ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE MITGLIEDER DES
"INTERNATIONAL CATHOLIC LEGISLATORS NETWORK"
Sala Clementina
Samstag, 24. August 2024
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Eminenz,
Exzellenzen,
sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde!
Herzlich heiße ich Sie, die Mitglieder des »International Catholic Legislators Network«, aus Anlass Ihres 15. Jahrestreffens willkommen. Ich begrüße Kardinal Christoph Schönborn und Dr. Christiaan Alting von Geusau und danke ihnen für die freundlichen Worte der Einführung, die ich gelesen habe. Sie hatten sie geschrieben. Denn hier gibt es jetzt keine Einführung, um Zeit zu sparen, so kann ich mehr Audienzen halten.
Das Thema des diesjährigen Treffens – »Die Welt im Krieg: anhaltende Krisen und Konflikte. Was bedeutet das für uns?« – ist äußerst aktuell. Die gegenwärtige Situation als »stückweise gekämpfter dritter Weltkrieg« – aber er ist da, der dritte Weltkrieg – scheint dauerhaft und unaufhaltbar zu sein. Die derzeitige Krise ist eine ernsthafte Bedrohung für die von der internationalen Gemeinschaft vor allem durch die multilaterale Diplomatie unternommenen geduldigen Anstrengungen, deren Ziel es ist, bei der Bewältigung der gravierenden Ungerechtigkeiten und der dringenden sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen, denen sich die Menschheitsfamilie stellen muss, zur Zusammenarbeit zu ermutigen. Und dem ist so: Ich übertreibe nicht.
Welche Antwort erwartet man also nicht nur von Seiten der Gesetzgeber, sondern von allen Männern und Frauen guten Willens, insbesondere von denjenigen, die inspiriert sind von einer dem Evangelium entsprechenden Sicht der Einheit der Menschheitsfamilie und ihrer Berufung, eine Welt aufzubauen – einen Garten zu bestellen (vgl. Gen 2,15: Jes 61,11) –, die von Geschwisterlichkeit, Gerechtigkeit und Frieden geprägt ist? Das ist die Frage. Erlauben Sie mir, Ihnen einige Anregungen für Ihre Reflexion zu geben.
Erstens: die zwingende Notwendigkeit, auf den Krieg als Mittel zur Konfliktlösung und zur Schaffung von Gerechtigkeit zu verzichten. Vergessen wir nicht: »Jeder Krieg hinterlässt die Welt schlechter, als er sie vorgefunden hat.« Das ist sicher und wir haben die Erfahrung gemacht. »Krieg ist ein Versagen der Politik und der Menschheit, eine beschämende Kapitulation, eine Niederlage gegenüber den Mächten des Bösen« (Enzyklika Fratelli tutti, 261). Nicht die Kapitulation eines Landes vor einem anderen, sondern der Krieg an sich ist eine Kapitulation. Er ist wirklich eine Niederlage. Denn die enorme zerstörerische Macht der heutigen Waffensysteme hat de facto die traditionellen Kriterien der Begrenzung des Krieges obsolet werden lassen. In vielen Fällen wird die Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Zielen immer inkonsistenter. Unsere Gewissen können nicht gleichgültig bleiben angesichts der Szenarien von Tod und Zerstörung, die wir tagtäglich vor Augen haben.
Wir müssen den Schrei des Armen, der Witwen und Waisen hören, von dem die Bibel spricht, um den Abgrund des Bösen zu sehen, der im Mittelpunkt des Krieges steht, und um uns mit jedem uns zur Verfügung stehenden Mittel für den Frieden zu entscheiden.
Zweitens: Wir brauchen Beharrlichkeit und Geduld, die sprichwörtliche »Tugend der Starken«, wenn wir den Weg des Friedens einschlagen, bei jeder gelegenen oder ungelegenen Gelegenheit, durch Verhandlung, Mediation und Schlichtung. »Der Dialog [...] muss die Seele der internationalen Gemeinschaft sein« (Ansprache an das Diplomatische Korps, 8. Januar 2024), gestützt auf ein erneuertes Vertrauen in die Strukturen der internationalen Kooperation. Trotz ihrer im Lauf der Jahre bewiesenen Effizienz bei der Förderung der globalen Bemühungen für den Frieden und für die Achtung des Völkerrechts brauchen diese Strukturen eine kontinuierliche Reform und Erneuerung, um sich an die aktuellen Gegebenheiten anzupassen, an die neuen Gegebenheiten. In dieser Hinsicht muss der Konsolidierung des humanitären Völkerrechts besondere Aufmerksamkeit gelten, auch durch die Erarbeitung immer soliderer rechtlicher Grundlagen. Dies erfordert natürlich den Einsatz für eine immer gerechtere Verteilung der Güter der Erde, um die ganzheitliche Entwicklung der Menschen und Völker zu sichern und so die skandalösen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zu überwinden, die in der ganzen Welt langanhaltende Konflikte sowie weiteres Unrecht und Gewaltakte verursachen.
Aus Ihrer täglichen Erfahrung als katholische Gesetzgeber und führende Politiker wissen Sie auch, was es bedeutet, einen Konflikt in kleinerem, aber vielleicht nicht weniger intensivem Rahmen zu bewältigen – innerhalb der Gemeinschaften, die Sie vertreten und denen Sie dienen. Als Christen wissen wir, dass die Wurzeln des Konflikts, der Spaltung und Zerwürfnisse der Gesellschaft letztlich in einem tieferen Konflikt zu suchen sind, der im Herzen des Menschen vorhanden ist, wie es das Zweite Vatikanische Konzil unterstrichen hat (vgl. Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 10). Manchmal sind Konflikte unvermeidlich, aber sie auf fruchtbare Weise zu lösen, wird nur möglich sein im Geist des Dialogs und auch der Sensibilität für die anderen und ihre Beweggründe sowie durch einen gemeinsamen Einsatz für Gerechtigkeit bei der Verfolgung des Gemeinwohls. Vergessen Sie das nicht: Aus dem Konflikt findet man nicht alleine hinaus. Nein. Man findet gemeinsam mit den anderen einen Ausweg. Allein kann niemand aus dem Konflikt herauskommen.
Während ich Ihnen, liebe Freunde, meine mit dem Gebet verbundenen besten Wünsche für ihre Beratungen ausspreche, erlauben Sie mir zu sagen, dass es unsere kriegsmüde Welt – die scheinbar nicht ohne Krieg leben kann – vielleicht mehr als alles andere nötig hat, den Geist der Hoffnung zu erneuern, der nach dem Zweiten Weltkrieg zur Gründung von Strukturen der Zusammenarbeit im Dienst des Friedens geführt hat. Ich möchte Sie, deren Dienst an unseren Brüdern und Schwestern inspiriert und getragen wird von jenem Frieden, den die Welt nicht geben kann (vgl. Joh 14,27), bitten, Zeugen der Hoffnung zu sein, insbesondere gegenüber den jungen Generationen. Krieg ist keine Hoffnung, Krieg gibt keine Hoffnung. Möge Ihr Einsatz für das Gemeinwohl, unterstützt vom Glauben an die Verheißungen Christi, unseren jungen Menschen ein Vorbild sein. Wie wichtig ist es für sie, Vorbilder der Hoffnung zu haben sowie Ideale zu sehen, die den von Pessimismus und Zynismus – vergessen wir die zynischen Aussagen nicht, sie sind schrecklich! – geprägten Botschaften, denen die jungen Menschen so oft ausgesetzt sind, widersprechen! Kurz gesagt, für uns, die wir in einer Welt im Krieg mit permanenten Krisen und Konflikten leben, geht es darum, Weisheit und Kraft zu finden, um das Licht hinter den Wolken zu sehen, die Zeichen der Zeit zu deuten und mit der vom Glauben geweckten Hoffnung andere Menschen, besonders die Jugend, zu inspirieren, sich für eine bessere Zukunft einzusetzen.
Mit diesen Gedanken versichere ich Sie meines Gebetes für Sie, für Ihre Familien und für alle, denen Ihr Dienst zugutekommt. Ich segne Sie von Herzen und bitte Sie, für mich zu beten. Danke.
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