VERLEIHUNG DES RATZINGER-PREISES
ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
Clementina-Saal
Samstag, 13. November 2021
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Liebe Brüder und Schwestern!
Ich heiße Sie alle herzlich willkommen und danke Kardinal Ravasi, Bischof Voderholzer und P. Lombardi für ihre Worte der Einführung und Präsentation.
Mein Gruß gilt den mit dem Ratzinger-Preis ausgezeichneten Anwesenden: Professor Jean-Luc Marion und Frau Professor Tracey Rowland, die wir im vergangenen Jahr aufgrund der Pandemie nicht feiern konnten; Frau Professor Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz und Professor Ludger Schwienhorst-Schönberger, die den Preis in diesem Jahr erhalten. Und mit Freude empfange ich auch ihre Familienangehörigen und Freunde.
Ich begrüße die Verantwortlichen der Vatikanstiftung Joseph Ratzinger - Benedikt XVI., die Mitglieder des Wissenschaftlichen Komitees, des Verwaltungsrats und des Gutachterkollegiums, mit ihren Wohltätern, Freunden und Mitarbeitern.
Und ich freue mich auch, dass wir nach der Unterbrechung im letzten Jahr die schöne Tradition dieser Begegnung wieder aufnehmen können. Die willkommene Teilnahme verschiedener in den letzten Jahren ausgezeichneter Persönlichkeiten zeigt auch, dass dieser Akt nicht nur die kulturellen Verdienste einiger Wissenschaftler und Künstler anerkennt, sondern darüber hinaus auch eine dauerhafte Verbindung schafft, eine für die Präsenz und den Dienst der Kirche in der Welt der Kultur fruchtbare Beziehung.
Die Gemeinschaft der Preisträger vergrößert sich jährlich nicht nur zahlenmäßig, sondern auch im Hinblick auf die verschiedenen vertretenen Länder, mittlerweile sind es fünfzehn, in allen Kontinenten, einschließlich Ozeanien – heute ist Frau Professor Rowland unter uns, die dank der kürzlich erfolgten Aufhebung der Reisebeschränkungen extra aus Australien angereist ist. Und wie wir gehört haben, vergrößert sie sich auch hinsichtlich der Verschiedenheit der betriebenen Forschungsdisziplinen und Künste.
Die Dynamik des Verstandes und des menschlichen Geistes ist in Bezug auf Wissen und schöpferisches Tun wahrhaft ohne Grenzen. Das ist die Wirkung des »Funkens«, den Gott in dem nach seinem Bild geschaffenen Menschen entzündet hat, der in der Lage ist, in Schöpfung und Geschichte stets neue Bedeutungen zu suchen und zu finden und weiterhin die Vitalität des Geistes in der Gestaltung und Verwandlung der Materie zum Ausdruck zu bringen.
Aber die Früchte von Wissenschaft und Kunst reifen nicht zufällig und mühelos. Die Anerkennung gilt also zugleich dem anhaltenden, geduldigen Einsatz, die für deren Reifung notwendig sind. Die Heilige Schrift spricht vom Schöpfertum Gottes als »Arbeit«. Wir wollen also nicht nur die Tiefe des Denkens und des Geschriebenen oder die Schönheit der Kunstwerke würdigen, sondern auch die mit Großherzigkeit und Leidenschaft geleistete jahrelange Arbeit, um das unermessliche menschliche und geistige Erbe zu bereichern, das es zu teilen gilt. Es ist ein unschätzbarer Dienst für die Erhebung des Geistes und der Würde des Menschen, für die Qualität der Beziehungen in der menschlichen Gemeinschaft und für die Fruchtbarkeit der Sendung der Kirche.
Die kurze Vorstellung der Preisträger und ihrer Werke, die wir eben gehört haben, war ausreichend, um uns zu faszinieren und zu bewirken, dass wir uns von den geistigen Strömungen angezogen fühlen. Sie hat uns eingeladen, die Gedanken schweifen zu lassen von der philosophischen Reflexion über die Religion zum Hören und zur Auslegung des Wortes Gottes, vom Hohelied zur Phänomenologie des Seins und der Liebe als Gabe. Wir haben die Namen der größten Gesprächspartner unserer intellektuellen Arbeit gehört: große Meister der Philosophie und der Theologie unserer Zeit, von Guardini und De Lubac, über Edith Stein und Lévinas, Ricœur und Derrida, bis hin zu McIntyre; und weitere könnte man hinzufügen. Sie lehren uns zu denken, um eine immer tiefere Beziehung zu Gott und zu den anderen zu leben, um das menschliche Handeln an den Tugenden und vor allem an der Liebe zu orientieren. Unter diesen Meistern ist ein Theologe zu nennen, der es verstanden hat, seine Reflexion und seinen kulturellen Dialog in all diese Richtungen zu öffnen und aus ihnen zu nähren, weil der Glaube und die Kirche in unserer Zeit leben und gut zusammengehen mit jeder Suche nach Wahrheit. Ich spreche von Joseph Ratzinger.
Dieser Preis wird zu Recht im Namen meines Vorgängers verliehen. Daher ist es für mich, gemeinsam mit Ihnen, eine Gelegenheit, um ihm unsere liebevollen, anerkennenden und bewundernden Gedanken zuzuwenden.
Vor wenigen Monaten haben wir gemeinsam mit ihm dem Herrn Dank gesagt aus Anlass des 70-jährigen Jubiläums seiner Priesterweihe. Und wir spüren, dass er uns im Gebet begleitet, indem er seinen Blick beständig auf den Horizont Gottes ausrichtet. Es reicht, ihn zu betrachten, um sich dessen bewusst zu werden. Heute danken wir ihm besonders, weil er auch ein Vorbild war für die leidenschaftliche Hingabe an das Studium, die Forschung, die geschriebene und gesprochene Kommunikation; und weil er seine kulturelle Suche immer ganz und harmonisch mit seinem Glauben und seinem Dienst an der Kirche verbunden hat.
Wir wollen nicht vergessen, dass Benedikt XVI. bis zum Ende seines Pontifikats weiter geforscht und geschrieben hat. Vor etwa zehn Jahren hat er, während er seine Leitungsaufgaben erfüllte, seine Trilogie über Jesus vollendet und hat uns so ein einzigartiges persönliches Zeugnis seiner kontinuierlichen Suche nach dem Antlitz des Herrn hinterlassen. Es ist die wichtigste Suche von allen, die er dann im Gebet fortgesetzt hat. Wir fühlen uns dadurch inspiriert und ermutigt und versichern ihn unseres Gebetsgedenkens vor dem Herrn.
Wie wir wissen, sind die Worte aus dem dritten Johannesbrief: »cooperatores veritatis« das Motto, das er wählte, als er Erzbischof von München wurde. Sie sind Ausdruck des roten Fadens, der sich durch die verschiedenen Etappen seines Lebens zieht, vom Studium über die akademische Lehre, das bischöfliche Amt, den Dienst für die Glaubenslehre – zu dem er vor 40 Jahren von Johannes Paul II. berufen wurde – bis hin zum Pontifikat, das von einem leuchtenden Lehramt und einer unerschütterlichen Liebe zur Wahrheit geprägt war. »Cooperatores Veritatis« ist daher auch das Motto, das auf der Urkunde der Preisträger steht, auf dass es ihr Engagement weiterhin inspirieren möge.
Es sind Worte, von denen sich auch jeder von uns bei seiner Tätigkeit und in seinem Leben inspirieren lassen kann und muss, und die ich Ihnen allen, liebe Freunde, als Wunsch mitgebe, verbunden mit meinem Segen. Danke.
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