A SUA IMMAGINE
RAIUNO
"Hoffnung unter Beschuss"
PAPST FRANZISKUS IM GESPRÄCH MIT LORENA BIANCHETTI
(Karfreitagsspezial)
Lorena Bianchetti:
Heiliger Vater, zunächst einmal möchte ich Ihnen danken, denn ich bin hier im Namen all jener Menschen, die in diesem Moment komplexe Gemütszustände erleben: Verwirrung, Angst, Furcht und Leid. Ich beginne mit einer Uhrzeit: drei Uhr, drei Uhr nachmittags. Jesus stirbt am Kreuz, und er stirbt als Unschuldiger. Es gibt so viele unschuldige Menschen, die den Krieg nicht wollen, ihn aber erleiden müssen. In diesen Tagen sieht man Bilder von leblosen Körpern auf den Straßen, ja, man spricht sogar von mobilen Krematorien, aber auch von Vergewaltigung, Verwüstung, Barbarei.
Was passiert der Menschheit da gerade, Heiliger Vater?
Heiliger Vater:
Nichts Neues. Ein Schriftsteller hat einmal gesagt: „Die Agonie Jesu Christi dauert bis zum Ende der Welt“, er leidet in seinen Kindern, seinen Brüdern und Schwestern, besonders in den Armen und Ausgegrenzten, in den armen Menschen, die sich nicht wehren können. Im Moment werden wir in Europa hart von diesem Krieg getroffen. Aber wir müssen den Blick nur etwas weiter in die Ferne schweifen lassen: Die Welt ist im Krieg! Syrien, Jemen - und denken wir an die Rohingya, die vertrieben wurden, keine Heimat haben. Überall ist Krieg. Der Völkermord in Ruanda vor 25 Jahren. Denn auch wenn es noch so schwerfällt, das zu sagen: die Welt hat sich für das Schema Kains entschieden – und Krieg bedeutet, dass man den Kainismus in die Tat umsetzt, also seine eigenen Geschwister tötet.
Lorena Bianchetti:
Und gerade weil es das Gute und das Böse gibt, haben Sie schon oft vor der Art und Weise gewarnt, wie das Böse agiert. Sie haben uns gesagt, dass sich der Teufel freundlich gibt, uns schmeichelt - in Wahrheit aber will er nur, dass wir versagen: Es gibt keinen Dialog mit dem Teufel. Und deshalb frage ich Sie, gerade im Lichte dessen, was Sie gesagt haben: wie können wir Formen der Vermittlung, Formen des Dialogs mit jenen finden, denen es nur darum geht, andere zu unterdrücken?
Heiliger Vater:
Wenn ich sage, dass es keinen Dialog mit dem Teufel gibt, dann deshalb, weil der Teufel das Böse ist, an ihm ist nichts Gutes! Er ist das absolut Böse, derjenige, der sich gegen Gott aufgelehnt hat! Aber mit Menschen, die krank sind, die diese Krankheit des Hasses in sich tragen, redet man, man spricht mit ihnen – und Jesus hat mit vielen Sündern gesprochen, sogar mit Judas, den er bis zum letzten Moment „Freund“ nennt. Und man tut das immer mit Zärtlichkeit, mit diesem Geist des Herrn, der in uns alle etwas Gutes gesät hat. Wenn ich also jemanden vor mir habe, dann muss ich darüber nachdenken, was ich über diese Person sage: die schlechte Seite oder die verborgene, die gute Seite. Wir alle haben etwas Gutes: jeder von uns, gerade, weil wir das Siegel Gottes tragen. Wir dürfen niemanden aufgeben, von niemandem meinen, sein Leben sei endgültig dem Bösen geweiht, und sagen: „Das ist ein Verurteilter“. Das erinnert mich an die Frau, die zum Pfarrer von Ars ging, um zu beichten, weil ihr Mann von der Brücke gesprungen war. Der Pfarrer hört ihr zu, sie weint: „Am meisten grämt mich, dass er in der Hölle ist“. „Stopp!“, sagt der Pfarrer da zu ihr: „Zwischen der Brücke und dem Fluss liegt die Gnade Gottes“. Gott versucht immer, uns zu retten, bis zum Ende, weil er den Samen des Guten in uns gelegt hat. Er hat das Gute auch in Kain gesät, in Abel und Kain, aber Kain hat eine Gewalttat begangen, und mit solchen Taten werden Kriege geführt.
Lorena Bianchetti: Wird Ihrer Meinung nach aus kultureller Sicht – und damit meine ich auf kirchlicher, nicht nur auf kultureller Ebene –, genug getan, um die Menschen davor zu warnen, der Versuchung zu erliegen und die Hölle schon auf Erden im Herzen zu tragen? Ich sage das, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der das Diabolische manchmal deutlich faszinierender und reizvoller zu sein scheint als das Gute, das Ehrliche, das Freundliche, ja sogar das Geistige, das als langweilig empfunden, als langweilig verkauft wird.
Heiliger Vater: Ja, das stimmt: Das Böse ist verführerischer. Und um auf den Teufel zurückzukommen: Manche sagen, dass ich zu viel über den Teufel rede. Aber das ist eine Realität. Ich glaube daran, ja! Einige sagen: „Nein, das ist ein Mythos“. Ich halte nichts vom Mythos, ich halte mich an die Realität, ich glaube daran. Aber der Teufel ist ein Verführer. Und die Verführung versucht immer, einen Weg zu finden, sich bei uns einzuschleichen, uns etwas zu versprechen. Wenn Sünden hässlich wären, wenn sie nicht etwas Schönes hätten, würde niemand sündigen. Der Teufel zeigt dir in der Sünde etwas Schönes, und er verführt dich zur Sünde. Zum Beispiel jene, die Krieg führen; jene, die das Leben anderer zerstören; die Menschen bei der Arbeit ausbeuten. Vor Kurzem habe ich von einer Familie gehört, die erzählt hat, wie sich der Vater - jung verheiratet - als Hilfsarbeiter verdingen musste: er ging frühmorgens aus dem Haus und kam spätabends zurück, und das alles für wenig Geld, ausgebeutet von einem milliardenschweren Unternehmen. Auch das ist Krieg. Auch das zerstört, nicht nur Panzer, auch das ist Zerstörung. Der Teufel versucht immer, uns zu vernichten. Warum? Weil wir das Ebenbild Gottes sind. Aber kommen wir wieder zum Anfang zurück: drei Uhr nachmittags. Jesus stirbt, er stirbt allein. Er erlebt die tiefste Einsamkeit, sogar von Gott verlassen: „Warum hast du mich verlassen?“. Es ist die vollkommenste Einsamkeit, denn er wollte hinabsteigen in die Tiefen der hässlichsten aller menschlichen Einsamkeiten, um uns von dort wieder hinaufzuziehen. Er kehrt zum Vater zurück, zuerst aber ist er hinabgestiegen, er ist in jedem Menschen, der ausgebeutet wird, der unter Krieg und Zerstörung leidet, Opfer von Menschenhandel wird. Wie viele Frauen sind Sklaven des Menschenhandels, hier in Rom und in den Großstädten! Das ist das Werk des Bösen. Es ist ein Krieg.
Lorena Bianchetti: Oder wie es Dostojewski in den „Brüdern Karamasow“ beschreibt: „Hier ringen Gott und der Teufel, und der Kampfplatz ist das Herz des Menschen“. Das ist der Ort, wo das Spiel gespielt wird.
Heiliger Vater: Das ist der Ort, wo das Spiel gespielt wird. Und deshalb brauchen wir diese Sanftmut, diese Demut, die uns zu Gott sagen lässt: „Ich bin ein Sünder, du aber rette mich, hilf mir!“. Jeder von uns trägt nämlich diese Möglichkeit in sich, das zu tun, was diese Menschen tun, die andere zerstören und ausbeuten. Weil die Sünde eine Möglichkeit unserer Schwäche, unseres Hochmuts sein kann.
Lorena Bianchetti: Sie haben vorhin erwähnt, was Jesus am Kreuz ausgerufen hat: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“: Worte, in denen Einsamkeit mitklingt, aber auch Mutlosigkeit, Angst und Verzweiflung: ein Gemütszustand, den wir alle kennen, den wir durchmachen, wenn wir nicht wissen, was die Lösung für einen Schmerz, aber auch für ein Gefühl der Schuld sein kann. Zum Thema Verzweiflung, Heiliger Vater, kommt mir ein Bild dieses Krieges in den Sinn – und ich sage das als Mutter –: ein Vater, seinen kleinen Sohn in den Armen, der von einem Bombensplitter getroffen wurde. Er und seine Frau rennen verzweifelt zum nächsten Krankenhaus. Wir haben dann später erfahren, dass dieses Kind leider nicht überlebt hat. Ich kann mir keine größere Verzweiflung vorstellen als die von Eltern, die auf diese Weise ein Kind verlieren. Was möchten Sie ihnen sagen? Was möchten Sie den Eltern sagen, die diese erschütternde Erfahrung gemacht haben?
Heiliger Vater: Wissen Sie, das Leben ist ein Lernprozess. Ich musste viele Dinge lernen, und ich muss noch immer lernen, weil ich davon ausgehe, dass ich noch ein bisschen länger leben werde. Aber ich muss lernen. Und ich habe unter anderem gelernt, dass man nichts sagen sollte, wenn jemand leidet. Sei es ein kranker Mensch, sei es eine Tragödie. Ich nehme sie schweigend an der Hand. Aber wenn sie zu dir kommen und sagen: „Nein, aber dieses und jenes, aber der Herr...“. Seid still! Seid still. Im Angesicht des Schmerzes: Schweigen. Und Weinen. Es stimmt, dass das Weinen eine Gabe Gottes ist, eine Gabe, um die wir bitten müssen: die Gnade zu weinen, angesichts unserer Schwächen, angesichts der Schwächen und Tragödien dieser Welt. Aber keine Worte. Sie haben Dostojewski zitiert. Und da fällt mir dieses kleine Buch ein, das wie eine Zusammenfassung seiner ganzen Philosophie, seiner Theologie – von allem – ist: Aufzeichnungen aus dem Kellerloch. Und da ist es so, dass wenn jemand stirbt – Sträflinge, Gefangene, die im Krankenhaus sind –, wenn jemand dort stirbt, dann kommen sie und nehmen ihn mit. Und der im anderen Bett sagt: „Bitte, hör auf! Auch er hat eine Mutter gehabt“. Die Figur der Frau, die Figur der Mutter, vor dem Kreuz. Das ist eine Botschaft, eine Botschaft Jesu für uns, die Botschaft seiner Zärtlichkeit in der Mutter. Im schlimmsten Moment seines Lebens hat Jesus für niemanden ein böses Wort gefunden.
Lorena Bianchetti: Da Sie die Frauen erwähnen: Heiliger Vater, die Frauen waren unter dem Kreuz, unter dem Kreuz Jesu. Ich möchte Ihnen ein weiteres Bild vorschlagen. Nochmals zurück zur Ukraine: Eine schwangere Frau, die auf einer Bahre transportiert wird, weil sie im Krieg verwundet wurde: sie wird inmitten der Trümmer transportiert und versucht, mit der letzten ihr verbliebenen Kraft ihren Schoß zu streicheln. Nach allem, was wir erfahren haben, haben es auch diese Frau und ihr Kind nicht geschafft. Aber das lässt mich an die Frauen denken, die Stärke der Frauen. Ich denke an russische Mütter, ich denke an ukrainische Mütter. Deshalb frage ich Sie nach der Rolle der Frauen: Wie wichtig ist eine aktive Rolle der Frauen am Verhandlungstisch, um tatsächlich Frieden zu schaffen?
Heiliger Vater: Ein Sprichwort sagt: „Frauen sind in der Lage, auch einem Toten Leben einzuhauchen“. Die Frauen sind da, wenn der Tod am unerbittlichsten zuschlägt, sie sind da, sie sind stark. Das ist interessant. Jesus ist der Bräutigam der Kirche, und die Kirche ist Frau, deshalb ist Mutter Kirche so stark. Ich spreche nicht vom Klerikalismus, von den Sünden der Kirche. Nein, Mutter Kirche meint jene, die am Fuße des Kreuzes steht und uns Sünder stützt: Etwas, das mich so sehr beeindruckt, dass ich an Maria und die anderen Frauen am Fuß des Kreuzes denke. Es ist manchmal vorgekommen, dass ich zu einer Pfarrei in einer Gegend namens Villa Devoto, in Buenos Aires, fahren musste, und dazu habe ich immer den Bus genommen, die 86. Diese Straße führt direkt am Gefängnis vorbei, und wenn ich dort vorbeikam, standen dort oft die Mütter der Gefangenen Schlange. Sie haben sich damit Spott und Kritik ausgesetzt, denn jeder, der vorbeikam, sagte: „Das da ist die Mutter von einem, der im Gefängnis sitzt“. Sie haben die peinlichsten Kontrollen über sich ergehen lassen, nur um ihren Sohn zu sehen. Das ist die Stärke einer Frau, einer Mutter, die in der Lage ist, ihre Kinder bis zum Ende zu begleiten. Und das sieht man bei Maria und den Frauen am Fuß des Kreuzes. Sie begleitet den Sohn, obwohl sie weiß, dass viele sagen: „Wie hat die da ihren Sohn erzogen, dass er so geworden ist?“. Da wird sofort getrascht. Aber den Frauen ist das egal: Wenn es um ein Kind geht, wenn es um das Leben geht, dann lassen sich die Frauen nicht beirren. Deshalb ist das, was Sie sagen - den Frauen in schwierigen Momenten, in Momenten der Tragödie, eine Rolle zu geben -, auch so wichtig. Frauen wissen, was das Leben ist, was die Vorbereitung auf das Leben ist, und was der Tod ist, sie wissen es genau. Sie sprechen diese Sprache.
Lorena Bianchetti: Und es gibt – wo wir ja über die vielen Todesfälle sprechen, die durch den Krieg verursacht werden – es gibt Tode, die stiller sind, aber nicht weniger blutig. Ich denke an die, die von der Mafia getötet wurden, und ich denke an die Frauen, die von ihren Partnern getötet wurden. Es ist wahr, dass die Letzten im Himmel die Ersten sein werden, aber wie können diese Menschen und jene, die ihre Lieben verlieren, an Gerechtigkeit glauben, an einen Lohn schon auf dieser Erde?
Heiliger Vater: Die Ausbeutung von Frauen ist unser tägliches Brot. Gewalt gegen Frauen ist unser tägliches Brot. Frauen, die geschlagen werden, die durch die Hand ihrer Partner Gewalt erleiden und das alles schweigend ertragen oder gehen, ohne zu sagen, warum sie gegangen sind. Wir Männer werden immer Recht haben: Wir sind die Perfekten. Und die Frauen sind dazu verdammt, für die Gesellschaft zu schweigen. „Nein, aber die da ist verrückt, sie ist eine Sünderin!“. Das hat man früher auch über Maria Magdalena gesagt: „Seht, was sie getan hat, sie ist eine Sünderin!“. „Und bist du kein Sünder? Liegst du da nicht falsch?“. Aber die Frauen sind die Reserve der Menschheit, davon bin ich überzeugt. Frauen sind die Stärke. Und dort, am Fuße des Kreuzes, sind die Jünger geflohen, nicht aber die Frauen, die Jesus sein Leben lang gefolgt sind. Und auf dem Weg nach Golgatha bleibt Jesus vor einer Gruppe weinender Frauen stehen. Sie haben die Fähigkeit zu weinen, wir Männer sind hässlicher. Und er hält inne, und er sagt: „Weint über eure Kinder“, weil man ihnen soviel antun wird.
Lorena Bianchetti: In dieser Zeit, Heiliger Vater, denke ich auch an Flucht: Es gibt diese Bilder, die von der Flucht der Ukrainer erzählen: Menschen, die gezwungen sind, ihr Land, ihre Heimat, die Menschen, die ihnen lieb sind, zu verlassen. Es ist einer der letzten Exodusse, an die wir uns wahrscheinlich inzwischen gewöhnt haben. In diesem Fall hat es aber eine konkrete, eine echte Reaktion gegeben. Eine Antwort, die Ihrer Meinung nach die Mauern der Gleichgültigkeit und der Vorurteile gegenüber jenen eingerissen hat, die aus anderen Teilen der Welt vor Kriegen fliehen? Oder glauben Sie, dass Flüchtlinge auch weiter in die Kategorie „lästig“ fallen?
Heiliger Vater: Das ist wahr. Flüchtlinge werden in Kategorien eingeteilt. Erste Klasse, zweite Klasse, Hautfarbe, ob sie aus einem entwickelten Land oder aus einem nicht entwickelten Land kommen. Wir sind Rassisten, wir sind Rassisten. Und das ist schlecht. Das Problem der Flüchtlinge ist eines, unter dem auch Jesus gelitten hat, denn er war als Kind ein Migrant und Flüchtling in Ägypten, um dem Tod zu entgehen. Wie viele dieser Menschen leiden, um dem Tod zu entgehen! Es gibt ein Bild von der Flucht nach Ägypten, das ein piemontesischer Maler gemalt hat. Er hat mir ein paar Bilder geschickt, und ich habe Kärtchen daraus machen lassen: Da ist Josef mit dem Kind auf der Flucht. Aber es ist nicht der heilige Josef mit Bart, nein. Es ist ein Syrer, von heute, mit dem Kind, auf der Flucht vor dem heutigen Krieg. Und diese Menschen, die gezwungen sind zu fliehen wie Jesus, haben das Gesicht der Angst. Und Jesus hat all diese Dinge durchgemacht, aber er ist da. Am Kreuz sind die Menschen aus den Ländern Afrikas im Krieg, des Nahen Ostens im Krieg, Lateinamerikas im Krieg und Asiens im Krieg. Vor einigen Jahren habe ich gesagt, dass wir den dritten Weltkrieg in kleinen Stücken erleben. Aber wir haben nichts dazugelernt. Ich bin ein Diener des Herrn und ein Sünder, der vom Herrn erwählt worden ist - aber ich bin ein solcher Sünder, dass ich, als ich 2014 zur Hundertjahrfeier nach Redipuglia fuhr, sah und weinte. Ich konnte nicht anders, als zu weinen. Diese vielen jungen Menschen. Ich habe auch einmal den Friedhof von Anzio besucht, und diese jungen Leute dort gesehen, die in Anzio gelandet waren. Alles junge Leute, fast noch Kinder! Und ich habe auch dort wieder geweint. Wenn ich das sehe, muss ich weinen. Vor zwei Jahren, am Jahrestag der Landung in der Normandie, habe ich die Regierungschefs bei einem Treffen gesehen... sie haben dieses Ereignisses gedacht. Aber warum gedenken wir nicht alle der 30.000 Soldaten, die am Strand der Normandie gefallen sind? Der Krieg wächst mit dem Leben unserer Kinder, unserer jungen Menschen. Deshalb sage ich, dass der Krieg eine Ungeheuerlichkeit ist! Lasst uns zu diesen Friedhöfen gehen, die das Leben dieser Erinnerung sind. Denken wir an die Szene, die wir nachlesen können: Boote legen in der Normandie an, sie springen mit ihren Gewehren an Land, die jungen Burschen, die Deutschen... (Der Heilige Vater mimt die Geste des Schießens). 30.000, dort am Strand.
Lorena Bianchetti: Und damit komme ich zum Wettrüsten, ein Thema, das Sie schon oft angesprochen haben und das vielleicht nicht immer die gebührende Beachtung gefunden hat. Sie haben nämlich gesagt, dass in letzter Zeit mehr in Waffen als in Bildung und Ausbildung investiert wurde. Warum haben die Menschen nicht aus der Vergangenheit gelernt, warum setzen sie weiter Waffen ein, um ihre Probleme zu lösen?
Heiliger Vater: Ich verstehe die Regierenden, die Waffen kaufen, ich verstehe sie. Ich rechtfertige sie nicht, aber ich verstehe sie. Weil wir uns verteidigen müssen, weil das das Kain-Schema des Krieges ist. Wenn es sich um ein Schema des Friedens handeln würde, wäre das nicht notwendig. Aber wir leben nach diesem teuflischen Schema, das besagt, dass wir uns gegenseitig töten sollen - um der Macht willen, um der Sicherheit willen und um vieler Dinge willen. Aber ich denke an die verborgenen Kriege, die niemand sieht, die sich weit weg von uns abspielen. Es sind viele. Warum? Um andere auszubeuten? Wir haben die Sprache des Friedens vergessen: Wir haben sie vergessen. Wir sprechen über den Frieden. Die Vereinten Nationen haben alles getan, aber ohne Erfolg. Ich kehre zum Kalvarienberg zurück. Dort hat Jesus alles getan. Er versuchte mit Mitleid, mit Wohlwollen, die Machthaber zu überzeugen - und stattdessen, nein: Krieg, Krieg, Krieg gegen ihn! Der Sanftmut setzen sie den Krieg für die Sicherheit entgegen. „Es ist besser, wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt“, sagt der Hohepriester, denn die Römer werden kommen. Und der Krieg.
Lorena Bianchetti: Lassen Sie mich auf das zurückkommen, was Sie eben gesagt haben. Wir haben über die Frauen unter dem Kreuz gesprochen. Aber was ist mit den Männern, die Macht haben? Damals gab es Pilatus, Herodes und Kaiphas. Alles Menschen, die einen Unschuldigen hätten retten können, es aber nicht getan haben: Sie zogen es vor, sich nicht dem Risiko der Wahrheit zu stellen. Diese Menschen sind tot, aber ihre Art zu handeln, ist auch heute noch relevant. Warum hat man nicht den Mut, sich für das Gute zu entscheiden und auch den Mann zu verteidigen, der einfach nur darum gebeten hatte, dass die Menschen einander lieben?
Heiliger Vater: Es gibt eine Frau im Evangelium, über die nicht viel gesagt wird – sie wird sozusagen nur en passant erwähnt: die Frau des Pilatus. Sie hat etwas verstanden. Sie sagt zu ihrem Mann: „Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten“. Aber Pilatus hört nicht auf sie, „Frauenangelegenheiten“. Aber diese Frau, die unerwartet und ohne Zwang im Evangelium auftaucht, hat das Drama aus der Ferne erkannt. Warum? Vielleicht war sie eine Mutter, sie hatte dieses weibliche Gespür. „Pass auf, dass sie dich nicht täuschen“. Wer? Die Macht. Die Macht, die in der Lage ist, die Meinung der Menschen von Sonntag auf Freitag zu ändern. Das Hosanna des Sonntags wird zum „Ans Kreuz mit ihm!“ des Freitags. Und das ist unser tägliches Brot. Wir brauchen Frauen, die Alarm schlagen.
Lorena Bianchetti: Heiliger Vater: Jesus am Kreuz, nach diesem Satz „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“. Wir haben über Verzweiflung, Niedergeschlagenheit und auch Einsamkeit gesprochen: der Karfreitag ist so etwas wie der Tag der Einsamkeit. Und die Einsamkeit lässt mich unweigerlich an das denken, was jeder von uns in der akuten Phase der Pandemie empfunden hat. Ich denke an alte Menschen, ich denke an junge Menschen, ich denke an Menschen, die die Tortur einer Krankheit durchmachen, an Menschen, die am Beatmungsgerät hängen. Und ich denke auch an Sie, Heiliger Vater, an diesem 27. März 2020. Was haben Sie in diesem Moment gedacht, als Sie, auf dem Weg zum Platz vor dem Petersdom, unter strömendem Regen den menschenleeren Petersplatz überquert haben?
Heiliger Vater: Ich weiß nicht, ob ich etwas gedacht habe. Ich habe das Drama dieses Moments gespürt, das Drama so vieler Menschen. Aber Sie haben die Einsamkeit, das Leid der alten Menschen in dieser Zeit erwähnt. Es ist schon komisch: die alten Menschen sind immer die, die den Preis zahlen. Und auch die jungen Menschen, denn wir nehmen den jungen Menschen die Hoffnung. Wir bringen sie dazu, den Weg der Turandot einzuschlagen: „Die Hoffnung, die immer enttäuscht“. Nein, die Hoffnung wird nicht enttäuscht! Aber es sind die jungen und die älteren Menschen, die in ihren Händen und in ihren Herzen die Möglichkeit tragen, zu reagieren: Deshalb bestehe ich ja auch so sehr darauf, dass Jung und Alt einen Dialog führen. Die Weisheit der Alten, aber mit der Einsamkeit, die sie erlitten haben. Die Weisheit der älteren Menschen wird oft vernachlässigt, in einem Altersheim beiseite geschoben. In Buenos Aires bin ich gerne in die Altenheime gegangen, es gab so viele in dieser großen Stadt. Ich habe eine Frau gefragt: „Wie geht es Ihnen? Wie viele Kinder? Ah, vier? Und sie kommen Sie alle besuchen?“ „Ja, sie lassen mich gar nicht in Ruhe!“. Die Krankenschwester hörte zu und hat mir am Ausgang gesagt: „Pater, seit sechs Monaten ist niemand mehr gekommen“. Die Vernachlässigung der älteren Menschen und die Vernachlässigung der Weisheit, denn wir sind manchmal Übermenschen, wir wissen alles. Wir wissen nichts! Die Einsamkeit der Älteren und der Nutzen der Jungen, denn die Jungen werden ohne die Weisheit eines Volkes auf Abwege geraten. All das trug Jesus in diesem Moment in seinem Herzen: Wir waren alle dabei. Sie haben an die Statio Orbis im März vor zwei Jahren erinnert, und Sie haben all das gespürt. Aber ich wusste nicht, dass der Platz leer sein würde, ich wusste es nicht. Ich kam dort an, und es war niemand da. Ja, ich wusste, dass wegen des Regens nur wenige Leute da sein würden, aber da war niemand. Es war eine Botschaft des Herrn, die Einsamkeit gut zu verstehen. Die Einsamkeit der älteren Menschen, die Einsamkeit der jungen Menschen, die wir allein lassen. „Lasst sie frei sein“. Nein! Allein werden sie Sklaven sein. Begleitet sie! Deshalb ist es wichtig, dass sie das Erbe der Älteren annehmen. Die Einsamkeit der Jungen, die Einsamkeit der Alten. Die Einsamkeit von kranken Menschen in Pflegeheimen. Die Einsamkeit von Menschen, die eine persönliche, familiäre Tragödie durchleben. Die Einsamkeit einer Frau, die von ihrem Mann geschlagen wird, die aber schweigt, um ihre Familie zu retten. Wir haben selbst viele Einsamkeiten. Auch Sie haben die Ihren. Ich habe die meinen, Sie haben Ihre, ganz bestimmt. Kleine Einsamkeiten, aber gerade dort, in diesen kleinen Einsamkeiten, können wir die Einsamkeit Jesu, die Einsamkeit des Kreuzes, verstehen.
Lorena Bianchetti: Haben Sie sich in Ihrem Dienst schon einmal allein gefühlt?
Heiliger Vater: Nein, Gott hat es gut mit mir gemeint. Ich weiß nicht: Immer, wenn es etwas Schlimmes gibt, stellt er mir jemanden zur Seite, der mir hilft! Er lässt mich seine Gegenwart spüren. Er ist sehr großzügig gewesen. Vielleicht, weil er weiß, dass ich es alleine nicht schaffe! (lacht)
Lorena Bianchetti: Aber Sie wissen, dass Sie uns am 27. März – und ich glaube, hier spreche ich wirklich für alle – ihre Umarmung spüren ließen; Sie haben uns an diesem Tag so viel Kraft gegeben! Von diesem Moment an wurde sich jeder von uns bewusst, was passiert ist - und ich glaube, wir haben in gewisser Weise neu angefangen. Eine weitere Frage: wie wir bereits gesagt haben, wurde Jesus gegeißelt, verhöhnt, mit Dornen gekrönt und gekreuzigt. Und all das hatte er irgendwie seiner „Familie“ zu verdanken, denn er wurde ja von Judas verraten und von Petrus verleugnet. Kurzum, die tödlichen Schläge kamen von denen, die ihm am nächsten standen. Was sind die Wunden, die die Kirche dem Gekreuzigten noch heute zufügt?
Heiliger Vater: Das sage ich ganz deutlich, denn davon bin ich überzeugt: Das schwerste Kreuz, das die Kirche dem Herrn heute auferlegt, ist die Weltlichkeit, der Geist der Weltlichkeit. Der Geist der Weltlichkeit, der ein bisschen wie der Geist der Macht ist, aber nicht nur der Macht, und der bedeutet, dass man in einem weltlichen Stil lebt, der - seltsamerweise - vom Geld genährt wird und mit dem Geld wächst. Es gibt da eine interessante Sache: bei seinen drei Versuchungen macht der Teufel Jesus weltliche Vorschläge. Den ersten, den Hunger, versteht man: Er ist menschlich - aber was dann? Macht, Eitelkeit: weltliche Dinge. Die Weltlichkeit ist verlockend, und wenn die Kirche in die Weltlichkeit, in den weltlichen Geist verfällt, ist die Kirche besiegt. Der Geist der Weltlichkeit ist das, was heute am meisten schmerzt, aber das war schon immer so. Wenn Jesus uns sagt: "Bitte entscheide dich klar: Du kannst nicht zwei Herren dienen. Entweder man dient Gott - und ich habe darauf gewartet, dass er sagt "oder man dient dem Teufel" - aber das sagt er nicht. "Entweder du dienst Gott oder du dienst dem Geld". Es ist in Ordnung, Geld dafür zu verwenden, Gutes zu tun und durch Arbeit für den Unterhalt der Familie zu sorgen. Dienen! Die Weltlichkeit, darüber gäbe es viel zu sagen.
Lorena Bianchetti: Ich habe gelesen, dass Leo XIII. am Ende der Messe ein Gebet gegen den Teufel einführen ließ, weil er meinte, es bestehe die Gefahr, dass der Teufel durch die Ritzen der Türen in die Kirche eindringen könne. Ist das Ihrer Meinung nach also der Riss, durch den der Teufel heute in die Kirche eindringen konnte?
Heiliger Vater: Die Weltlichkeit, aber das war schon immer der Fall. Die Weltlichkeit ändert in jeder Epoche ihren Namen, aber sie ist immer weltlich. Ich bete dieses Gebet zum heiligen Erzengel Michael jeden Morgen. Jeden Tag! Damit es mir hilft, den Teufel zu besiegen. Jemand, der mich hört, könnte sagen: "Aber Heiliger Vater, Sie haben studiert, Sie sind Papst und glauben immer noch an den Teufel?". Ja, das tue ich, mein Lieber, das tue ich. Ich habe Angst vor ihm, deshalb muss ich mich ja auch so sehr verteidigen. Der Teufel, der alles getan hat, damit Jesus am Kreuz endet. Die Macht der Finsternis über Jesus: "Dies ist eure Stunde", die Macht der Finsternis.
Lorena Bianchetti: Und damit, Heiliger Vater, komme ich auf den Krieg in der Ukraine zurück. Denn Kiew - wir sehen es, wir bekommen die Bilder - ist völlig zerstört. Asche. Vielleicht genau die Landschaft, die dem Teufel so gefällt. Ich frage Sie also: Kiew ist längst mehr als nur ein geografischer Ort, es stellt in den Augen der Welt viel mehr dar. Wie sehen Sie das in Ihrem Herzen?
Heiliger Vater: Mit Schmerz. Der Schmerz ist eine Gewissheit, er ist ein Gefühl, das alles beherrscht. Wenn Sie nach einer Operation körperliche Schmerzen spüren, die Wunde, die man Ihnen zugefügt hat, bitten Sie um Anästhesie, um etwas, das Ihnen hilft, den Schmerz zu ertragen. Aber für menschlichen Schmerz, für moralischen Schmerz, gibt es keine Betäubung. Nur Gebet und Weinen. Ich bin überzeugt davon, dass wir heute nicht mehr gut weinen können. Wir haben vergessen, wie man weint. Wenn ich mir selbst und anderen einen Rat geben kann, dann den, um das Geschenk der Tränen zu bitten. Und weinen, wie Petrus weinte, nachdem er Jesus verraten hatte. Er weinte, als er weglief, als er ihn verleugnete. Er weinte. Und es ist ein Weinen, das kein Ventil ist, nein. Es ist die Scham, die körperlich zum Ausdruck kommt, und ich glaube, dass es uns an Scham mangelt. Wir sind so oft ohne Scham - ein Schimpfwort, das in meinem Heimatland verwendet wird, besagt: "Das ist einer, der keine Scham kennt" . Die Gnade, zu weinen. Es gibt ein schönes Gebet, es gibt eine Messe, in der um das Geschenk der Tränen gebeten wird. Ein wunderschönes Gebet in dieser Messe lautet: "Herr, der du aus dem Felsen Wasser hast fließen lassen, lass auch Tränen aus dem Felsen meines Herzens fließen". Das harte Herz, das Herz, das sich nicht rühren lässt, weiß nicht, wie man weint. Ich frage mich: Wie viele Menschen haben angesichts der Bilder von Kriegen, egal welchen, weinen können? Einige haben es getan, da bin ich mir sicher, aber viele haben es nicht getan. Sie beginnen sich zu rechtfertigen oder zum Angriff überzugehen. Nein, das (der Heilige Vater zeigt auf das Herz): das muss man heilen. Und Jesus berührt hier. Heute, am Karfreitag, vor dem gekreuzigten Jesus, lasst ihn euer Herz berühren, lasst ihn mit seinem Schweigen und mit seinem Schmerz zu euch sprechen, von den Menschen, die in der Welt leiden: unter Hunger, unter Krieg, unter so viel Ausbeutung und all diesen Dingen. Lasst Jesus zu euch sprechen, und sagt selber nichts. Schweigt. Lasst ihn sprechen und bittet um die Gnade, zu weinen.
Lorena Bianchetti: Wie viel können die Religionen tun, um diese Verödung der Herzen zu beseitigen. Was möchten Sie den orthodoxen Bischöfen sagen?
Heiliger Vater: Ja, auch sie bereiten sich mit uns auf Ostern vor, allerdings eine Woche später, denn sie folgen – wie auch die Katholiken des Ostens - dem Julianischen Kalender, nicht dem Gregorianischen. Ich nutze diese Gelegenheit, um allen meinen orthodoxen Brüdern, die dieses Osterfest mit dem gleichen Schmerz erleben wie wir - wie ich und viele Katholiken -, eine Botschaft der Geschwisterlichkeit zu übermitteln. Es ist nicht leicht, Bischof zu sein... und Gott sei Dank ist es nicht leicht! Deshalb verstehe ich die nicht, die Bischöfe werden wollen! Sie wissen nicht, was sie erwartet! Aber ich nutze die Gelegenheit, um alle orthodoxen Bischöfe als Brüder im Glauben zu grüßen.
Lorena Bianchetti: Jesus hat am Kreuz auch gesagt: "Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun". Vergebung. Sie haben gesagt, die andere Wange hinzuhalten, bedeutet nicht, stillschweigend zu leiden und Ungerechtigkeiten hinzunehmen. Sie haben uns daran erinnert, dass auch Jesus Ungerechtigkeit anprangert, und Sie haben präzisiert, dass er dies ohne Zorn oder Gewalt, sondern mit Zärtlichkeit tut. Heiliger Vater, wie können wir gütig sein, wie können wir all den Menschen vergeben, die uns verletzen - den Menschen, die Unschuldige töten, den Menschen, die anderen nicht nur physische, sondern auch psychische Wunden zufügen?
Heiliger Vater: Ich gebe Ihnen mein Rezept: Wenn ich das Böse nicht getan habe, dann deshalb, weil er mich mit seiner Hand, mit seiner Barmherzigkeit, daran gehindert hat. Da bin ich mir sicher, denn sonst hätte ich viele Dinge wie diese getan, viel Böses. Ich kann sagen, dass ich darin ein Zeuge der Barmherzigkeit Gottes bin. Und deshalb kann ich auch niemanden verurteilen, der kommt und um Vergebung bittet. Ich muss immer verzeihen. Jeder von uns kann das von sich selbst sagen, wenn er Gewissenserforschung betreibt. Es stimmt, dass es mir vielleicht nicht gelingt zu sagen: "Komm her und gib mir einen Kuss". Nein, vielleicht werde ich wütend sein! Aber ich sage: "Herr, nimm mir meinen Zorn, ich vergebe, aber ich empfinde das Gefühl der Vergebung nicht. Ich vergebe. Und du sorg` dafür, diese Vergebung zu bringen...".
Lorena Bianchetti: Die Vergebung hat eine rein göttliche Wurzel.
Heiliger Vater: Ja, das ist es, was Vergebung ist.
Lorena Bianchetti: Ich denke auch an die Einsamkeit, um auf Jesus am Kreuz zurückzukommen, ich denke an all die Menschen, die, auch durch Corona, ihren Arbeitsplatz verloren haben. Es gibt viele Menschen, Heiliger Vater, die diese Art Schwierigkeiten haben. Welche Worte der Hoffnung möchten Sie ihnen geben?
Heiliger Vater: Das Schlüsselwort, das Sie jetzt gesagt haben, ist Hoffnung. Hoffnung bedeutet nicht, dass man jemanden streichelt und sagt: "Ach, das geht schon vorbei, mach dir keine Sorgen". Hoffnung ist ein Ausgerichtetsein auf die Zukunft, auch auf den Himmel. Deshalb ist das Symbol der Hoffnung ja auch der Anker: der Anker, der ausgeworfen wird - und ich, das Seil haltend, damit es mir gelingt, die Situationen zu lösen, aber immer mit diesem Seil. Die Hoffnung enttäuscht uns nie, aber sie lässt uns warten. Die Hoffnung ist die Magd des katholischen Lebens, des christlichen Lebens. Sie ist wirklich die bescheidenste aller Tugenden. Sie ist verborgen, aber wenn du sie nicht zur Hand hast, wirst du den richtigen Weg nicht finden. Die Hoffnung ist es, die uns den richtigen Weg finden lässt. Hoffnung zu haben, bedeutet nicht, sich der Illusion hinzugeben: "Ich gehe zu jemandem, der mir aus der Hand liest.., dann geht alles gut". Nein, das ist keine Hoffnung. Hoffnung ist die Gewissheit, dass ich das Seil des ausgeworfenen Ankers in meiner Hand halte. Wir sprechen gerne über den Glauben, genauso wie über die Nächstenliebe: Seht sie euch an! Die Hoffnung ist ein wenig die verborgene Tugend, die Kleine, die Kleine in der Familie. Aber für uns ist sie der stärkste.
Lorena Bianchetti: Das ist also auch die Botschaft für die jungen Leute? Ich denke an die jungen Leute, die sehen, dass ihnen die Zukunft ein wenig aus den Händen gerissen wird: Sie haben es vorhin sehr deutlich gesagt. Deshalb machen sie auch keine großen Pläne, glauben nicht immer an dauerhafte Beziehungen, gründen keine Familien. Und auch auf institutioneller und kultureller Ebene wird ihnen nicht viel geholfen. Was würden Sie diesen jungen Menschen sagen?
Heiliger Vater: Dass sie Hoffnung nicht mit Optimismus verwechseln dürfen. Optimismus können wir uns am Kiosk kaufen. Optimismus wird nämlich verkauft! Aber mit der Hoffnung ist das eine andere Sache. Hoffnung ist die Gewissheit, dass wir auf das Leben zugehen. Es gibt da einen argentinischen Dichter – einen guten, großen Dichter - der einen Satz geprägt hat, ein Gedicht, das mich immer beeindruckt hat, eine Definition des Lebens: 'Das Leben ist ein kommender Tod'. Nein, das Leben ist kein kommender Tod: Das Leben bedeutet vielleicht, dass man vom Tod zum Leben kommt! Darin ist die Hoffnung stark: Sie ist das Seil des Ankers. Sie enttäuscht nie! Aber sie ist bescheiden, sie ist wirklich die Magd des christlichen Lebens. Aber oft sind es die Mägde, die Dienstmädchen, die das Leben einer Familie voranbringen.
Lorena Bianchetti: Ich komme zum Schluss, Heiliger Vater. Heute ist Karfreitag, aber die Heilsgeschichte ist damit nicht zu Ende. Zum Glück hat das Evangelium ein „Happy End“, denn es gibt die Auferstehung Jesu: Sie ist der Mittelpunkt der Heilsgeschichte. Was ist Ihr Wunsch für dieses Osterfest?
Heiliger Vater: Eine innere Freude. In einem Psalm heißt es: "Als der Herr uns aus Babylonien befreite, schien es uns wie ein Traum". Freudentränen. Weinen vor Freude. Mein Wunsch ist es, die Hoffnung nicht zu verlieren. Die wahre Hoffnung – die, die nicht enttäuscht - ist es aber, um die Gnade zu bitten, zu weinen, aber Tränen der Freude, des Trostes, Tränen der Hoffnung. Ich bin mir sicher – und ich wiederhole es: wir müssen mehr weinen. Wir haben vergessen, wie es geht, zu weinen. Bitten wir Petrus, uns zu lehren, so weinen zu können wie er. Und dann noch die Stille des Karfreitags.
Lorena Bianchetti: Heiliger Vater, es ist fast drei Uhr nachmittags. Wie können wir diese Stunde heute leben?
Heiliger Vater: (antwortet nicht, verharrt in Schweigen).
Lorena Bianchetti: Darf ich Sie im Namen von uns allen umarmen? Danke, Heiliger Vater! Danke.
Heiliger Vater: Ich danke Ihnen, der Herr segne Sie!
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