ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE TEILNEHMER DER INTERNATIONALEN TAGUNG FÜR BISCHOFSVIKARE
UND DIÖZESANBEAUFTRAGTEN FÜR DAS GEWEIHTE LEBEN
Sala Clementina
Freitag, 28. Oktober 2016
Liebe Brüder und Schwestern!
Ich begrüße euch herzlich und danke, dass ihr zu diesem ersten Internationalen Kongress der Bischofsvikare und Diözesanbeauftragten für das geweihte Leben gekommen seid. Durch euch möchte ich allen euren Bischöfen meinen Gruß zukommen lassen und ihnen für die Aufmerksamkeit danken, die sie dem geweihten Leben in seinen verschiedenen Ausdrucksformen entgegenbringen. Ich danke Kardinal Braz de Aviz für die Worte, mit der er unsere Begegnung eingeleitet hat.
Ihr, liebe Brüder und Schwestern, seid berufen, den Bischof in allem zu unterstützen, was das geweihte Leben betrifft (vgl. CIC, 479 § 2). Heute möchte ich drei kurze Überlegungen mit euch teilen.
1. Das geweihte Leben in der Ortskirche
»Das geweihte Leben ist ein Geschenk an die Kirche, es entsteht in der Kirche, wächst in der Kirche und ist ganz und gar auf die Kirche hin ausgerichtet « (Apostolisches Schreiben zum Jahr des geweihten Lebens, III.5). Das ist ein Prinzip, das weder vonseiten der Hirten noch vonseiten der Gottgeweihten vergessen werden darf. Denn das geweihte Leben »zeigt […] beispielhaft« und besonders stark den »Beitrag einer charismatischen Gabe für das Taufpriestertum sowie für das Priestertum des Dienstes« und stellt »an sich eine charismatische Gabe der Kirche dar« (Kongregation für die Glaubenslehre, Schreiben Iuvenescit Ecclesia, 15. Mai 2016, 22c). Den Bischöfen steht es zu, es »mit Freude und Dankbarkeit anzunehmen « (vgl. ebd., Nr. 8), indem sie ihm Wohlwollen, Väterlichkeit und fürsorgliche Liebe entgegenbringen. Das geweihte Leben ist »ein geistliches Kapital, das reiche Hilfen bietet zum Besten des ganzen Leibes Christi und nicht nur zu dem der Ordensfamilien (vgl. Lumen gentium, 43)« (Apostolisches Schreiben zum Jahr des geweihten Lebens, III.5). Aus diesem Grund habe ich darum gebeten und bitte auch heute die Hirten und euch, die Bischofsvikare und Diözesanbeauftragten für das geweihte Leben, es »von Herzen und mit Freuden« (ebd.) anzunehmen als eine Realität, die »im Mittelpunkt der Kirche selbst [steht] als entscheidendes Element ihrer Sendung, insofern es […] unerschütterlich zu ihrem Leben und ihrer Heiligkeit [gehört]« (ebd.). Daher ermutige ich die Hirten, und euch mit ihnen, eine besondere Sorge zu zeigen für die Förderung der verschiedenen – alten und neuen – Charismen in euren Teilkirchen, den Gottgeweihten mit Zärtlichkeit und Liebe nahe zu sein und das Volk Gottes den Wert des gottgeweihten Lebens zu lehren.
Die Gottgeweihten erinnere ich daran, dass gerechtfertigte Selbständigkeit und die Ausnahmeregelung nicht mit Isolierung und Unabhängigkeit verwechselt werden dürfen. Es ist heute mehr denn je notwendig, die richtige Selbständigkeit und Ausnahmeregelung in den mit ihnen ausgestatteten Instituten in enger Verbindung mit der Eingliederung zu leben, so dass die charismatische Freiheit und die Katholizität des geweihten Lebens auch im Kontext der Teilkirche zum Ausdruck kommen. Letztere würde nicht voll und ganz dem entsprechen, was Christus für seine Kirche gewollt hat, wenn sie des geweihten Lebens beraubt wäre, das genauso zu ihrer wesentlichen Struktur gehört wie die Laien und das Weiheamt. Aus diesem Grund sprechen wir heute im Licht des Zweiten Vatikanischen Konzils von der Ko-essentialität der hierarchischen und charismatischen Gaben (vgl. Lumen gentium, 4), die von dem einen Geist Gottes ausgehen und das Leben der Kirche und ihr missionarisches Wirken beseelen. All diese Gaben sind dazu bestimmt, auf verschiedene Weise zum Aufbau der Kirche beizutragen – in harmonischem Einklang und einander ergänzend. Die Hirten sind aufgerufen, »die Pluridimensionalität, die die Kirche darstellt und in der die Kirche sich zeigt« zu achten, ohne sie zu manipulieren. Die Gottgeweihten ihrerseits sollen daran denken, dass sie kein »abgeschlossenes Erbe« sind, sondern »eine Facette, die in den Leib der Kirche – die vom Zentrum, Christus, angezogen wird – integriert ist« (J.M. Bergoglio, Wortbeitrag auf der Synode über das gottgeweihte Leben und seine Sendung in Kirche und Welt, 16. Generalkongregation, 13. Oktober 1994).
2. Die Errichtung neuer Institute des geweihten Lebens
Sowohl vor als auch nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil sind verschiedene Institute des geweihten Lebens entstanden, und sie entstehen auch weiterhin. Der Heilige Geist hört nicht auf zu wehen, wo er will und wann er will (vgl. Joh 3,8). Da es in der Verantwortung des Diözesanbischofs liegt, die Echtheit der charismatischen Gaben zu unterscheiden und anzuerkennen sowie in der Diözese Institute des geweihten Lebens zu errichten, kann dies nicht geschehen ohne eine ruhige und angemessene Unterscheidung, die über die im Apostolischen Schreiben Iuvenescit Ecclesia unter Nr. 18 genannten Kriterien hinaus folgendes berücksichtigen muss: die Originalität des Charismas, seine prophetische Dimension, seine Einfügung in das Leben der Teilkirche, seine affektive und effektive Gemeinschaft mit dieser und mit der Weltkirche, den Einsatz für die Evangelisierung, auch in ihrer sozialen Dimension.
Ebenso wird er prüfen, ob der Gründer oder die Gründerin bewährte kirchliche Reife gezeigt hat mit einem Leben, das nicht im Widerspruch steht zum Wirken des Heiligen Geistes, der die Charismen erweckt, und ob diese Charismen harmonisch einzufügen sind in die kirchliche Gemeinschaft (vgl. ebd., 17). Schließlich erinnere ich an die Verpflichtung, dass zunächst stets die Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens zu konsultieren ist, wie ich kürzlich in einer Klärung in Bezug auf Kanon 579 verfügt habe. Wenn wir ein neues Institut errichten, dürfen wir nicht nur an die Nützlichkeit für die Teilkirche denken. Die Bischöfe, ihre Vikare und Beauftragten dürfen ebenso wie die Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens nicht oberflächlich sein, wenn sie diese schwerwiegende Verantwortung ausüben. Die Hirten sollen berücksichtigen, dass sie bei der Errichtung eines neuen Instituts sicherlich ein ihnen zukommendes Recht ausüben, dass sie aber zugleich eine Verantwortung im Namen der universalen Kirche übernehmen, da dieses Institut zum Wachsen bestimmt ist und dazu, über die Grenzen der Diözese, in der es entstanden ist, hinauszugehen. Und zudem muss man mit Bedacht die Verpflichtung erwägen, den Kandidaten eine angemessene Ausbildung zukommen zu lassen. Da es sich um eine schwierige Entscheidung handelt, ist es gut, dass die Bischöfe sich helfen lassen von denjenigen, die Erfahrung mit dem geweihten Leben haben, und zu ihnen könnt auch ihr gehören, liebe Brüder.
3. Wechselseitige Beziehungen
Ihr habt eine wichtige Rolle in den wechselseitigen Beziehungen zwischen den Hirten und den Gottgeweihten. Ich weiß, dass dieses Thema auf dem jetzigen Kongress behandelt werden wird, aber bereits auf der Synode von 1994 wurde gebeten, die Instruktion Mutuae relationes zu überprüfen: Wir sind ein wenig spät dran! Derzeit ist sie Gegenstand eines besonderen Studiums der Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens, die ich um eine Überarbeitung des Dokuments Mutuae relationes gebeten habe.
Über die Aktualisierung der Normen hinaus, die die wechselseitigen Beziehungen zwischen dem Bischof und allen Formen des geweihten Lebens von Frauen und Männern leiten müssen, geht es darum, den Wert der Wechselseitigkeit zu vertiefen, der Hirten und Gottgeweihte verpflichtet. Es gibt keine wechselseitigen Beziehungen dort, wo einige befehlen und andere sich aus Furcht oder Gewohnheit unterordnen. Dagegen gibt es wechselseitige Beziehungen dort, wo der Dialog gepflegt wird, das respektvolle Zuhören, die gegenseitige Gastfreundschaft, die Begegnung und das Kennenlernen, die gemeinsame Suche nach der Wahrheit, der Wunsch nach brüderlicher Zusammenarbeit zum Wohl der Kirche, die »Haus der Gemeinschaft« ist. All dies liegt sowohl in der Verantwortung der Hirten als auch der Gottgeweihten. Alle sind wir in diesem Sinne aufgerufen, »Pontifex«, das heißt Brückenbauer zu sein. Unsere Zeit erfordert Gemeinschaft unter Achtung der Verschiedenheit. Wir wollen keine Angst haben vor der Verschiedenheit, die vom Heiligen Geist kommt.
Schließlich möchte ich euch um eine besondere Aufmerksamkeit gegenüber den kontemplativen Ordensschwestern bitten. Wie ich in der kürzlich veröffentlichten Apostolischen Konstitution Vultum Dei quaerere gesagt habe, ist diese »in der Stille des Klosters verwurzelte« Form der Nachfolge Christi »in der Kirche und für die Kirche stets die betende Mitte gewesen, ein Hort der Unentgeltlichkeit und reicher apostolischer Fruchtbarkeit«, die »kostbare Früchte der Gnade und der Barmherzigkeit« und »mannigfaltiger Heiligkeit« hervorgebracht hat (Nr. 5). Die Kirche, und auch die Teilkirche, braucht »den Leuchtturm […], der ihm die Route zeigt, um zum Hafen zu gelangen« und »Fackeln, die den Weg der Menschen in der dunklen Nacht der Zeit begleiten« sowie »Wächterinnen am Morgen, die den Aufgang der Sonne ankündigen« (Nr. 6). Begleitet sie mit brüderlicher Zuneigung und behandelt sie stets als erwachsene Frauen, indem ihr die ihnen zustehenden Kompetenzen ohne unrechtmäßige Einmischung respektiert. Begleitet sie, indem ihr ihnen helft in all dem, was sich auf die wesentlichen Elemente ihres Lebens bezieht, wie sie in der genannten Apostolischen Konstitution beschrieben werden (vgl. Nr. 12ff) und unter Berücksichtigung der Instruktion, die von der Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens erlassen werden wird (vgl. ebd., 14 §1). Die gesamte Aufmerksamkeit nur auf ein Element zu richten, so wichtig es auch sein mag, wie das bei der Klausur oder der Selbständigkeit der Fall ist, könnte zu einem grundlegenden Ungleichgewicht führen, das traurige Folgen für das Leben dieser Schwestern haben würde.
Liebe Brüder, liebt das geweihte Leben und stellt daher sicher, dass ihr es wirklich in seiner Tiefe kennt. Baut wechselseitige Beziehungen auf ausgehend von der Ekklesiologie der Gemeinschaft, vom Prinzip der Koessentialität, von der berechtigten Selbstständigkeit, die den Gottgeweihten zusteht. Grüßt eure Bischöfen und alle Gottgeweihten eurer Diözesen von mir. Ich sichere euch mein Gebet zu, und vergesst ihr bitte nicht, für mich zu beten. Danke, und einen guten Kongress!
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