APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS NACH KOLUMBIEN
(6.-11. SEPTEMBER 2017)
BEGEGNUNG MIT PRIESTERN, ORDENSLEUTEN, SEMINARISTEN
UND IHREN ANGEHÖRIGEN
ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS
La-Macarena-Stadion (Medellín)
Samstag, 9. September 2017
Liebe Brüder im Bischofsamt,
liebe Priester, Ordensleute, Seminaristen,
liebe Familien, liebe kolumbianische Freunde,
Das Bild vom wahren Weinstock, das wir aus dem Johannesevangelium gehört haben, findet sich im Zusammenhang des Letzten Abendmahls Jesu. In dieser vertrauten Atmosphäre von einer gewissen, doch liebevollen Anspannung wusch der Herr den Seinen die Füße und wollte sein Gedächtnis unter Brot und Wein fortsetzen. Ebenso sprach er zu denen, die er am meisten liebte, aus der Tiefe seines Herzens.
An diesem ersten „eucharistischen“ Abend, beim ersten Sonnenuntergang nach seiner Zeichenhandlung des Dienens öffnet Jesus sein Herz; er übergibt den Jüngern sein Vermächtnis. Und wie sich dann die Jünger mit einigen Frauen und Maria, der Mutter Jesu, im Abendmahlssaal weiter versammelten (vgl. Apg 1,13-14), so sind heute auch wir hier versammelt, um ihn zu hören und um einander zu hören. Schwester Leidy vom heiligen Josef, María Isabel und Pater Juan Felipe haben uns ihr Zeugnis gegeben … auch ein jeder von uns hier könnte seine eigene Berufungsgeschichte erzählen. Und uns allen ist die Erfahrung gemeinsam, dass Jesus uns entgegen kommt, uns vorangeht und auf diese Weise unser Herz gefesselt hat. Wie das Dokument von Aparecida sagt: »Jesus kennen zu lernen ist das beste Geschenk, das einem Menschen zuteilwerden kann. Ihm begegnet zu sein, ist das Beste, was uns in unserem Leben passieren konnte. Ihn durch unsere Worte und Taten bekannt zu machen, ist uns eine große Freude« (Nr. 29), die Freude zu evangelisieren.
Viele von euch, junge Freunde, haben diesen Jesus in ihren Gemeinden lebendig entdeckt, in Gemeinden mit einem ansteckenden apostolischen Eifer, der begeistert und anzieht. Wo es Leben, Eifer und den Willen gibt, Christus zu den anderen zu bringen, da entstehen echte Berufungen. Das geschwisterliche und eifrige Gemeinschaftsleben nämlich erweckt den Wunsch, sich ganz Gott und der Evangelisierung zu weihen (vgl. Evangelii gaudium, 107). Junge Menschen sind von Natur aus unruhig, auf der Suche – oder täusche ich mich? –. Ich möchte hier einen Augenblick innehalten und etwas Schmerzvolles in Erinnerung rufen. Dies ist ein Einschub. Die jungen Menschen sind von Natur aus unruhig. Es ist oft eine betrogene Unruhe, die von den Mördern der Droge zerstört wird. Medellín ruft mir dies ins Gedächtnis, es beschwört mir so viele junge Leben herauf, die abgebrochen, weggeworfen und zerstört worden sind. Ich bitte euch, dieses Trauerzugs zu gedenken und ihn zu begleiten; um Vergebung zu bitten für die, welche die Pläne so vieler junger Menschen zerstört haben; den Herrn zu bitten, er möge ihre Herzen bekehren und möge dieser Niederlage der jungen Menschen ein Ende bereiten. Die jungen Menschen sind von Natur unruhig, sie sind auf der Suche, und obwohl wir eine Krise des Engagements und der gemeinschaftlichen Bindungen erleben, gibt es doch viele Jugendliche, die angesichts der Leiden in der Welt ihre solidarische Hilfe leisten und verschiedene Formen von Aktivität und Volontariat ergreifen. Es sind viele. Und einige sind praktizierende Katholiken, andere sind Katholiken „wie Rosenwasser“ – wie meine Großmutter zu sagen pflegte –, andere wissen nicht ob sie glauben oder nicht glauben, doch diese Unruhe bringt sie dazu, etwas für die anderen zu machen; diese Unruhe gibt dem Volontariat auf der ganzen Welt ein junges Gesicht. Man muss die Unruhe in die richtigen Bahnen lenken. Wenn sie es aus Liebe zu Jesus tun und sich als Teil der Gemeinschaft fühlen, dann werden sie zu »Weggefährten des Glaubens« und sind glücklich, Jesus Christus auf jede Straße, auf jeden Platz, in jeden Winkel der Erde zu bringen (vgl. ebd., 106). Und viele bringen ihn, ohne zu wissen, dass sie ihn bringen. Dieser Reichtum, dienend durch die Straßen zu gehen, Weggefährten zu sein eines Glaubens, den sie selbst vielleicht nicht völlig verstehen; das ist Zeugenschaft, Zeugenschaft, die uns dem Wirken des Heiligen Geistes öffnet, der in unsere Herzen eintritt und in ihnen arbeiten wird.
Auf einer der Reisen, beim Weltjugendtag in Polen [Krakau 2016], bei einem Mittagessen, das ich mit Jugendlichen hatte – mit fünfzehn jungen Menschen und dem Erzbischof –, hat mich einer gefragt: „Was kann ich einem Freund, einem Jugendlichen, sagen, der Atheist ist, der nicht glaubt? Welche Argumente kann ich ihm bringen?“ Und ich habe ihm spontan geantwortet: „Schau, die letzte Sache, die du machen sollst, ist ihm etwas zu sagen.“ Er war überrascht. Beginne, etwas zu tun. Beginne, dich so zu verhalten, dass die Unruhe, die er in sich hat, ihn neugierig macht und er dich fragt. Und wenn er dich nach deinem Zeugnis fragt, kannst du anfangen, ihm etwas zu sagen. Es ist so wichtig, Weggefährte zu sein, Weggefährte des Glaubens und Weggefährte des Lebens.
Der Weinstock, auf den Jesus sich im Abschnitt, den wir verkündet haben, bezieht, ist der Weinstock, der das ganze „Bundesvolk“ ist. Von diesem sprechen Propheten wie Jeremia, Jesaja oder Ezechiel als einem Weinstock. Auch Psalm 80 besingt es mit den Worten: »Einen Weinstock hobst du aus in Ägypten […] Du schufst ihm weiten Raum; er hat Wurzeln geschlagen und das ganze Land erfüllt« (Vv. 9-10). Zuweilen bringen sie die Freude Gottes über seinen Weinstock zum Ausdruck, andere Male seinen Zorn, seine Enttäuschung und Erbitterung; doch nie, nie ist Gott gegenüber seinem Weinstock desinteressiert, nie hört er auf, unter der Abwendung des Volkes zu leiden – wenn ich mich von ihm abwende, leidet er in seinem Herzen –; nie hört er auf, diesem Volk entgegenzugehen, das verdorrt, verbrennt und zugrunde geht, wenn es sich vom Herrn entfernt.
Wie ist der Boden, die Nahrung und der Unterhalt, wo dieser Weinstock in Kolumbien wächst? In welcher Umgebung werden die Früchte der Berufung zum besonderen geweihten Leben hervorgebracht? Sicher in Bereichen voll von Widersprüchen, Licht und Schatten sowie komplexen Beziehungssituationen. Gerne hätten wir es mit einer einfachen Welt, mit harmonischen Familien und klaren Bindungen zu tun. Wir sind aber Teil dieses epochalen Wandels, dieser kulturellen Krise, und inmitten dieser Krise und sie einkalkulierend beruft Gott weiter. Also, kommt mir nicht mit einer Geschichte dieser Art: „Sicher, es gibt nicht viele Berufungen für den besonderen Weihedienst, weil, es ist klar, in dieser Krise, die wir durchleben …“. Wisst ihr, was das ist? Ein Märchen! Versteht ihr? Auch inmitten einer Krise beruft Gott weiter. Es wäre gleichsam illusorisch zu denken, dass ihr alle den Ruf des Herrn im Schoß von Familien vernommen habt, die von einer starken, von Werten wie Großherzigkeit, Verbindlichkeit, Treue und Geduld erfüllten Liebe getragen sind (vgl. Apostolisches Schreiben Amoris laetitia, 5). Manche ja, aber nicht alle. Einige Familien – Gott gebe, es seien viele – sind so. Aber mit beiden Beinen auf der Erde stehen heißt anerkennen, dass unsere Berufungswege, das Entstehen des Rufes durch Gott sich näher bei dem findet, was schon in der Heiligen Schrift wiedergegeben wird und von dem Kolumbien viel zu erzählen weiß: »Es ist ein blutbefleckter Weg des Leidens […] Ausgehend von der brudermörderischen Gewalt Kains gegen Abel und den verschiedenen Streitigkeiten zwischen den Söhnen und zwischen den Frauen der Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob gelangt dieser Weg später zu den Tragödien, die das Haus Davids mit Blut überströmen, und geht bis zu den vielfältigen familiären Schwierigkeiten, welche die Erzählung des Tobias durchdringen oder das bittere Bekenntnis des verlassenen Ijob« (ebd., 20). Und von Anfang an war es so; denkt nicht an eine ideale Situation, dies hier ist die Realität. Gott offenbart seine Nähe und seine Wahl, wo er will; in dem Land, das er will; wie auch in diesem Moment, mit den konkreten Widersprüchen, wie er will. Er ändert den Lauf der Ereignisse, wenn er Männer und Frauen in der Brüchigkeit der eigenen persönlichen und der gemeinschaftlichen Geschichte ruft. Wir haben keine Angst auf dieser komplexen Erde. Gestern Abend sprach mich in der Gruppe, die mich zur Begrüßung an der Nuntiatur empfangen hat, ein Mädchen mit Behinderung an und erklärte mir, warum es im innersten Kern des Menschlichen die Verwundbarkeit gibt. Und mir kam in den Sinn, sie zu fragen: “Sind wir alle verwundbar?“ – „Ja, alle.“ – „Aber gibt es nicht doch einen, der nicht verwundbar ist?“ Und sie hat geantwortet: „Gott.“ Doch Gott hat sich verwundbar gemacht, er hat sich entäußert, um mit uns den Weg zu gehen, um unsere Geschichte zu leben, wie sie war. Er wollte Mensch inmitten eines Widerspruchs sein, inmitten etwas Unbegreiflichen, mit der Einwilligung eines Mädchens, das nicht verstand, aber gehorchte, und eines gerechten Mannes, der das tat, was ihm befohlen worden war. Aber all das inmitten so vieler Widersprüche. Haben wir keine Angst auf dieser komplexen Erde. Stets hat Gott das Wunder gewirkt, gute Trauben hervorzubringen wie frische Brötchen zum Frühstück. In keiner Gemeinde, in keiner Familie von Medellín soll es an Berufungen mangeln! Und wenn ihr zum Frühstück eine dieser schönen Überraschungen vorfindet, sagt: „Oh wie schön! Und Gott ist fähig, etwas mit mir zu machen?“ Fragt euch das, bevor ihr mit dem Essen beginnt. Fragt euch das.
Dieser Weinstock – es ist der Weinstock Jesu – besitzt die Eigenschaft, der wahre zu sein. Der Herr hat dieses Adjektiv schon bei anderen Gelegenheiten im Johannesevangelium gebraucht: das wahre Licht, das wahre Brot vom Himmel, das wahre Zeugnis. Nun, die Wahrheit ist nicht etwas, das wir empfangen – wie das Brot und das Licht –, sondern etwas, das aus dem Inneren hervorgeht. Wir sind das erwählte Volk für die Wahrheit, und unsere Berufung muss in der Wahrheit liegen. Wenn wir Reben an diesem Weinstock sind, wenn unsere Berufung in Jesus eingepfropft ist, kann es für Täuschung, Falschheit oder kleinliche Entscheidungen keinen Platz geben. Alle müssen wir darauf achten, dass jede Rebe dem dient, wofür sie gedacht ist: um Frucht zu bringen. Bin ich bereit, Frucht zu bringen? Wem die Aufgabe zukommt, die Berufungswege zu begleiten, muss von Anfang an den rechten Vorsatz fördern, also den echten Wunsch, Jesus dem Hirten, Freund und Bräutigam gleichförmig zu werden. Wenn die Wege nicht von diesem echten Lebenssaft genährt werden, nämlich dem Geist Jesu, dann machen wir die Erfahrung der Trockenheit, und Gott entdeckt voll Traurigkeit die schon abgestorbenen Triebe. Die Berufungen zum besonderen geweihten Leben sterben ab, wenn wie sich von Ehren nähren wollen, wenn sich getrieben sind von der Suche nach persönlicher Annehmlichkeit und sozialem Aufstieg, wenn die Motivation darin liegt, „eine Klasse aufzusteigen“ und sich an materielle Interessen zu klammern, was bis zur plumpen Gewinnsucht geht. Ich habe es schon bei anderen Gelegenheiten gesagt und ich möchte es wiederholen als eine unumstößliche Wahrheit, vergesst es nicht: Der Teufel kommt durch die Brieftasche. Immer. Dies betrifft nicht nur die Anfangszeit, wir alle müssen achtgeben, denn die Korruption bei den Männern und den Frauen in der Kirche beginnt so, allmählich, und dann – Jesus selbst sagt es – schlägt sie in den Herzen Wurzeln und verdrängt am Ende Gott aus dem eigenen Leben. »Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon« (Mt 6,24). Jesus sagt: Man kann nicht zwei Herren dienen. Also zwei Herren. Es ist, als gäbe es nur zwei Herren in der Welt: Man kann nicht Gott dienen und dem Geld. Jesus gibt dem Geld den Titel „Herr“. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass das Geld, wenn es dich ergreift, dich nicht wieder loslässt. Es wird dein Herr sein, ausgehend von deinem Herzen. Vorsicht! Wir können nicht unsere religiöse Stellung und die Güte unserer Leute ausnutzen, um uns bedienen zu lassen und um materielle Vorteile zu erhalten.
Es gibt Situationen, Haltungen und Entscheidungen, welche die Zeichen von Dürre und Tod aufweisen – Wann kommt das? – Sie können doch nicht immer weiter den Fluss des Lebenssaftes, der nährt und Leben gibt, einschränken! Das Gift der Lüge, der Verheimlichung, der Manipulierung und des Missbrauchs des Gottesvolkes, der Schwächsten und insbesondere der Alten und der Kinder darf in unserer Gemeinschaft keinen Platz haben. Wenn ein Gottgeweihter oder eine Gottgeweihte, eine Gemeinschaft, eine Einrichtung – sei es eine Pfarrei oder etwas anderes – sich zu einer solchen Lebensweise entschließt, ist sie ein dürrer Zweig. Man braucht nur abzuwarten, bis Gott kommt und ihn abschneidet.
Aber Gott schneidet nicht nur ab; das Bild geht weiter und sagt, dass Gott den Weinstock von seinen Unvollkommenheiten reinigt. Wie schön ist das Beschneiden! Es tut weh, aber es ist schön. Die Verheißung ist, dass wir Frucht bringen werden, und zwar in Fülle wie das Weizenkorn, wenn wir fähig sind, uns einzusetzen, unser Leben frei hinzugeben. Wir haben Beispiele in Kolumbien, dass dies möglich ist. Denken wir an die heilige Laura Montoya, eine bewundernswerte Ordensfrau, deren Reliquien hier bei uns sind. Sie hat sich von dieser Stadt aus für ein großes missionarisches Werk zugunsten der indigenen Bevölkerung des ganzen Landes aufgeopfert. Wie viel lehrt uns diese Frau, die sich der stillen, selbstlosen Hingabe weihte und kein größeres Verlangen hatte, als das mütterliche Antlitz Gottes auszudrücken! Ebenso können wir den seligen Mariano de Jesús Euse Hoyos, einen der ersten Alumnen des Seminars von Medellín, nennen sowie andere kolumbianische Priester und Ordensfrauen, deren Heiligsprechungsprozesse eingeleitet wurden; auch viele andere, tausende namenlose Kolumbianer, die sich in der Einfachheit des Alltags für das Evangelium hinzugeben wussten; ihr behaltet gewiss ihr Andenken und sie werden euch Ansporn sein in der Hingabe. Alle zeigen uns, dass man dem Ruf des Herrn treu folgen kann, dass man viel Frucht bringen kann, auch jetzt, in dieser Zeit und an diesem Ort.
Die gute Nachricht besteht darin, dass der Herr bereit ist, uns zu reinigen. Die gute Nachricht ist, dass wir noch nicht fertig sind, sondern dass wir noch im „Herstellungsprozess“ sind und uns als gute Jünger noch auf dem Weg befinden. Und wie schneidet Jesus die Todesfaktoren ab, die sich in unserem Leben einnisten und den Ruf verfälschen? Indem er uns einlädt, in ihm zu bleiben. Bleiben heißt nicht bloß da sein, vielmehr bedeutet es, eine lebendige, wesentliche, unbedingt notwendige Beziehung zu erhalten; in fruchtbarer Verbindung mit Jesus, dem „Quell ewigen Lebens“, zu leben und zu wachsen. In Jesus bleiben kann nicht eine rein passive Haltung sein oder ein bloßes Hingeben ohne Auswirkungen im täglichen Leben. Es gibt immer eine Auswirkung, immer. Gestattet mir, euch vorzuschlagen – Es wird wohl etwas lang? … [Sie rufen: Nein!] Natürlich sagt ihr nicht „Ja“. Also ich glaube euch nicht! – Gestattet mir, euch drei Arten und Weisen vorzuschlagen, dieses Bleiben in die Tat umzusetzen, dass euch helfen kann, in Jesus zu bleiben.
1. In Jesus bleiben durch das Berühren der Menschheit Christi:
Mit dem Blick und der Gesinnung Jesu, der die Wirklichkeit nicht als Richter sieht, sondern als barmherziger Samariter; der die Werte des Volkes, mit dem er unterwegs ist, kennt wie auch seine Wunden und Sünden; der das stille Leiden entdeckt und gerührt ist angesichts der Nöte der Menschen, vor allem wenn sie von Ungerechtigkeit, unmenschlicher Armut, Gleichgültigkeit oder vom niederträchtigen Tun der Korruption und Gewalt überrollt werden.
Mit den Taten und Worten Jesu, welche die Liebe zu den Nahen und die Suche nach den Fernen zum Ausdruck bringen; Sanftmut und Festigkeit beim Anprangern der Sünde und bei der Verkündigung des Evangeliums; Freude und Großherzigkeit in der Hingabe und beim Dienst, vor allem an den Kleinen, und dabei entschieden die Versuchung zurückweisen, alles als verloren anzusehen, es sich bequem zu machen oder nur zu Verwaltern von Ungemach zu werden. Wie oft hören wir gottgeweihte Männer und Frauen, die, anstatt Freude, Wachstum und Leben zum Ausdruck zu bringen, sich im Ungemach ergehen und die Zeit damit verbringen, sich zu beklagen, über die schrecklichen Dinge dieser Welt zu klagen. Das ist die Unfruchtbarkeit, die Sterilität dessen, der unfähig ist, das leidende Fleisch Jesu zu berühren.
2. Bleiben durch das Betrachten der Gottheit Christi:
Die Wertschätzung für das Studium wecken und unterstützen, das die Kenntnis Christi vermehrt, denn, wie der heilige Augustinus sagt, kann man nicht lieben, was man nicht kennt (vgl. De Trin., X,I,3).
Für diese Kenntnis der Begegnung mit der Heiligen Schrift einen bevorzugten Raum geben, insbesondere mit dem Evangelium, wo Christus zu uns spricht und uns seine bedingungslose Liebe zum Vater offenbart, wo uns die Freude ansteckt, die vom Gehorsam gegenüber seinem Willen und vom Dienst an den Brüdern und Schwestern kommt. Ich möchte euch eine Frage stellen. Aber antwortet nicht laut, jeder antworte still für sich. Wie viel Minuten oder wie viel Stunden lest ihr das Evangelium und die Heilige Schrift jeden Tag? Gebt euch selbst die Antwort. Wer die Schrift nicht kennt, kennt Christus nicht. Wer die Schrift nicht liebt, liebt Christus nicht (vgl. Hieronymus, Comm. in Is., Prol.: PL 24,17). Wenden wir Zeit auf für ein betendes Lesen des Wortes Gottes! Dabei hören wir, was Gott für uns und unser Volk will.
Möge unser ganzes Studieren uns helfen, fähig zu sein, die Wirklichkeit mit Gottes Augen zu deuten. Das Studium soll nicht den Vorfällen in unserem Volk ausweichen, noch soll es den Strömungen der Moden und Ideologien folgen. Es möge nicht Nostalgien nachhängen und dem Mysterium ein Korsett anlegen; es soll nicht Antworten auf Fragen zu geben suchen, die keiner mehr stellt, und diejenigen, die uns von den Gegebenheiten ihrer Lebenswelten und Kulturen her anfragen, in einer existentiellen Leere lassen.
Bleiben und die Gottheit Christi betrachten, indem wir das Gebet zum grundlegenden Bestandteil unseres Lebens und unseres apostolischen Dienstes machen. Das Gebet befreit uns vom Ballast der Weltlichkeit, es lehrt uns, fröhlich zu leben und uns dafür zu entscheiden, uns in Ausübung echter Freiheit von der Oberflächlichkeit fern zu halten. Im Gebet wachsen wir an Freiheit, im Gebet lernen wir, frei zu sein. Das Gebet halte uns davon ab, auf uns selbst konzentriert zu sein, während wir uns hinter leerer religiöser Erfahrung verstecken, und es möge uns dazu anleiten, uns bereitwillig in die Hände Gottes zu begeben, um seinen Willen zu erfüllen und seinen Heilsplan wirksam werden zu lassen. Und beim Gebet möchte eine Sache empfehlen: Bittet, betrachtet, dankt, leistet Fürbitte, aber gewöhnt euch auch an anzubeten. Das ist nicht gerade in Mode: das Anbeten. Übt ein anzubeten. Lernen, in Stille anzubeten. Lernt, so zu beten.
Wir sollen versöhnte Männer und Frauen sein, um zu versöhnen. Berufen worden zu sein stellt uns nicht ein Leumundszeugnis oder einen Schein der Tadellosigkeit aus. Wir haben nicht eine Aura der Heiligkeit angezogen. Wehe dem Ordensmann, dem Gottgeweihte, dem Priester, der Schwester, die stets mit einer Heiligenbildchen-Miene daher läuft, wehe! Wir alle sind Sünder, alle. Und wir bedürfen der Vergebung und der Barmherzigkeit Gottes, um jeden Tag wieder aufzustehen. Er reißt aus, was nicht gut ist und was wir falsch gemacht haben, er wirft es aus dem Weingarten hinaus und verbrennt es. Er reinigt uns, damit wir Frucht bringen können. So ist die erbarmende Treue Gottes zu seinem Volk, zu dem wir gehören. Er wird uns nie am Straßenrand zurücklassen, nie. Gott tut alles, um zu verhindern, dass die Sünde uns besiegt und die Pforten unseres Lebens vor einer hoffnungsvollen und frohen Zukunft verschließt. Er tut alles, um das zu verhindern. Und wenn es uns nicht gelingt, bleibt er an unserer Seite, … bis es mir in den Sinn kommt aufzuschauen, weil es mir bewusst wird, dass ich gefallen bin. Er ist so.
3. Schließlich: Man muss in Christus bleiben, um in der Freude zu leben: Drittens: Bleiben, um in der Freude zu leben.
Wenn wir in ihm bleiben, wird seine Freude in uns sein. Dann werden wir keine traurigen Jünger und entmutigten Apostel sein. Lest das Ende von Evangelii nuntiandi [Apostolisches Schreiben von Paul VI.], ich empfehle es euch. Wir werden vielmehr die wahre Freude widerspiegeln und bringen, jene unbändige Freude, die uns niemand nehmen kann. Wir werden die Hoffnung des neuen Lebens, das Christus uns geschenkt hat, verbreiten. Der Ruf Gottes ist nicht eine schwere Last, die uns die Freude raubt. Ist er schwer? Manchmal schon, aber er nimmt uns nicht die Freude. Auch durch diese Last gibt er uns die Freude. Gott will nicht, dass wir in der Traurigkeit versinken – einer der bösen Geister, die sich der Seele bemächtigen, vor dem schon die Wüstenväter warnten –; Gott will nicht, dass wir in der Ermattung versinken, die von schlechten Erfahrungen bei den Aktivitäten kommt, ohne eine Spiritualität, die unser Leben glücklich macht und sogar unser Mühen. Unsere ansteckende Freude muss das erste Zeugnis für die Nähe und die Liebe Gottes sein. Wir sind dann wahre Spender der Gnade Gottes, wenn wir die Freude über die Begegnung mit ihm durchscheinen lassen.
Im Buch Genesis pflanzt Noach nach der Sintflut einen Weinstock als Zeichen des neuen Anfangs; gegen Ende des Auszugs des Volkes Israels kommen die von Mose ausgesandten Kundschafter des verheißenen Landes mit einer Weintraube dieser Größe [Er macht eine entsprechende Handbewegung] zurück als Zeichen für das Land, in dem Milch und Honig fließen. Gott hat auf uns, auf unsere Gemeinschaften und unsere Familien Acht gehabt. Sie sind hier anwesend. Ich finde es sehr schön, dass die Väter und Mütter der Gottgeweihten, der Priester und der Seminaristen hier sind. Gott hat seinen Blick auf uns gerichtet, auf unsere Gemeinschaften und unsere Familien. Der Herr hat seinen Blick auf Kolumbien gerichtet: Ihr seid Zeichen dieser Liebe und Erwählung. Unsere Aufgabe ist es jetzt, ihm unsere ganze Liebe und unseren Dienst zu schenken in Einheit mit Jesus Christus, das ist unser Weinstock; und auch Verheißung des neuen Anfangs für Kolumbien zu sein, das eine Sintflut von Auseinandersetzungen und Gewalt hinter sich lässt – wie jene des Noach – und reiche Frucht an Gerechtigkeit und Frieden, an Begegnung und Solidarität bringen will. Gott segne euch. Gott segne das geweihte Leben in Kolumbien. Und vergesst nicht für mich zu beten, dass Er auch mich segne. Danke.
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