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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE TEILNEHMER DER BEGEGNUNG DER PÄPSTLICHEN VERTRETER

Sala Clementina
Samstag, 17. September 2016

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Liebe Mitbrüder!

Ich freue mich über diesen Augenblick des Gebets im Jubiläumsjahr, das uns als Hirten aufruft, die Wurzeln der Barmherzigkeit neu zu entdecken, und uns außerdem Gelegenheit gibt, durch euch das Band zwischen dem Nachfolger Petri und den verschiedenen Ortskirchen zu erneuern, in denen ihr Boten und Baumeister jener Gemeinschaft seid, die Lebenssaft für die Kirche und für die Verkündigung ihrer Botschaft ist. Ich danke Kardinal Parolin für seine Worte und dem Staatssekretariat für die Großherzigkeit, mit der es diese Tage der Begegnung vorbereitet hat. Herzlich willkommen in Rom! Die Stadt in dieser Jubiläumsstunde erneut zu umarmen hat für euch eine besondere Bedeutung. Hier liegen viele eurer Quellen und eurer Erinnerungen. Hier seid ihr noch als junge Männer angekommen mit dem Vorsatz, Petrus zu dienen. Hierher kehrt ihr oft zurück, um ihm zu begegnen. Und von hier brecht ihr immer wieder auf als seine Gesandte, um seine Botschaft, seine Nähe, sein Zeugnis zu bringen. Denn hier ist Petrus seit den Anfängen der Kirche; hier ist Petrus heute im Papst, den die Vorsehung hier gewollt hat; hier wird Petrus morgen sein, wird er immer sein! So hat der Herr es gewollt: dass die machtlose Menschennatur, die an sich nur ein Stein des Anstoßes wäre, durch göttliche Fügung zum unerschütterlichen Fels wird.

Ich danke einem jeden von euch für den Dienst, den er meinem Amt leistet. Danke für die Aufmerksamkeit, mit der ihr aus dem Mund des Papstes das Bekenntnis annehmt, auf dem die Kirche Christi ruht. Danke für die Treue, mit der ihr euch mit ungeteiltem Herzen, mit aufrichtigem Verstand, mit deutlichen Worten zum Sprachrohr dessen macht, was Petrus auf Bitte des Heiligen Geistes der Kirche in diesem Augenblick zu sagen hat. Danke für die Einfühlsamkeit, mit der ihr meinem Herzen als Hirt der Universalkirche lauscht – »auscultate« – und dafür sorgt, dass dieser Atem die Kirchen erreicht, in denen ich berufen bin, den Vorsitz in der Liebe zu führen. Ich danke euch für die Hingabe und für die bereitwillige und großherzige Verfügbarkeit eures

Lebens, das voller Aufgaben und oft von schwierigen Rhythmen geprägt ist. Ihr kommt mit dem Fleisch der Kirche persönlich in Berührung, mit dem Glanz der Liebe, die sie herrlich macht, aber auch mit den offenen Stellen und Wunden, die sie um Vergebung bitten lässt. Mit echtem kirchlichem Bewusstsein und demütigem Streben, verschiedenste Probleme und Themen kennenzulernen, vergegenwärtigt ihr die Kirche und die Welt dem Herzen des Papstes. Ich lese täglich – meistens am frühen Morgen und am Abend – eure »Mitteilungen« mit den Nachrichten über die Wirklichkeiten der Ortskirchen, über die Ereignisse in den Ländern, bei denen ihr akkreditiert seid, und über die Debatten, die das Leben der internationalen Gemeinschaft beeinflussen. Für all das bin ich euch dankbar! Ihr sollt wissen, dass ich euch täglich begleite – oft mit Namen und Gesicht –, mit freundschaftlichen Gedanken und mit vertrauensvollem Gebet. Ich denke an euch in der Eucharistie. Da ihr keine Diözesanhirten seid und euer Name in keiner Teilkirche ausgesprochen wird, sollte ihr wissen, dass der Papst in jedem Hochgebet an euch denkt, als Erweiterung der eigenen Person, als seine Gesandte, um opferbereit und sachkundig zu dienen und die Braut Christ sowie die Völker, in denen sie lebt, zu begleiten. Ich möchte euch einige Dinge sagen.

1. Mit Opferbereitschaft dienen als demütige Gesandte

Als der selige Paul VI. den diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls reformierte, schrieb er: »Die Arbeit des Päpstlichen Vertreters leistet vor allem den Bischöfen, den Priestern, den Ordensleuten sowie allen Katholiken vor Ort einen wertvollen Dienst. Sie finden in ihm Unterstützung und Schutz, da er eine höhere Autorität vertritt, was für alle von Vorteil ist. Seine Sendung überlagert nicht die Ausübung der Machtbefugnisse der Bischöfe. Sie ersetzt sie nicht und behindert sie nicht, sondern achtet sie, ja fördert und stützt sie sogar mit brüderlichem und diskretem Rat« (Apostolisches Schreiben Sollicitudo omnium Ecclesiarum: AAS 61 [1969], 476).

Bei eurer Tätigkeit seid ihr daher berufen, jedem die fürsorgliche Liebe dessen zu bringen, den ihr vertretet, und so zu jenem zu werden, der unterstützt und schützt, der bereit ist zu tragen und nicht nur zurechtzuweisen, der bereit ist zuzuhören bevor er entscheidet, den ersten Schritt zu tun, um Spannungen zu beseitigen und Verständnis und Versöhnung zu fördern.

Ohne die Demut ist kein Dienst möglich oder fruchtbar. Die Demut eines Nuntius geht durch die Liebe zum Land und zur Kirche, in der man berufen ist zu dienen. Sie geht durch die ruhige Haltung, dort zu sein, wo der Papst ihn gewollt hat, und zwar nicht mit einem Herzen, das von der Erwartung des nächsten Bestimmungsortes abgelenkt ist. Ganz dort sein, mit ungeteiltem Verstand und Herzen; die eigenen Koffer auspacken, um den Reichtum zu teilen, den man mitbringt, aber auch um das entgegenzunehmen, was man noch nicht besitzt.

Ja, es ist notwendig, abzuwägen, zu vergleichen, hervorzuheben, wo die Grenzen eines kirchlichen Weges, einer Kultur, einer Religiosität, des sozialen und politischen Lebens liegen können, um sich zu bilden und eine genaue Vorstellung von der Situation zu übermitteln. Betrachten, analysieren und übermitteln sind wesentliche, aber nicht ausreichende Verben im Leben eines Nuntius. Man muss auch begegnen, hören, Gespräche führen, teilen, vorschlagen und zusammenarbeiten, damit eine aufrichtige Liebe, Sympathie, Empathie gegenüber der Bevölkerung der Ortskirche sichtbar wird. Die Katholiken, aber auch die Zivilgesellschaft im weiteren Sinne wollen und müssen spüren, dass der Nuntius sich in ihrem Land wohlfühlt, dass er sich wie zu Hause fühlt; dass er sich frei und glücklich fühlt, konstruktive Beziehungen aufzubauen, das tägliche Leben vor Ort zu teilen (Küche, Sprache, Gebräuche), die eigenen Meinungen und Eindrücke zum Ausdruck zu bringen, mit großer Achtung und Sinn für Nähe, zu begleiten mit dem Blick, der zum Wachstum beiträgt. Es genügt nicht, auf jene, die anders denken als wir, mit dem Finger zu zeigen oder sie anzugreifen. Das ist eine elende Taktik der heutigen politischen und kulturellen Kriege, aber es darf nicht die Methode der Kirche sein. Unser Blick muss in die Weite und in die Tiefe gehen. Die Gewissensbildung ist unsere ursprüngliche Liebespflicht, und das erfordert Einfühlsamkeit und Beharrlichkeit in der Umsetzung.

Natürlich ist die Bedrohung durch den Wolf, der von außen in die Herde einfällt und sie angreift, sie verwirrt, Unruhe stiftet, sie zerstreut und zerstört, immer noch gegenwärtig. Der Wolf hat immer dieselben Züge: Unverständnis, Feindseligkeit, Bosheit, Verfolgung, Beseitigung der Wahrheit, Widerstand gegen das Gute, Verschlossenheit gegenüber der Liebe, unerklärliche kulturelle Feindschaft, Misstrauen und so weiter.

Ihr wisst gut, aus welchem Holz der Hinterhalt der Wölfe jeglicher Art geschnitzt ist. Ich denke an die Christen im Orient, auf deren Ausrottung der gewaltsame Angriff abzuzielen scheint, unter der schweigenden Mitwisserschaft vieler Menschen. Nicht die Naivität der Lämmer ist gefragt, sondern die Großherzigkeit der Tauben und die Schlauheit und Klugheit des weisen und treuen Dieners. Es ist gut, die Augen offenzuhalten, um zu erkennen, woher die Feindseligkeit kommt, und um mögliche Wege zu erkennen, ihre Ursachen zu bekämpfen und sich ihrem Hinterhalt entgegenzustellen. Dennoch ermutige ich euch, nicht in einem Klima der Belagerung zu verharren, nicht der Versuchung nachzugeben, in Selbstmitleid zu zerfließen, sich als Opfer derer zu betrachten, die uns kritisieren, uns piesacken und uns manchmal auch verunglimpfen. Wendet eure besten Kräfte auf, um in der Seele der Kirchen, denen ihr dient, weiterhin die Freude und die Kraft der von Jesus verkündigten Seligkeit ertönen zu lassen (vgl. Mt 5,11).

Stets bereit und froh zu sein, Zeit mit Bischöfen, Priestern, Ordensleuten, Pfarreien, kulturellen und sozialen Einrichtungen zu verbringen (manchmal auch zu verlieren), ist das, was letztlich die Arbeit des Nuntius ausmacht. Bei diesen Gelegenheiten werden die Bedingungen geschaffen, um zu lernen, zuzuhören, Botschaften weiterzugeben, Probleme und Situationen von Personen oder Kirchenleitungen kennenzulernen, denen man sich stellen muss und die gelöst werden müssen. Und nichts erleichtert die Entscheidungsfindung und die eventuelle Zurechtweisung mehr als Nähe, Verfügbarkeit und Brüderlichkeit. Und daher ist das für mich sehr wichtig: Nähe, Verfügbarkeit und Brüderlichkeit gegenüber den Ortskirchen. Es handelt sich nicht um eine verborgene Strategie, um Informationen zu sammeln und Wirklichkeiten oder Menschen zu manipulieren, sondern um eine Haltung, die jener einnehmen muss, der nicht nur ein auf Karriere bedachter Diplomat oder ein Werkzeug des Petrusdienstes ist, sondern auch ein Hirte, der die innere Fähigkeit besitzt, Jesus Christus zu bezeugen. Überwindet die Logik der Bürokratie, die sich oft eurer Arbeit bemächtigen kann – das passiert natürlich – und sie verschlossen, gleichgültig und undurchdringlich macht.

Der Sitz der Apostolischen Nuntiatur soll wirklich das »Haus des Papstes« sein, nicht nur zum traditionellen Jahresempfang, sondern als ständiger Ort, an dem alle kirchlichen Mitarbeiter Unterstützung und Rat und die öffentlichen Autoritäten einen Bezugspunkt finden können – nicht nur wegen der diplomatischen Funktion, sondern wegen des einzigartigen Charakters der päpstlichen Diplomatie. Gebt Acht, dass eure Nuntiaturen nie zum Refugium der »Freunde und Freunde von Freuden« werden. Meidet Schwätzer und Emporkömmlinge.

Euer Verhältnis zur Zivilgemeinschaft soll am Bild des guten Hirten im Evangelium orientiert sein, der in der Lage ist, die Bedürfnisse, die Nöte und den Zustand der Herde zu erkennen und zu vertreten, besonders dann, wenn die einzigen Kriterien, die sie bestimmen, Verachtung, Unsicherheit und Ausgrenzung sind. Habt keine Angst, zu komplexen und schwierigen Horizonten vorzudringen, damit ihr Hirten seid, denen das Wohl der Menschen wirklich wichtig ist. Bei der enormen Aufgabe, die Freiheit der Kirche zu gewährleisten gegenüber jeglicher Form von Macht, die die Wahrheit zum Schweigen bringen will, dürft ihr euch nicht der Illusion hingeben, dass diese Freiheit einzig und allein die Frucht von Übereinkünften, Abkommen und diplomatischen Verhandlungen sein kann, so perfekt und gelungen sie auch sein mögen. Die Kirche wird nur dann frei sein, wenn ihre Einrichtungen daran arbeiten können, »allen an allen Orten und bei allen Gelegenheiten ohne Zögern, ohne Widerstreben und ohne Angst das Evangelium zu verkünden« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 23), aber auch, wenn sie sich gegenüber den jeweiligen Modeerscheinungen, der Leugnung der Wahrheit des Evangeliums und der einfachen Bequemlichkeiten, die oft auch die Hirten und ihre Herde anstecken, als wahres Zeichen des Widerspruchs erweist.

Denkt daran, dass ihr Petrus vertretet: den Fels, der die Flut der Ideologien, die Reduzierung des Wortes Gottes auf bloßen Nutzen, die Unterwerfung unter die Mächte dieser vergänglichen Welt übersteht. Schließt daher keinen Bund mit politischen Linien oder ideologischen Kämpfen, denn die Dauerhaftigkeit der Kirche beruht nicht auf der Zustimmung der Salons oder der Öffentlichkeit, sondern auf der Treue zu ihrem Herrn, der, anders als die Füchse und die Vögel, weder Höhle noch Nest hat, wo er sein Haupt hinlegen kann (vgl. Mt 8,18-22).

Die Kirche als Braut kann ihr Haupt nirgends hinlegen außer auf die durchbohrte Brust ihres Bräutigams. Hier entspringt ihre wahre Macht, die Macht der Barmherzigkeit. Wir haben kein Recht, der Welt – auch auf den Foren der bilateralen und multilateralen Diplomatie und in den großen Bereichen der internationalen Gespräche – diesen Reichtum zu nehmen, den kein anderer schenken kann. Dieses Bewusstsein drängt uns, mit allen zu sprechen und in vielen Fällen uns zur prophetischen Stimme der Ausgegrenzten zu machen, für ihren Glauben oder ihr ethnisches, wirtschaftliches, soziales oder kulturelles Leben: »Möge ihr Schrei zu dem unsrigen werden und mögen wir gemeinsam die Barriere der Gleichgültigkeit abtragen, der wir gerne freie Hand geben, um unsere Heuchelei und unseren Egoismus zu verbergen« (Bulle Misericordiae vultus, 15).

2. Die Kirchen begleiten mit dem Herzen eines Hirten

Die Vielfalt und Komplexität der Probleme, mit denen ihr im Alltag konfrontiert seid, darf euch nicht vom Herzstück eurer apostolischen Sendung ablenken, die darin besteht, die Kirchen mit dem Blick des Papstes zu begleiten, der kein anderer ist als der Blick Christi, des guten Hirten. Und um zu begleiten, muss man sich bewegen. Das kalte Papier der Sendschreiben und der Berichte genügt nicht. Es genügt nicht, vom Hörensagen zu lernen. Man muss vor Ort sehen, wie der gute Same des Evangeliums sich verbreitet.

Erwartet nicht, dass die Menschen zu euch kommen, um euch ein Problem zu unterbreiten, oder mit dem Wunsch, ein Problem zu lösen. Geht in die Diözesen, in die Ordensinstitute, in die Pfarrgemeinden, in die Seminare, um zu verstehen, was das Gottesvolk lebt, denkt und fragt. Seid also wahrer Ausdruck einer Kirche »im Aufbruch «, einer Kirche als »Feldlazarett«. Seid in der Lage, die Dimension der Ortskirche, des Landes und der Einrichtung zu leben, zu der ihr gesandt seid. Ich kenne den großen Arbeitsaufwand, der euch erwartet, aber lasst eure Seele – die Seele großherziger und nahestehender Hirten – nicht ersticken. Gerade diese Nähe – Nähe! – ist heute  die wesentliche Voraussetzung für die Fruchtbarkeit der Kirche. Die Menschen müssen begleitet werden. Sie brauchen eine Hand auf der Schulter, um nicht in die Irre zu gehen und nicht den Mut zu verlieren.

Die Bischöfe begleiten, indem man ihre besten Kräfte und Initiativen unterstützt. Ihnen helfen, sich den Herausforderungen zu stellen und Lösungen zu finden, die nicht in den Handbüchern stehen, sondern Frucht geduldiger und durchlittener Entscheidungsfindung sind. Alle Anstrengungen zur Qualifizierung des Klerus ermutigen. Die Tiefe ist eine entscheidende Herausforderung für die Kirche: die Tiefe des Glaubens, der Treue zu Christus, des christlichen Lebens, der Nachfolge und der Jüngerschaft. Vage Prioritäten und theoretische Pastoralpläne genügen nicht. Man muss auf konkrete Anwesenheit, Gesellschaft, Nähe, Begleitung setzen.

Eine aufrichtige Sorge, die ich habe, betrifft die Auswahl der zukünftigen Bischöfe. Ich habe im Jahr 2013 darüber zu euch gesprochen. Als ich vor einiger Zeit zur Kongregation für die Bischöfe gesprochen habe, habe ich das Profil der Hirten entworfen, die ich für die heutige Kirche als notwendig erachte: Zeugen des Auferstandenen und nicht Träger von Lebensläufen; betende Bischöfe, die mit den Dingen »von oben her« vertraut sich und nicht von der Last »von unten her« erdrückt werden; Bischöfe, die in der Lage sind, sich »geduldig « in die Gegenwart Gottes zu stellen, um die Freiheit zu besitzen, das ihnen anvertraute Kerygma nicht zu verraten; Bischöfe, die Hirten sind und nicht Fürsten und Funktionäre. Bitte! An der schwierigen Aufgabe, inmitten der Kirche jene aufzuspüren, die Gott in seinem Herzen schon ausersehen hat, um sein Volk zu leiten, habt ihr einen wesentlichen Anteil. Ihr müsst als Erste alle Bereiche durchforschen, um zu schauen, wo die kleinen Davide sich verborgen halten (vgl. 1 Sam 16,11-13): Es gibt sie, Gott lässt es nicht an ihnen mangeln! Aber wenn wir immer im Aquarium fischen gehen, werden wir sie nicht finden!

Man muss Ausschau halten, um sie zu suchen. Die Felder durchstreifen mit dem Herzen Gottes und nicht mit irgendeinem vorgefestigten Profil wie Kopfjäger. Der Blick, mit dem man sucht, die Bewertungskriterien, die gesuchten Wesenszüge dürfen nicht von leeren Absichten diktiert werden, mit denen wir meinen, am grünen Tisch die Kirche planen zu können, die wir uns erträumen. Daher müssen die Netze weit ausgeworfen werden. Man darf sich nicht damit zufriedengeben, in Aquarien, im Reservat oder in der Aufzucht der »Freunde von Freunden« zu fischen. Das Vertrauen auf den Herrn der Geschichte und der Kirche, der ihr Gut nie vernachlässigt, steht auf dem Spiel, und daher dürfen wir nicht zaudern. Die praktische Frage, die mir jetzt in den Sinn kommt, lautet: Gibt es nicht noch einen anderen? Die Frage, die Samuel dem Vater Davids stellt: Gibt es nicht noch einen anderen? (vgl. 1 Sam 16,11). Und sich auf die Suche machen. Und es gibt sie! Es gibt sie!

3. Die Völker begleiten, in denen die Kirche Christi gegenwärtig ist

Euer diplomatischer Dienst ist das wachsame und helle Auge des Nachfolgers Petri auf die Kirche und auf die Welt! Ich bitte euch, auf der Höhe dieser edlen Mission zu sein, auf die ihr euch ständig vorbereiten müsst. Es geht nicht nur darum, Inhalte zu Themen – die im Übrigen veränderlich sind – zu sammeln, sondern um eine Arbeitsdisziplin und um einen Lebensstil, der es gestattet, auch Routinesituationen wertzuschätzen, im Gang befindliche Veränderungen zu erkennen, Neuheiten zu bewerten, sie maßvoll zu interpretieren und konkrete Handlungsweisen vorzuschlagen.

Unsere schnelllebigen Zeiten erfordern eine ständige Weiterbildung. Es darf nicht alles als selbstverständlich betrachtet werden. Die sich ständig wiederholende Arbeit, die zahlreichen Aufgaben, der Mangel an neuen Impulsen nähren manchmal eine intellektuelle Trägheit, die schließlich negative Früchte hervorbringt.

Eine ernsthafte und ständige Vertiefung kann nützlich sein, um jene Zersplitterung zu überwinden, durch die man individuell versucht, die eigene Arbeit aufs Beste zu erledigen, jedoch ohne oder mit sehr geringer Koordinierung und Zusammenarbeit mit anderen. Denkt nicht, dass der Papst sich der Einsamkeit (die nicht immer »glückselig« ist wie für Eremiten und Heilige), in der nicht wenige Päpstliche Vertreter leben, nicht bewusst ist. Ich denke immer an euren Zustand als »Verbannte«, und in meinen Gebeten bitte ich beständig darum, dass ihr jene tragende Säule nicht verliert, die die innere Einheit und das Bewusstsein um tiefe Frieden und Fruchtbarkeit gestattet. Das Erfordernis, das wir uns immer mehr zu eigen machen werden müssen, ist das Wirken in einem einheitlichen und koordinierten Netzwerk, das notwendig ist, um eine persönliche Sichtweise zu vermeiden, die der Wirklichkeit der Ortskirche, des Landes oder der internationalen Gemeinschaft oft nicht standhält. Man läuft Gefahr, eine individuelle Sichtweise anzubieten, die natürlich Frucht eines Charismas, eines tiefen kirchlichen Bewusstseins und intellektueller Fähigkeit sein kann, die jedoch nicht immun ist gegen eine gewisse Personalisierung, gegen Befindlichkeiten und Sensibilitäten und nicht zuletzt gegen persönliche Situationen, die die Arbeit und die Zusammenarbeit unvermeidlich beeinflussen. Große Herausforderungen erwarten uns in unseren Tagen; ich möchte sie nicht auflisten. Ihr kennt sie. Vielleicht ist es auch weiser, sie an der Wurzel zu packen. Es zeichnet sich allmählich immer mehr ab, dass die päpstliche Diplomatie sich nicht fernhalten darf von der dringenden Notwendigkeit, die Barmherzigkeit in dieser verletzten und zersplitterten Welt spürbar zu machen.

Die Barmherzigkeit muss das Kennzeichen der diplomatischen Mission eines Apostolischen Nuntius sein, der außer dem persönlichen ethischen Bemühen die feste Überzeugung besitzen muss, dass die Barmherzigkeit Gottes in die Vorgänge dieser Welt, in die Vorgänge der Gesellschaft, der menschlichen Gruppierungen, der Familien, der Völker, der Nationen hineingehört.

Auch auf dem internationalen Parkett bringt sie es mit sich, niemals etwas oder jemanden als verloren zu betrachten. Der Mensch ist nie unwiederbringlich verloren. Keine Situation ist undurchlässig für die feine und unwiderstehliche Macht der Güte Gottes, der in Bezug auf den Menschen und seine Bestimmung niemals aufgibt. Diese radikal neue Wahrnehmung der diplomatischen Mission befreit den Päpstlichen Vertreter von unmittelbaren geopolitischen, wirtschaftlichen oder militärischen Interessen und ruft ihn auf, in seinen vorrangigen Gesprächspartnern in Regierung, Politik, Gesellschaft und den öffentlichen Einrichtungen das Bestreben zu erkennen, dem Gemeinwohl zu dienen, und sich diesen Wesenszug zunutze zu machen, auch wenn er sich manchmal von persönlichen und korporativen Interessen oder durch ideologische, populistische oder nationalistische Verirrungen als getrübt oder unterdrückt erweist.

Auch ohne das Heute unterzubewerten, ist die Kirche aufgerufen, langfristig zu arbeiten, ohne davon besessen zu sein, unmittelbare Ergebnisse zu erzielen. Sie muss mit Geduld schwierige und widrige Situationen oder die Änderung der Pläne, die die Dynamik der Wirklichkeit auferlegt, ertragen. Die Spannung zwischen Fülle und Grenze wird immer vorhanden sein, aber die Kirche muss keine Räume der Macht und der Selbstbestätigung besetzen, sondern vielmehr den guten Samen entstehen und wachsen lassen, seine Entwicklung geduldig begleiten und sich über die vorläufige Ernte freuen, ohne den Mut zu verlieren, wenn ein plötzlicher eisiger Wind das zerstört, was auf den Feldern weiß und reif zur Ernte erschien (vgl. Joh 4,35). Vertrauensvoll neue Prozesse beginnen; bei den Schritten, die getan wurden, neu beginnen, ohne den Rückwärtsgang einzulegen, und das fördern, was das Beste im Menschen und in den Institutionen hervorbringt, »ohne Ängstlichkeit, sondern mit klaren Überzeugungen und mit Entschlossenheit « (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 223).

Habt keine Angst, vertrauensvoll das Gespräch mit den Menschen und den öffentlichen Institutionen zu suchen. Wir stehen einer Welt gegenüber, in der es nicht immer einfach ist, die Zentren der Macht zu erkennen, und viele werden mutlos und meinen, sie seien anonym und unerreichbar. Ich bin dagegen überzeugt, dass die Menschen immer noch zugänglich sind. Im Menschen ist ein innerer Raum vorhanden, in dem die Stimme Gottes ertönen kann. Führt einen deutlichen Dialog miteinander, und habt keine Angst, dass die Barmherzigkeit die Schönheit und die Kraft der Wahrheit verwirren oder mindern könnte. Die Wahrheit gelangt nur in der Barmherzigkeit zu ganzer Fülle. Und seid sicher, dass das letzte Wort der Geschichte und des Lebens nicht der Konflikt ist, sondern die Einheit, nach der das Herz eines jeden Menschen strebt. Diese Einheit erlangen wir, indem wir den dramatischen Kampf des Kreuzes in den Quell unseres Friedens verwandeln, denn dort wurde die trennende Wand niedergerissen (vgl. Eph 2,14). Liebe Mitbrüder, wenn ich euch nach diesen Tagen brüderlicher und froher Begegnungen wieder in eure Mission entsende, möchte ich euch durch mein abschließendes Wort der Freude des Evangeliums anvertrauen. Wir sind keine Diener der Angst und der Nacht, sondern Wächter des Tagesanbruchs und des Lichts des Auferstandenen.

Die Welt hat viel Angst – viel Angst! – und verbreitet sie. Oft macht sie sie zum Interpretationsschlüssel der Geschichte, und nicht selten wendet sie sie als Strategie an, um eine Welt zu errichten, die auf Mauern und Gräben gründet. Wir können die Gründe für die Angst zwar verstehen, aber wir dürfen sie uns nicht zu eigen machen, denn »Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit« (2 Tim 1,7). Schöpft aus diesem Geist und geht: Öffnet Türen; baut Brücken; knüpft Bindungen; unterhaltet Freundschaften; fördert die Einheit. Seid Männer des Gebets: Vernachlässigt es nie, vor allem die stille Anbetung, die wahre Quelle all eures Wirkens.

Die Angst wohnt immer in der Finsternis der Vergangenheit, aber sie hat eine Schwäche: Sie geht vorüber. Die Zukunft gehört dem Licht! Die Zukunft ist unsere, denn sie gehört Christus! Danke! Ich lade euch ein, gemeinsam den »Angelus« zu beten. Es ist Mittag.

 



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