ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE TEILNEHMER AM 4. WELTKONGRESS DER SEELSORGE
FÜR STUDENTEN IM AUSLAND
Sala Clementina
Donnerstag, 1. Dezember 2016
Meine Herren Kardinäle,
liebe Mitbrüder im bischöflichen und priesterlichen Dienst,
liebe Studenten,
liebe Brüder und Schwestern!
Gerne empfange ich euch aus Anlass des IV. Weltkongresses für internationale Studentenseelsorge, der vom Päpstlichen Rat der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs veranstaltet wird. Ich danke dem Kardinalpräsidenten für seine Einführung in unsere Begegnung und richte einen herzlichen Gruß an die hier anwesenden Mitarbeiter in der Seelsorge und Studenten.
Das Thema eures Kongresses ist sehr interessant: Es geht um moralische Herausforderungen in der Welt der internationalen Studenten im Hinblick auf eine gesündere Gesellschaft. Das ist das Ziel, das man sich stets vor Augen halten muss: der Aufbau einer gesünderen Gesellschaft. Es ist wichtig, dass die jungen Generationen in diese Richtung gehen: Sie sollen sich verantwortlich fühlen für die Wirklichkeit, in der sie leben, und Gestalter der Zukunft sein. Ein nachdrücklicher Appell und inspirierter Rat auch für die jungen Generationen von heute sind die Worte des heiligen Paulus, der seinem jungen Schüler Timotheus nahelegt, den Gläubigen ein Vorbild zu sein in Worten, im Lebenswandel, in der Liebe, im Glauben, in der Lauterkeit, ohne Angst davor, wegen seiner Jugend gering geschätzt zu werden (vgl. 1 Tim 4,12). In unserer Zeit gibt es zahlreiche moralische Herausforderungen und es ist nicht immer leicht, für die Wahrheit und die Werte einzutreten, vor allem wenn man jung ist. Aber mit der Hilfe Gottes und dem aufrichtigen Wunsch, Gutes zu tun, kann jedes Hindernis überwunden werden. Ich freue mich, denn ihr seid hier, um zu zeigen, dass euch die Herausforderungen keine Angst machen, sondern euch anspornen, für den Aufbau einer menschlicheren Welt zu arbeiten. Lasst niemals davon ab und verliert nicht den Mut, denn der Geist Christi wird euch leiten, wenn ihr auf seine Stimme hört.
Der modernen Auffassung vom Intellektuellen, der mit seiner Selbstverwirklichung beschäftigt und – oft ohne sich um den Nächsten zu kümmern – auf der Suche nach persönlicher Anerkennung ist, muss ein solidarischeres Vorbild entgegengesetzt werden: jemand, der sich für das Gemeinwohl und für den Frieden einsetzt. Nur so wird die intellektuelle Welt in der Lage sein, eine gesündere Gesellschaft aufzubauen. Wer die Gabe hat, studieren zu können, der hat auch eine Verantwortung im Dienst für das Wohl der Menschheit. Wissen ist ein idealer Weg für die ganzheitliche Entwicklung der Gesellschaft, und Student zu sein in einem anderen als dem eigenen Land, in einem anderen kulturellen Kontext ermöglicht das Erlernen neuer Sprachen, neuer Sitten und Gebräuche. Es gibt Gelegenheit, die Welt aus einer anderen Perspektive zu betrachten und sich ohne Angst dem anderen, von mir verschiedenen zu öffnen. Das führt die Studenten und den, der sie aufnimmt, zu größerer Toleranz und Gastfreundschaft. So wächst die Beziehungsfähigkeit, was wiederum Vertrauen in sich selbst und die anderen steigert, der Horizont weitet sich, die Zukunftsvisionen werden erweitert und es entsteht der Wunsch, gemeinsam das Gemeinwohl aufzubauen.
Schule und Universität sind ein bevorzugter Raum für die Konsolidierung eines Gewissens, das sensibel ist für eine solidarischere Entwicklung und »um dieses Engagement der Evangelisierung auf interdisziplinäre Weise und in wechselseitiger Ergänzung« zu entfalten (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 134). Daher fordere ich euch, die Lehrer und pastoralen Mitarbeiter, auf, in den Jugendlichen die Liebe zum Evangelium zu wecken sowie den Wunsch, es konkret zu leben und den anderen zu verkünden. Es ist wichtig, dass die im Ausland verbrachte Zeit für die Studenten zu menschlichem und kulturellem Wachstum Anlass gibt und für sie ein Ausgangspunkt ist, um nach der Rückkehr in ihr Herkunftsland ihren qualifizierten Beitrag zu leisten, auch mit dem inneren Drang, die Freude der frohen Botschaft weiterzugeben. Notwendig ist eine Ausbildung, die »ein kritisches Denken lehrt und einen Weg der Reifung in den Werten bietet« (ebd., 64). Auf diese Weise werden Jugendliche herangebildet, die nach Wahrheit dürsten und nicht nach Macht, die bereit sind, die Werte zu verteidigen und Barmherzigkeit und Liebe zu leben, die Grundpfeiler für eine gesündere Gesellschaft.
Die persönliche und kulturelle Bereicherung erlaubt den jungen Menschen, sich einfacher in die Arbeitswelt einzufügen, sich so einen Platz in der Gemeinschaft zu sichern und ein Teil von ihr zu werden. Die Gesellschaft ihrerseits ist aufgerufen, den jungen Generationen qualifizierte Arbeitsmöglichkeiten zu bieten und die sogenannte »Flucht der Gehirne«, das heißt die Abwanderung von hochqualifizierten Fachkräften, zu vermeiden. Wenn jemand sich aus freien Stücken entscheidet, sich im Ausland zu spezialisieren und dort zu arbeiten, ist das etwas Gutes und Fruchtbringendes. Dagegen ist es traurig, wenn gut ausgebildete junge Menschen sich entscheiden, das eigene Land zu verlassen, weil es an entsprechenden Eingliederungsmöglichkeiten fehlt.
Ausländische Studenten sind kein neues Phänomen, doch hat dieses sich aufgrund der sogenannten Globalisierung verstärkt, die die raumzeitlichen Grenzen beseitigt und Begegnung und Austausch zwischen den Kulturen begünstigt hat. Aber auch hier gibt es negative Kehrseiten, wie das Auftreten einer gewissen Abkapselung, von Verteidigungsmechanismen gegenüber dem, der anders ist, und von inneren Mauern, die es nicht erlauben, dem Bruder oder der Schwester in die Augen zu sehen und deren echte Bedürfnisse wahrzunehmen. Auch unter den Jugendlichen – und das ist sehr traurig – kann sich die »Globalisierung der Gleichgültigkeit« einschleichen, die uns unfähig macht, »Mitleid zu empfinden gegenüber dem schmerzvollen Aufschrei der anderen « (ebd., 54). So geschieht es, dass diese negativen Folgen auf Menschen und Gemeinschaften zurückwirken. Wir, liebe Freunde, wollen darauf setzen, dass eure Art und Weise, die Globalisierung zu leben, sich positiv auswirken und großes Potential aktivieren kann. Denn ihr könnt als Studenten, die ihr eine Zeit außerhalb eures Landes in anderen Familien und in anderer Umgebung verbringt, eine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit entwickeln und lernen, Hüter der anderen als deren Brüder und Schwestern zu sein sowie der Schöpfung als das gemeinsame Haus, und das ist entscheidend, um die Welt menschlicher zu machen. Diese Art der Ausbildung kann euch junge Studenten in diese Richtung lenken und euch begleiten, und sie kann es tun mit der Frische der Aktualität und Kühnheit des Evangeliums, um neue Verkünder des Evangeliums heranzubilden, die bereit sind, die ganze Welt mit der Freude Christi anzustecken.
Liebe Jugendliche, der heilige Johannes Paul II. nannte euch gerne »Wächter der Morgenröte«. Ich ermutige euch, dies Tag für Tag zu sein, während ihr euren Blick auf Christus und die Geschichte richtet. So wird es euch gelingen, das Heil Jesu zu verkünden und sein Licht in eine Welt zu tragen, die nur allzu oft vom Dunkel der Gleichgültigkeit, des Egoismus und des Krieges überschattet wird. Ich vertraue euch alle dem mütterlichen Schutz der allerseligsten Jungfrau Maria, unserer Mutter, an. Ich segne euch, eure Studien, eure Freundschaft und euren missionarischen Einsatz. Und bitte vergesst auch ihr nicht, für mich zu beten.
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