APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS NACH KOLUMBIEN
(6.-11. SEPTEMBER 2017)
BEGEGNUNG MIT DEM LEITUNGSKOMITEE DES CELAM
ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS
Apostolische Nuntiatur (Bogotá)
Donnerstag, 7. September 2017
Liebe Mitbrüder,
danke für diese Begegnung und für die herzlichen Willkommensworte des Präsidenten der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz. Hätte es nicht die Erfordernisse des sehr dichten Reiseprogramms gegeben, so wäre ich gerne am Sitz des CELAM mit euch zusammengetroffen. Ich danke euch für die Liebenswürdigkeit, heute hier anwesend zu sein.
Ich spreche euch meinen Dank aus für das Bemühen, diese kontinentale Bischofskonferenz in ein Zuhause im Dienst der Verbundenheit und der Sendung der Kirche in Lateinamerika zu verwandeln; in ein Antriebszentrum für das Bewusstsein als Jünger und in der Mission; in eine lebendige Referenz für das Verständnis und die Vertiefung der lateinamerikanischen Katholizität, die durch dieses Organ der Verbundenheit über Jahrzehnte des Dienstes Stufe um Stufe umrissen wurde. Und ich nütze die Gelegenheit, um die jüngsten Bemühungen zu ermutigen, die zum Ziel haben, diese kollegiale Fürsorge durch den Solidaritätsfonds der Lateinamerikanischen Kirche zum Ausdruck zu bringen.
Vier Jahre ist es her, dass ich in Rio de Janeiro die Gelegenheit hatte, zu euch über das pastorale Erbe von Aparecida zu sprechen, dem bisher letzten synodalen Ereignis der Lateinamerikanischen und Karibischen Kirche. Damals unterstrich ich die fortwährende Notwendigkeit, von seiner Vorgehensweise zu lernen, die wesentlich in der Beteiligung der lokalen Kirchen besteht und in Übereinstimmung mit den Pilgern ist, die unterwegs sind auf der Suche nach dem demütigen Angesicht Gottes, das sich in der aus dem Wasser gefischten Jungfrau Maria, Unserer Lieben Frau von Aparecida, zeigen wollte; diese Vorgehensweise verlängert sich hinein in die Kontinentalmission, die nicht die Summe von programmatischen Initiativen sein will, welche die Terminkalender füllen und zudem wertvolle Energien vergeuden, sondern die Bemühung, die Sendung Jesu ins Herz der Kirche selbst zu legen, so dass diese Sendung zum Kriterium gewandelt wird, um die Effizienz der Strukturen, die Ergebnisse ihrer Arbeit, die Fruchtbarkeit ihrer Diener und die Freude zu messen, die hervorzurufen sie fähig sind. Denn ohne Freude zieht man niemanden an.
In meiner Ansprache hielt ich mich damals bei den – immer noch gegenwärtigen – Versuchungen der Ideologisierung der Botschaft des Evangeliums auf, des kirchlichen Funktionalismus und des Klerikalismus, weil die Erlösung, die Christus uns bringt, immer auf dem Spiel steht. Diese Erlösung muss mit Kraft ans Herz des Menschen gelangen, um seine Freiheit herauszufordern, indem sie ihn zu einem fortwährenden Exodus aus seiner eigenen Selbstbezogenheit hin zur Verbundenheit mit Gott und den Mitbrüdern einlädt.
Wo Gott in Jesus zum Menschen spricht, tut er das weder mit einem unbestimmten Zuruf wie an einen Fremden, noch mit einer unpersönlichen Einberufung, wie das ein Notar tun würde, noch mit einer Erklärung von zu erfüllenden Vorschriften, wie das jeder beliebige Sakralfunktionär tut. Gott spricht zum Menschen mit der unverwechselbaren Stimme des Vaters zum Sohn, und er respektiert sein Geheimnis, weil er ihn mit seinen eigenen Händen geformt und ihn zur Fülle bestimmt hat. Die größte Herausforderung für uns als Kirche ist es, zum Menschen als Sprachrohr dieser Intimität Gottes zu sprechen, die ihn als Sohn betrachtet – selbst wenn er sich von dieser Vaterschaft Gottes lossagt –, weil wir für Ihn immer wiedergefundene Söhne sind.
Man kann deshalb das Evangelium nicht auf ein Programm im Dienst eines modernen Gnostizismus reduzieren, auf ein Programm des sozialen Aufstiegs oder auf eine Konzeption der Kirche als einer Bürokratie, die sich selbst bereichert, wie man die Kirche auch nicht auf eine nach modernen Unternehmenskriterien durch eine klerikale Kaste geleitete Organisation reduzieren kann.
Die Kirche ist die Gemeinschaft der Jünger Jesu; die Kirche ist Geheimnis (vgl. Lumen Gentium, 5) und Volk (vgl. ebd., 9), oder noch besser: In ihr verwirklicht sich das Geheimnis mitten durch das Volk Gottes hindurch.
Deshalb bestand ich auf der missionarischen Jüngerschaft als einem göttlichen Aufruf für dieses dichte und vielschichtige Heute, einem fortwährenden Aufbrechen mit Jesus, um kennenzulernen, wie und wo der Meister wohnt. Und während wir in seiner Gefährtenschaft aufbrechen, lernen wir den Willen des Vaters kennen, der uns immer erwartet. Nur eine Kirche, die – als Braut, Mutter, Magd – auf den Anspruch verzichtet hat, all das zu kontrollieren, was nicht ihr Werk, sondern das Werk Gottes ist, kann auch dann bei Jesus bleiben, wenn sein Nest und sein Obdach das Kreuz ist.
Nähe und Begegnung. Nähe und Begegnung sind die Werkzeuge Gottes, der in Christus nahegekommen und uns immer begegnet ist. Das Geheimnis der Kirche ist es, als Sakrament dieser göttlichen Nähe und als beständiger Ort dieser Begegnung Gestalt anzunehmen. Daher kommt die Notwendigkeit der Nähe des Bischofs zu Gott, denn in Ihm findet sich die Quelle der Freiheit und der Kraft des Herzens des Hirten, wie auch die Quelle der Nähe zum Heiligen Volk, das ihm anvertraut worden ist. In dieser Nähe lernt die Seele des Apostels, die Leidenschaft Gottes für seine Söhne greifbar zu machen.
Aparecida ist ein Schatz, der immer noch nicht vollständig freigelegt ist. Ich bin sicher, dass jeder Einzelne von euch wahrnimmt, wie sehr sich der Reichtum von Aparecida in den Kirchen, die ihr im Herzen tragt, eingewurzelt hat. Wie die ersten durch Jesus in missionarischer Absicht ausgesandten Jünger können auch wir mit Begeisterung erzählen, was wir alles getan haben(vgl. Mk 6,30).
Es ist allerdings notwendig, achtsam zu sein. Die unverzichtbaren Wirklichkeiten des menschlichen Lebens und der Kirche sind niemals ein Denkmal, sondern ein lebendiges Erbe. Es ist viel bequemer, sie in Erinnerungen umzuwandeln, deren Jahrestage man feiert: 50 Jahre Medellín, 20 Jahre Kirche in Amerika, 10 Jahre Aparecida! Es geht stattdessen um etwas anderes: Den Reichtum eines solchen Patrimoniums (pater – munus) zu bewahren und fließen zu lassen, das macht das munus [lat. Aufgabe, Pflicht, Amt, Dienst] unserer bischöflichen Vaterschaft gegenüber der Kirche unseres Kontinents aus.
Ihr alle wisst, dass das erneuerte Bewusstsein davon, dass am Anfang von allem immer die Begegnung mit dem lebendigen Christus steht, es seinen Jüngern abverlangt, dass sie die familiäre Vertrautheit mit ihm pflegen; andernfalls trübt sich das Antlitz des Herrn, die Mission verliert ihre Kraft, die Umkehr in der Pastoral geht zurück. Zu beten und die Vertrautheit mit Christus zu pflegen ist deshalb die unaufschiebbarste Aktivität unserer pastoralen Sendung.
Zu seinen Jüngern, die begeistert waren von der erfüllten Sendung, sagte Jesus: „Kommt ihr allein mit an einen einsamen Ort“ (Mk 6,31). Wir brauchen dieses Alleinsein mit dem Herrn noch mehr, um das Herz der Sendung der Kirche in Lateinamerika in ihrer gegenwärtigen Situation wiederzufinden. Es gibt so viel an innerer und ebenso an äußerer Zerstreuung! Die Vielzahl an Ereignissen, die Fragmentierung der Wirklichkeit, die Augenblicklichkeit und die Geschwindigkeit des Jetzt könnten uns in die Zerstreuung und in die Leere fallen lassen. Die Einheit wiederzufinden, ist ein Gebot.
Wo ist diese Einheit? Immer in Jesus. Was die Mission beständig macht, ist nicht die Begeisterung, die das großmütige Herz des Missionars entflammt, wenngleich sie immer notwendig ist; vielmehr ist es die Gefährtenschaft Jesu mittels seines Geistes. Wenn wir nicht mit Ihm in die Mission aufbrechen, verlieren wir bald den Weg, da wir uns der Gefahr aussetzen, unsere leeren Notwendigkeiten mit seiner Sache zu verwechseln. Wenn nicht Er der Grund unseres Aufbrechens ist, wird es leicht sein, den Mut zu verlieren mitten in der Mühsal des Weges, oder gegenüber dem Widerstand der Adressaten der Mission, oder angesichts der wechselnden Szenarien der Umstände, welche die Geschichte kennzeichnen, oder wegen der Ermüdung der Füße infolge des schleichenden Verschleißes, verursacht durch den Feind.
Es gehört nicht zur Mission, sich dann der Mutlosigkeit zu überlassen, wenn vielleicht – da die Begeisterung der Anfänge vergangen ist – die Zeit kommt, in der es sehr schwer wird, das Fleisch Christi zu berühren. In einer Situation wie dieser schürt Jesus unsere Ängste nicht. Und da wir wissen, dass wir zu niemand anderem gehen können, weil allein Er Worte ewigen Lebens hat (vgl. Joh 6,68), ist es folglich notwendig, unsere Wahl zu vertiefen.
Was bedeutet es konkret, mit Jesus heute in Lateinamerika in die Mission aufzubrechen? Das Adverb „konkret“ ist nicht ein Detail des literarischen Stils, vielmehr gehört es zum Kern der Frage. Das Evangelium ist immer konkret, niemals eine Übung steriler Spekulationen. Wir kennen wohl die wiederkehrende Versuchung, sich in der Neigung der Gesetzeslehrer zu endlosen Haarspaltereien zu verlieren; sich zu fragen, bis zu welchem Punkt man gehen kann, ohne die Kontrolle über das eigene abgesteckte Territorium oder über die vermeintliche Macht zu verlieren, die diese Abgrenzungen versprechen.
Es ist viel über die Kirche in fortwährendem Zustand der Mission gesprochen worden. Mit Jesus aufzubrechen, ist die Bedingung für eine solche Wirklichkeit. Aufbrechen, ja, aber mit Jesus. Das Evangelium spricht von Jesus, der – nachdem er vom Vater aufgebrochen ist – mit den Seinen die Felder und Ortschaften Galiläas durchwandert. Es handelt sich nicht um eine nutzlose Wanderung. Während er unterwegs ist, trifft er Menschen; wenn er einen trifft, nähert er sich ihm; wenn er sich ihm nähert, spricht er ihn an; wenn er ihn anspricht, berührt er ihn mit seiner Vollmacht; wenn er ihn berührt, heilt und rettet er ihn. All jene, denen er begegnet, zum Vater zu führen, ist das Ziel seines fortwährenden Aufbrechens, über das wir beständig nachdenken und Gewissenserforschung halten müssen. Die Kirche muss sich die Worte wieder aneignen, die das Wort Gottes in seiner göttlichen Sendung konjugiert. Aufbrechen, um zu begegnen, ohne vorüberzugehen; sich zurücklehnen ohne Nachlässigkeit; berühren ohne Furcht. Es geht darum, dass ihr euch Tag für Tag auf die Arbeit am Feld einlasst, dort, wo das Volk Gottes lebt, das euch anvertraut wurde. Es ist uns nicht erlaubt, uns durch die klimatisierte Luft der Büros, durch die Statistiken und die abstrakten Strategien lähmen zu lassen. Es ist notwendig, sich an den Menschen in seiner konkreten Situation zu wenden; von ihm dürfen wir den Blick nicht abwenden. Die Mission verwirklicht sich immer Leib an Leib.
Eine Kirche, die fähig ist, Sakrament der Einheit zu sein
Es ist so viel an Zerstreuung in unserem Lebensumfeld zu sehen! Und ich beziehe mich nicht alleine auf die der reichen Vielfalt, die den Kontinent immer charakterisiert hat, sondern auf die Dynamiken der Auflösung. Man muss achtsam sein, um sich nicht in diesen Fallen fangen zu lassen. Die Kirche ist nicht in Lateinamerika, als ob sie die Koffer in der Hand hätte, bereit abzureisen, nachdem sie es ausgeplündert hätte, wie es so viele im Laufe der Zeit getan haben. Die so handeln, schauen mit einem Gefühl der Überlegenheit und der Verachtung auf sein Mestizengesicht; sie trachten danach, seine Seele zu kolonisieren mit denselben gescheiterten und wiederaufbereiteten Formeln einer Vision des Menschen und des Lebens; sie wiederholen gleichbleibende Rezepte und töten so den Patienten, während sie die Ärzte reich machen, die sie schicken; sie wissen nichts von den tiefen Beweggründen, die im Herzen ihres Volkes wohnen und die es stark machen gerade in seinen Träumen, in seinen Mythen, trotz der zahlreichen Ernüchterungen und Misserfolge; sie manipulieren in der Politik und verraten seine Hoffnungen, indem sie hinter sich verbrannte Erde zurücklassen, und ein Terrain, das bereit ist für die ewige Wiederkehr des Gleichen, auch wenn es sich wieder in neuem Gewand präsentiert. Starke Männer und Utopien haben Zauberformeln verheißen, sofortige Antworten, unmittelbare Ergebnisse. Die Kirche muss – ohne menschliche Ansprüche zu stellen und im Respekt gegenüber dem vielgestaltigen Angesicht des Kontinents, das sie nicht als Nachteil, sondern als immerwährenden Reichtum betrachtet – weiterhin demütigen Dienst zum wahren Wohl des lateinamerikanischen Menschen leisten. Sie muss arbeiten, ohne zu ermüden, um Brücken zu bauen, Mauern niederzureißen, die Verschiedenartigkeit zu integrieren, die Kultur der Begegnung und des Dialogs zu fördern, zur Vergebung und zur Versöhnung zu erziehen, zum Sinn für Gerechtigkeit, zur Zurückweisung der Gewalt und zum Mut zum Frieden. Keine dauerhafte Konstruktion in Lateinamerika kann von diesem unsichtbaren, aber wesentlichen Fundament absehen.
Die Kirche kennt, wie wenige sonst, jene weisheitliche Einheit, die jeglicher Realität in Lateinamerika vorausgeht. Sie lebt alltäglich zusammen mit jenem Moralvorrat, auf dem das existentielle Gebäude des Kontinents ruht. Ich bin sicher, dass ihr – während ich davon spreche – diese Wirklichkeit benennen könntet. Mit ihr müssen wir beständig im Dialog sein. Wir dürfen den Kontakt mit diesem Moralsubstrat nicht verlieren, mit diesem vitalen Humus, der dem Herzen unserer Menschen innewohnt, in dem man die fast unterschiedslose, aber zugleich vielsagende Mischung seines Mestizengesichts wahrnimmt: weder ausschließlich indigen, noch spanisch, noch portugiesisch, noch afroamerikanisch, sondern mestizisch, lateinamerikanisch!
Guadalupe und Aparecida sind programmatische Manifestationen dieser göttlichen Kreativität. Wir wissen, dass dies die Basis ist, auf die sich die Volksfrömmigkeit unseres Volkes stützt; es ist Teil seiner anthropologischen Einzigartigkeit; es ist eine Gabe, mit der Gott sich unseren Menschen zu erkennen geben wollte. Die glänzendsten Seiten der Geschichte unserer Kirche wurden genau dann geschrieben, wenn man es verstand, aus diesem Reichtum zu leben, zu diesem verborgenen Herzen zu sprechen, das pochend – wie ein kleines Feuerchen, das aufflammt unter der augenscheinlichen Asche – den Sinn für Gott und für seine Transzendenz bewahrt, die Heiligkeit des Lebens, die Achtung der Schöpfung, die Bande der Solidarität, die Lebensfreude, die Fähigkeit, bedingungslos glücklich zu sein.
Um zu dieser tiefgründigen Seele zu sprechen, um zum tiefgründigen Lateinamerika zu sprechen, bleibt für die Kirche kein anderer Weg als beständig von Jesus zu lernen. Das Evangelium sagt, dass er nur in Gleichnissen sprach (vgl. Mk 4,34). Bilder, die einbeziehen und teilnehmen lassen, die die Hörer Seines Wortes in Personen seiner göttlichen Erzählungen verwandeln. Das Gott treue Heilige Volk in Lateinamerika versteht keine andere Weise, über Ihn zu sprechen. Wir sind eingeladen, in die Mission nicht mit kalten Konzepten aufzubrechen, die sich mit dem Möglichen zufriedengeben, sondern mit Bildern, die ihre Kräfte im Herzen des Menschen beständig vervielfachen und entfalten und es so verwandeln in Korn, eingesät in gute Erde, in Sauerteig, der seine Fähigkeit steigert, aus dem Teig Brot zu machen, in Saatkorn, das die Kraft des fruchtbaren Baums in sich birgt.
Eine Kirche, die fähig ist, Sakrament der Hoffnung zu sein
Viele jammern über einen gewissen Mangel an Hoffnung im heutigen Lateinamerika. Uns ist die „Jammermentalität“ nicht erlaubt, denn die Hoffnung, die wir haben, kommt von oben. Außerdem wissen wir, dass das lateinamerikanische Herz durch die Hoffnung unterwiesen worden ist. Wie ein brasilianischer Liedermacher sagte: „Die Hoffnung ist eine Seiltänzerin; sie tanzt auf dem Seil mit einem Regenschirm“ (João Bosco, O Bêbado e a Equilibrista). Vorsicht. Wenn man meint, dass sie zu Ende ist: Siehe, hier ist sie neuerlich, wo wir sie am wenigsten erwarteten. Unser Volk hat gelernt, dass keine Enttäuschung groß genug ist, um es zu beugen. Es folgt dem gegeißelten und sanftmütigen Christus; es versteht es, das Pferd abzusatteln, bis es Tag wird; und es verharrt in der Hoffnung auf seinen Sieg, weil es sich – im Grunde – dessen bewusst ist, dass es nicht völlig dieser Welt angehört.
Es besteht kein Zweifel, dass die Kirche in diesen Landen in besonderer Weise ein Sakrament der Hoffnung ist, doch ist es notwendig, über die Konkretisierung dieser Hoffnung zu wachen. Je transzendenter sie ist, desto mehr muss sie das immanente Gesicht jener verwandeln, die sie besitzen. Ich bitte euch, dass ihr über die Konkretisierung der Hoffnung wacht und mir gestattet, euch einige ihrer in dieser lateinamerikanischen Kirche bereits sichtbaren Gesichter in Erinnerung zu bringen.
Die Hoffnung in Lateinamerika hat ein junges Gesicht
Oftmals wird von den Jugendlichen gesprochen – man trägt Statistiken über den Kontinent der Zukunft vor –, manche bieten Nachrichten an über ihre angebliche Dekadenz und darüber, wie verschlafen sie angeblich sind; andere nützen ihr Potential als Konsumenten; nicht wenige tragen ihnen die Rolle als Handlanger des Drogenhandels und der Gewalt an. Lasst euch nicht gefangen nehmen von diesen Karikaturen über Eure Jugendlichen. Blickt in ihre Augen und sucht in ihnen den Mut der Hoffnung. Es ist nicht wahr, dass sie bereit sind, die Vergangenheit zu wiederholen. Öffnet ihnen konkrete Räume in den Teilkirchen, die euch anvertraut worden sind, investiert Zeit und Ressourcen in ihre Ausbildung. Bietet ihnen wirksame und zielgerichtete Erziehungsprogramme an, indem ihr von ihnen – wie die Eltern von ihren Kindern – die Ergebnisse ihrer Leistungsfähigkeit verlangt und indem ihr ihr Herz in der Freude der Tiefgründigkeit, nicht der Oberflächlichkeit erzieht. Gebt euch nicht mit rhetorischen Phrasen oder in den Pastoralplänen niedergeschriebenen Handlungsoptionen zufrieden, die niemals in die Praxis umgesetzt werden.
Ich habe gerade Panama, die Landenge dieses Kontinents, für den Weltjugendtag 2019 ausgewählt. Bei dieser Veranstaltung werden wir dem Vorbild der Jungfrau Maria folgen, die ausruft: „Siehe, ich bin die Magd“, und: „es erfülle sich in mir“ (Lk 1,38). Ich bin sicher, dass sich in allen Jugendlichen eine Landenge verbirgt, dass es in den Herzen all unserer jungen Leute ein kleines und langgezogenes Stück Land gibt, das man durchwandern kann, um ihnen auf eine Zukunft hin voranzugehen, die Gott allein kennt und die Ihm gehört. Uns obliegt es, ihnen große Vorschläge zu präsentieren, um in ihnen den Mut zu wecken, ihr Leben gemeinsam mit Gott zu wagen und sich, wie die Jungfrau Maria, verfügbar zu machen.
Die Hoffnung in Lateinamerika hat ein weibliches Gesicht
Es ist nicht notwendig, dass ich mich ausführlich verbreite, um über die Rolle der Frau auf unserem Kontinent und in unserer Kirche zu sprechen. Von ihren Lippen haben wir den Glauben gelernt; fast mit der Muttermilch ihrer Brüste haben wir uns die Charakterzüge unserer mestizischen Seele und die Immunität gegenüber jeglicher Hoffnungslosigkeit angeeignet. Ich denke an die indigenen oder dunkelhäutigen Mütter, ich denke an die Mütter in der Stadt mit ihrer dreifachen Arbeitsbelastung, ich denke an die Großmütter, die Katechistinnen sind, ich denke an die gottgeweihten Frauen und an die so diskreten Kunsthandwerkerinnen des Guten. Ohne die Frauen würde die Kirche des Kontinents die Kraft verlieren, fortwährend zu neuem Leben zu erstehen. Es sind die Frauen, die mit sorgfältiger Geduld das Feuer des Glaubens entfachen und es wiederanfachen. Es ist eine ernste Pflicht, die kirchliche und soziale Kraft dessen, was sie verwirklichen, zu erfassen, zu respektieren, aufzuwerten und zu fördern. Sie begleiteten Jesus während seiner Mission; sie zogen sich nicht zurück vom Fuß des Kreuzes; in Verlassenheit warteten sie darauf, dass die Nacht des Todes den Herrn des Lebens zurückgebe; sie überfluteten die Welt mit der Kunde der Gegenwart des Auferstandenen. Wenn wir eine neue und lebendige Phase des Glaubens auf diesem Kontinent erleben wollen, werden wir sie nicht erreichen ohne die Frauen. Ich bitte euch, die Frauen dürfen nicht auf Dienstmägde unseres widerspenstigen Klerikalismus reduziert werden; im Gegenteil, sie sind Protagonisten der lateinamerikanischen Kirche: in ihrem Aufbrechen mit Jesus; in ihrem Durchhalten sogar im Leiden ihres Volkes; in ihrem Sich-Festhalten an der Hoffnung, die den Tod besiegt; in ihrer freudigen Weise, der Welt zu verkünden, dass Christus lebt und auferstanden ist.
Die Hoffnung in Lateinamerika kommt durch das Herz, den Geist und die Hände der Laien
Ich möchte wiederholen, was ich vor kurzem der Päpstlichen Kommission für Lateinamerika gesagt habe. Es ist ein Gebot, den Klerikalismus zu überwinden, der die Christgläubigen Laien infantilisiert und die Identität der geweihten Amtsträger verarmen lässt.
Auch wenn viel an Anstrengung eingesetzt wurde und bereits einige Schritte gemacht wurden, so liegen doch die großen Herausforderungen des Kontinents offen auf dem Tisch und warten immer noch auf die klare, verantwortliche, kompetente, visionäre, artikulierte und bewusste Konkretisierung eines Standes christlicher Laien, die als Gläubige bereit sind, mitzuwirken: an den Prozessen einer authentischen menschlichen Entwicklung; an der Konsolidierung der politischen und sozialen Demokratie; an der strukturellen Überwindung der endemischen Armut; am Aufbau eines nichtausschließenden Wohlstandes, gegründet auf dauerhaften Reformen, die geeignet sind, das soziale Wohl zu bewahren; an der Überwindung der Ungleichheit und an der Bewahrung der Stabilität; am Entwurf von nachhaltigen Modellen der wirtschaftlichen Entwicklung, die Rücksicht nehmen auf die Natur und auf die wahre Zukunft des Menschen, die mit dem maßlosen Konsumismus nicht gelöst wird; sowie auch an der Zurückweisung der Gewalt und in der Verteidigung des Friedens.
Und noch etwas: In diesem Sinne muss die Hoffnung immer mit den Augen der Armen und von der Situation der Armen her auf die Welt blicken. Die Hoffnung ist arm wie das Weizenkorn, das stirbt (vgl. Joh 12,24), aber sie hat die Kraft, die Pläne Gottes auszusäen.
Der selbstgenügsame Reichtum beraubt den menschlichen Geist oft der Fähigkeit, zu sehen – sei es die Realität der Wüste, seien es die dort verborgenen Oasen. Er bietet Gebrauchsanweisungs-Antworten an und wiederholt „Talkshow“-Überzeugungen; er stammelt die leere Projektion seiner selbst, ohne sich auch nur im geringsten der Realität anzunähern. Ich bin sicher, dass in diesem schwierigen, aber vorübergehenden Moment, den wir erleben, die Lösungen für die vielschichtigen Probleme, die uns herausfordern, aus der christlichen Einfachheit hervorgehen, die sich vor den Reichen verbirgt und sich den Demütigen zeigt: die Reinheit des Glaubens an den Auferstandenen, die Wärme der Gemeinschaft mit Ihm, die Brüderlichkeit, die Großzügigkeit und die konkrete Solidarität, die ebenfalls aus der Freundschaft mit Ihm erwächst.
All das möchte ich in einem Satz zusammenfassen, den ich euch als Resümee, als Resümee und Andenken an diese Begegnung dalasse: Wenn wir unserem Lateinamerika vom CELAM aus dienen wollen, müssen wir es mit Leidenschaft tun. Heute braucht es Leidenschaft. Das Herz in alles legen, was wir tun; Leidenschaft eines verliebten jungen und eines weisen alten Menschen; Leidenschaft, die die Ideen in durchführbare Träume verwandelt; Leidenschaft in der Arbeit unserer Hände; Leidenschaft, die uns wandelt in beständige Pilger in unseren Teilkirchen, wie es – erlaubt mir, an ihn zu erinnern – der heilige Toribio de Mogrovejo war, der sich nicht in seinem Bischofssitz einrichtete: Von den 24 Jahren seiner Amtszeit als Bischof verbrachte er 18 mitten unter den Völkern seiner Diözese. Bitte, Brüder, ich bitte euch um Leidenschaft, Leidenschaft, das Evangelium zu verkünden.
Euch, bischöfliche Mitbrüder des CELAM, die Ortskirchen, die ihr repräsentiert, und das gesamte Volk Lateinamerikas und der Karibik vertraue ich dem Schutz der Jungfrau Maria an – angerufen unter den Namen von Guadalupe und Aparecida – in der ungetrübten Gewissheit, dass Gott, der zu diesem Kontinent durch das mestizische und dunkelhäutige Gesicht seiner Mutter gesprochen hat, nicht aufhören wird, sein gütiges Licht im Leben aller aufstrahlen zu lassen. Danke.
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