APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
IN DIE DEMOKRATISCHE REPUBLIK KONGO UND DEN SÜDSUDAN
(Ökumenische Pilgerreise in den Südsudan)
[31. Januar - 5. Februar 2023]
BEGEGNUNG MIT DEN VERTRETERN DER REGIERUNG, DER ZIVILGESELLSCHAFT
UND DEM DIPLOMATISCHEN KORPS
ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
Garten des "Palais de la Nation" (Kinshasa)
Dienstag, 31. Januar 2023
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Herr Präsident der Republik,
hochverehrte Mitglieder der Regierung und des diplomatischen Korps,
sehr verehrte religiöse und zivile Autoritäten,
sehr geehrte Vertreter der Zivilgesellschaft und aus dem Bereich der Kultur,
meine Damen und Herren!
Ich grüße Sie herzlich und danke dem Herrn Präsidenten für die Worte, die er an mich gerichtet hat. Ich bin glücklich, hier zu sein, in diesem schönen, weiten, üppigen Land, das im Norden den Äquatorialwald umfasst, in der Mitte und gen Süden Hochebenen und bewaldete Savannen, im Osten Hügel, Berge, Vulkane und Seen und im Westen große Gewässer, wo der Kongofluss in den Ozean mündet. In eurem Land, das wie ein Kontinent im großen afrikanischen Kontinent ist, scheint es, als ob die ganze Erde atme. Wenn auch die Geografie dieser grünen Lunge so reichhaltig und vielfältig ist, so ist die Geschichte nicht ebenso großzügig gewesen: Die von Kriegen geplagte Demokratische Republik Kongo leidet innerhalb ihrer Grenzen weiterhin unter Konflikten und Zwangsmigration sowie unter schrecklichen Formen der Ausbeutung, die des Menschen und der Schöpfung unwürdig sind. Dieses riesige Land voller Leben, dieses Zwerchfell Afrikas, das von der Gewalt wie von einem Schlag in den Magen getroffen wurde, scheint schon lange Zeit atemlos. Herr Präsident, Sie haben diesen vergessenen Völkermord erwähnt, unter dem die Republik Kongo leidet.
Und während ihr Kongolesen darum kämpft, eure Würde und territoriale Integrität vor verwerflichen Versuchen der Zersplitterung des Landes zu schützen, komme ich im Namen Jesu zu euch als ein Pilger der Versöhnung und des Friedens. Ich habe mich sehr danach gesehnt, hier zu sein, und endlich komme ich, um euch die Nähe, die Zuneigung und den Trost der ganzen Kirche zu überbringen und um von eurem Beispiel der Geduld, des Mutes und des Kampfes zu lernen.
Ich möchte zu euch durch ein Bild sprechen, das die leuchtende Schönheit dieses Landes gut symbolisiert: das Bild des Diamanten. Liebe Kongolesinnen und Kongolesen, euer Land ist in der Tat ein Diamant der Schöpfung; aber ihr, ihr alle, seid unendlich viel wertvoller als alle Güter, die aus diesem fruchtbaren Boden hervorkommen! Ich bin hier, um euch zu umarmen und euch daran zu erinnern, dass ihr von unschätzbarem Wert seid, dass die Kirche und der Papst auf euch vertrauen, dass sie an eure Zukunft glauben, an eine Zukunft, die in euren Händen liegen möge und in die ihr eure Gaben der Intelligenz, des Scharfsinns und des Fleißes einzubringen verdient. Nur Mut, kongolesischer Bruder und kongolesische Schwester! Steh wieder auf, nimm wie einen reinen Diamanten in deine Hände zurück, was du bist, deine Würde und deine Berufung, die Heimat, die du bewohnst, in Harmonie und Frieden zu bewahren. Lebe von Neuem im Geist deiner Nationalhymne, träume davon und setze ihre Worte in die Tat um: „Durch harte Arbeit werden wir ein Land aufbauen, das schöner ist als zuvor; in Frieden“.
Liebe Freunde, die normalerweise seltenen Diamanten gibt es hier im Überfluss. Wenn dies schon für die materiellen Reichtümer gilt, die unter der Erde verborgen sind, so gilt das umso mehr für die geistigen Reichtümer, die in den Herzen eingeschlossen sind. Und gerade vom Herzen ausgehend bleiben Frieden und Entwicklung möglich, denn mit Gottes Hilfe sind die Menschen fähig zu Gerechtigkeit und Vergebung, zu Eintracht und Versöhnung, zu Engagement und Beharrlichkeit, wenn es darum geht, die ihnen verliehenen Talente fruchtbar werden zu lassen. Deshalb möchte ich gleich zu Beginn meiner Reise einen Appell aussprechen: Jeder Kongolese soll sich aufgerufen fühlen, seinen je eigenen Beitrag zu leisten! Die Gewalt und der Hass dürfen bei niemandem mehr Platz im Herzen oder auf den Lippen haben, denn sie sind menschenfeindliche und antichristliche Gefühle, die die Entwicklung lähmen und uns in eine dunkle Vergangenheit zurückführen.
Da wir von gebremster Entwicklung und Rückkehr in die Vergangenheit sprechen: Es ist tragisch, dass diese Gegenden und der afrikanische Kontinent im Allgemeinen immer noch unter verschiedenen Formen von Ausbeutung leiden. Es gibt da dieses Motto, das aus dem Unterbewusstsein vieler Kulturen und vieler Menschen entspringt: 'Afrika ist zum Ausbeuten da', das ist schrecklich! Nach dem politischen Kolonialismus hat sich nämlich ein ebenso versklavender „wirtschaftlicher Kolonialismus“ entfesselt. So kann dieses in großem Umfang ausgeplünderte Land nicht ausreichend von seinen immensen Ressourcen profitieren: Es ist zu dem Paradoxon gekommen, dass die Früchte seines Bodens es seinen Bewohnern entfremdet haben. Das Gift der Habsucht hat seine Diamanten zu Blutdiamanten werden lassen. Das ist ein Drama, vor dem die wirtschaftlich weiter fortgeschrittene Welt oft Augen, Ohren und Mund verschließt. Aber dieses Land und dieser Kontinent verdienen es, respektiert und angehört zu werden, sie verdienen Raum und Aufmerksamkeit: Hände weg von der Demokratischen Republik Kongo, Hände weg von Afrika! Die Erstickung Afrikas muss aufhören: es ist kein Bergwerk, das ausgebeutet, und kein Boden, der zur Plünderung freigegeben ist. Afrika möge selbst der Protagonist seines Schicksals sein! Die Welt möge sich an die Katastrophen erinnern, die im Laufe der Jahrhunderte zum Schaden der Bevölkerung dort verursacht wurden, und sie möge dieses Land und diesen Kontinent nicht vergessen. Afrika, das Lächeln und die Hoffnung der Welt, muss mehr zählen: Man möge mehr darüber sprechen, es möge unter den Nationen mehr Gewicht haben und stärker vertreten sein!
Es muss stärker zu einer Diplomatie von Menschen für Menschen, von Völkern für Völker kommen, bei der nicht die Kontrolle von Gebieten und Ressourcen, die Ziele der Expansion und der Gewinnsteigerung im Mittelpunkt stehen, sondern die Wachstumschancen für die Menschen. Wenn man sich dieses Volk anschaut, hat man den Eindruck, dass sich die internationale Gemeinschaft beinahe mit der Gewalt abgefunden hat, die es verschlingt. Wir können uns nicht an das Blut gewöhnen, das seit Jahrzehnten in diesem Land fließt und Millionen von Toten fordert, ohne dass viele es wissen. Man muss wissen, was hier vor sich geht. Mögen die laufenden Friedensprozesse, zu denen ich mit aller Kraft ermutige, mit Taten unterstützt und die Verpflichtungen eingehalten werden. Gott sei Dank fehlt es nicht an Menschen, die mit wirksamen Projekten zum Wohle der Bevölkerung vor Ort und zu einer echten Entwicklung beitragen: nicht bloß durch Wohltätigkeitsprojekte, sondern mit Plänen, die auf ein ganzheitliches Wachstum abzielen. Ich danke den Ländern und Organisationen sehr, die in diesem Sinne umfangreiche Hilfe leisten und die Bekämpfung von Armut und Krankheit, die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenrechte fördern. Ich hoffe, dass sie diese edle Aufgabe auch weiterhin mit vollem Einsatz und Mut erfüllen können.
Kehren wir zum Bild des Diamanten zurück. Einmal bearbeitet, ergibt sich seine Schönheit auch aus seiner Form, aus zahlreichen harmonisch angeordneten Flächen. Auch dieses von seinem typischen Pluralismus bereicherte Land ist von seinem Wesen her vielgestaltig. Diesen Reichtum gilt es zu pflegen ohne dabei in Tribalismus und Gegnerschaft abzugleiten. Das sture Parteiergreifen für die eigene Ethnie oder für Partikularinteressen, das Hass- und Gewaltspiralen fördert, schadet allen, weil es die notwendige „Chemie des Zusammenseins“ blockiert. Apropos Chemie: Es ist interessant, dass Diamanten aus einfachen Kohlenstoffatomen bestehen, die jedoch, wenn sie sich anders verbinden, Graphit bilden. Praktisch ist der Unterschied zwischen der Helligkeit eines Diamanten und der Dunkelheit von Graphit durch die Art und Weise gegeben, wie die einzelnen Atome innerhalb des Kristallgitters angeordnet sind. Nicht metaphorisch gesprochen geht es nicht um das Wesen der Menschen oder der ethnischen und sozialen Gruppen, sondern um die Art und Weise, wie die Menschen sich entscheiden, zusammenzuleben: Die Bereitschaft oder der Unwille, aufeinander zuzugehen, sich zu versöhnen und neu zu beginnen, macht den Unterschied zwischen der Dunkelheit des Konflikts und einer hellen Zukunft in Frieden und Wohlstand aus.
Liebe Freunde, unser Vater im Himmel möchte, dass wir einander als Brüder und Schwestern einer einzigen Familie annehmen und auf eine Zukunft hinarbeiten, die mit den anderen gemeinsam und nicht gegen die anderen ist. »Bintu bantu«: Eines eurer Sprichwörter erinnert uns sehr wirkungsvoll daran, dass der wahre Reichtum die Menschen und gute Beziehungen zu ihnen sind. In besonderer Weise sind die Religionen mit ihrem Erbe an Weisheit aufgerufen, dazu beizutragen, indem sie sich täglich bemühen, auf jegliche Aggression, Proselytismus und Zwang zu verzichten, Mittel, die der menschlichen Freiheit unwürdig sind. Wenn man dazu verkommt, sich aufzudrängen und wahllos, durch Täuschung oder mit Gewalt, Anhänger einzufangen, brandschatzt man das Gewissen der anderen und kehrt dem wahren Gott den Rücken, denn – vergessen wir das nicht – »wo […] der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit« (2 Kor 3,17) und keine Freiheit ist, da ist nicht der Geist des Herrn. Bei den Bemühungen um eine Zukunft in Frieden und Geschwisterlichkeit spielen auch die Mitglieder der Zivilgesellschaft, von denen einige anwesend sind, eine wesentliche Rolle. Sie haben oft bewiesen, dass sie es verstehen, sich unter großen Opfern der Ungerechtigkeit und dem Verfall zu widersetzen, um die Menschenrechte, die Notwendigkeit einer soliden Bildung für alle und ein würdigeres Leben für einen jeden zu verteidigen. Ich danke den Frauen und Männern, insbesondere den jungen Menschen dieses Landes, die deshalb in unterschiedlichem Maße gelitten haben, aufrichtig und zolle ihnen Anerkennung.
Der Diamant bricht durch seine Transparenz das Licht, das er empfängt, auf wunderbare Weise. Viele von euch glänzen durch die Rolle, die sie innehaben. Diejenigen, die zivilgesellschaftliche und Regierungsverantwortung innehaben, sind daher aufgerufen, mit kristalliner Klarheit zu handeln und den erhaltenen Auftrag als Mittel zum Dienst an der Gesellschaft zu leben. Macht ist nämlich nur dann sinnvoll, wenn sie zum Dienst wird. Wie wichtig ist es, in diesem Geist zu handeln und Autoritarismus, Suche nach billigem Gewinn und Geldgier zu meiden, die der Apostel Paulus »die Wurzel aller Übel« nennt (1 Tim 6,10). Und gleichzeitig freie, transparente, glaubwürdige Wahlen zu fördern; die Beteiligung an Friedensprozessen noch mehr auf Frauen, Jugendliche und verschiedene Gruppen, auf Randgruppen auszudehnen; das Gemeinwohl und die Sicherheit der Menschen statt persönlicher oder gruppenspezifischer Interessen zu suchen; die Präsenz des Staates in allen Teilen des Territoriums zu stärken; sich der vielen vertriebenen Menschen und Flüchtlinge annehmen. Man darf sich nicht von denen manipulieren oder kaufen lassen, die das Land in Gewalt belassen wollen, um es auszubeuten und verwerfliche Geschäfte zu machen: Das bringt nur Misskredit und Schande, zusammen mit Tod und Elend. Stattdessen tut es gut, sich den Menschen zu nähern, um zu erkennen, wie sie leben. Die Menschen haben Vertrauen, wenn sie spüren, dass diejenigen, die sie regieren, ihnen wirklich nahe sind, und zwar nicht aus Berechnung oder zur Schau, sondern um zu dienen.
In der Gesellschaft ist es oft die Dunkelheit der Ungerechtigkeit und Korruption, die das Licht des Guten verdunkelt. Augustinus, der auf diesem Kontinent geboren wurde, fragte sich schon vor Jahrhunderten: »Was sind überhaupt Reiche, wenn die Gerechtigkeit fehlt, anderes als große Räuberbanden?« (De civ. Dei, IV, 4). Gott ist auf der Seite derer, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten (vgl. Mt 5,6). Wir dürfen nicht müde werden, uns für Recht und Billigkeit in allen Bereichen einzusetzen und gegen Straflosigkeit und die Manipulation von Gesetzen und Informationen zu kämpfen.
Ein Diamant kommt naturrein, aber roh und bearbeitungsbedürftig aus der Erde. So müssen auch die wertvollsten Diamanten der kongolesischen Erde, die Kinder dieser Nation, gute Bildungsmöglichkeiten nützen können, damit sie ihre brillanten Talente voll zur Geltung bringen können. Bildung ist von grundlegender Bedeutung: Sie ist der Weg in die Zukunft, der Weg, der zur vollen Freiheit dieses Landes und des afrikanischen Kontinents einzuschlagen ist. Es besteht die dringende Notwendigkeit, in sie zu investieren, um Gesellschaften zu formen, die nur dann stabil sein werden, wenn sie gut ausgebildet sind und die nur dann autonom sind, wenn sie sich ihres Potenzials voll bewusst sind und es mit Verantwortung und Ausdauer entfalten können. Aber viele Kinder gehen nicht zur Schule: Wie viele werden ausgebeutet, statt eine würdige Ausbildung zu erhalten! Zu viele sterben, weil sie in den Minen Sklavenarbeit verrichten müssen. Es dürfen keine Mühen gescheut werden, um die Geißel der Kinderarbeit anzuprangern und ihr ein Ende zu setzen. Wie viele Mädchen werden ausgegrenzt und in ihrer Würde verletzt! Die Kinder, die Mädchen, die jungen Menschen sind die Gegenwart der Hoffnung, sie sind die Hoffnung: Lassen wir nicht zu, dass sie ausgelöscht wird, sondern pflegen wir sie mit Leidenschaft!
Der Diamant erinnert als Geschenk der Erde an die Bewahrung der Schöpfung, an den Schutz der Umwelt. Die Demokratische Republik Kongo, im Herzen Afrikas gelegen, beherbergt eine der größten grünen Lungen der Welt, die es zu erhalten gilt. Wie im Falle von Frieden und Entwicklung ist auch in diesem Bereich eine breit angelegte und fruchtbare Zusammenarbeit wichtig, die ein wirksames Eingreifen ermöglicht, ohne externe Modelle aufzuoktroyieren, die für diejenigen, die helfen, nützlicher sind als für diejenigen, denen geholfen wird. Viele haben Afrika um Engagement gebeten und Hilfe bei der Bekämpfung des Klimawandels und des Coronavirus angeboten. Dies sind sicher Chancen, die es zu nutzen gilt, aber es braucht vor allem Gesundheits- und Sozialmodelle, die nicht nur auf die Dringlichkeiten des Augenblicks reagieren, sondern zu einem effektiven sozialen Wachstum beitragen: Solide Strukturen und ehrliches und kompetentes Personal, um die schwerwiegenden Probleme zu überwinden, die die Entwicklung im Keim ersticken, wie den Hunger und die Krankheiten.
Schließlich ist der Diamant das Mineral natürlichen Ursprungs mit der höchsten Härte; seine Widerstandsfähigkeit gegenüber Chemikalien ist sehr hoch. Das ständige Sich-Wiederholen gewalttätiger Angriffe und die vielen beschwerlichen Situationen könnten die Widerstandsfähigkeit der Kongolesen schwächen, ihre Entschlossenheit untergraben, sie zu Entmutigung und Rückzug in die Resignation führen. Aber im Namen Christi, der der Gott der Hoffnung ist, der Gott aller Möglichkeiten, der immer die Kraft zum Neubeginn gibt, im Namen der Würde und des Wertes der wertvollsten Diamanten dieses Landes, die seine Bürger sind, möchte ich alle zu einem mutigen und inklusiven sozialen Neubeginn einladen. Die leuchtende, aber verletzte Geschichte des Landes verlangt dies, und vor allem junge Menschen und Kinder flehen danach. Ich bin bei euch und begleite jede Bemühung um eine friedliche, harmonische und blühende Zukunft dieses großartigen Landes mit meinem Gebet und meiner Nähe. Gott segne die ganze kongolesische Nation!
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