ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE TEILNEHMER AM INTERNATIONALEN KONGRESS
DER KATHOLISCHEN BIBELFÖDERATION
Clementina-Saal
Freitag, 26. April 2019
Eminenzen, liebe Brüder im Bischofsamt,
Brüder und Schwestern!
Mit den Worten des Apostels Paulus heiße ich euch willkommen, die ihr euch »in Rom« befindet und »von Gott geliebt seid«, und wünsche euch »Gnade und Frieden« (Röm 1,7). Ich danke Kardinal Tagle für die Begrüßung, die er in eurem Namen an mich gerichtet hat. Ihr seid aus Anlass des 50. Jahrestags der Gründung der Katholischen Bibelföderation zusammengekommen. Dieses Jubiläum wird euch die Gelegenheit gegeben haben, hinsichtlich eures kirchlichen Dienstes eine Zwischenbilanz zu ziehen und euch gegenseitig in eurem Einsatz zur Verbreitung des Wortes Gottes zu bestärken.
Eure Reflexion nahm von zwei Worten ihren Ausgang: »Bibel« und »Leben«. Auch ich möchte euch etwas über dieses untrennbare Wortpaar sagen: »Das Wort Gottes ist lebendig« (vgl. Hebr 4,12): es stirbt nicht und altert nicht, es bleibt in Ewigkeit (vgl. 1 Petr 1,25). Es bleibt jung angesichts all dessen, was vergeht (vgl. Mt 24,35), und es bewahrt den, der es in die Tat umsetzt, vor dem inneren Altern. Es ist lebendig und schenkt Leben. Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass der Heilige Geist, der »Lebendigmacher«, gerne durch die Heilige Schrift wirkt. Denn das Wort trägt den Atem Gottes in die Welt, es flößt dem Herzen die Wärme des Herrn ein. Alle wissenschaftlichen Beiträge, die veröffentlichten Bücher stehen im Dienst dieser Tatsache und können nichts anderes sein. Sie sind wie das mühsam gesammelte und aufgeschichtete Holz, das zum Wärmen dient. Aber wie das Holz bringt es die Wärme nicht aus sich selbst hervor, und dasselbe gilt auch für die besten Studien. Feuer ist notwendig, der Heilige Geist ist notwendig, damit die Bibel im Herzen brennt und lebendig wird. Dann kann das gute Holz nützlich sein, um das Feuer zu speisen. Aber die Bibel ist keine schöne Sammlung von zu studierenden Büchern, sie ist auszusäendes Wort des Lebens, Geschenk des Auferstandenen, der darum bittet, es anzunehmen und auszuteilen, damit wir das Leben haben in seinem Namen (vgl. Joh 20,31).
In der Kirche ist das Wort Gottes eine unersetzliche »Injektion« neuen Lebens. Daher sind die Predigten grundlegender wichtig. Die Predigt ist keine rhetorische Übung und auch keine Sammlung menschlicher Weisheit und menschlichen Wissens: Das wäre nur das Holz. Sie ist vielmehr Vermittlung des Heiligen Geistes (vgl. 1 Kor 2,4), des göttlichen Wortes, welches das Herz des Predigers berührt hat, der jene Wärme, jene Salbung weitergibt. So viele Worte erreichen täglich unsere Ohren, übermitteln Informationen und vielfältigen Input: viele, vielleicht zu viele, so dass sie oft unsere Aufnahmefähigkeit übersteigen. Aber wir können auf das Wort Jesu nicht verzichten, auf das einzige Wort ewigen Lebens (vgl. Joh 6,68), das wir jeden Tag brauchen. Es wäre schön, das Aufkeimen »einer neuen Zeit« zu erleben, »in der alle Glieder des Gottesvolkes eine größere Liebe zur Heiligen Schrift empfinden, so dass sich […] allmählich die Beziehung zur Person Christi selbst vertieft« (Apostolisches Schreiben Verbum Domini, 72). Es wäre schön, wenn das Wort Gottes »immer mehr zum Mittelpunkt allen kirchlichen Handelns« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 174) würde: das pulsierende Herz, das die Glieder des Leibes belebt. Der Heilige Geist will uns formen als Kirche »im Format des Wortes«: eine Kirche, die nicht von sich aus oder über sich selbst spricht, sondern die den Herrn im Herzen und auf den Lippen trägt, die täglich aus seinem Wort schöpft. Die beständige Versuchung besteht darin, dass wir uns selbst verkünden und von unseren Dynamiken sprechen, aber so gibt man der Welt das Leben nicht weiter.
Das Wort Gottes schenkt jedem Gläubigen Leben, indem es ihn lehrt, sich selbst zurückzunehmen, um Ihn zu verkünden. In dieser Hinsicht wirkt es wie ein scharfes Schwert, das tief eindringt, über Gefühle und Gedanken richtet, die Wahrheit ans Licht bringt, verwundet, um zu heilen (vgl. Hebr 4,12; Ijob 5,18). Das Wort führt uns zu einem österlichen Leben: wie der Same, der durch sein Sterben Leben schenkt; wie die Traube, die durch das Pressen Wein hervorbringt; wie die Oliven, aus denen das Öl fließt, wenn sie in der Mühle gemahlen werden. Auf diese Weise macht das Wort lebendig, indem es grundlegende Gaben des Lebens hervorruft. Es lässt keine Ruhe, es stellt infrage. Eine Kirche, die im Hören auf das Wort Gottes lebt, gibt sich niemals zufrieden mit den eigenen Sicherheiten. Sie ist fügsam gegenüber der unvorhersehbaren Neuheit des Heiligen Geistes. Sie wird nicht müde zu verkünden. Sie gibt der Enttäuschung nicht nach. Sie gibt nicht auf, auf allen Ebenen Gemeinschaft zu fördern, weil das Wort zur Einheit aufruft und jeden einlädt, auf den anderen zu hören und die eigenen Parteilichkeiten zu überwinden.
Die Kirche nährt sich vom Wort und lebt demnach, um das Wort zu verkünden. Sie spricht nicht zu sich selbst, sondern sie lässt sich auf die Straßen der Welt ein: nicht weil sie ihr gefallen würden oder sie bequem wären, sondern weil sie Orte der Verkündigung sind. Eine Kirche, die dem Wort Gottes treu ist, spart bei der Verkündigung des Kerygmas nicht an Atem und erwartet keine Wertschätzung. Das göttliche Wort, das aus dem Vater hervorgeht und die Welt überströmt, drängt sie bis an die äußersten Grenzen der Erde. Die Bibel ist ihr bester »Impfstoff« gegen Abkapselung und bloße Selbsterhaltung. Es ist Wort Gottes, nicht unser Wort, und es hält uns davon ab, im Mittelpunkt zu stehen. Es bewahrt uns vor Selbstgenügsamkeit und Triumphalismus. Es ruft uns beständig auf, aus uns selbst hinauszugehen. Das Wort Gottes besitzt zentrifugale, nicht zentripetale Kraft: Es bewirkt nicht die Zurückwendung auf das Innere, sondern drängt nach außen, hin zu dem, den es noch nicht erreicht hat. Es bietet keine schwachen Tröstungen, denn es ist Feuer und Wind: Es ist Geist, der das Herz entflammt und die Horizonte weiter hinausschiebt, sie mit seiner Kreativität erweitert.
Bibel und Leben: Wir wollen uns einsetzen, damit diese beiden Worte sich umarmen, niemals eines ohne das andere ist. Ich möchte ebenso schließen, wie ich begonnen habe, mit einem Wort des Apostels Paulus, der am Ende eines Briefes schreibt: »Im Übrigen, Brüder, betet!« Wie er so bitte auch ich euch zu beten. Aber der heilige Paulus nennt den Grund des Gebets: »damit das Wort des Herrn sich ausbreitet« (2 Thess 3,1). Wir wollen beten und uns einsetzen, damit die Bibel nicht im Regal bleibt, unter vielen anderen Büchern, die von ihr handeln, sondern damit sie sich schnell auf den Straßen der Welt ausbreite und dort verweile, wo die Menschen leben. Ich wünsche euch, gute Träger des Wortes zu sein, mit derselben Begeisterung, von der wir in diesen Tagen in den Osterberichten lesen, wo alle laufen: die Frauen, Petrus, Johannes, die beiden Emmausjünger… Sie laufen, um dem lebendigen Wort zu begegnen und es zu verkünden. Ich wünsche euch das von Herzen, während ich euch für all das danke, was ihr tut.
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