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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE TEILNEHMER AM GENERALKAPITEL DER SÖHNE DES UNBEFLECKTEN HERZENS
DER SELIGEN JUNGFRAU MARIA (CLARETINER)

Clementina-Saal
Donnerstag, 9. September 2021

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Es ist mir eine große Freude, euer Generalkapitel zu begrüßen, und es ist wahr, es ist eine Freude. Es nehmen Missionare aus der ganzen Welt teil, die fast dreitausend Claretiner vertreten, aus denen die Ordensgemeinschaft besteht. Vielen Dank, dass ihr zu diesem Treffen gekommen sind. Mein Dank geht auch an Kardinal Aquilino Bocos Merino für seine Anwesenheit sowie an Schwester Yolanda Kafka für ihre Hilfe. Diese Frau kann sehr hilfreich sein. Ich sagte einmal zu ihr: »Man hat mir gesagt, dass Sie viele Sprachen sprechen.« Und sie hat geantwortet: »Aber ich weiß nicht, ob ich die Sprache Gottes spreche.« Das passt perfekt zu ihr.

Ich beglückwünsche P. Mathew Vattamattam, dem die Kapitulare erneut ihr Vertrauen geschenkt und ihn zum Generaloberen wiedergewählt haben. Mit ihm begrüße ich die Brüder, die in die neue Ordensleitung gewählt wurden. Wer sind sie? Möge es ihnen leicht sein. Möge der Geist des Herrn allezeit mit euch sein, damit ihr als Missionare den Armen (vgl. Lk 4,19) und allen, die nach dem rettenden Wort hungern, die frohe Botschaft bringen könnt (vgl. Jes 55,10-11).

Das Thema des Generalkapitels lautet: »Verwurzelt und mutig«. Verwurzelt in Jesus. Das setzt ein Leben des Gebets und der Kontemplation voraus, damit ihr wie Hiob sagen könnt: »Vom Hörensagen nur hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich geschaut« (Ijob 42,5). Und es ist traurig, wenn wir gottgeweih- ten Männern oder Frauen begegnen, deren Kenntnis nur aus Hörensagen besteht. In der Gewissenserforschung habe ich mich oft »draußen« wiedergefunden, als mir bewusst wurde, dass ich mich im Gebet, in der vor dem Herrn »verlorenen« Zeit, nicht suchen ließ, dass ich nicht zuließ, dass meine Augen ihn sahen. Das kann uns helfen: ein Leben des Gebets und der Kontemplation, das erlaubt, als Freunde von Angesicht zu Angesicht mit dem Herrn zu sprechen (vgl. Ex 33,11). Ein Leben des Gebetes und der Kontemplation, die es erlaubt, den Spiegel, der Christus ist, zu betrachten, um selbst ein Spiegel für andere zu werden. Ohne Wenn und Aber. »Ich habe noch viel zu tun, so viel zu tun.« Schau, das erste, was du tun musst, ist, auf den zu blicken, der dich zur Arbeit ausgesandt hat, und dich von ihm anblicken zu lassen. »Ich langweile mich, und das die ganze Zeit.« Gut, löse die Probleme der Langeweile im Gebet, mit entsprechender Hilfe. Aber ohne Gebet wird es nicht gehen. Sagen wir es einfach, wie es ist.

Ihr seid Missionare: Wenn ihr wollt, dass eure Mission wirklich fruchtbar ist, dann dürft ihr Mission nicht trennen von der Kontemplation und einem Leben tiefer Vertrautheit mit dem Herrn. Wenn ihr Zeugen sein wollt, dann dürft ihr es nicht unterlassen, Anbetende zu sein. Zeugen und Anbeter sind zwei Begriffe, die im Mittelpunkt des Evangeliums stehen: »Er setzte [sie] ein, damit sie mit ihm seien und damit er sie aussende, zu verkünden« (Mk 3,14). Es sind zwei Dimensionen, die sich gegenseitig befruchten, die eine kann ohne die andere nicht existieren.

»Ein Sohn des unbefleckten Herzens Mariens ist ein Mann voll glühender Liebe, der überall, wohin er kommt, zündend wirkt«, heißt es in euren Konstitutionen mit einem Zitat von P. Claret (Nr. 9). Lasst euch vom Herrn, von seiner Liebe entzünden, damit ihr überall, wo ihr hingeht, »Brandstifter« sein könnt, die das Feuer der göttli- chen Liebe entzünden. Er soll eure einzige Sicherheit sein. Und das wird euch befähigen, Männer der Hoffnung zu sein, der Hoffnung, die nicht trügt (vgl. Röm 5,5); der Hoffnung, die keine Furcht kennt, weil sie weiß, dass in unserer Schwachheit die Kraft Gottes offenbar wird (vgl. 2 Kor 12,9).

Wenn wir uns nie der Schwachheit bewusst sind und wir die »Tarzane« des Apostolats und die »Unbesiegbaren« sind, dann wird sich Gottes Kraft nie offenbaren können. Der Herr wird sagen: Gut, sieh’ du zu, wie du zurecht kommst. Und so wird es uns gehen. Mit einem anderen Zitat aus euren Konstitutionen möchte ich euch sagen: »Lasst euch durch nichts abschrecken!« Das hat Jesus gesagt: Fürchtet euch nicht, fürchtet euch nicht! Habt keine Angst vor eurer Schwachheit: Wie schön ist es, wenn eine Gottgeweihte, ein Gottgeweihter sich schwach fühlt, weil er oder sie das Bedürfnis spürt, um Hilfe zu bitten. Man braucht keine Angst davor haben. Ihr sollt Angst haben, das ja, in geistliche »Schizophrenie« zu verfallen, in geistliche Weltlichkeit, die euch dazu führen würde, nur auf eure eigenen »Wagen« und eure »Pferde« zu vertrauen, auf eure eigenen Kräfte zu vertrauen, euch für besser zu halten und zuweilen wie besessen nach Wohlstand und Macht zu streben (vgl. Evangelii gaudium, 93). Es ist sehr schwierig, nicht der weltlichen Logik nachzugeben, weil die Welt uns bedrängt, nicht wahr? Und geistliche Weltlichkeit ist schrecklich, weil sie uns innerlich verändert. Mich hat es sehr beeindruckt, als ich die Betrachtungen von P. de Lubac über die Kirche gelesen habe, und zwar die letzten vier Seiten, wo er über das Drama der geistlichen Weltlichkeit spricht und wo er ungefähr sagt – sucht es, dann findet ihr genau, was er sagt –, dass es das größte Übel ist, was die Kirche treffen kann, schlimmer noch als im Konkubinat lebende Päpste. Klar oder? Hütet euch vor der geistlichen Weltlichkeit, die uns dazu führt, auf unsere eigenen Kräfte zu vertrauen, uns für besser zu halten, wie besessen nach Wohlstand oder Macht zu streben. Passt euch nicht dieser weltlichen Logik an, die dazu führen wird, dass das Evangelium, dass Jesus aufhören werden, das Orientierungskriterium für euer Leben und eure missionarischen Entscheidungen zu sein. Ihr könnt nicht mit dem Geist der Welt leben und vorgeben, dem Herrn zu dienen. Richtet euer Leben an den Werten des Evangeliums aus. Aber instrumentalisiert das Evangelium niemals, als Ideologie, sondern nutzt es vielmehr als Vademecum, indem ihr euch in jedem Augenblick von den Optionen des Evangeliums und vom brennenden Wunsch leiten lasst, »Christus nachzufolgen und ihn nachzuahmen im Beten, im Arbeiten, im Leiden und im ständigen und ausschließlichen Einsatz für die Verherrlichung Gottes und das Heil der Menschen«. Das sind die Worte von P. Claret. Gründet euer Leben auf Christus, und der heilige Paulus, der es auf Christus gegründet hatte, konnte sagen: »Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir« (Gal 2,20).

Diese Orientierung wird euch in der Mission mutig sein lassen, jener missionarische Mut, wie auch die Mission von P. Claret und den ersten Missionaren, die sich ihm anschlossen, mutig war. Das geweihte Leben erfordert Mut; es braucht ältere Menschen, die der Alterung des Lebens widerstehen, und junge Menschen, die der Alterung der Seele widerstehen. Um es ein wenig im Alltagsjargon zu sagen: Richtet euch nicht gemütlich ein!

Diese Überzeugung wird euch veranlassen, hinauszugehen, euch auf den Weg zu machen und dorthin zu gehen, wo niemand hingehen will, dorthin, wo das Licht des Evangeliums nötig ist, und Seite an Seite mit den Menschen zu ar- beiten. Eure Mission darf keine Mission »aus der Ferne« sein, sondern sie muss Nähe, Verbundenheit sein. Vergesst nicht, was der Stil Gottes ist: Nähe, Mitleid und Zärtlichkeit. So hat Gott gehandelt, von dem Augenblick an, als er sein Volk erwählt hat, bis heute. Nähe, Mitleid und Zärtlichkeit. Bei der Mission dürft ihr euch nicht damit begnügen, aus dem Fenster zu schauen [»balconear«], das heißt neugierig aus der Ferne zu beobachten. Wir können die Realität aus dem Fenster betrachten oder uns für ihre Veränderung einsetzen. Man muss sich entscheiden. Nach demVorbildvonP.Claretdürftihrkeinebloßen Zuschauer der Realität sein. Beteiligt euch, um die Realität der Sünde, der ihr auf eurem Weg begegnet, zu verändern. Und Nähe, Mitleid und Zärtlichkeit. Seid nicht passiv angesichts der Tragödien, die viele unserer Zeitgenossen erleben, sondern »riskiert Kopf und Kragen« im Kampf für die Menschenwürde, setzt euch mit aller Kraft ein für die Achtung der Grundrechte der Menschen! Wie kann das gelingen? Lasst euch vom Wort Gottes und von den Zeichen der Zeit treffen, und richtet im Licht des Wortes und der Zeichen der Zeit einen neuen Blick auf eure eigene Ge- schichte. Das ist wichtig. Richtet einen neuen Blick auf euer Charisma und denkt daran, dass das geweihte Leben wie Wasser ist: Wenn es nicht fließt, wird es modrig. Durch das deuteronomische Gedenken an die Vergangenheit möge euch die Lebenskraft des Charismas neu erfüllen. Dies wird euer Leben zu einem Leben mit Prophezeiung machen, so dass es auch möglich wird, die Menschen wachzurütteln und ihnen Licht zu bringen.

Mögen das Wort Gottes und die Zeichen der Zeit uns aus großer Schläfrigkeit und Ängstlichkeit aufrütteln, die uns, wenn wir nicht aufpassen, daran hindern, den Anforderungen und Situationen der heutigen Zeit gewachsen zu sein, denn dafür ist ein mutiges, kühnes gottgeweihtes Leben notwendig, ein freies und zugleich befreiendes Ordensleben, gerade ausgehend von unserer Prekarität. Jemand könnte sagen: »Pater, das ist zu stoisch, zu streng.« Nicht wahr? Und dann erinnert das etwas an die Worte aus dem Traktat von P. Rodriguez über die Tugenden. Aber das ist es nicht. Und deshalb, damit ihr nicht in diese trockene Strenge fallt, verliert bitte nicht den Sinn für Humor. Versteht es, in der Gemeinschaft zu lachen. Versteht es, witzige Bemerkungen zu machen und über die witzigen Begebenheiten zu lachen, von denen die anderen erzählen. Verliert nicht den Sinn für Humor, denn Humor ist eine Gnade der Freude und Freude ist eine Dimension der Heiligkeit.

Ich hoffe, liebe Brüder, dass dieses Generalkapitel, das abzuschließen ihr im Begriff seid, und zu dem ihr den General zum zweiten Mal »verdonnert« habt, euch helfen möge, euch auf das Wesentliche zu konzentrieren: Jesus – und eure Sicherheit auf ihn allein zu setzen, und nur auf ihn allein, der das ganze Gut, das höchste Gut, die wahre Sicherheit ist. Ich glaube, dass dies eine der besten Früchte der Pandemie sein könnte, die viele unserer falschen Sicherheiten infrage gestellt hat. Ich hoffe auch, dass das Kapitel euch dazu geführt hat, euch auf die wesentlichen Aspekte zu konzentrieren, die heute das geweihte Leben kennzeichnen: die Weihe, die die Beziehung zu Gott stärkt; das brüderliche Leben in Gemeinschaft, das einer authentischen Beziehung zu den Brüdern den Vorrang einräumt; und die Mission, die euch veranlassen soll hinauszugehen, euch zu »dezentrieren«, um auf die anderen zuzugehen, insbesondere die Armen, um sie zu Jesus zu führen.

Ich möchte nicht schließen, ohne euch für die Arbeit eures Apostolats zu danken und für die ganze Reflexion über das geweihte Leben, die ihr in den letzten Jahren durchgeführt habt. Macht weiter, und möge euch der Heilige Geist bei dieser edlen Aufgabe leiten.

Von Herzen erteile ich euch allen und allen Brüdern und Mitgliedern der claretinischen Familie meinen Segen. Und bitte, ich bitte euch ernsthaft, vergesst nicht, für mich zu beten. Denn wenn ich nicht um Gebet bettle, bin ich erledigt. Danke.

 



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