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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE TEILNEHMER DES FORTBILDUNGSKURSES FÜR NEUE BISCHÖFE

Sala Clementina
Freitag, 16. September 2016

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Liebe Brüder, guten Tag!

Ihr seid fast am Ende dieser ertragreichen Tage angekommen, die ihr in Rom verbracht habt, um den Reichtum des Geheimnisses zu vertiefen, zu dem Gott euch als Bischöfe der Kirche berufen hat. Dankbar begrüße ich die Kongregation für die Bischöfe und die Kongregation für die Orientalischen Kirchen. Ich grüße Kardinal Ouellet und danke ihm für seine freundlichen Worte, seine brüderlichen Worte. In der Person von Kardinal Ouellet und von Kardinal Sandri möchte ich euch für die großherzige Arbeit danken, die ihr im Hinblick auf die Ernennung der Bischöfe leistet, und für den Einsatz in der Vorbereitung dieser Woche. Ich freue mich, euch zu empfangen und mit euch einige Gedanken zu teilen, die aus dem Herzen des Nachfolgers Petri kommen, wenn ich die vor mir sehe, die vom Herzen Gottes »geangelt« worden sind, um sein heiliges Volk zu leiten.

Die erschütternde Erfahrung, zuerst geliebt worden zu sein 1. Ja! Gott geht euch voraus in seiner liebevollen Kenntnis! Er hat euch mit der Angel seiner erstaunlichen Barmherzigkeit »gefischt«. Seine Netze haben sich auf geheimnisvolle Weise zusammengezogen und ihr konntet nicht anders, als euch einfangen lassen. Ich weiß, dass euch bei der Erinnerung an seinen Ruf, der euch durch die Stimme der Kirche, seiner Braut, erreicht hat, immer noch ein ehrfürchtiger Schauer erfasst. Ihr seid nicht die ersten, die ein solcher Schauer erfasst.

Das geschah auch Mose, der glaubte, allein in der Wüste zu sein, und der entdeckte, dass er von Gott gefunden und angezogen wurde, der ihm seinen Namen anvertraute, nicht für ihn, sondern für sein Volk (vgl. Ex 3). Er vertraut ihm seinen Namen für sein Volk an, vergesst das nicht. Und der Schmerzensschrei seines Volkes steigt weiterhin zu Gott auf. Wisst, dass es diesmal euer Name ist, den der Vater aussprechen wollte, damit ihr vor dem Volk seinen Namen aussprecht. Das geschah auch Nathanael, der gesehen wurde, als er noch »unter dem Feigenbaum« (Joh 1,48) war, und staunend der Hüter einer Vision des sich endgültig öffnenden Himmels wurde. Im Leben vieler Menschen fehlt dieser Durchgang, dieser Zugang zur Höhe noch, und ihr seid von ferne gesehen worden, um zum Ziel zu führen. Gebt euch nicht mit weniger zufrieden! Bleibt nicht auf halbem Weg stehen! Das geschah auch der Samariterin, vom Herrn am Dorfbrunnen »gekannt«, die dann ihre Mitbürger zur Begegnung mit demjenigen ruft, der das lebendige Wasser besitzt (vgl. Joh 4,7-42). Es ist wichtig, das Bewusstsein zu haben, dass es in euren Kirchen nicht notwendig ist, »von Meer zu Meer« auf die Suche zu gehen, weil die Menschen das Wort, nach dem sie hungern und dürsten, auf euren Lippen finden können (vgl. Am 8,11-13).

Von diesem ehrfürchtigen Schauer erfasst wurden auch die Apostel, als »die Gedanken ihrer Herzen« enthüllt wurden und sie mühsam den Zugang zum verborgenen Weg Gottes entdeckt haben, der in den Kleinen wohnt und sich vor dem, der sich selbst genügt, verbirgt (vgl. Lk 9,46-48). Schämt euch nicht für die Male, wo auch ihr gestreift worden seid von diesem Fernsein von den Gedanken Gottes. Legt vielmehr den Anspruch der Selbstgenügsamkeit ab, um euch wie Kinder dem anzuvertrauen, der den Kleinen sein Reich offenbart.

Sogar die Pharisäer hat dieser Schauer erfasst, wenn sie oft vom Herrn entlarvt wurden, der ihre Gedanken kannte, die so anmaßend waren, dass sie die Macht Gottes auf die Enge des eigenen Blicks begrenzen wollten, und so gotteslästerlich, dass sie gegen die souveräne Freiheit seiner erlösenden Liebe murrten (vgl. Mt 12,24-25). Gott bewahre euch davor, dass dieses Erschauern vergeblich war, davor, es zu zähmen und seiner »destabilisierenden« Macht zu entleeren. Lasst euch »destabilisieren«: das ist gut für einen Bischof.

Wunderbares Entgegenkommen!

2. Es ist schön, sich von der liebevollen Kenntnis Gottes bis ins Innerste treffen zu lassen. Es ist tröstlich zu wissen, dass er wirklich weiß, wer wir sind, und dass unsere Geringheit ihn nicht erschreckt. Es ist beruhigend, im Herzen die Erinnerung an seine Stimme zu bewahren, die eben gerade uns berufen hat, trotz unserer Unzulänglichkeiten. Es schenkt Frieden, sich der Gewissheit zu überlassen, dass er es sein wird – und nicht wir –, der das, was er selbst begonnen hat, zu Ende führen wird.

Viele setzen heute eine Maske auf und verstecken sich. Sie lieben es, Persönlichkeiten zu konstruieren und Profile zu entwerfen. Sie machen sich zu Sklaven der armseligen Ressourcen, die sie zusammenkratzen und an die sie sich klammern, als würden sie ausreichen, um die Liebe zu kaufen, die keinen Preis hat. Sie ertragen das Erschauern nicht, sich von Jemandem gekannt zu wissen, der größer ist und der unser Kleinsein nicht verachtet, der heiliger ist und uns unsere Schwachheit nicht vorwirft, der wirklich gut ist und an unseren Wunden keinen Anstoß nimmt. So soll es bei euch nicht sein: Lasst euch von jenem ehrfürchtigen Erschauern ergreifen, verdrängt es nicht und bringt es nicht zum Schweigen.

Die Schwelle des Herzens Christi überschreiten, die wahre Pforte der Barmherzigkeit

3. Aus all diesen Gründen lade ich euch ein, am kommenden Sonntag beim Durchgang durch die Heilige Pforte des Jubiläums der Barmherzigkeit, das Millionen von Pilgern aus der Stadt und dem Erdkreis zu Christus gezogen hat, sehr intensiv eine persönliche Erfahrung der Dankbarkeit, der Versöhnung, des vollkommenen Anvertrauens, der vorbehaltlosen Übergabe des eigenen Lebens an den Hirten der Hirten zu erleben.

In Christus eintretend, die einzige Tür, versenkt ihr euren Blick in seinen Blick. Lasst euch von ihm erreichen »miserando atque eligendo«. Der kostbarste Reichtum, den ihr am Beginn eures bischöflichen Dienstes von Rom mitnehmen könnt, ist das Bewusstsein von der Barmherzigkeit, mit der ihr angeblickt und erwählt worden seid. Der einzige Schatz – den ich euch bitte, nicht in euch verrosten zu lassen – ist die Gewissheit, dass ihr nicht bloß euren eigenen Kräften überlassen seid. Ihr seid Bischöfe der Kirche, habt teil an dem einen Episkopat, seid Mitglieder eines unteilbaren Kollegiums, seid als einfache Zweige fest in den Weinstock eingepfropft, ohne den ihr nichts tun könnt (Joh 15,48). Denn von nun an könnt ihr nirgendwo alleine hingehen, weil ihr die Braut mitbringt, die euch wie ein in eure Seele eingeprägtes Siegel anvertraut worden ist. Tut dies beim Durchschreiten der Heiligen Pforte, indem ihr eure Herde auf die Schultern ladet: Nicht allein! – mit der Herde auf den Schultern, und im Herzen das Herz eurer Braut, eurer Teilkirchen tragend.

Die Aufgabe, die Barmherzigkeit in die Pastoral umzusetzen

4. Das ist keine leichte Aufgabe. Fragt Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, nach dem Geheimnis, um seine Barmherzigkeit in euren Diözesen in der Pastoral Gestalt annehmen zu lassen. Denn es ist notwendig, dass die Barmherzigkeit die pastoralen Strukturen unserer Teilkirchen formt und gestaltet. Es geht nicht darum, die Ansprüche zu senken oder unsere Perlen billig zu verkaufen. Vielmehr ist die einzige Bedingung. die die kostbare Perle an diejenigen stellt, die sie finden, dass sie nicht weniger als das Ganze fordert. Ihr einziger Anspruch ist es, im Herzen dessen, der sie findet, das Bedürfnis zu wecken, sich ganz einzusetzen, um sie zu besitzen.

Habt keine Angst, die Barmherzigkeit als Synthese dessen vorzustellen, was Gott der Welt schenkt, denn das Herz des Menschen kann nichts Größeres ersehnen. Sollte das nicht ausreichen, um »zu beugen, was verhärtet ist; zu wärmen, was erkaltet ist; zu lenken, was da irregeht «, was könnte sonst Macht haben über den Menschen? Dann wären wir zu Verzweiflung und Ohnmacht verurteilt. Haben vielleicht unsere Ängste die Macht, Mauern zu widerstehen und Durchbrüche zu öffnen? Sind vielleicht unsere Unsicherheit und Mutlosigkeit in der Lage, Milde und Trost in Einsamkeit und Verlassenheit zu wecken?

Wie mein verehrter weiser Vorgänger gelehrt hat, ist es »die Macht seines Erbarmens, […], die dem Bösen eine Schranke setzt. In ihr drückt sich das ganz eigene Wesen Gottes aus – seine Heiligkeit, die Macht der Wahrheit und der Liebe«. Sie ist die »ganz andere, göttliche Macht«, mit der Gott »all diesen Gewalten entgegentritt: mit der Macht seines Erbarmens« (Benedikt XVI., Predigt, 15. April 2007). Lasst euch also nicht erschrecken von der anmaßenden Bosheit der Nacht. Bewahrt unversehrt die Gewissheit dieser demütigen Macht, mit der Gott an das Herz jedes Menschen klopft: Heiligkeit, Wahrheit und Liebe. Die Barmherzigkeit in die Pastoral umzusetzen bedeutet nichts anderes, als aus den euch anvertrauten Teilkirchen Wohnstätten zu machen, wo Heiligkeit, Wahrheit und Liebe zu Hause sind. Wo sie als Gäste aus der Höhe wohnen, derer man sich nicht bemächtigen kann, sondern denen man immer dienen und die man immer neu bitten muss: »Geh doch an deinem Knecht nicht vorbei!« (Gen 18,3): Das ist die Bitte Abrahams.

Drei Ratschläge, um die Barmherzigkeit in die Pastoral umzusetzen

5. Ich möchte euch als Beitrag zu der vor euch liegenden, enormen Aufgabe drei kurze Gedanken mitgeben: zur Aufgabe, durch euren Dienst die Barmherzigkeit in Pastoral umzusetzen, das heißt die Barmherzigkeit zugänglich, spürbar zu machen und eine Begegnung mit ihr zu ermöglichen. Seid Bischöfe, die in der Lage sind, zu begeistern und anzuziehen

5.1. Macht euren Dienst zu einem Bild der Barmherzigkeit, der einzigen Kraft, die in der Lage ist, das Herz des Menschen dauerhaft zu ergreifen und anzuziehen. Auch der Verbrecher hat sich ganz zum Schluss von demjenigen mitreißen lassen, in dem er »nur Gutes gefunden« hat (vgl. Lk 23,41). Als die Menschen ihn durchbohrt am Kreuz hängen sahen, schlugen sie sich an die Brust und bekannten, was sie niemals von sich selbst hätten bekennen können, wenn sie nicht von jener Liebe verblüfft worden wären, die sie nie zuvor gekannt hatten und die trotz allem unentgeltlich und überreich hervorströmte! Einen fernen und gleichgültigen Gott kann man auch ignorieren, aber einem so nahen und noch dazu aus Liebe verwundeten Gott kann man nicht leicht widerstehen. Güte, Schönheit, Wahrheit, Liebe, das Gute – das ist es, was wir dieser bettelnden Welt anbieten können, wenn auch in halbzerbrochenen Schalen.

Es geht jedoch nicht darum, zu sich selbst hinzuziehen: Das ist eine Gefahr! Die Welt ist der betörenden Lügner müde. Und ich erlaube mir zu sagen: der Priester, die der Mode folgen, oder der Bischöfe, die der Mode folgen. Die Gläubigen »wittern« – das Volk Gottes wittert Gott –, die Gläubigen »wittern« es und fliehen, wenn sie die Narzissten, die Manipulatoren, die Verteidiger in eigener Sache, die Ausrufer falscher Kreuzzüge erkennen. Bemüht euch vielmehr, Gott zu unterstützen, der schon vor eurer Ankunft gekommen ist.

Ich denke an Eli und den kleinen Samuel aus dem ersten Buch Samuel. Obwohl in jenen Tagen »Worte des Herrn selten und Visionen nicht häufig « waren (vgl. 3,1), fand sich Gott doch nicht damit ab, abwesend zu sein. Erst beim dritten Mal hat der aus dem Schlaf gerissene Eli verstanden, dass der junge Samuel nicht seine Antwort brauchte, sondern die Gottes. Ich sehe die heutige Welt als einen verwirrten Samuel: sie braucht jemanden, der im großen Lärm, der ihre Agonie stört, die geheimnisvolle Stimme Gottes zu hören vermag, die sie ruft. Es werden Menschen gebraucht, die aus den heutigen Herzen, die die Grammatik verlernt haben, das demütige Stammeln wachzurufen wissen: »Rede, Herr!« (3,9). Und noch dringender werden diejenigen gebraucht, die die Stille zu fördern wissen, die dieses Wort vernehmbar werden lassen. Gott gibt niemals auf! Wir sind es, die wir uns ans Aufgeben gewöhnt haben und es uns oft bequem machen, wenn wir uns lieber davon überzeugen lassen, dass man Gott wirklich ausgelöscht hat, und wir erfinden bittere Reden, um die Faulheit zu rechtfertigen, die uns im immer gleichen Klang sinnloser Klagen festgefahren sein lässt. Das Klagen eines Bischofs ist schlimm.

Seid Bischöfe, die in der Lage sind, die euch anvertrauten Menschen, in den Glauben einzuführen

5.2. Bei allem Großen ist ein Weg notwendig, um in dieses Große vordringen zu können. Um so mehr gilt das für die göttliche Barmherzigkeit, die unerschöpflich ist! Einmal ergriffen von der Barmherzigkeit, verlangt sie einen einführenden Weg, ein Gehen, eine Initiation. Es reicht auf die Kirche zu blicken: sie ist Mutter, indem sie neue Kinder für Gott gebiert, und sie ist Lehrmeisterin, wenn sie diejenigen, die sie gebiert, führt, damit sie die Wahrheit in Fülle verstehen. Es reicht aus, den Reichtum ihrer Sakramente zu betrachten, eine stets neu aufzusuchende Quelle – auch in unserer Pastoral, die nichts anderes sein will als die mütterliche Aufgabe der Kirche, diejenigen zu ernähren, die durch sie aus Gott geboren sind. Die Barmherzigkeit Gottes ist die einzige Wirklichkeit, die es dem Menschen ermöglicht, nicht endgültig verloren zu sein, auch wenn er unglücklicherweise versucht, sich ihrer Faszination zu entziehen. In ihr kann der Mensch stets sicher sein, nicht in jenen Abgrund zu schlittern, in dem er sich ohne Ursprung und Bestimmung, ohne Sinn und Perspektive wiederfindet.

Das Antlitz der Barmherzigkeit ist Christus. In ihm bleibt sie ein beständiges und unerschöpfliches Angebot; in ihm verkündet sie, dass niemand verloren ist – niemand ist verloren! Für ihn ist jeder der einzige! Das einzige Schaf, für das er sich dem Sturm aussetzt; die einzige um den Preis des eigenen Blutes erkaufte Münze; der einzige Sohn, der tot war und nun wieder lebt (vgl. Lk 15). Ich bitte euch, keine andere Perspektive zu haben, aus der ihr auf eure Gläubigen blickt, als die Perspektive ihrer Einzigartigkeit. Ich bitte euch, nichts unversucht zu lassen, um sie zu erreichen, keine Mühen zu scheuen, um sie zu retten.

Seid Bischöfe, die in der Lage sind, eure Teilkirchen in diesen Abgrund der Liebe einzuführen. Heute verlangt man zu viele Früchte von Bäumen, die kaum gepflegt worden sind. Man hat den Sinn für die Initiation verloren, und dennoch hat man zu den wirklich wesentlichen Dingen des Lebens Zutritt nur durch eine Initiation. Denkt an den Erziehungs- und Bildungsnotstand, an die Weitergabe sowohl des Wissens als auch der Werte, denkt an den affektiven Analphabetismus, an die Berufungswege, an die Unterscheidung in den Familien, an die Suche nach Frieden: All dies erfordert eine Initiation und eine ausdauernde, geduldige und beständige Führung auf dem Weg, die den guten Hirten vor dem bezahlten Knecht auszeichnen.

Ich denke dabei an Jesus und die Initiation seiner Jünger. Nehmt die Evangelien und schaut, wie der Meister die Seinen geduldig in das Geheimnis seiner eigenen Person einführt, und ihnen schließlich, um seine Person in ihr Inneres einzuprägen, den Heiligen Geist schenkt, der »in die ganze Wahrheit führen wird« (vgl. Joh 16,13). Eine Anmerkung des Evangelisten Matthäus zur Gleichnisrede Jesu berührt mich jedes Mal: »Dann verließ er die Menge und ging nach Hause. Und seine Jünger kamen zu ihm und sagten: ›Erkläre uns…‹« (13,36). Ich möchte meine Aufmerksamkeit auf diese scheinbar unbedeutende Bemerkung richten. Jesus betritt das Haus, die innere Vertrautheit mit den Seinen. Die Menge bleibt draußen. Die Jünger nähern sich und bitten um Erklärung. Jesus war stets in die Dinge seines Vaters eingetaucht, mit dem er im Gebet vertrauten Umgang pflegte. Daher konnte er sich selbst gegenwärtig sein sowie vor den anderen gegenwärtig sein. Er ging zur Menge hinaus, aber er hatte die Freiheit, wieder hinein zu gehen.

Ich fordere euch auf, die vertraute Nähe zu Gott zu pflegen, der Quelle des Selbstbesitzes und der Selbsthingabe, der Freiheit hinauszugehen und wieder zurückzukommen. Hirten zu sein, die in der Lage sind, auch mit den Eurigen ins »Haus« zurückzukehren, jene gesunde Vertrautheit zu entwickeln, die es ihnen erlaubt, sich zu nähern, jenes Vertrauen zu schaffen, das ihnen die Bitte erlaubt: »Erkläre uns…« Es handelt sich nicht um irgendeine Erklärung, sondern um das Geheimnis des Gottesreiches. Es ist eine an euch persönlich gerichtete Frage. Man kann die Antwort nicht an jemand anderen delegieren.

Man darf sie nicht auf später verschieben, weil man unterwegs ist in einem nicht genauer bezeichneten »anderswo«, irgendwohin gehend oder von irgendwoher zurückkehrend, häufig nicht sicher auf den eigenen Beinen. Ich bitte euch, euch mit besonderer Sorgfalt um die Strukturen der Initiation in euren Teilkirchen zu kümmern, insbesondere um die Priesterseminare. Lasst euch nicht von Zahl und Quantität der Berufungen in Versuchung führen, sondern sucht vielmehr die Qualität der Jüngerschaft. Weder Zahl noch Quantität: nur Qualität. Beraubt die Seminaristen nicht eurer entschiedenen und liebevollen Vaterschaft.

Lasst sie wachsen, bis sie die Freiheit erworben haben, in Gott zu bleiben »ruhig und still wie ein kleines Kind bei der Mutter« (vgl. Ps 131,2) und nicht gefangen zu sein in den eigenen Launen, den eigenen Schwächen unterworfen, sondern frei, das auf sich zu nehmen, um das Gott sie bittet, auch wenn es nicht so angenehm zu sein scheint, wie der Mutterschoß am Anfang. Und passt auf, wenn sich ein Seminarist in Härte und Strenge flüchtet: dahinter steht immer etwas Unschönes.  

Seid Bischöfe, die in der Lage sind zu begleiten

5.3. Erlaubt mir eine letzte Empfehlung, um die Barmherzigkeit in Pastoral umzusetzen. Und hier bin ich gezwungen, euch erneut auf den Weg nach Jericho zu führen, um das Herz des Samariters zu betrachten, das sich öffnet wie das Innere einer Mutter, berührt von der Barmherzigkeit angesichts dieses namenlosen Mannes, der Räubern in die Hände gefallen ist. Zuerst war da dieses sich zerreißen lassen vom Anblick des halb toten Verletzten und dann kommt die beeindruckende Reihe der Tätigkeitswörter, die ihr alle kennt. Tätigkeitsworte, keine Adjektive, wie wir es oft vorziehen. Tätigkeitsworte, in denen die Barmherzigkeit konjugiert wird.

Die Barmherzigkeit in Pastoral umzusetzen ist genau dies: sie in Tätigkeitsworten konjugieren, sie spürbar und funktionsfähig zu machen. Die Menschen brauchen Barmherzigkeit; sie sind, wenn auch unbewusst, auf der Suche nach ihr. Sie wissen sehr wohl, dass sie verwundet sind. Sie spüren es. Sie wissen sehr gut, dass sie »halb tot« (vgl. Lk 10,30) sind, auch wenn sie Angst haben, es zuzugeben. Wenn sie unverhoffterweise sehen, wie die Barmherzigkeit sich ihnen nähert, dann treten sie hervor, strecken die Hand aus, um sie zu erbetteln. Sie sind fasziniert von ihrer Fähigkeit stehenzubleiben, wo so viele vorübergehen; sich hinabzubeugen, wo ein gewisser Rheumatismus der Seele das Bücken verhindert; das verwundete Fleisch zu berühren, wenn die Vorliebe all dem gilt, was aseptisch ist. Ich möchte ein vom Samariter konjugiertes Verb genauer in Augenschein nehmen. Er »begleitet« den Mann, dem er zufällig begegnet ist, zur Herberge, er sorgt sich um sein Schicksal. Er interessiert sich für seine Heilung und für seine Zukunft. Was er bereits getan hat, reicht ihm nicht aus. Die Barmherzigkeit, die ihm das Herz gebrochen hatte, muss sich vergießen und verströmen. Man kann sie nicht tamponieren. Es gelingt nicht, sie aufhören zu lassen. Auch wenn er bloß ein Samariter ist, hat die Barmherzigkeit, die ihn getroffen hat, Teil an der Fülle Gottes, und deshalb kann kein Staudamm sie abriegeln.

Seid Bischöfe mit einem von solcher Barmherzigkeit verwundeten Herzen und daher unermüdlich in der demütigen Aufgabe, den Menschen zu begleiten, den Gott »zufällig« auf euren Weg gestellt hat. Wo ihr auch hingeht, denkt daran, dass die Straße nach Jericho nicht weit entfernt  ist. Eure Teilkirchen sind voller solcher Straßen. Sie sind euch sehr nahe und da wird es nicht schwierig sein, dem zu begegnen, der nicht einen »Leviten« erwartet, der den Blick abwendet, sondern einen Bruder, der nahe ist. Begleitet zuallererst mit geduldiger Aufmerksamkeit euren Klerus. Seid eurem Klerus nahe. Ich bitte euch, euren Priestern die Umarmung des Papstes und den Dank für ihre tätige Großherzigkeit zu bringen. Bemüht euch, in ihnen neu das Bewusstsein zu wecken, dass Christus ihr »Los« ist, ihr »Anteil und Erbe«, ihr Anteil, den aus dem »Kelch« zu trinken ihnen zusteht (vgl. Ps 16,5).

Wer sonst könnte das Herz eines Dieners Gottes und seiner Kirche erfüllen außer Christus? Ich bitte euch auch, mit großer Klugheit und Verantwortlichkeit bei der Aufnahme von Kandidaten oder bei der Inkardinierung von Priestern in eure Ortskirchen zu handeln. Bitte, Klugheit und Verantwortlichkeit hierin. Denkt daran, dass von Beginn an die unauflösliche Verbindung zwischen der Ortskirche und ihren Priestern gewollt war und man niemals einen herumziehenden oder von einem Ort zum anderen wechselnden Klerus akzeptiert hat. Und das ist eine Krankheit unserer Tage.

Eine besondere Begleitung sollt ihr allen Familien zukommen lassen, indem ihr euch mit ihrer großherzigen Liebe freut und das unermessliche Gute fördert, das sie in dieser Welt tun. Begleitet vor allem die am stärksten verletzten Familien. »Geht nicht vorüber« an ihrer Schwäche. Bleibt stehen, um zuzulassen, dass euer Hirtenherz vom Anblick ihrer Wunde durchbohrt wird. Nähert euch mit Feingefühl und ohne Furcht. Stellt ihnen die Freude der wahren Liebe und der Gnade vor Augen, mit der Gott sie zur Teilhabe an seiner Liebe erhebt. So viele haben es nötig, sie wiederzuentdecken, andere haben sie nie gekannt, einige warten darauf, sie zu befreien, nicht wenige werden die Last mit sich tragen müssen, sie rettungslos verloren zu haben. Ich bitte euch, bei der Entscheidungsfindung mit Einfühlungsvermögen an ihrer Seite zu sein.

Liebe Brüder, jetzt werden wir gemeinsam beten und ich werde euch mit meinem ganzen Herzen als Hirte, Vater und Bruder segnen. Der Segen ist immer die Anrufung des Antlitzes Gottes über uns. Christus ist das Antlitz Gottes, das sich nie verdüstert. Indem ich euch segne, werde ich ihn bitten, dass er mit euch geht und dass er euch den Mut geben möge, mit ihm zu gehen. Sein Antlitz ist es, das uns anzieht, sich in uns einprägt und uns begleitet. So sei es!

 



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