APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS NACH CHILE UND PERU
(15.-22. JANUAR 2018)
BEGEGNUNG MIT DEN PRIESTERN, SEMINARISTEN UND PERSONEN DES GEWEIHTEN LEBENS
ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS
Priesterseminar "SS Carlos y Marcelo" (Trujillo)
Samstag, 20. Januar 2018
Liebe Brüder und Schwestern, guten Abend!
[Großer Applaus] Da üblicherweise der Applaus zum Ende kommt, bedeutet das, dass wir schon am Ende sind, dann gehe ich... [laute Rufe: Nein!] Ich danke für die Worte, die Erzbischof José Antonio Eguren Anselmi von Piura im Namen aller, die hier sind, an mich gerichtet hat.
Es ist mir wichtig, euch zu treffen, euch kennenzulernen, euch zuzuhören und Liebe für den Herrn und die Sendung zu zeigen, die er uns zugedacht hat. Ich weiß, dass ihr große Anstrengungen unternommen habt, um hierher zu kommen, danke!
Wir werden von diesem Priesterseminar empfangen, einem der ersten, die in Lateinamerika gegründet wurden, in dem nun schon viele Generationen von Verkündern des Evangeliums ausgebildet wurden. Mit euch hier zu sein, lässt einen spüren, dass wir uns in einer jener „Wiegen“ befinden, die so viele Missionare hervorgebracht haben. Und ich vergesse nicht, dass in dieser Gegend der heilige Turibio von Mongrovejo, der Schutzpatron des lateinamerikanischen Episkopats, auf Mission gestorben ist – nicht hinter einem Schreibtisch sitzend. Und all das führt uns dazu, auf unsere Wurzeln zu schauen, auf das, was uns wirklich im Laufe der Zeit und der Geschichte unterstützt, um nach oben hin zu wachsen und Früchte zu tragen. Die Wurzeln. Ohne Wurzeln gibt es keine Blumen, keine Früchte. Ein Dichter pflegte zu sagen, dass alles, was der Baum an Blüte hervorbringt, von dem kommt, was er unter der Erde hat, seinen Wurzeln. Unsere Berufungen werden immer diese zweifache Dimension haben: Wurzeln auf Erden und ein Herz im Himmel. Vergesst das nicht. Wenn eine dieser beiden Dimensionen fehlt, geht etwas schief und unser Leben wird langsam aber sicher unfruchtbar (vgl. Lk 13,6-9), wie ein Baum, der keine Wurzeln hat und verfault. Und ich sage euch, es tut sehr weh, einen Bischof, einen Priester oder eine Ordensschwester „faul“ zu sehen. Und noch mehr Schmerz empfinde ich, wenn ich „faule“ Seminaristen sehe. Das ist eine sehr ernste Sache. Die Kirche ist gut, die Kirche ist eine Mutter, und wenn ihr seht, dass ihr es nicht schafft, bitte, sprecht es an, solange ihr noch Zeit habt und bevor es zu spät ist, bevor ihr erkennt, dass ihr keine Wurzeln mehr habt und dabei seid zu verfaulen. So gibt es also noch Zeit zur Heilung, denn Jesus ist dazu gekommen, um zu heilen, und wenn er uns gerufen hat, dann um uns zu heilen.
Ich möchte betonen, dass unser Glaube und unsere Berufung aus der Erinnerung schöpfen können dieser „deuteronomischen“ Dimension des Lebens. Aus der Erinnerung schöpfen heißt erkennen, dass weder das Leben noch der Glaube noch die Kirche mit der Geburt eines jeden von uns begonnen haben. Die Erinnerung blickt zurück in die Vergangenheit, um den Lebensstrom zu finden, der die Herzen der Jünger über Jahrhunderte hinweg durchflossen hat, und dabei erkennt sie den Weg Gottes für das Leben seines Volkes. Erinnern wir uns an die Verheißung, die er unseren Vätern gegeben hat und die, wenn sie in unserer Mitte lebendig bleibt, die Ursache unserer Freude ist und uns zum Singen bringt: »Ja, groß hat der Herr an uns gehandelt. Da waren wir voll Freude« (Ps 126,3).
Ich möchte mit euch einige Wirkungen oder, wenn ihr lieber wollt, einige Aspekte dieses Schatzes der Erinnerung bedenken. Wenn ich sage, dass ich es mag, dass ein Bischof, ein Priester, eine Ordensschwester oder ein Seminarist aus der Erinnerung schöpfen kann, was will ich damit sagen? Dies möchte ich euch jetzt mitteilen.
1. Ein Aspekt ist das frohe Selbstbewusstsein. Man darf nicht ohne ein gesundes Selbstgefühl sein, nein; man muss wissen, was Sache ist, aber mit dem frohen Selbstbewusstsein.
Das Evangelium, das wir gehört haben (vgl. Joh 1,35-42), wird gewöhnlich unter dem Gesichtspunkt der Berufung gelesen, und wir bleiben bei der Begegnung der Jünger mit Jesus stehen. Ich möchte aber zunächst auf Johannes den Täufer blicken. Er war mit zwei seiner Jünger zusammen, und als er Jesus vorbeigehen sah, sagte er zu ihnen: »Seht, das Lamm Gottes!« (Joh 1,36). Was ist passiert, als sie dies hörten? Sie haben Johannes zurückgelassen und sind mit dem Anderen weggegangen (vgl. V. 37). Das ist etwas überraschend: sie waren mit Johannes zusammen gewesen, sie wussten, dass er ein guter Mann war, ja, der Größte von denen, die von einer Frau geboren wurden, wie Jesus über ihn sagt (vgl. Mt 11,11), aber er war nicht derjenige, der kommen sollte. Auch Johannes wartete auf einen anderen, der größer war als er selbst. Johannes war sich darüber im Klaren, dass er nicht der Messias war, sondern einfach derjenige, der ihn ankündigte. Johannes war ein Mann, der reich war in seiner Erinnerung an die Verheißung und im Rückblick auf seine eigene Geschichte. Er war berühmt, er hatte einen guten Ruf, alle kamen, um sich von ihm taufen zu lassen, sie hörten ihm ehrfürchtig zu. Die Menschen glaubten, dass er der Messias wäre, aber er war voller Erinnerung an die eigene Geschichte und ließ sich nicht durch den Duft der Eitelkeit täuschen.
Johannes zeigt das Bewusstsein eines Jüngers, der weiß, dass er nicht selbst der Messias ist und niemals der Messias sein wird, er weiß, dass er nur dazu berufen ist, den Weg des Herrn im Leben seines Volkes aufzuzeigen. Es beeindruckt mich, wie Gott ihn bis zu den letzten Konsequenzen kommen lässt: Johannes stirbt einfach so, enthauptet in einer Zelle. Wir geweihten Männer und Frauen sind nicht dazu berufen, den Herrn zu verdrängen, weder mit unseren Werken, noch mit unseren Missionen, noch mit den unzähligen Aktivitäten, die wir zu tun haben. Wenn ich „Geweihte” sage, verstehe ich darunter alle: Bischöfe, Priester, gottgeweihte Männer und Frauen, Ordensmänner und Ordensfrauen sowie Seminaristen. Von uns ist einfach nur verlangt, Seite an Seite mit dem Herrn zu arbeiten, ohne dabei je zu vergessen, dass wir nicht seinen Platz einnehmen. Und das macht uns nicht etwa „nachlässiger“ in der Aufgabe der Evangelisierung, im Gegenteil, es treibt uns an und verlangt von uns, dass wir arbeiten und uns daran erinnern, dass wir Jünger des einen Meisters sind. Der Schüler weiß, dass er eine Hilfskraft des Meisters ist und immer eine Hilfskraft sein wird. Und das ist die Quelle unserer Freude, das frohe Selbstbewusstsein.
Es tut uns gut zu wissen, dass wir nicht der Messias sind! Es befreit uns davon, dass wir uns für zu wichtig und für zu beschäftigt halten (es ist typisch, dass man immer wieder hört: „Nein, geh nicht in diese Pfarrei, der Priester dort hat immer sehr viel zu tun“). Johannes der Täufer wusste, dass seine Mission darin bestand, Wege aufzuzeigen, Prozesse zu initiieren, Freiräume zu eröffnen und zu verkünden, dass der Andere der Träger des Geistes Gottes war. Der Reichtum der Erinnerung befreit uns von der Versuchung eines wie auch immer gearteten Messianismus, zu glauben, ich selbst sei der Messias.
Diese Versuchung bekämpft man mit vielerlei Mitteln, jedoch auch mit Humor. Von einem Ordensmann, den ich sehr mochte – einem Jesuiten, einem holländischen Jesuiten, der letztes Jahr gestorben ist –, sagte man, dass er einen derartigen Sinn für Humor gehabt habe, dass er jeder Begebenheit mit einem Lachen begegnen konnte – über sich selbst und sogar über die eigenen Schattenseiten. Ein fröhliches Selbstbewusstsein. Wenn wir lernen, über uns selbst zu lachen, erlangen wir die geistige Fähigkeit, mit unseren eigenen Grenzen, Fehlern und Sünden, aber auch mit unseren Erfolgen und mit der Freude darüber, ihn an unserer Seite zu wissen, vor dem Herrn zu stehen. Eine schöne spirituelle Prüfung ist die Frage nach unserer Fähigkeit, über uns selbst zu lachen. Über andere kann man leicht lachen – oder? – über sie „vom Leder ziehen”, aber über uns selbst zu lachen, ist nicht einfach. Das Lachen rettet uns vor dem selbstbezogenen und prometheischen Neopelagianismus derer, »die sich letztlich einzig auf ihre eigenen Kräften verlassen und sich den anderen überlegen fühlen«[1]. Lache. Lacht in der Gemeinschaft und nicht über die Gemeinschaft oder über die anderen! Hüten wir uns vor den Menschen, die sich für so wichtig halten, dass sie im Lauf ihres Lebens vergessen haben, wie man lächelt. „Ja, Pater, haben sie denn kein Heilmittel, etwas für ...?“ Schau, ich habe zwei „Tabletten”, die sehr gut helfen: Erstens sprich ein Gebet zu Jesus, zur Muttergottes, bete und bitte um die Gnade der Freude, der Freude über die konkrete Situation; die zweite Tablette kannst du bei Bedarf mehrmals am Tag nehmen oder es reicht auch schon eine: schau dich im Spiegel an ..., schau dich im Spiegel an: „Und der bin ich? Die bin ich? [er lacht].” Und das bringt dich zum Lachen. Dies ist kein Narzissmus, es ist genau das Gegenteil: Der Spiegel dient in diesem Fall als Heilmittel.
Also das erste war das frohe Selbstbewusstsein.
2. Der zweite Aspekt ist die Stunde der Berufung, die Stunde der Berufung ernstnehmen.
Johannes der Evangelist berichtet in seinem Evangelium sogar die Uhrzeit dieses Ereignisses, das sein Leben veränderte. Ja, wenn der Herr eine Person im Bewusstsein wachsen lässt, berufen zu sein ..., erinnert sie sich daran, wann alles begonnen hat: »Es war um die zehnte Stunde« (Joh 1,39). Die Begegnung mit Jesus verändert das Leben, sie schafft ein Vorher und Nachher. Es ist gut, sich immer an diese Stunde zu erinnern, an dieses Schlüsselereignis für jeden von uns, als wir ernsthaft erkannten, dass „das, was ich spürte,“ keine Lust oder Anziehung war, sondern dass der Herr mehr erwartete. Und dann kann man sich erinnern: an jenem Tag habe ich es gemerkt. Die Erinnerung an jene Stunde, als wir von seinem Blick berührt wurden.
Wenn wir diese Stunde vergessen, vergessen wir unsere Ursprünge, unsere Wurzeln; und wenn wir diese grundlegenden Koordinaten verlieren, lassen wir das Wertvollste beiseite, was eine Person des gottgeweihten Lebens haben kann: den Blick des Herrn. „Nein, Pater, ich schaue den Herrn im Tabernakel an.“ In Ordnung, das ist in Ordnung. Aber setz dich für einen Augenblick hin und lasse dich anschauen und erinnere dich an die Momente, als er dich angeschaut hat und dass er dich jetzt gerade anschaut. Lass dich von ihm anschauen. Es ist das Kostbarste, was eine geweihte Person besitzt: den Blick des Herrn. Vielleicht bist du unzufrieden mit dem Ort, an dem der Herr dir begegnet ist, vielleicht entspricht er nicht einer Idealvorstellung von Berufung, die dir „besser gefallen hätte“. Aber dort hat er dich gefunden und deine Wunden geheilt, dort. Jeder von uns weiß, wo und wann: vielleicht in einer Zeit komplexer, schmerzhafter Situationen, ja; aber dort hat der Gott des Lebens dich getroffen, um dich zum Zeugen seines Lebens zu machen, dich zu einem Teil seiner Sendung zu machen, um mit ihm Gottes Liebkosung für viele zu sein. Es ist gut, sich daran zu erinnern, dass unsere Berufungen ein liebevoller Ruf sind, zu lieben und zu dienen. Nicht um ein „Stück“ für uns selbst zu nehmen. Wenn der Herr sich in euch verliebt und euch erwählt hat, dann nicht, weil ihr zahlreicher wart als andere, denn ihr seid das kleinste Volk, sondern aus reiner Liebe! (vgl. Dtn 7,7-8). So spricht Gott im Buch Deuteronomium zum Volk Israel. Miss dir nicht so viel Bedeutung zu: du bist nicht das wichtigste Volk, nein, du bist ein bisschen kümmerlich. Aber Gott hat sich in dieses Volk verliebt – und nun, was wollt ihr? Der Herr hat keinen guten Geschmack, er hat sich in dieses Volk verliebt … Es ist eine leidenschaftliche Liebe, eine barmherzige Liebe, die unser Innerstes dazu bewegt, uns aufzumachen und den anderen nach dem Beispiel Jesu Christi zu dienen. Nicht nach Art der Pharisäer, der Sadduzäer, der Schriftgelehrten, der Zeloten, nein, nein, sie suchten ihren Ruhm.
Ich möchte hier auf einen Aspekt eingehen, den ich für wichtig halte. Wir waren beim Eintritt ins Seminar oder Ausbildungshaus oder im Noviziat meist geprägt vom Glauben unserer Familien und derer, die uns nahestehen. Dort haben wir durch die Mutter, durch die Großmutter, durch die Tante beten gelernt, und dann war es die Katechetin, die uns geformt hat ... Auf diese Weise haben wir unsere ersten Schritte unternommen, nicht selten auch gestützt auf die Ausdrucksweisen der Volksfrömmigkeit und -spiritualität, die in Peru die erlesensten Formen angenommen haben und tief im einfachen und gläubigen Volk verwurzelt sind. Euer Volk hat in vielen Frömmigkeitsformen – die ich aus Angst, eine zu vergessen, gar nicht aufzählen möchte – eine enorme Zuneigung zu Jesus Christus, zur Muttergottes, den Heiligen und Seligen entfaltet. In den Wallfahrtsorten »treffen viele Pilgerinnen und Pilger Entscheidungen, die ihr gesamtes Leben prägen. Auf den Wänden von Wallfahrtsorten liest man viele Geschichten von Umkehr, Vergebung und Gnadengaben, die Millionen Menschen erzählen könnten.«[2] Auch viele eurer Berufungen könnten auf diesen Wänden eingraviert sein. Ich fordere euch auf, den treuen und einfachen Glauben eures Volkes bitte nicht zu vergessen, geschweige denn zu verachten. Versteht es, die Begegnung mit dem Herrn anzunehmen, zu begleiten und anzuregen. Werdet nicht zu Profis des Heiligen, die ihr Volk vergessen, aus dem der Herr sie berufen hat: „von der Herde“, wie der Herr zu seinem Erwählten [David] in der Bibel sagt. Verliert nicht die Erinnerung an diejenigen, die euch das Beten beigebracht haben und habt immer Respekt vor ihnen.
Ich habe erlebt, dass bei Treffen mit Novizenmeistern und -meisterinnen oder mit Rektoren und Spiritualen von Seminaren die Frage aufkam: „Wie bringen wir den Eintretenden das Beten bei?“ Nun, sie geben ihnen Lehrbücher, um zu lernen, wie man betrachtet – mir haben sie welche gegeben, als ich eingetreten bin. „Da machst du das“, „das nicht“, „zuerst musst du das tun“, „dann diesen weiteren Schritt“ ... Und im Allgemeinen raten die sehr besonnenen Männer und Frauen, die dieses Amt der Novizenmeister, der Spirituale, der geistlichen Begleiter in den Seminaren haben: „Bete weiter, wie sie es dir zu Hause beigebracht haben“. Und dann, nach und nach, führen sie sie weiter zu einer anderen Art des Betens. Aber zuerst: „Bete weiter, wie deine Mutter es dir beigebracht hat, wie deine Großmutter es dir beigebracht hat.“ Das ist übrigens der Rat, den der heilige Paulus dem Timotheus gibt: „Der Glaube deiner Mutter und deiner Großmutter: das ist es, was du befolgen musst.“ Verachte das Gebet von zu Hause nicht, denn es ist das wirksamste.
Wenn wir uns an die Stunde unserer Berufung erinnern und freudig an diese Begegnung mit Jesus Christus zurückdenken, werden wir das schöne Gebet des heiligen Francisco Solano, des großen Predigers und Freundes der Armen, sprechen können: »Mein guter Jesus, mein Erlöser und Freund. Was besitze ich, was nicht du mir gegeben hast? Was weiß ich, was nicht du mir beigebracht hast?«.
Auf diese Weise ist der Ordensmann, der Priester, jeder gottgeweihte Mensch, der Seminarist eine freudige, dankbare Person, reich an Erinnerung: Prägt euch diese drei Dinge als „Waffen“ gegen jede „Karikatur“ der Berufung ein! Ein dankbares Bewusstsein weitet das Herz und regt uns zum Dienen an. Ohne Dankbarkeit können wir gute Vollstrecker des Heiligen sein, aber es wird uns an der Salbung des Geistes mangeln, um Diener unserer Brüder, besonders der Ärmsten, zu werden. Das gläubige Volk Gottes hat ein feines Gespür und weiß zwischen einem Funktionär des Heiligen und dem dankbaren Diener zu unterscheiden. Es erkennt den Unterschied zwischen dem, der reich ist an Erinnerung und dem, der vergessen hat. Das Volk Gottes kann vieles ertragen, aber es erkennt denjenigen, der ihm dient und es mit dem Öl der Freude und Dankbarkeit versorgt. Lasst euch dabei vom Volk Gottes beraten. Kommt es nicht manchmal in den Pfarreien vor, wenn sich der Priester ein wenig verirrt und sein Volk vergisst – ich rede von wirklichen Begebenheiten, nicht wahr? – Wie oft sagt die ältere Dame der Sakristei – „die Alte von der Sakristei”, wie ihr sie nennt – zu ihm: „Lieber Pater, wie lang schon haben Sie Ihre Mutter nicht mehr besucht? Gehen Sie, gehen Sie zu Ihrer Mutter. Für eine Woche arrangieren wir uns mit dem Rosenkranz.“
3. Drittens, die ansteckende Freude. Die Freude ist ansteckend, wenn sie echt ist.
Andreas war einer der Jünger Johannes des Täufers, der Jesus an diesem Tag gefolgt war. Nachdem er bei ihm war und gesehen hatte, wo er wohnte, kehrte er zum Haus seines Bruders Simon Petrus zurück und sagte zu ihm: „Wir haben den Messias gefunden“ (Joh 1,41). Und dort wurde er angesteckt. Das ist die bedeutendste Nachricht, die er ihm überbringen konnte, und er führte ihn zu Jesus. Der Glaube an Jesus ist ansteckend. Und wenn es einen Priester, einen Bischof, eine Ordensschwester, einen Seminaristen, einen Gottgeweihten gibt, der nicht ansteckend ist, dann ist er „desinfiziert“ und unnatürlich. Er soll hinausgehen und sich ein bisschen die Hände schmutzig machen und dann wird er anfangen, mit der Liebe Jesu anzustecken. Der Glaube an Jesus ist ansteckend, er kann nicht eingeengt oder eingeschlossen werden. Hier wird die Fruchtbarkeit des Zeugnisses sichtbar: Die neu berufenen Jünger ziehen durch ihr Glaubenszeugnis ihrerseits andere an, und auf die gleiche Weise wie in diesem Abschnitt des Evangeliums ruft Jesus uns durch andere. Die Sendung entspringt spontan aus der Begegnung mit Christus. Andreas begann sein Apostolat mit denen, die ihm am nächsten standen, seinem Bruder Simon, und zwar ganz natürlich, indem er Freude ausstrahlte. Das ist das beste Zeichen dafür, dass wir den Messias „entdeckt“ haben. Die ansteckende Freude ist eine Konstante in den Herzen der Apostel, und wir sehen sie in der Überzeugungskraft, mit der Andreas seinem Bruder anvertraut: „Wir haben ihn gefunden!“ Also: »Die Freude des Evangeliums erfüllt das Herz und das gesamte Leben derer, die Jesus begegnen. Diejenigen, die sich von Ihm retten lassen, sind befreit von der Sünde, von der Traurigkeit, von der inneren Leere und von der Vereinsamung. Mit Jesus Christus kommt immer – und immer wieder – die Freude«.[3] Und diese ist ansteckend.
Diese Freude öffnet uns für andere, es ist eine Freude, die man nicht für sich selbst behalten darf, sondern die weitergegeben werden will. In der zersplitterten Welt, in der wir leben und die uns dazu drängt, uns selbst zu isolieren, sind wir herausgefordert, Gestalter und Propheten der Gemeinschaft zu sein. Ihr wisst es, niemand rettet sich selbst. Und hier möchte ich klarstellen: Fragmentierung oder Isolation ist nicht etwas, was „draußen“ geschieht, als wäre es nur ein Problem der „Welt“, in der wir gerade leben. Brüder und Schwestern, Spaltungen, Kriege und Isolierung erleben wir auch in unseren Gemeinschaften, unter uns Priestern, in unseren Bischofskonferenzen und wie sehr schaden sie uns! Jesus sendet uns aus, Gemeinschaft und Einheit zu bringen, aber oft scheint es, dass wir dabei uneins sind und – noch schlimmer – uns gegenseitig ein Bein stellen. Oder liege ich falsch? [Antwort: Nein!] Fügen wir uns und ein jeder kümmere sich um die eigenen Angelegenheiten. Wir sind aufgefordert, Gestalter von Gemeinschaft und Einheit zu sein, was aber nicht meint, dass wir alle das Gleiche denken und tun müssen. Es bedeutet, die einzelnen Beiträge, die Unterschiede, die Gabe der Charismen innerhalb der Kirche zu würdigen, in dem Wissen, dass jeder Einzelne entsprechend seiner Eigenart einen spezifischen Beitrag leistet und umgekehrt aber auch die anderen braucht. Nur der Herr hat die Fülle der Gaben, nur er ist der Messias. Und er wollte seine Gaben so verteilen, dass wir alle das Unsere geben können, und uns gleichzeitig von den Gaben anderer bereichern lassen. Wir müssen uns vor der Versuchung des „Einzelkindes“ hüten, das alles für sich selbst will, weil es niemanden hat, mit dem es teilen kann. Der Kerl ist verwöhnt! Ich bitte diejenigen, die mit einem Leitungsdienst betraut sind, bitte werdet nicht selbstbezogen; versucht euch um eure Brüder und Schwestern zu kümmern, schaut, dass es ihnen gut geht; denn das Gute ist ansteckend. Achten wir darauf, dass aus der Autorität kein Autoritarismus wird, weil man leicht vergisst, dass Leitung ein Dienst ist. Diejenigen, die diese Aufgabe eines Vorgesetzten haben, sollen gut darüber nachdenken: In den Armeen gibt es genügend Unteroffiziere, es besteht keine Notwendigkeit, sie in unsere Gemeinschaft zu holen.
Mein Wunsch, bevor ich schließe: aus den Erinnerungen schöpfen und Wurzeln haben. Ich denke, dass es wichtig ist, dass in unseren Gemeinschaften, im Priesterkollegium, die Erinnerung lebendig gehalten wird und dass es einen Dialog zwischen den Jüngeren und den Älteren gibt. Die Älteren sind reich an Erinnerungen und sie geben uns die Erinnerung. Wir müssen uns aufmachen und sie annehmen. Lassen wir sie nicht allein. Manchmal wollen sie [die alten Menschen] nicht reden, mancher fühlt sich etwas verlassen ... Bringen wir ihn zum Reden, besonders ihr jungen Leute. Diejenigen, die für die Ausbildung der jungen Menschen verantwortlich sind, sollen ihnen sagen, dass sie mit den älteren Priestern, mit den älteren Ordensschwestern, mit den älteren Bischöfen sprechen sollen ... – Man sagt, dass die Ordensschwestern nicht alt werden, weil sie ewig sind! – Sagt ihnen, dass sie reden sollen. Die alten Menschen brauchen euch, damit ihr ihre Augen glänzen macht und sie sehen lasst, dass in der Kirche, im Priesterkollegium, in der Bischofskonferenz, im Kloster junge Leute sind, die den Leib der Kirche voranbringen. Sie sollen sie sprechen hören, die jungen Leute sollen ihnen Fragen stellen, und so werden sie ihre Augen neu strahlen lassen und sie werden anfangen zu träumen. Lasst die älteren Menschen träumen. Es ist die Prophezeiung von Joel 3,1: Lasst die Alten Träume haben. Und wenn die jungen Menschen die alten zum Träumen bringen, versichere ich euch, dass die alten Leute die jungen prophetisch reden lassen.
Zu den Wurzeln gehen. Deshalb wollte ich – ich komme zum Schluss – einen Papst zitieren, aber mir kommt keiner in den Sinn. Vielmehr werde ich einen Apostolischen Nuntius zitieren. Als wir über das Thema sprachen, erzählte er mir ein altes afrikanisches Sprichwort, das er gelernt hatte, als er dort war – die Apostolischen Nuntien sind nämlich zuerst in Afrika im Einsatz und lernen dort vieles – und das Sprichwort lautete: „Junge Menschen gehen schnell – und sie müssen es tun –, aber es sind die Alten, die den Weg kennen.“ Richtig?
Liebe Brüder und Schwestern, nochmals vielen Dank und möge diese „deuteronomische“ Erinnerung uns freudiger und dankbarer machen, damit wir Diener der Einheit inmitten unseres Volkes sind. Lasst euch vom Herrn anschauen; macht euch auf, den Herrn zu suchen, dort, in der Erinnerung. Schaut euch hin und wieder im Spiegel an. Und der Herr segne euch und die Heilige Jungfrau beschütze euch. Und ab und zu – wie sie auf dem Land sagen – „gebt mir“ ein Gebet. Danke!
[1]Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 94.
[2] Schlussdokument der 5. Generalversammlung des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik in Aparecida (29.Juni 2007), 260.
[3]Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 1.
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