APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
NACH ARMENIEN
(24.-26. JUNI 2016)
BEGEGNUNG MIT DEN VERTRETERN DER REGIERUNG UND DES ÖFFENTLICHEN LEBENS UND MIT DEM DIPLOMATISCHEN KORPS
ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
Präsidentenpalast
Freitag, 24. Juni 2016
Herr Präsident,
sehr geehrte Vertreter des öffentlichen Lebens,
verehrte Mitglieder des Diplomatischen Korps,
meine Damen und Herren,
es ist mir ein Anlass zu großer Freude, hier sein zu können, den Boden dieses so geschätzten armenischen Landes zu betreten und ein Volk antiker und reicher Traditionen zu besuchen, das mutig seinen Glauben bezeugt hat, das viel gelitten hat, das aber immer wieder neu geboren wurde.
» Unser türkisblauer Himmel, die kristallklaren Wasser, der lichtdurchflutete See, die Sommersonne und im Winter der wilde Nordwind, […] der Stein der Jahrtausende, […] die Bücher, mit dem Griffel eingeritzt und zu Gebet geworden « (Elise Ciarenz, Ode an Armenien) – das sind einige wirkungsvolle Bilder, die ein berühmter Dichter Ihrer Nation uns bietet, um uns die Tiefe der Geschichte Armeniens und die Schönheit seiner Natur zu verdeutlichen. Sie bergen in wenigen Worten den Nachklang und die Fülle der ruhmreichen und dramatischen Erfahrung eines Volkes und dessen verzehrende Liebe zu seinem Vaterland.
Ich bin Ihnen, Herr Präsident, von Herzen dankbar für die liebenswürdigen Worte, mit denen Sie mich im Namen der Regierung und der Einwohner Armeniens willkommen geheißen haben, und dafür, dass Sie mir mit Ihrer freundlichen Einladung die Gelegenheit gegeben haben, Ihren Besuch vom vergangenen Jahr im Vatikan zu erwidern. Damals wohnten Sie der festlichen Messfeier im Petersdom bei, gemeinsam mit Seiner Heiligkeit Karekin II., dem Obersten Patriarchen und Katholikos aller Armenier, und Seiner Heiligkeit Aram I., dem Katholikos des Großen Hauses von Kilikien, sowie Seiner Seligkeit Nerses Bedros XIX., dem Patriarchen von Kilikien der Armenier, der kürzlich verstorben ist. Bei jenem Anlass wurde des hundertsten Jahrestags des Metz Yeghém, des „Großen Übels“ gedacht, das Ihr Volk heimsuchte und den Tod einer Unzahl von Menschen verursachte. Diese Tragödie, dieser Völkermord eröffnete leider die traurige Liste der entsetzlichen Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts, die von anormalen rassistischen, ideologischen oder religiösen Motivationen ermöglicht wurden, welche den Geist der Menschenschinder so weit verdunkelten, dass sie sich das Ziel setzten, ganze Völker auszurotten. Es ist so traurig – sowohl bei diesem als auch bei den anderen beiden haben die großen Weltmächte weggeschaut.
Ich verneige mich vor dem armenischen Volk, das vom Licht des Evangeliums erleuchtet auch in den tragischsten Momenten seiner Geschichte immer im Kreuz und in der Auferstehung Christi die Kraft gefunden hat, sich wieder aufzurichten und würdevoll den Weg wieder aufzunehmen. Das macht deutlich, wie tief die Wurzeln des christlichen Glaubens hinabreichen und welch unendlichen Schatz an Trost und Hoffnung er in sich birgt. Da wir die unheilvollen Ergebnisse vor Augen haben, zu denen im vergangenen Jahrhundert Hass, Vorurteil und zügellose Herrschsucht führten, wünsche ich mir von Herzen, dass die Menschheit aus diesen tragischen Erfahrungen die Lehre ziehen kann, verantwortungsvoll und klug zu handeln, um den Gefahren vorzubeugen, in solche Gräuel zurückzufallen. Mögen sich daher die Bemühungen aller vervielfachen, damit in den internationalen Streitfragen immer der Dialog, die echte Suche nach dem Frieden, die Zusammenarbeit unter den Staaten und der beharrliche Einsatz der internationalen Organismen vorherrschen, um ein Klima des Vertrauens aufzubauen, das das Zustandekommen dauerhafter Vereinbarungen begünstigt, die in die Zukunft blicken.
Die Katholische Kirche möchte aktiv mit allen zusammenarbeiten, denen das Geschick der Zivilisation und die Achtung der Menschenrechte am Herzen liegt, um in der Welt den spirituellen Werten zum Sieg zu verhelfen und alle zu entlarven, die deren Bedeutung und Schönheit entstellen. In diesem Zusammenhang ist es von grundlegender Bedeutung, dass alle, die ihren Glauben an Gott bekennen, ihre Kräfte vereinen, um jeden zu isolieren, der sich der Religion bedient, um Pläne voranzubringen, die auf Krieg, Übergriff und gewaltsame Verfolgung ausgerichtet sind, und so den heiligen Namen Gottes instrumentalisiert und manipuliert.
Heute werden besonders die Christen mancherorts diskriminiert und verfolgt wie zur Zeit der ersten Märtyrer und vielleicht sogar noch mehr, nur weil sie ihren Glauben bekennen. Zugleich finden zu viele Konflikte in verschiedenen Zonen der Welt noch keine positiven Lösungen und verursachen Trauer, Zerstörung und Zwangsmigration ganzer Bevölkerungen. Es ist daher unerlässlich, dass die für das Geschick der Nationen Verantwortlichen mutig und unverzüglich Initiativen ergreifen, um diesem Leiden ein Ende zu bereiten; ihre vorrangigen Ziele müssen die Suche nach Frieden, die Verteidigung und Aufnahme derer, die Aggressionen und Verfolgungen ausgesetzt sind, die Förderung der Gerechtigkeit und eine nachhaltige Entwicklung sein. Das armenische Volk hat diese Situationen hautnah erlebt; es kennt das Leiden und den Schmerz, es kennt die Verfolgung. Es bewahrt in seiner Erinnerung nicht nur die Verwundungen der Vergangenheit, sondern auch den Geist, der ihm erlaubt hat, jedes Mal wieder neu zu beginnen. In diesem Sinn ermutige ich es, seinen wertvollen Beitrag der internationalen Gemeinschaft nicht vorzuenthalten.
In dieses Jahr fällt der 25. Jahrestag der Unabhängigkeit Armeniens. Es ist ein glücklicher Umstand, über den man sich freuen kann, und die Gelegenheit, der erreichten Ziele zu gedenken sowie neue ins Auge zu fassen, die anzustreben sind. Die Feiern aus diesem frohen Anlass werden umso bedeutsamer sein, wenn sie für alle Armenier – in der Heimat und in der Diaspora – ein besonderer Moment sind, Energien zu sammeln und zu koordinieren, um eine gerechte und inklusive zivile und soziale Entwicklung des Landes zu fördern. Es geht darum, ständig darüber zu wachen, dass die moralischen Gebote des gleichen Rechts für alle und der Solidarität mit den Schwachen und Unterprivilegierten niemals vernachlässigt werden (vgl. Johannes Paul II., Ansprache vor der Abreise aus Armenien [27. September 2001]: Insegnamenti XXIV, 2 [2001], 489). Die Geschichte Ihres Landes geht Hand in Hand mit Ihrer christlichen Identität, die im Laufe der Jahrhunderte gehütet wurde. Diese christliche Identität ist weit davon entfernt, die gesunde Laizität des Staates zu behindern; vielmehr verlangt und nährt sie diese, indem sie die partizipative Bürgerschaft (participatory citizenship) für alle Mitglieder der Gesellschaft, die Religionsfreiheit und die Achtung gegenüber den Minderheiten fördert. Der Zusammenhalt aller Armenier und der verstärkte Einsatz, um Wege zu finden, die helfen, die Spannungen mit einigen Nachbarländern zu überwinden, werden die Verwirklichung dieser wichtigen Ziele erleichtern und so für Armenien eine Zeit wahrer Wiedergeburt einleiten.
Die Katholische Kirche ihrerseits ist froh, dass sie trotz der begrenzten menschlichen Möglichkeiten, mit denen sie im Lande zugegen ist, ihren Beitrag zum Wachstum der Gesellschaft liefern kann, besonders mit ihrem Einsatz für die Schwächsten und die Ärmsten, auf den Gebieten des Gesundheits- und Erziehungswesens und in dem speziellen Bereich der Caritas. Dies wird bezeugt durch das Wirken des schon seit fünfundzwanzig Jahren betriebenen Krankenhauses Redemptoris Mater in Ashotzk, durch die Arbeit des Bildungsinstituts in Jerewan, durch die Initiativen der Caritas Armenia und durch die von den Ordensgemeinschaften geführten Werke.
Gott segne und beschütze Armenien, das Land, das erleuchtet ist vom Glauben, vom Mut der Märtyrer und von der Hoffnung, die stärker ist als aller Schmerz.
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