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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS 
NACH INDONESIEN, PAPUA-NEUGUINEA,
OST-TIMOR UND SINGAPUR
(2.-13. September 2024)

BEGEGNUNG MIT VERTRETERN DER REGIERUNG,
DER ZIVILGESELLSCHAFT UND DEM DIPLOMATISCHEN KORPS

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS 

   Saal des Präisdentenpalasts (Dili, Ost-Timor)
Montag, 9. September 2024

[Multimedia]

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Herr Präsident,
Herr Premierminister,
sehr verehrte Mitglieder der Regierung und des Diplomatischen Korps,
Herr Kardinal, Brüder im Bischofsamt,
Vertreter der Zivilgesellschaft,
meine Damen und Herren
!

Ich danke Ihnen für Ihren höflichen und freudigen Empfang in diesem schönen Land Timor-Leste. Und ich danke dem Präsidenten, Herrn José Ramos-Horta, und dem Premierminister, Herrn Xanana Gusmão, für die freundlichen Worte, die sie gerade an mich gerichtet haben.

Hier berühren sich Asien und Ozeanien und begegnen in gewissem Sinne Europa, das zwar geografisch weit entfernt ist, aber doch nahe aufgrund der Rolle, die es in diesen Breiten in den letzten fünf Jahrhunderten gespielt hat – damit meine nicht die holländischen Piraten! Aus Portugal kamen nämlich im 16. Jahrhundert die ersten Dominikaner-Missionare, die den Katholizismus und die portugiesische Sprache mitbrachten; diese und die Sprache Tetum sind heute die beiden offiziellen Sprachen des Staates.

Das Christentum, das in Asien entstand, ist durch europäische Missionare bis in diese Ausläufer des Kontinents vorgedrungen und zeugt so von seiner universalen Berufung und seiner Fähigkeit, sich mit den unterschiedlichsten Kulturen in Einklang zu bringen, die durch die Begegnung mit dem Evangelium zu einer neuen, höheren und tiefgründigeren Synthese finden. Das Christentum inkulturiert sich, es nimmt die Kulturen und Rituale der verschiedenen Völker an. In der Tat ist eine der wichtigen Dimensionen des Christentums die Inkulturation des Glaubens. Und dieser wiederum bringt den Kulturen das Evangelium. Diese beiden Aspekte sind wichtig für das christliche Leben: Inkulturation des Glaubens und Evangelisierung der Kultur. Es ist kein ideologischer Glaube, sondern ein Glaube, der in der Kultur verwurzelt ist.

Dieses Land, geziert von Bergen, Wäldern und Ebenen, umgeben von einem wunderschönen Meer, soweit ich das sehen konnte, reich an vielen Dingen, an vielen Früchten und Holz… Bei all dem, hat dieses Land in der jüngsten Vergangenheit eine schmerzhafte Phase durchgemacht. Es hat die Erschütterungen und die Gewalt erlebt, die oft auftreten, wenn ein Volk vor der vollen Unabhängigkeit steht und sein Streben nach Selbständigkeit nicht anerkannt oder behindert wird.

Vom 28. November 1975 bis zum 20. Mai 2002, also von der Erklärung der Unabhängigkeit bis zu ihrer endgültigen Wiederherstellung, erlebte Timor-Leste die Jahre seines Leidens und seiner größten Prüfung. Es hat gelitten. Doch das Land wusste sich wieder zu erheben, indem es einen Weg des Friedens und der Öffnung für eine neue Phase fand, die eine Phase der Entwicklung sein will, der Verbesserung der Lebensbedingungen, und in der die unberührte Pracht dieses Gebiets und seine natürlichen und menschlichen Ressourcen auf allen Ebenen zur Geltung gebracht werden sollen.

Danken wir Gott dafür, dass Sie während einer so dramatischen Zeit Ihrer Geschichte die Hoffnung nicht verloren haben und dafür, dass nach dunklen und schwierigen Tagen endlich eine Morgendämmerung des Friedens und der Freiheit angebrochen ist.

Bei der Verfolgung dieser wichtigen Ziele war die Verwurzelung im Glauben eine große Hilfe, wie der heilige Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Ihrem Land betonte. In seiner Homilie in Tasi-Tolu erinnerte er daran, dass die Katholiken von Timor-Leste »eine Tradition haben, in der das Familienleben, die Kultur und die Bräuche der Gesellschaft tief im Evangelium verwurzelt sind«; eine Tradition »reich an den Lehren und am Geist der Seligpreisungen«, eine Tradition reich an »demütigem Gottvertrauen, an Vergebung und Barmherzigkeit und, wenn notwendig, an geduldigem Leiden in der Bedrängnis« (12. Oktober 1989). Und wenn man das ins Heute übersetzt, würde ich sagen, dass Sie ein Volk sind, dass gelitten hat, das aber im Leiden weise ist.

In diesem Zusammenhang möchte ich besonders an Ihr unermüdliches Bemühen um eine vollständige Versöhnung mit Ihren Brüdern und Schwestern in Indonesien lobend erinnern. Die erste und klarste Quelle dieser Haltung sind die Lehren des Evangeliums. Sie haben auch in der Bedrängnis an der Hoffnung festgehalten und dank des Charakters Ihres Volkes und Ihres Glaubens haben Sie den Schmerz in Freude verwandelt! Der Himmel gebe, dass sich auch in anderen Konfliktsituationen in verschiedenen Teilen der Welt der Wunsch nach Frieden durchsetzt. Denn Einigkeit ist dem Konflikt immer überlegen; der Frieden der Einigkeit ist dem Konflikt überlegen. Und dafür braucht es auch eine gewisse Reinigung des Gedächtnisses, um Wunden zu heilen, um Hass mit Versöhnung und Konfrontation mit Zusammenarbeit zu bekämpfen. Es ist schön, von der „Politik der ausgestreckten Hand“ zu sprechen, sie ist sehr weise, sie ist nicht töricht, nein, denn wenn die ausgestreckte Hand sich betrogen sieht, weiß sie zu kämpfen, versteht sie es, die Dinge voranzubringen.

Es ist auch ein Grund zu Lob und Dank, dass Sie am 20. Jahrestag der Unabhängigkeit des Landes die Erklärung zur Brüderlichkeit aller Menschen, die ich zusammen mit dem Großimam von Al-Azhar am 4. Februar 2019 in Abu Dhabi unterzeichnet habe, unter die nationalen Dokumente aufgenommen haben. Dafür bin ich dankbar, Herr Präsident. Und Sie haben dies getan, damit sie – wie es die Erklärung selbst wünscht – in die Lehrpläne aufgenommen und integriert werden kann, und das ist grundlegend.

Zugleich ermutige ich Sie, in erneutem Vertrauen mit dem umsichtigen Aufbau und der Konsolidierung der Institutionen Ihrer Republik fortzufahren, so dass diese Einrichtungen geeignet sind, dem Volk von Timor-Leste zu dienen und die Bürger sich tatsächlich repräsentiert fühlen.

Jetzt hat sich ein neuer Horizont vor Ihnen aufgetan, frei von düsteren Wolken, aber mit neuen Herausforderungen, die es anzugehen und mit neuen Problemen, die es zu lösen gilt. Deshalb möchte ich Ihnen sagen: Der Glaube, der Sie in der Vergangenheit erleuchtet und ihnen Halt gegeben hat, möge auch weiterhin Ihre Gegenwart und Ihre Zukunft inspirieren: »Que a vossa fé seja a vossa cultura!«, das heißt, er möge die Kriterien, die Projekte und die Entscheidungen im Sinne des Evangeliums inspirieren.

Ich denke bei den vielen aktuellen Themen an das Phänomen der Auswanderung, das immer ein Anzeichen für eine unzureichende oder unangemessene Erschließung der Ressourcen ist, wie auch dafür, dass man nicht in der Lage ist, allen einen Arbeitsplatz anzubieten, der einen gerechten Ertrag bringt und den Familien ein Einkommen sichert, das ihren Grundbedürfnissen entspricht. Und das ist nicht immer ein externes Phänomen. In Italien zum Beispiel gibt es eine Abwanderung aus dem Süden in den Norden und wir haben eine ganze Region im Süden, die sich entvölkert.

Ich denke an die Armut, die es in vielen ländlichen Gebieten gibt, und an die daraus folgende Notwendigkeit eines langfristig angelegten gemeinsamen Vorgehens, das vielfältige Kräfte und unterschiedliche Verantwortlichkeiten – zivile, religiöse und soziale – einbezieht, um Abhilfe zu schaffen und wirksame Alternativen zur Auswanderung zu bieten.

Und schließlich denke ich an das, was man als gesellschaftliche Plagen bezeichnen könnte, wie beispielsweise den übermäßigen Alkoholkonsum unter Jugendlichen. Bitte nehmen Sie sich dieser Sache an! Geben Sie den Jugendlichen Ideale, damit sie aus diesen Fallen herauskommen! Und auch das Phänomen, dass sie sich in Banden organisieren, die stark sind aufgrund ihrer Kenntnisse in Sachen Kampfsport, diese aber nicht in den Dienst der Wehrlosen stellen, sondern dazu verwenden, die kurzlebige und verderbliche Macht der Gewalttätigkeit zur Schau zu stellen. Und vergessen wir nicht die vielen Kinder und Heranwachsenden, die in ihrer Würde verletzt werden, dieses Phänomen tritt überall auf der Welt zutage: wir alle sind gerufen, verantwortungsvoll zu handeln, um jeder Art von Missbrauch vorzubeugen und zu gewährleisten, dass unsere Kinder und Jugendlichen unbeschwert heranwachsen können.

Für die Lösung dieser Probleme wie auch für die optimale Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen des Landes – vor allem der Öl- und Gasreserven, die nie dagewesene Entwicklungsmöglichkeiten bieten könnten – ist es unerlässlich, diejenigen, die in nicht allzu ferner Zukunft die Führungsriege des Landes bilden werden, durch eine entsprechende Ausbildung angemessen vorzubereiten. Mir hat gefallen, was der Herr Präsident bezüglich der Erziehung hier sagte. Auf diese Weise wären sie dann in der Lage, über alle notwendigen Mittel zu verfügen, um weitreichende Pläne im ausschließlichen Interesse des Gemeinwohls zu entwerfen.

Die Kirche bietet ihre Soziallehre als Basis für einen solchen Bildungsprozess an. Diese stellt einen unverzichtbaren Grundpfeiler dar, auf dessen Basis man spezifische Kenntnisse entwickeln kann und auf den man sich stets stützen muss, um zu überprüfen, ob jene neuen Errungenschaften wirklich der ganzheitlichen Entwicklung zugutegekommen sind oder ob sie sich stattdessen als Hindernis erweisen, weil sie zu unannehmbaren Ungleichgewichten und einem erhöhten Anteil an Ausgestoßenen führen, die am Rand zurückgelassen werden. Die Soziallehre der Kirche ist keine Ideologie, sie basiert auf Geschwisterlichkeit. Sie ist eine Lehre, die die Entwicklung der Menschen, insbesondere der Ärmsten, begünstigt.

Doch auch wenn es an Problemen nicht mangelt – wie bei allen Völkern und zu allen Zeiten – möchte ich Sie einladen, zuversichtlich zu sein und einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft zu bewahren. Und es gibt etwas, das ich Ihnen gern sagen möchte, das aber nicht in der Rede steht, weil ich es in mir trage. Dies ist ein schönes Land, aber was ist das Schönste, was dieses Land hat? Die Menschen. Sorgen Sie für das Volk, lieben Sie Ihr Volk, lassen Sie das Volk wachsen! Dieses Volk ist wunderbar, es ist wunderbar. In den wenigen Stunden seit meiner Ankunft habe ich gesehen, wie die Menschen sich ausdrücken, und Ihr Volk drückt sich mit Würde und Freude aus. Es ist ein freudiges Volk.

Sie sind ein junges Volk, nicht bezüglich Ihrer Kultur und der Besiedlung dieses Landes, die sehr alt sind, sondern weil etwa 65% der Bevölkerung von Timor-Leste unter 30 Jahre alt sind. Ich denke an zwei europäische Länder, wo das mittlere Alter bei 46 und 48 Jahren liegt. Und bei euch sind 65% der Leute jünger als 30 Jahre; der Altersdurchschnitt dürfte so bei 30 Jahren liegen, ein bisschen weniger. Dies ist ein Reichtum. Diese Zahl sagt uns, dass der erste Bereich, in den investiert werden muss, die Bildung ist. Ich freue mich über das, was ich vom Präsidenten gehört habe und was Sie tun. Machen Sie weiter. Ich glaube, es gibt bereits mehrere Universitäten, vielleicht sogar zu viele, und mehrere weiterführende Schulen, etwas, das es vor 20 Jahren vielleicht noch nicht so gab. Das ist ein sehr starkes Wachstum. Investieren Sie in Bildung, in die Bildung in der Familie und in der Schule. Eine Bildung, die Kinder und Jugendliche in den Mittelpunkt stellt und ihre Würde stärkt. Ich war sehr erfreut, die Kinder lachen zu sehen, mit ihren weißen Zähnen! Alles war voller Kinder! Der Enthusiasmus, die Frische, die Zukunftsorientierung, der Mut und die Unternehmungslust, die für die Jugend typisch sind, bilden zusammen mit der Erfahrung und der Weisheit der Älteren eine günstige Mischung aus Wissen und weitherzigem Tatendrang auf dem Weg in die Zukunft. Und hier erlaube ich mir einen Rat zu geben: Bringen Sie die Kinder mit den Großeltern zusammen! Die Begegnung der Kinder mit den Großeltern bringt Weisheit hervor. Denkt darüber nach. Zusammen sind diese jugendliche Begeisterung und diese Weisheit eine große Ressource und erlauben keine Passivität und schon gar keinen Pessimismus.

Die katholische Kirche, ihre Soziallehre, ihre sozialen und caritativen Einrichtungen wie auch ihre Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen stehen im Dienste aller und sind ebenfalls eine wertvolle Ressource, die es ermöglicht, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. In dieser Hinsicht ist es anerkennenswert, dass das Engagement der Kirche für das Gemeinwohl auf die Zusammenarbeit und Unterstützung des Staates zählen kann, im Rahmen der freundschaftlichen Beziehungen, die sich zwischen dem Heiligen Stuhl und der Demokratischen Republik Timor-Leste entwickelt haben und die von dem am 3. März 2016 in Kraft getretenen Abkommen beider rezipiert werden. Hervorragende Beziehungen.

Timor-Leste, das Zeiten großer Bedrängnis mit geduldiger Entschlossenheit und Heldenmut zu meistern vermochte, lebt heute als friedliches und demokratisches Land, das sich um den Aufbau einer geschwisterlichen Gesellschaft müht und friedliche Beziehungen zu seinen Nachbarn innerhalb der internationalen Gemeinschaft entwickelt. Schaut man auf Ihre jüngste Vergangenheit und das bisher Erreichte, gibt es Grund zu der Zuversicht, dass Ihre Nation ebenso in der Lage sein wird, die heutigen Schwierigkeiten und Probleme verständig, klar und kreativ anzugehen. Haben Sie Vertrauen in die Weisheit des Volkes. Das Volk hat seine Weisheit, haben Sie Vertrauen in diese Weisheit.

Ich vertraue Timor-Leste und sein ganzes Volk dem Schutz der unbefleckt empfangenen Jungfrau und Gottesmutter Maria an, der himmlischen Patronin, die mit dem Titel Virgem de Aitara angerufen wird. Sie begleite Sie und helfe Ihnen stets bei der Aufgabe, ein freies, demokratisches, solidarisches und freudvolles Land aufzubauen, in dem sich niemand ausgeschlossen fühlt und alle in Frieden und Würde leben können. Deus abençoe Timor-Leste! Maromak haraik bênção ba Timor-Lorosa’e!



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