). Vielleicht hatte der heilige Franziskus, als er von Papst Honorius III. die Gabe des Ablasses für diejenigen erbat, die zur Portiuncula kamen, diese Worte Jesu an seine Jünger im Sinn: » Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: „Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten“? Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin « (Joh 14,2-3).
Der Weg der Vergebung ist sicherlich der Hauptweg, dem man folgen muss, um an jenen Platz im Paradies zu gelangen. Es ist schwierig, zu verzeihen! Wieviel kostet es uns, den anderen zu vergeben! Denken wir ein wenig darüber nach… Und hier bei der Portiuncula spricht alles von Vergebung! Welch großes Geschenk hat uns der Herr gemacht, als er uns lehrte zu vergeben – oder wenigstens, den Willen zu haben, zu vergeben –, um uns die Barmherzigkeit des Vaters mit Händen greifen zu lassen! Wir haben das Gleichnis gehört, mit dem Jesus uns anwies, zu vergeben (vgl. Mt 18,21-35). Warum sollten wir einem Menschen vergeben, der uns Böses angetan hat? Weil zuerst einmal uns vergeben worden ist, und unendlich viel mehr. Es gibt niemanden unter uns hier, der nicht Vergebung empfangen hat. Jeder bedenke das… denken wir schweigend an das Schlechte, das wir getan haben, und wie der Herr uns vergeben hat. Das Gleichnis sagt uns genau das: Wie Gott uns vergibt, so müssen auch wir dem vergeben, der uns Böses antut. Es ist die Liebkosung der Vergebung. Das verzeihende Herz – es schenkt eine Liebkosung. Wie weit ist das entfernt von jener Geste [er deutet das Ausreißen eines Zahns an]: „Das wirst du mir teuer bezahlen!“. Vergebung ist etwas Anderes. Gerade so wie in dem Gebet, das Jesus uns gelehrt hat, im Vaterunser, wenn wir sagen: » Und erlass uns unsere Schulden, wie auch wir sie unseren Schuldnern erlassen haben « (Mt 6,12). Die Schulden sind unsere Sünden vor Gott, und unsere Schuldner sind die, denen auch wir vergeben müssen.
Jeder von uns könnte jener Diener des Gleichnisses sein, der eine große Schuld zu begleichen hat, die aber so groß ist, dass er es niemals schaffen könnte. Wenn wir im Beichtstuhl vor dem Priester niederknien, tun auch wir nichts anderes, als dieselbe Geste des Dieners zu wiederholen: „Herr, hab Geduld mit mir.“ Habt ihr manchmal an die Geduld Gottes gedacht? Er hat so viel Geduld! Wir wissen nämlich genau, dass wir voller Fehler sind und oft in dieselben Sünden zurückfallen. Und doch wird Gott nicht müde, uns immer seine Vergebung anzubieten, jedes Mal, wenn wir darum bitten. Es ist eine volle, allumfassende Vergebung, mit der er uns die Gewissheit gibt, dass er, obwohl wir in dieselben Sünden zurückfallen können, Erbarmen mit uns hat und nicht aufhört, uns zu lieben. Wie der Herr aus dem Gleichnis, so erbarmt sich Gott, das heißt es überkommt ihn ein Gefühl des Mitleids verbunden mit zärtlicher Liebe: Es ist ein Ausdruck, um seine Barmherzigkeit uns gegenüber zu bezeichnen. Unser Vater erbarmt sich nämlich immer, wenn wir Reue empfinden, und er lässt uns mit ruhigem und ungetrübtem Herzen nach Hause zurückkehren, weil er uns sagt, dass er uns alles erlassen und alles vergeben hat. Die Vergebung Gottes kennt keine Grenzen; sie überschreitet all unsere Vorstellungen und erreicht jeden, der zutiefst in seinem Herzen zugibt, dass er einen Fehler begangen hat, und zu Gott zurückkehren möchte. Gott schaut auf das Herz, das um Vergebung bittet.
Das Problem entsteht leider, wenn wir anfangen, uns mit einem Mitmenschen zu vergleichen, der uns ein kleines Unrecht zugefügt hat. Die Reaktion, die wir im Gleichnis gehört haben, ist sehr aussagekräftig: » Er packte ihn, würgte ihn und rief: „Bezahl, was du mir schuldig bist!“ « (Mt 18,28). In dieser Szene begegnen wir dem ganzen Drama unserer zwischenmenschlichen Beziehungen. Wenn wir den anderen etwas schulden, beanspruchen wir Barmherzigkeit; wenn wir dagegen eine Schuldforderung haben, rufen wir nach Gerechtigkeit! Und alle handeln wir so, alle. Das ist nicht die Reaktion des Jüngers Christi und das kann nicht der Stil christlichen Lebens sein. Jesus lehrt uns, zu vergeben und es ohne Grenzen zu tun: » Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal « (V. 22). Kurzum, was er uns vorschlägt, ist die Liebe des Vaters, nicht unsere Forderung nach Gerechtigkeit. Bei ihr stehenzubleiben, würde uns nämlich nicht als Jünger Christi qualifizieren, die unter dem Kreuz einzig dank der Liebe des Gottessohnes Barmherzigkeit empfangen haben. Vergessen wir also nicht die harten Worte, mit denen das Gleichnis schließt: » Ebenso wird mein himmlischer Vater jeden von euch behandeln, der seinem Bruder nicht von ganzem Herzen vergibt « (V. 35).
Liebe Brüder und Schwestern, die Vergebung, für die der heilige Franziskus sich zum „Kanal“ gemacht hat, fährt hier an der Portiuncula noch nach acht Jahrhunderten weiter fort, „Paradies zu erzeugen“. In diesem heiligen Jahr der Barmherzigkeit wird noch deutlicher, wie der Weg der Vergebung die Kirche und die Welt wirklich erneuern kann. Die Barmherzigkeit in der Welt von heute zu bezeugen, ist eine Aufgabe, der sich keiner von uns entziehen kann. Ich wiederhole: Die Barmherzigkeit in der Welt von heute zu bezeugen, ist eine Aufgabe, der sich keiner von uns entziehen kann. Die Welt braucht Vergebung; zu viele Menschen leben eingeschlossen im Groll und hegen Hass, weil sie unfähig sind zu vergeben. Und so verderben sie ihr eigenes Leben und das anderer, anstatt die Freude der Unbeschwertheit und des Friedens zu finden. Bitten wir den heiligen Franziskus, dass er Fürbitte für und einlege, damit wir nie aufgeben, demütige Zeichen der Vergebung und Werkzeuge der Barmherzigkeit zu sein.
Wir können das ins Gebet nehmen. Jeder, wie er es empfindet. Ich lade die Brüder, die Bischöfe ein, in die Beichtstühle zu gehen – auch ich werde gehen –, um für die Vergebung zur Verfügung zu stehen. Es wird uns gut tun, sie heute hier gemeinsam zu empfangen. Möge der Herr uns die Gnade schenken, jenes Wort zu sagen, das der himmlische Vater uns nicht einmal beenden lässt, jenes, das der verlorene Sohn sagte: „Vater ich habe gesündigt gegen…“ und [der Vater] hält ihm den Mund zu und umarmt ihn. Wir beginnen zu sprechen, und er wird uns den Mund zuhalten und uns neu einkleiden… „Aber Pater, ich habe Angst, dass ich morgen wieder dasselbe tue…“ – Dann komm wieder! Der Vater behält immer den Weg im Auge, er hält Ausschau, in Erwartung, dass der verlorene Sohn zurückkehrt; und wir alle sind das. Möge der Herr uns diese Gnade erweisen.
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