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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE TEILNEHMER AN DER NATIONALEN
STUDIENTAGUNG ZUR BERUFUNGSPASTORAL DER ITALIENISCHEN
BISCHOFSKONFERENZ 

Donnerstag, 5. Januar 2017

[Multimedia]


Frei gehaltene Ansprache des Heiligen Vaters:

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Ich habe diese Ansprache vorbereitet [er zeigt die schriftliche Version]: Es sind fünf Seiten. Es ist zu früh, um wieder einzuschlafen! Daher werde ich sie dem Generalsekretär überreichen und werde versuchen, euch das zu sagen, was mir in den Sinn kommt, was mir spontan dazu einfällt… Sie [er wendet sich an Bischof Galantino] geben es dann weiter…

Als Bischof Galantino zu sprechen begonnen [in den Grußworten an den Heiligen Vater] und das Motto der Begegnung erwähnt hat – »Steh auf!« –, ist mir in den Sinn gekommen, dass dieses Wort zu Petrus im Gefängnis gesprochen wurde. Der Engel sagte: »Steh auf!« (Apg 12,7). Petrus verstand nichts. »Wirf deinen Mantel um…« Und er wusste nicht, ob er träumte oder nicht. »Folge mir!« Die Tore öffneten sich, und Petrus fand sich auf der Straße wieder. Dort merkte er, dass es Wirklichkeit war, dass es kein Traum war: Es war der Engel des Herrn, und er hatte ihn befreit. »Steh auf!«, hatte er zu ihm gesagt. Und er stand schnell auf und ging weg. Und wohin gehe ich? Ich gehe dorthin, wo gewiss die christliche Gemeinde ist. Und in der Tat ist er in ein Haus von Christen gegangen, wo alle für ihn beteten. Das Gebet… Er klopft an das Tor, die Magd kommt heraus, schaut ihn an… und statt das Tor zu öffnen, kehrt sie wieder um. Und Petrus war erschreckt, weil die Wache dort war und ihre Runde durch die Stadt machte. Und sie: »Das gibt’s nicht, Petrus ist da!« – »Nein, Petrus ist im Gefängnis!« – »Nein, es ist das Gespenst des Petrus « – »Nein, Petrus ist da, es ist Petrus!« Und Petrus klopfte und klopfte… Jenes »Steh auf!« wurde durch die Furcht, durch die Dummheit – das wissen wir aber nicht – einer Person aufgehalten. Ich glaube, sie hieß… [Rhode]. Es ist ein Komplex, der Komplex jener, die aus Angst, aus Mangel an Sicherheit lieber die Tore schließen.

Ich frage mich, wie viele junge Menschen – Jungen und Mädchen – heute in ihrem Herzen jenes »Steh auf!« hören und wie viele – Priester, geweihte Personen, Ordensschwestern – die Tore schließen. Und es endet für sie mit einer Enttäuschung. Sie hatten gehört: »Steh auf!«, und sie klopften ans Tor… »Ja, ja, wir beten gerade« – »Ja, jetzt geht es nicht, wir beten gerade.« Übrigens hat jemand gesagt, als er erfahren hat, dass ich zu euch kommen würde, um über Berufungen zu sprechen: »Sagen Sie ihnen, dass sie für Berufungen beten sollen statt viele Tagungen zu veranstalten!« Ich weiß nicht, ob das stimmt, man muss aber beten, aber mit offenem Tor beten! Mit offenem Tor. Denn sich nur damit zu begnügen, eine Tagung zu veranstalten, ohne sich zu versichern, dass die Tore offen sind, ist  nutzlos. Und die Tore werden durch das Gebet, den guten Willen, das Wagnis geöffnet. Mit den jungen Menschen etwas wagen. Jesus hat uns gesagt, dass die erste Methode, um Berufungen zu bekommen, das Gebet ist, und nicht alle sind davon überzeugt. »Ich bete… ja, ich bete, jeden Tag ein Vaterunser für die Berufungen. « Das heißt, ich bezahle die Steuer. Nein, das Gebet, das aus dem Herzen kommt! Das Gebet, das darauf hinwirkt, dass der Herr mehrmals sagt: »Steh auf!« »Steh auf! Sei ein freier Mann, sei eine freie Frau! Steh auf, ich will dich bei mir. Folge mir nach. Komm zu mir und sieh, wo ich wohne. Steh auf!« Aber mit verschlossenen Toren kann niemand beim Herrn eintreten. Und die Schlüssel zu den Toren haben wir. Nicht nur Petrus, nein, nein. Alle.

Die Tore öffnen, damit sie in die Kirchen eintreten können. Ich habe von einigen Diözesen in der Welt erfahren, die mit Berufungen gesegnet sind. Als ich mit den Bischöfen sprach, [ habe ich gefragt]: »Was habt ihr getan?« Vor allem ein Schreiben des Bischofs, jeden Monat, an die Menschen, die für Berufungen beten wollten: alte Frauen, Kranke, Eheleute… Ein Schreiben jeden Monat, mit einem geistlichen Gedanken, mit einem Hilfsmittel, um das Gebet zu begleiten. Die Bischöfe müssen das Gebet begleiten, das Gebet der Gemeinde. Man muss einen Weg finden… Das ist ein Weg, den jene Bischöfe – drei oder vier, mit denen ich gesprochen habe – gefunden haben. Aber oft sind die Bischöfe beschäftigt, es gibt viele Dinge… Ja, ja, aber man darf nicht vergessen, dass die erste Aufgabe der Bischöfe das Gebet ist! Die zweite Aufgabe ist die Verkündigung des Evangeliums. Und das sagen nicht die Theologen, das haben die Apostel gesagt, als es bei ihnen jene kleine Revolution gab, in der viele Christen sich beklagten, weil die Apostel keine Zeit hatten; damals haben sie die Diakone »erfunden «, die sich um die Witwen, die Waisen, die Armen kümmern sollten… Hier in der Kirche von Rom haben wir einen guten Diakon, wir hatten Laurentius, der sein Leben hingegeben hat; sie trugen Sorge für diese Dinge… Und am Ende der Ankündigung, als er es der christlichen Gemeinde ankündigt, sagt Petrus: »Und unsere Aufgabe ist das Gebet und die Verkündigung des Evangeliums« (vgl. Apg 6,4).

Aber jemand könnte zu mir sagen: »Vater, sagen Sie zur Schwiegertochter, dass sie auf die Schwiegermutter hören soll?« Ja, das ist wahr. An erster Stelle steht das Gebet, das hat Jesus uns gesagt: »Betet um Berufungen.« Ich könnte den größten Pastoralplan aufstellen, die perfekteste Organisation, aber ohne den Sauerteig des Gebets wird er ungesäuertes Brot bleiben. Er wird keine Kraft haben. Das Gebet steht an erster Stelle. Und die christliche Gemeinde befand sich in jener Nacht, in der Petrus an das Tor klopfte, im Gebet. Im Text heißt es: Die ganze Kirche betete für ihn (vgl. Apg 12,5). Sie war im Gebet. Und wenn man betet, hört der Herr, immer, immer! Aber nicht wie Papageien beten. Mit dem Herzen, mit dem Leben, mit allem beten, mit dem Wunsch, dass das, was ich erbitte, geschehen möge. Um Berufungen beten.

Denkt darüber nach, ob ihr so etwas tun könnt wie es diese Bischöfe getan haben, die demütige Menschen sind: »Du übernimmst diese Aufgabe, jeden Tag spricht du ein Gebet «. Und diese Aufgabe muss genährt werden, immer. Heute ein Heft, im nächsten Monat ein Brief, dann ein Bildchen… Aber sie müssen sich im Gebet verbunden fühlen, denn das Gebet aller bringt große Kraft hervor. Das sagt der Herr selbst. Dann das offene Tor. Es ist zum Weinen, wenn man in die Pfarrei geht, in einige Pfarreien… Und übrigens möchte ich sagen, dass die italienischen Pfarrer gut sind! Ich spreche ganz allgemein, aber das ist ein Zeugnis, das ich geben möchte: Nie habe ich in anderen Diözesen, in meiner Heimat, in anderen Diözesen von Pfarrern errichtete Organisationen gesehen, die so stark sind wie hier. Denkt an die freiwillige Hilfe. In Italien ist die freiwillige Hilfe etwas, was man andernorts nicht sieht. Sie ist etwas Großes! Und wer hat sie gemacht? Die Pfarrer. Die Landpfarrer, die in einem, zwei, drei Dörfern ihren Dienst tun, hin- und hergehen, alle Namen kennen, auch die der Hunde… Die Pfarrer. Und dann die Jugendzentren in den italienischen Pfarreien: Sie sind eine starke Institution!

Und wer hat das gemacht? Die Pfarrer! Die Pfarrer sind gut. Aber manchmal – und ich spreche von der ganzen Welt – geht man in die Pfarrei und findet ein Schild an der Tür: »Der Pfarrer empfängt Montag, Donnerstag, Freitag von 15 bis 16 Uhr«; oder: »Beichtgelegenheit von … bis…« Die offenen Tore… Wie oft – und ich spreche von meiner vorherigen Diözese – wie oft sind es Sekretärinnen, geweihte Frauen, die die Menschen empfangen, die Menschen abschrecken! Das Tor ist offen, aber die Sekretärin zeigt ihnen die Zähne, und die Menschen fliehen! Es bedarf der Aufnahmebereitschaft. Um Berufungen zu haben, bedarf es der Aufnahmebereitschaft. Und eines Hauses, in dem man andere aufnimmt. Und in Bezug auf die jungen Menschen, die Annahme junger Menschen, gibt es noch eine dritte Sache, die etwas schwierig ist. Die jungen Menschen ermüden uns, denn sie haben immer eine Idee, machen Lärm, tun dies, tun jenes… Und dann kommen sie an: »Ich möchte mit dir sprechen…« – »Ja, komm.« Und immer dieselben Fragen, dieselben Probleme: »Ich habe es dir gesagt… « Sie ermüden uns. Wenn wir Berufungen wollen: offenes Tor, Gebet und auf dem Platz sitzenbleiben, um den jungen Menschen zuzuhören. »Aber sie phantasieren sich etwas zusammen! …« Der Herr sei gesegnet! Es ist deine Aufgabe, sie wieder »auf die Erde zu bringen«. Ihnen zuhören: das Apostolat der Ohren. »Sie wollen beichten, aber sie beichten immer dieselben Dinge« – »Du auch als junger Mann, als junge Frau, hast du das vergessen?« Die Geduld: Zuhören, damit sie sich zuhause, angenommen fühlen; damit sie sich geliebt fühlen. Und manchmal machen sie Dummejungengeschichten:

Gottlob, denn sie sind keine alten Menschen. Es ist wichtig, mit den jungen Menschen »Zeit zu verlieren.« Manchmal sind sie lästig, weil sie – wie ich gesagt habe – immer mit denselben Dingen kommen; aber die Zeit gehört ihnen. Man muss nicht so sehr zu ihnen sprechen als ihnen vielmehr zuhören und nur »tropfenweise« etwas sagen: ein Wort hier, und das ist es, sie können gehen. Und das wird ein Same sein, der von innen her wirkt. Aber er kann dann sagen: »Ja, ich war beim Pfarrer, beim Priester, bei der Ordensschwester, beim Präsidenten der Katholischen Aktion, und er hat mich angehört als hätte er nichts zu tun.« Das verstehen die jungen Menschen gut.

Dann noch etwas Anderes über die jungen Menschen: Wir müssen achtgeben, was sie suchen, denn die jungen Menschen ändern sich mit den Zeiten. Zu meiner Zeit waren Versammlungen in Mode: »Heute sprechen wir über die Liebe.« Und jeder bereitete das Thema der Liebe vor, man sprach darüber… Wir waren zufrieden. Dann gingen wir hinaus, gingen ins Stadion, um das Fußballspiel anzusehen – es gab noch kein Fernsehen – wir waren ruhig. Man machte Werke der Nächstenliebe, Besuche in den  Krankenhäusern… alles in Ordnung. Aber wir waren ziemlich »unbeweglich«, im übertragenen Sinne.

Heute müssen die jungen Menschen sich bewegen, die jungen Menschen müssen unterwegs sein; um für die Berufungen tätig zu sein, muss man die jungen Menschen unterwegs sein lassen, und das geschieht, indem man sie begleitet. Das Apostolat des Unterwegsseins. Und wie soll man unterwegs sein, wie? Soll man einen Marathon machen? Nein! Erfinden, pastorale Tätigkeiten erfinden, die die jungen Menschen einbinden, in etwas, das sie etwas tun lässt: In den Ferien machen wir eine Woche eine Mission in jenem Land, oder wir machen Sozialarbeit oder etwas Anderes, oder wir gehen jede Woche ins Krankenhaus, dieses und jenes…, oder wir geben den Obdachlosen in den Großstädten zu essen… es gibt sie… Die jungen Menschen brauchen das, und sie fühlen sich als Kirche, wenn sie es tun.

Auch die jungen Menschen, die nicht beichten oder nicht die Kommunion empfangen, sich aber als Kirche fühlen. Später werden sie beichten, später werden sie zur Kommunion gehen: Aber du musst sie auf den Weg bringen. Und auf dem Weg spricht der Herr, ruft der Herr. Und es kommt eine Idee auf: Wir müssen dies tun…; ich will machen…; und sie werden in die Probleme anderer einbezogen. Junge Menschen unterwegs, nicht unbeweglich. Unbewegliche junge Menschen, die alles sicher haben… sind junge Menschen in Pension! Und es gibt heute viele von ihnen! Junge Menschen, die alles sicher haben: Sie sind »Pensionierte« des Lebens. Sie studieren, sie werden einen Beruf haben, aber das Herz ist schon verschlossen. Und sie sind »pensioniert «. Also unterwegs sein, mit ihnen unterwegs sein, sie auf den Weg schicken, sie unterwegs sein lassen. Und auf dem Weg finden sie Fragen, Fragen, auf die es schwierig ist zu antworten!

Ich bekenne euch etwas: Wenn ich in einigen Ländern oder auch hier in Italien, in einigen Städten, Besuche gemacht habe, mache ich gewöhnlich eine Zusammenkunft oder ein Mittagessen mit einer Gruppe junger Menschen. Die Fragen, die sie dir in diesen Augenblicken stellen, lassen dich zittern, weil du nicht weißt, was du antworten sollst… Denn sie sind unruhig (im positiven Sinne: Sie sind auf der Suche), und diese Unruhe ist eine Gnade Gottes, sie ist eine Gnade Gottes. Du kannst die Unruhe nicht aufhalten. Sie sagen vielleicht manchmal dummes Zeug, aber sie sind unruhig, und das ist es, was zählt. Und diese Unruhe muss man unterwegs sein lassen. »Steh auf!« Das offene Tor. Das Gebet. Die Nähe zu ihnen, ihnen zuhören. »Aber sie sind lästig!…« Ihnen zuhören, sie auf den Weg senden, sie unterwegs sein lassen, mit Vorschlägen zum »Tun«. Sie verstehen besser die Sprache der Hände als die des Kopfes oder die des Herzens: Sie verstehen das Tun, verstehen es gut! Sie denken dies und das, aber sie verstehen, machen es gut, wenn du ihnen zu tun gibst. Sie verstehen gut: Sie haben ein scharfes Urteilsvermögen. Wir müssen den Kopf ein wenig zurechtrücken, aber das kommt, es kommt mit der Zeit. Und abschließend, das Letzte, was mir zur Berufungspastoral einfällt, ist das Zeugnis. Ein Junge, ein Mädchen verspürt den Ruf des Herrn, das ist wahr, aber der Ruf ist immer konkret. Und zumindest meistens, in den meisten Fällen ist es so: »Ich möchte wie jene oder wie jener werden.«

Unsere Zeugnisse sind es, die die jungen Menschen anziehen. Zeugnisse guter Priester, guter Ordensschwestern. Einmal ist eine Ordensschwester in eine Schule gegangen – es war eine Oberin, ich glaube eine Generaloberin, in einem anderen Land, nicht hier –, und hat – das ist historisch – den Lehrkörper jener von Ordensschwestern geführten Schule versammelt. Und statt über die Herausforderung der Erziehung, über die jungen Menschen, die sie erziehen, über all diese Dinge zu sprechen, hob diese Generaloberin an: »Wir müssen für die Heiligsprechung unserer Ordensgründerin beten«. Und sie hat eine halbe Stunde damit verbracht, über die Ordensgründerin zu sprechen, dass man Dieses und Jenes tun, um ein Wunder bitten muss… Aber der Lehrkörper, die Lehrer und Lehrerinnen [dachten]: »Warum sagt sie uns bloß diese Dinge, während wir etwas Anderes brauchen… Ja, es ist gut, wenn sie selig- und heiliggesprochen wird, aber wir brauchen eine andere Botschaft.«

Eine der Lehrerinnen – eine gute Lehrerin, ich habe sie kennengelernt – sagte schließlich: »Mutter, darf ich etwas sagen?« – »Ja« – »Eure Ordensgründerin wird nie heiliggesprochen werden« – »Warum denn das?« – »Nun ja, weil sie sicher im Fegefeuer ist« – »Aber sagen Sie doch nicht so etwas! Warum sagen Sie das?« – »Weil sie euch gegründet hat. Denn wenn du als Generaloberin so – sagen wir mal – einfältig bist, um nicht noch mehr zu sagen, dann hat deine Mutter Generaloberin es nicht verstanden, euch auszubilden.« Ist es nicht so? Es ist das Zeugnis: Dass sie sehen, wie ihr das lebt, was ihr verkündigt – das, was euch dazu gebracht hat, Priester, Ordensschwestern, auch Laien zu sein, die nach Kräften im Haus des Herrn arbeiten. Und nicht Leute, die Sicherheit suchen, die die Tore schließen, die andere erschrecken, die über Dinge sprechen, die nicht interessieren, die die jungen Menschen langweilen, die keine Zeit haben… »Ja, ja, aber ich bin etwas in Eile…« Nein. Wir brauchen ein großes Zeugnis!

Ich weiß nicht, das ist es, was mir aus dem Herzen hervorgegangen ist, ausgehend von jenem »Steh auf!«, das ich Bischof Galantino sagen gehört habe, vom Motto eurer Begegnung. Und ich habe über das gesprochen, was ich empfinde. Und ich danke euch für das, was ihr tut, ich danke euch für diese Tagung, ich danke euch für das Gebet… Und vorwärts! Die Welt endet nicht mit uns, wir müssen vorangehen… Jetzt, vor dem Segen, beten wir zur Gottesmutter: »Gegrüßet seist du, Maria…«

[Segen]


Vom Heiligen Vater in schriftlicher Form übergebene Ansprache:

Liebe Brüder und Schwestern!

Es ist mir eine Freude, euch zum Abschluss eurer Tagung über Berufungspastoral, die vom Büro der Italienischen Bischofskonferenz veranstaltet worden ist, zu empfangen und euch zu begegnen. Ich danke Bischof Galantino für seine freundlichen Worte und begrüße den Einsatz, mit dem ihr dieses jährliche Treffen fortsetzt, bei dem ihr die Freude der Brüderlichkeit und die Schönheit der verschiedenen Berufungen miteinander teilen könnt.

Vor uns öffnen sich die Perspektive und der Weg zur Synodenversammlung des Jahres 2018 über das Thema »Jugend, Glaube und Berufungsfindung «. Das allumfassende und großherzige »Ja« eines als Geschenk hingegebenen Lebens ähnelt einer seit langer Zeit in der Tiefe der Erde verborgenen Wasserquelle, die darauf wartet, hervorzubrechen und in einem Bach der Reinheit und Frische nach außen zu strömen. »Die jungen Menschen wollen Großes im Leben. Christus zu begegnen und sich von seiner Liebe ergreifen und führen zu lassen weitet den Horizont des Lebens und gibt ihm eine feste Hoffnung, die nicht zugrunde gehen lässt« (Enzyklika Lumen fidei, 53).

In diesen Horizont fügt sich auch euer Dienst ein, mit seinem Stil der Verkündigung und der Begleitung auf dem Weg der Berufungsfindung. Dieser Einsatz erfordert Leidenschaft und das Bewusstsein der Unentgeltlichkeit. Die Leidenschaft des persönlichen Einbezogenseins, indem ihr euch des Lebens derer anzunehmen wisst, die euch wie Schmuckkästchen übergeben werden, denn sie enthalten einen wertvollen Schatz, der bewahrt werden muss. Und die Unentgeltlichkeit eines Dienstes und Amtes in der Kirche, die eine hohe Achtung gegenüber denjenigen erfordern, deren Weggefährten ihr sein werdet. Es ist die Verpflichtung, ihr Glück zu suchen, und das geht weit über eure Vorlieben und Erwartungen hinaus. Ich möchte mir die Worte von Papst Benedikt XVI. zu eigen machen: »Liebe Freunde, seid Sämänner des Vertrauens und der Hoffnung!

Gerade bei jungen Menschen macht sich heute oft ein starkes Gefühl der Verlorenheit breit. Nicht selten sind die Worte der Menschen nicht nur ohne Zukunft und Perspektive, sondern auch ohne Sinn und Weisheit. […] Und doch könnte das die Stunde Gottes sein« (Ansprache an die Teilnehmer einer europäischen Tagung über Berufungspastoral, 4. Juli 2009). Um glaubwürdig zu sein und mit den jungen Menschen im Einklang stehen zu können, ist es notwendig, den Weg des Hörens zu bevorzugen, »Zeit zu verlieren« wissen, um ihre Fragen und Wünsche aufzunehmen. Euer Zeugnis wird um vieles überzeugender sein, wenn ihr voller Freude und Wahrheit erzählen könnt von der Schönheit, dem Staunen und wie wunderbar es ist, in Gott verliebt zu sein, als Männer und Frauen, die dankbar ihre Lebensentscheidung leben, um anderen zu helfen, eine neue und individuelle Spur in der Geschichte zu hinterlassen. Das erfordert, dass wir uns nicht durch äußere Anreize verwirren lassen, sondern uns der Barmherzigkeit und Zärtlichkeit des Herrn anvertrauen und die Treue zu unseren Entscheidungen und die Frische der »ersten Liebe« (vgl. Offb 2,5) neu beleben.

Bei der Verkündigung in der Berufungspastoral steht nicht die Wirksamkeit dessen, was wir tun, an erster Stelle, sondern vielmehr die vorrangige Wachsamkeit und Aufmerksamkeit für die Unterscheidung der Berufung. Vor allem ist es notwendig, einen Blick zu haben, der in der Lage ist, das Positive in den menschlichen und geistlichen Ereignissen wahrzunehmen, die uns widerfahren; ein Herz, das staunt und dankbar ist angesichts der Gaben, die die Menschen in sich tragen, und eher das Potential als die Grenzen sowie Gegenwart und Zukunft in Kontinuität mit der Vergangenheit ins Licht rückt. Wir brauchen heute eine vom Geist der Gemeinschaft geprägte Berufungspastoral mit einem weiten Horizont, die in der Lage ist, die Realität mutig so zu deuten, wie sie ist, mit ihren Mühen und Widerständen, und die Zeichen der Größe und Schönheit des menschlichen Herzens zu erkennen. Es ist dringend notwendig, wieder eine neue »Kultur der Berufungen« in die christlichen Gemeinden zu tragen. »Zu dieser Kultur der Berufung gehört auch die Fähigkeit, Großes zu träumen und zu verlangen, jenes Staunen, das eine Hochschätzung der Schönheit und deren Wahl aufgrund ihres inneren Wertes möglich macht, da sie das Leben schön und wahr macht« (Päpstliches Werk für die geistlichen Berufe, Neue Berufungen für ein neues Europa, 8. Dezember 1997, 13b).

Liebe Brüder und Schwestern, werdet nicht müde, immer wieder zu euch selbst zu sagen: »Ich bin eine Mission« und nicht bloß »Ich habe eine Mission«. »Man muss erkennen, dass man selber ›gebrandmarkt‹ ist für diese Mission, Licht zu bringen, zu segnen, zu beleben, aufzurichten, zu heilen, zu befreien« (Apostol. Schreiben Evangelii gaudium, 273). Eine beständige Mission zu sein, das erfordert Mut, Kühnheit, Phantasie und den Willen, voranzugehen, weiterzugehen. In der Tat war »Steh’ auf, geh’ und fürchte dich nicht« das Thema eurer Tagung. Es hilft uns, an die vielen Berufungsgeschichten zu denken, in denen der Herr die Berufenen auffordert, aus sich selbst hinauszugehen, um Gabe an den anderen zu sein, in denen er ihnen eine Mission anvertraut und sie beruhigt: »Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir!« (Jes 41,10). Dieser Segen Gottes wird zur beständigen und leidenschaftlichen Ermutigung, um über jene Ängste hinausgehen zu können, die uns in uns selbst verschließen und die Sehnsucht nach dem Guten lähmen. Es ist schön zu wissen, dass der Herr unsere Schwächen auf sich nimmt, dass er uns wieder auf die Füße stellt, um Tag für Tag die unendliche Geduld zu finden, wieder neu anzufangen.

Wir spüren, dass der Heilige Geist uns drängt, in der Verkündigung des Evangeliums von der Berufung mutig neue Wege zu finden, um Männer und Frauen zu sein, die wie Wächter (vgl. Ps 130,6) die Lichtstreifen eines neuen Morgenrots zu erkennen wissen in einer neuen Erfahrung des Glaubens und der Leidenschaft für die Kirche und für das Reich Gottes. Der Heilige Geist möge uns drängen, fähig zu sein zu liebevoller Geduld, die die unvermeidlichen Langsamkeiten und Widerstände des menschlichen Herzens nicht fürchtet.

Ich versichere euch meines Gebetes; und vergesst bitte auch ihr nicht, für mich zu beten. Danke.

  



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