APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS NACH RUMÄNIEN
(31. MAI - 2. JUNI 2019)
BEGEGNUNG MIT VERTRETERN DER REGIERUNG, DER ZIVILGESELLSCHAFT UND DEM DIPLOMATISCHEN KORPS
ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
Saal der Einheit des Präsidentenpalasts (Bukarest)
Freitag, 31. Mai 2019
Herr Präsident,
Frau Ministerpräsidentin,
Heiligkeit,
geschätzte Mitglieder des Diplomatischen Korps,
werte Repräsentanten des öffentlichen Lebens,
sehr geehrte Vertreter der verschiedenen Religionsbekenntnisse und der Zivilgesellschaft,
liebe Brüder und Schwestern,
mein herzlicher Gruß und mein Dank gilt dem Herrn Präsidenten und der Frau Ministerpräsidentin für die Einladung, Rumänien zu besuchen, und für die freundlichen Worte des Willkommens, die auch im Namen der anderen Repräsentanten des Landes sowie im Namen Ihres geschätzten Volkes an mich gerichtet wurden. Ich grüße die Mitglieder des Diplomatischen Korps und die Vertreter der Zivilgesellschaft, die hier versammelt sind.
In brüderlicher Liebe grüße ich meinen Bruder Daniel. Meinen ehrerbietigen Gruß richte ich an alle Metropoliten und Bischöfe des Heiligen Synods und an alle Gläubigen der Rumänisch-Orthodoxen Kirche mit ein. Sehr herzlich grüße ich die Bischöfe, die Priester, die Ordensleute und alle Glieder der Katholischen Kirche, zu denen ich komme, um sie im Glauben zu stärken und um sie auf ihrem Weg eines christlichen Lebenszeugnisses zu ermutigen.
Ich freue mich, in Ihrem schönen Land zu sein, zwanzig Jahre nach dem Besuch des heiligen Johannes Paul II. und zu einem Zeitpunkt, wo Rumänien in diesem Halbjahr erstmals seit seinem EU-Beitritt den Vorsitz im Rat der Europäischen Union führt.
Es ist dies ein guter Moment für einen Rückblick auf die letzten dreißig Jahre, seit Rumänien sich von einem Regime befreit hat, das nicht nur die bürgerliche und religiöse Freiheit unterdrückte und das Land gegenüber den anderen europäischen Ländern isolierte, sondern auch in eine wirtschaftliche Stagnation führte und seine kreativen Kräfte versiegen ließ. Während der letzten Jahre hat Rumänien sich dem Aufbau einer Demokratie gewidmet, die auf dem Pluralismus der politischen und gesellschaftlichen Kräfte und ihrem wechselseitigen Dialog beruht; sein Einsatz galt ebenso der grundlegenden Anerkennung der Religionsfreiheit und der vollen Eingliederung des Landes auf internationaler Ebene in größerem Umfang. Es ist wichtig, die vielen Schritte nach vorne anzuerkennen, die auf diesem Weg auch unter großen Schwierigkeiten und Entbehrungen gemacht wurden. Der Wille, in den verschiedenen Bereichen des zivilen, sozialen und wissenschaftlichen Lebens voranzuschreiten, hat viele Energien und planerische Fähigkeiten in Gang gebracht, zahlreiche kreative Kräfte, die einst gefangen waren, freigesetzt, den vielfältigen Initiativen neuen Schwung verliehen und so das Land ins 21. Jahrhundert hinübergesetzt. Ich ermutige Sie, in Ihrer Arbeit zur Konsolidierung der Strukturen und der notwendigen Einrichtungen fortzufahren, und zwar nicht nur, um den gerechtfertigten Erwartungen der Bürger zu entsprechen, sondern auch, um Ihr Volk anzuspornen und in die Lage zu versetzen, sein ganzes Potenzial und Talent, zu dem es, wie wir wissen, fähig ist, zum Ausdruck zu bringen.
Gleichzeitig muss man aber anerkennen, dass die Veränderungen, die durch die Öffnung auf eine neue Ära hin notwendig wurden, zusammen mit vielen positiven Errungenschaften die Entstehung unvermeidlicher Hürden mit sich gebracht haben, die überwunden werden müssen. Zudem zeigen sich Folgen, die nicht immer einfach zu handhaben sind im Hinblick auf die soziale Stabilität und die Verwaltung des Landes selbst. Ich denke hier in erster Linie an das Phänomen der Emigration, von dem einige Millionen von Menschen betroffen sind, die Haus und Vaterland verlassen haben, um neue Möglichkeiten der Arbeit und eines Lebens in Würde zu suchen. Ich denke an die Entvölkerung vieler Dörfer, die in wenigen Jahren den Wegzug eines beträchtlichen Teils ihrer Einwohner erfahren haben; ich denke an die Auswirkungen, die dies alles auf die Lebensqualität in diesen Gebieten haben kann, und an die Schwächung Ihrer sehr reichen kulturellen und geistigen Wurzeln, die Ihnen in den schlimmsten Momenten, in den Widrigkeiten Halt gegeben haben. Hochachtung bezeige ich den vielen Söhnen und Töchtern Rumäniens für ihre Opfer; mit ihrer Kultur, ihrem Erbe an Werten und ihrer Arbeit bereichern sie die Länder, in die sie ausgewandert sind, und mit der Frucht ihrer Anstrengungen unterstützen ihre in der Heimat zurückgebliebenen Familien. An die Brüder und Schwestern im Ausland zu denken ist ein Akt der Vaterlandsliebe, es ist ein Akt der Brüderlichkeit, ein Akt der Gerechtigkeit. Tut es weiter.
Um die Probleme dieser neuen geschichtlichen Phase anzugehen, um wirksame Lösungen auszumachen und die Kraft zu finden, sie umzusetzen, muss die positive Zusammenarbeit der politischen, wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Kräfte vermehrt werden; es ist notwendig, gemeinsam voranzugehen, in Einheit voranzugehen und dass sich alle mit Überzeugung zum Ziel setzen, nicht auf die vornehmste Berufung zu verzichten, nach der ein Staat streben muss: sich um das Gemeinwohl seines Volkes zu kümmern. Gemeinsam vorangehen als Weg, die Geschichte zu bilden, erfordert den Edelmut, zugunsten eines weitergefassten Planes auf etwas von der eigenen Vorstellung oder den eigenen spezifischen Interessen zu verzichten, so dass eine Eintracht entsteht, die es erlaubt, sicher auf gemeinsame Ziele hin voranzuschreiten. Das ist der grundlegende Edelmut.
Auf diese Weise kann eine inklusive Gesellschaft aufgebaut werden, in der ein jeder seine Begabungen und Kompetenzen durch gute Ausbildung und in schöpferischer, mitverantwortlicher und solidarischer Arbeit einbringt (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 192) und so Mitgestalter am Gemeinwohl wird; eine Gesellschaft, wo die Schwächsten, Ärmsten und Geringsten nicht als unerwünscht gelten, gleich Hindernissen, die dem Funktionieren der „Maschine“ im Weg stehen, sondern als Bürger, als Brüder und Schwestern gesehen werden, die vollberechtigt in das zivile Leben einzugliedern sind; ja, im Gegenteil, wo sie für die beste Überprüfung der tatsächlichen Güte des Gesellschaftsmodels, das man gerade aufbaut, gehalten werden. Denn je mehr sich eine Gesellschaft das Los der am meisten Benachteiligten zu Herzen nimmt, desto mehr kann sie wirklich zivilisiert genannt werden.
All das muss eine Seele und ein Herz haben sowie eine klare Marschrichtung, die nicht von äußerlichen Überlegungen oder von der überhandnehmenden Macht der Zentren der Hochfinanz auferlegt werden darf, sondern vom Bewusstsein vorgegeben sein muss, dass die menschliche Person und ihre unveräußerlichen Rechte im Zentrum stehen (vgl. ebd., 203). Für eine harmonische nachhaltige Entwicklung, für eine konkrete Umsetzung der Solidarität und Nächstenliebe, für eine Sensibilisierung der sozialen, zivilen und politischen Kräfte gegenüber dem Gemeinwohl genügt es nicht, die Wirtschaftstheorien zu aktualisieren, noch reichen die sicher notwendigen professionellen Verfahren und Fertigkeiten aus. Es geht nämlich darum, zusammen mit den materiellen Bedingungen die Seele Ihres Volkes zu fördern. Die Völker haben nämlich eine Seele, sie haben eine Art und Weise, die Wirklichkeit zu begreifen, die Wirklichkeit zu leben. Immer zur Seele der Volkes zurückzukehren, das lässt das Volk voranschreiten.
In diesem Sinn können die christlichen Kirchen mithelfen, das pulsierende Herz wiederzufinden und zu stärken; denn von diesem muss ein politisches und soziales Handeln herkommen, das von der Würde der Person ausgeht und dazu führt, sich aufrichtig und hochherzig für das Gemeinwohl der Gemeinschaft einzusetzen. Gleichzeitig bemühen sich die Kirchen, ein glaubwürdiger Widerschein und ein anziehendes Zeugnis des Handelns Gottes zu sein, und so wird unter ihnen echte Freundschaft und Zusammenarbeit gefördert. Die Katholische Kirche möchte sich auf diese Spur begeben; sie möchte ihren Beitrag zum Aufbau der Gesellschaft bringen; es ist ihr Wunsch, Zeichen der Eintracht, der Hoffnung und der Einheit zu sein und sich in den Dienst der menschlichen Würde und des Gemeinwohls zu stellen. Sie hat vor, mit den Behörden, mit den anderen Kirchen und mit allen Männern und Frauen guten Willens zusammenzuarbeiten, um gemeinsam zu gehen und die eigenen Talente in den Dienst der gesamten Gemeinschaft zu stellen. Die Katholische Kirche ist nicht unbeteiligt am Geist des Landes, sondern nimmt voll daran teil; dies zeigen ihre Gläubigen durch ihre Teilnahme an der Mitgestaltung der Zukunft der Nation, an der Schaffung und Entwicklung von ganzheitlichen Bildungseinrichtungen und von Formen der Betreuung, die einem modernen Staat eigen sind. Daher möchte sie ihren Beitrag zum Aufbau der Gesellschaft und des zivilen wie geistigen Lebens in Ihrem schönen Land Rumänien leisten.
Herr Präsident,
ich wünsche Rumänien Wohlstand und Frieden und erbitte Ihnen, Ihrer Familie, allen hier Anwesenden wie auch der ganzen Bevölkerung des Landes Gottes reichen Segen und den Schutz der heiligen Gottesmutter.
Gott segne Rumänien!
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